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- Bob Dylan – Jüdische Alpträume, Apokalypse und Befreiung
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2019
AuflagenNr.: 3
Seiten: 176
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Was verbindet den jungen Bob Dylan mit dem Civil-Rights-Movement? Was bedeutet es insbesondere in den 50er und 60er Jahren jung zu sein und zur jüdischen Minderheit zu gehören? Warum ist das Konzept von Befreiung, der biblische Exodus, religiös, politisch, persönlich und jüdisch? Und wie beeinflusst dies wiederum Dylans Songtexte und seine gegenwärtige Selbstdarstellung im Internet? – Auf all diese Fragen versucht dieses Buch Antworten zu finden und zugleich Dylans Songs in die historischen Zusammenhänge einzubinden.
Textprobe: Kapitel 4.1 Antisemitismus und Shoah in Dylans Songs: Antisemitismus und Shoah behandelt Dylan in seinen Songs als junger jüdischer Intellektueller und selbststilisierter Außenseiter zunächst sarkastisch und ironisch. Talkin’ John Birch Society Blues Was Dylan von den antikommunistischen Verschwörungstheorien der Anfang der 60er Jahre erfolgreichen John Birch Gesellschaft hielt, hatte er schon 1962 in seinem Folksong Talkin’ John Birch Society Blues deutlich gemacht, der sich mit der 1958 gegründeten, rechtskonservativen amerikanischen Vereinigung gleichen Namens beschäftigt. Im Optimismus der Nachkriegsjahre und in der Besorgnis um die Nachkriegsordnung wurde eine Flut von soziologischen und psychologischen Studien publiziert, die sich mit den Methoden dieser Fächer mit Problemen von Vorurteilen und Diskriminierung beschäftigten. Jüdische politische Organisationen unterstützten finanziell oder in anderer Form viele der nach dem Krieg entstandenen Studien über Vorurteile, die in ihren wissenschaftlichen Abteilungen entstanden oder in Kooperation mit Wissenschaftlern. Vorurteilshafte Haltungen galten dabei nach der Publikation der fünfbändigen Studies in Prejudice , die von 1949 bis 1950 erschienen, allgemein als psychische Krankheit. Die Studies in Prejudices des Institute for Social Research (ISR) in New York, des frühere Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main, waren zwar nicht die ersten Arbeit, die Vorurteile mit psychologischer Terminologie erklären wollten, die Konzeption von Vorurteilen als Krankheit geht aber im Wesentlichen auf sie zurück. Die bekannteste Arbeit der Studies in Prejudice , die von Theodor W. Adorno und R. Nevitt Sanford an der Universität Berkley durchgeführte Studie The Authoritarian Personality , die die Befragung von über 2000 Einzelpersonen auswertete, löste eine Flut von Artikeln, Büchern und Dissertationen in den frühen und mittleren 50er Jahren aus und wurde von jüdischen wie nichtjüdischen interkulturellen Organisationen übernommen. Die Untersuchungen des ISR zu Faschismus und Antisemitismus in den 30er Jahren hatten ihre Wurzeln in der marxistischen Kritik des Kapitalismus und im bürgerlichen Liberalismus. Auch in den Studies in Prejustice gab es fortgesetzt Anspielungen auf ökonomische, politische, historische und soziologische Faktoren. Im Allgemeinen wurden diese Anspielungen jedoch vom Hauptteil getrennt und oft als außerhalb des Ziels der Studie beschrieben. - Die politische Situation im Amerika des Kalten Krieges und liberalen Antikommunismus’ und die Zusammenarbeit mit dem liberalen AJC machten eine neue Herangehensweise erforderlich. Das ISR musste seine Kapitalismuskritik und seine Kritik am Liberalismus zügeln. Amerikanische Leser, denen die früheren in Deutsch geschriebenen Arbeiten des ISR, des ehemaligen Instituts für Sozialforschung im Allgemeinen sprachlich nicht zugänglich waren, lasen sie daher als psychologische Studien. Die Studies in Prejudices entsprachen daher aus verschiedenen Gründen der allgemeinen liberalen Ideologie in den USA. Sie bestätigten, dass Antisemitismus und andere Formen von Vorurteilen durch moderate Mittel bekämpft werden könnten. Die autoritäre Persönlichkeit hegt Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen und trägt pathologische Züge, z.B. Rigidität, extremen Konformismus, eine schlechte Wahrnehmung der Realität, Aversion gegen Introspektion, Zynismus, Schwierigkeiten enge persönliche Beziehungen einzugehen, dazu Identifikation mit Stärke und Ablehnung von Schwäche. In Dylans Song geht ein von der Jagd auf Kommunisten paranoider Mann bis in die Toilettenschüssel in seiner Wohnung auf Kommunistenjagd. Weil er letztlich niemanden finden kann, muss er schließlich sich selbst untersuchen. Dass die John Birch-Gesellschaft zudem latent antisemitisch war, beschrieb Dylan im gleichen Song. Der Song brachte Dylan den publikumswirksamen Ruf eines Rebellen ein: seine Plattenfirma lehnte es ab, den Song in sein zweites Album aufzunehmen. Und der amerikanische Fernsehsender, der die Ed Sullivan Show ausstrahlte, wollte Dylan mit dem Song nicht auftreten lassen, da er rechtliche Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft befürchtete, worauf Dylan medienwirksam und mutig auf den Auftritt verzichtete. Den Vorschlag stattdessen einen anderen Song zu spielen, lehnte Dylan ab: Wenn ich meinen Song nicht spielen kann, möchte ich lieber nicht auftreten. With God on Our Side , In einem seiner frühen Songs, dem Antikriegslied von 1963/64 With God on Our Side , in dem Dylan u.a. auch den Mord an den amerikanischen Ureinwohnern, den Indianern, anklagte, hatte Dylan sarkastisch in einer Wendung, die an Tom Lehrers 1967 aufgenommenes ironisches Lied über Wernher von Braun erinnert, bemerkt: When the Second World War came to an end /We forgave the Germans / And we were Friends / Though they murdered six millions / In the ovens they fried / The germans now too/ Have God on their side. Can You Please Crawl out Your Window In seinem 1965 erschienen Song Can you please crawl out your window versucht ein offenbar männlicher Erzähler – in einer ironischen Replik auf Donovans Song The Little Tin Sodier von der Platte Catch the Wind von 1965 – ein Mädchen zu überzeugen seinen Freund für einen Ausflug in die Nacht zurückzulassen. Beide Partner in einer leblosen Beziehung beschränken die Möglichkeiten des jeweils anderen, bzw. halten an einem starren wirklichkeitsfremden Bild des Partners fest. Das Mädchen sperrt seinen Freund metaphorisch in einer Schachtel ein. Doch ihr Freund interessiert sich – so der Erzähler des Songs – nicht wirklich für sie, sondern nur für seine eigenen Projekte. Der Völkermord ( genocide ) dient dazu, den Freund des Mädchens über seine Freunde und Anhänger ironisch zu charakterisieren. Ihm sind bloodhounds that kneel zu Diensten, die ihn zu einem gefährlichen Verfolger machen. Speziell ausgebildete große Hunde wurden in Konzentrationslagern eingesetzt, um Häftlinge zu bewachen, bei der Suche nach Geflohenen und als Waffen, die Häftlinge verletzen und töten konnten. Nach ihrer Befreiung schilderten zahlreiche KZ-Häftlinge Verletzungen und Tötungen mit Hunden durch das KZ-Personal, der Einsatz von Dienst-Hunden ist in NS-Prozessen dokumentiert und in der Erinnerungsliteratur ehemaliger Häftlinge. Nahe liegt, dass Dylan damit auf die Rolle des Mischlingshundes Barry anspielte, dessen Rolle als Hund des KZ-Kommandanten Kurt Franz in den Teblinka Prozessen vom Oktober 1964 bis August 1965 zur Sprache kam. Barry attackierte auf Geheiß seines Herren Häftlinge, wenn Franz sie nur anbrüllte, und biss sie in Gesäß oder Unterleib, mehrfach auch in die Genitalien, die er teilweise abbiss. Franz erschoss anschließend diese Häftlinge bzw. ordnete ihre Erschießung an. Der Tierpsychologe Konrad Lorenz erklärte in einem Gutachten das Verhalten von Barry, der sich später unter seinem neuen Herren , dem Chefarzt des Reservelazaretts in Ostrow, Friedrich Struwe, sehr friedlich verhalten hatte. Ein Hund, der eine Hund-Herren-Bindung eingegangen sei, könne förmlich die Absichten seines Herren erraten. Er passe sich den Stimmungen und Launen seines Herren an und sei ein Spiegelbild des Unterbewusstseins seines Herren . Sein Charakter könne sich, wenn er eine Bindung zu einem neuen Herren einginge, völlig wandeln. Insbesondere Mischlingshunde würden besonders feinfühlig auf ihren Herren reagieren. Der Freund ist zudem umgeben von genocide fools , vielleicht rassistischen, vielleicht totlangweiligen Dummköpfen und friends , Freunden, die der 'Religion' von der kleinen Zinn-Frau anhängen, das heißt der Überzeugung von der tapferen, immer treuen, wartenden häuslichen Frau und Geliebten wie in Donnovans Lied: Why does he look so righteous/ while your face is so changed/ Are you frigthened of the box you keep him in?/ While his genocide fools and his friends rearrange/ Their religion of the little tin women ... Seit etwa der Mitte der 60er Jahre wandten sich die politischen jüdischen Organisationen, insbesondere nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 von den allgemeinen Civil-Rights-Fragen zunehmend ab und spezifisch jüdischen Interessen zu. Konflikte mit den gewaltbereiten politischen Organisationen der schwarzen Civil-Rights-Bewegung waren dafür verantwortlich. Aber auch die Tatsache, dass die mehrheitlich in der weißen Mittelschicht angekommenen amerikanischen Juden nun mehr wenig mit ihren einstigen farbigen und schwarzen Bundesgenossen verband. Die amerikanischen aschekenasischen Juden teilten zudem häufig die Vorbehalte der Weißen gegenüber Schwarzen. In den Mittelpunkt rückte in den Gemeinden und politischen Organisationen die Frage, wie jüdische Identität in einer weißen christlichen Mehrheitskultur bewahrt werden könnte. Jugendaustausch mit israelischen Jugendlichen schien dazu geeignet und vor gemischtreligiösen Ehen warnten die Rabbiner. Zu Beginn der 70er Jahre besuchte auch Dylan mit seiner jüdischen Frau und seinen Kindern mehrfach Israel und überlegte, ob er dort dauerhaft wohnen wollte. Er dachte daran in einen Kibbuz zu ziehen oder später ein Appartment zu erwerben und holte sich auch später Ratschläge von Rabbinern von Chabad-Lubawitsch. Zu seinen Israel-Besuchen sagte er später: There was no great significance to that visit. But I'm interested in what and who a Jew is. I'm interested in the fact that Jews are Semits, like Babylonians, Hittites, Arabs, Syrians, Ethiopians. But a Jew is different because a lot of people hate Jews. Seinen Israel-Besuchen gab Dylan einen eher privaten Charakter von persönlicher Erkundung. Er fürchtete wohl u. a. auch in die Kritik von vielen Linken zu geraten, die in Israel seit dem Krieg von 1967 eine Militärdiktatur sahen. Kritisch sahen dabei auch linke amerikanische Juden und kleine jüdische Gruppen in Israel die Politik Israels gegenüber den Palästinensern. Seit Mitte der 60er Jahre wurden Dylan und seine Familie an ihren Wohnorten von verschiedenartigen Groupies und Anhängern belagert, u. a. von einem linken jüdischen Juden, Alan Jules Weberman. Weberman durchsuchte Dylans Müll nach Informationen und schrieb darüber. Er hatte Dylan eine Unterstützung der 1968 gegründeten Jewish Defense League (JDL) unterstellt, einer rechten, militanten Organisation, deren Ziel es ist, Juden vor allen Formen von Antisemitismus zu schützen.
Jeanette Jakubowski, geb. 1961, Studium der Geschichte und Germanistik an der Freien Universität Berlin. Wissenschaftliche Hilfskraft an der Stiftung Neue Synagoge-Centrum Judaicum in Berlin. Magistra Artium 1993, Fortbildung zur Mediendokumentarin in Bremen. 1997-1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Erinnern für die Zukunft e.V./Staatsarchiv Bremen. Ab 1998 Arbeit als Stadtführerin in Bremen, Nachhilfe im Studienkreis, Zweitstudiums DAZ/DAF (Lehramt, Primarstufe und Sek. I) an der Universität Bremen, Abschluss 2005.Integrationskursleiterin. Gelegentlich Publikationen zum Thema Antisemitismus und jüdische Geschichte.
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