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- Bin Ich ein Anderer? Die Krise der männlichen Identität in "Fight Club" und "Shutter Island"
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 100
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
‘Shutter Island’ und ‘Fight Club’ sind Paradebeispiele für schwierige Identitäten. Obgleich sie nicht derselben Thematik entsprechen, folgen die Filme doch ähnlichen Mustern. Der Rezipient gibt sich der Illusion der jeweiligen Identität hin, bis diese völlig überraschend enttarnt wird. Dieses Buch möchte sich vor allem mit der Frage nach Konstruktion und Destruktion von Identität beschäftigen. In beiden Filmen wird die Wendung erst ersichtlich, nachdem die Protagonisten schon tief im Schlamassel stecken. Doch wieso ist es für den Rezipienten so schwierig dies zu erkennen? Erst an dem Zeitpunkt, wo ein Kontrollverlust droht, ermöglichen uns die Filme einen Blick auf den Doppelgänger. Doch worin manifestiert sich die Identitätslosigkeit oder die doppelte Identität der Protagonisten? Wie werden die Subjekte hier konstituiert? Und finden wir etwa in den Filmen eine Krise der Männlichkeit? Während die Identität in ‘Fight Club’ offensichtlich einen positiven Ausgang nimmt, verliert sich der Protagonist in ‘Shutter Island’ und wird zum Gefangenen seiner eigenen Lüge - oder etwa nicht?
Textprobe: Kapitel 3, Mindgame movies: Shutter Island und Fight Club stehen symptomatisch für zwei außergewöhnliche Filme, deren Facettenreichtum ein großes Publikum in die Kinos zog. Obgleich sie einer unterschiedlichen Handlungsthematik folgen, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Die augenscheinliche Schizophrenie ihrer Protagonisten. Ihre Inszenierung lässt den Rezipienten häufig im Unklaren und bildet somit enormes Potenzial für eingehende Untersuchungen. Neben Kinobesuchern haben sich Fangemeinden wie auch rege Online-Foren etabliert, die sich mit der Materie beschäftigen. Des Weiteren sind Philosophen, Soziologen und Psychologen in Erscheinung getreten, deren Interesse mit der zunehmenden Popularität der Filme weiter anstieg. Die beiden behandelten Werke sind außerdem eindeutig der, von Thomas Elsaesser beschriebenen, Kategorie der mindgame movies zuzuordnen: ‘Gedankenspiele, die man mit Filmen spielen kann […]. ‘Sie beziehen den Zuschauer auf mehreren Ebenen gleichzeitig mit ein, und zwar nicht nur in die Handlung selbst, sondern in die Grundprinzipien ihrer Konstruktion. Als Entwurf einer möglichen, das heißt unwahrscheinlichen und dennoch glaubhaften und in sich stimmigen Welt, stellen sie das Publikum vor Rätsel, sind aber zugleich unterhaltsam […].’ Die hier beschriebenen Gedankenspiele können sich auf zwei Stufen entfalten. Zum einen erlebt das Publikum eine ahnungslose Figur, die unwissend zur Marionette eines Spiels wird und nicht weiß, wer die Rolle des Puppenspielers einnimmt. Zum anderen handelt es sich um Filme, die das Publikum an der Nase herumführen, indem sie wichtige Hintergrundinformationen zurückhalten. Die hier behandelten Filme weisen beide Fälle auf. Man könnte sogar sagen, dass der Wendepunkt sowohl in Shutter Island als auch in Fight Club in ähnlich schockierender Weise und zu einem ähnlichen Zeitpunkt in der Handlung realisiert wird. Der mentale Zustand unserer Hauptfiguren bewegt sich auf einem schmalen Grad zwischen einer schwerwiegenden Psychose und ihrer eigenen Identitätslosigkeit. Allerdings möchten diese sogenannten mindgame movies keine Exempel statuieren - vielmehr ‘wird ihre Art des Sehens, Reagierens und Interagierens mit anderen Figuren […] als normal oder plausibel dargestellt.’ Dies führt wieder zurück zur Wahrnehmung auf Ebene des Rezipienten. Die Grenzen zwischen Bewusstsein und Realität verschwimmen auch für den Zuschauer und machen es ihm unmöglich, eigenständig zwischen Realität und paralleler Welt zu unterscheiden. Mindgame movies behandeln außerdem Themen, die in den beiden genannten Filmen nicht nur vereinzelt zu finden sind, sondern die Werke maßgeblich bestimmen und sie zu dem werden lassen, was sie sind. Dazu gehören Sexualität, Gender, die ödipale Familie und die dysfunktionale Gesellschaft. Für die Betrachtung der vorliegenden Arbeit ist allerdings die Auseinandersetzung mit den Identitätskrisen, die für derartige Filme so bezeichnend sind, am faszinierendsten. Genauer gesagt, betrifft das hiesige Interesse die etwaige Krise der männlichen Identität in jenen mindgame movies. Dieser Ansatz würde vermutlich weder in Shutter Island, noch in Fight Club so deutlich hervortreten, wenn es nicht die von Elsaesser beschriebene Gewohnheit der mindgame movies wäre, den Zuschauer zu desorientieren oder fehlzuleiten. Dieser Berührungspunkt zwischen den einzelnen Filmen, wie unterschiedlich sie auch sein mögen, wird durch sogenannte switches (unvorhersehbare Begebenheiten) verstärkt. Thomas Elsaesser bemerkt, dass die Rezipienten sogar Gefallen an jenem unzuverlässigen Erzählen finden, sich darauf einlassen und es gegebenenfalls genießen. Durch die versteckten Rätsel, die vielen Fallen und Wendungen sowie durch das Labyrinth der Erzählung ergibt sich hierbei womöglich ein Lustgewinn für das Publikum. Die allgemeingültige Ordnung des allwissenden Zuschauers ist damit aufgehoben und degradiert den bisherigen Voyeur zum ‚Opfer‘, was mitunter zu einer enormen Identifikation mit dem Erlebtem des Protagonisten führt. Es stellt sich also die Frage, welche Geschichten hier überhaupt erzählt werden und wer sie erzählt. Filme wie Fight Club und Shutter Island offenbaren uns nicht, dass wir uns im Universum einer Parallelwelt befinden - vielmehr gewähren sie uns Eintritt in ein Universum, das der Zuschauer als gegeben hinnimmt, da es keine gegenteilige Kennzeichnung gibt. Diese mindgame movies als solche enthalten jedoch keine Falschwahrnehmung, sie umfassen lediglich verfremdende Effekte, die das Publikum täuschen wollen. Wenn gegen Ende die Auflösung gegeben wird, erscheint die Argumentation dem Zuschauer nur allzu plausibel. Mit dem Bewusstsein dieser Erkenntnis werden versteckte Rätsel und Hinweise erkannt. ‘[Die] Hauptargumentationslinie besteht darin, dass die Pfade (oder narrativen Verläufe) noch immer linear sind, wenn sie sich verzweigt haben, dass die Gabelungen mit Wegweisern vorher angedeutet und bezeichnet sind, dass die unterschiedlichen Pfade wieder zusammenlaufen und dass sie nicht gleichwertig sind.’ Die Vielfalt unterschiedlicher Definitionen zeigt an, dass mindgame movies unter verschiedenen Begrifflichkeiten analysiert werden können. Neben den Aspekten der Narration und Narratologie, der Fokalisierung und Perspektivierung erscheint es durchaus interessant, Fragen der Psychologie und Psychopathologie hervorzuheben sowie das Konzept der ‘Identitätskrisen und Persönlichkeitsstörungen als produktiver […] Pathologien’ in den Filmen genauer zu untersuchen. Wie bereits deutlich wurde, hegen die Filme jedoch keinerlei Interesse, auf ihren künstlichen Status oder ihre Parallelwelten zu verweisen. Der eigene Sinneseindruck wird abgeschwächt, indem das Bewusstsein ausgeschaltet wird. ‘Dies wird durch Protagonisten signalisiert, die an Persönlichkeitsstörungen leiden, unter denen Schizophrenie und Amnesie die zwei beliebtesten Formen der Un-Ordnung der Figur und Auf-Lösung der Charaktere, der Handlungsfähigkeit und Motivation sind, womit ein ‚Neu-Laden‘ des Bewusstseins und des sensomotorischen Systems motiviert wird.’ Thomas Elsaesser hält außerdem fest, dass die Figurendarstellung in mindgame movies eine gewisse Zwiespältigkeit beinhalten kann. Diese mental oder psychologisch instabilen Protagonisten (in diesem Fall männlicher Natur) sind laut Elsaesser in drei Gattungen einzuordnen: ‘Paranoia, Schizophrenie und Amnesie.’ Uns wird damit eine besondere Innensicht in die Welt der Figuren gewährt. Der mentale Zustand konstituiert sich meist aus einem traumatischen Erlebnis heraus, ein wiederkehrender Vorfall, der fest in das Gehirn eingebrannt ist. So verhält es sich beispielsweise mit dem Besuch in Dachau bei Shutter Island. Dieser Ansatz der Traumata soll im Folgenden unter psychoanalytischen Aspekten betrachtet werden. Während bei Andrew das Trauma um und durch Dolores nur allzu bewusst ist, kann die Zwangslage von Jack, ausgelöst durch den fehlenden Vater, in Fight Club als Pathologie der individuellen Lebenssituation gesehen werden. Während in Fight Club die Pathologie der Schizophrenie dominiert, bildet in Shutter Island das Motiv der Paranoia einen zentralen Bestandteil. In Filmen mit paranoiden Elementen werden häufig Wahnvorstellungen thematisiert, die offen lassen, ob das Vorgestellte überhaupt geschehen ist oder existiert hat. Allerdings kann das paranoide Krankheitsbild wie im Fall von Shutter Island auch zu einer produktiven Pathologie führen. Diese Produktivität beinhaltet das Vermögen, neue Kombinationen und Bezüge außerhalb eines Kontexts zu sehen und die dadurch erhaltenen Informationen neu zusammensetzen zu können. Verschwörungstheorien werden damit zum Antriebsmotor den psychisch gestörten und bieten das Potenzial etwas zu verändern. ‘Paranoia kann auch als Reaktion auf die Krise der bürgerlichen Subjektbildung verstanden werden, die - statt dem ödipalen Verlauf von Gesetz versus Begehren zu folgen und ‚Kastration‘ als Einstieg in die symbolische Ordnung zu akzeptieren - durch ständige Dis-Artikulationen und Re-Totalisierung den systematischen Intentionen und der entkörperten Intelligenz der Gesellschaft gegenüber wachsam bleibt.’
Sarah Blasberg hat an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Germanistik und Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Ihre Leidenschaft für Kommunikation und die Freude am Schreiben war ausschlaggebend für die Wahl ihrer Hochschulfächer. Das Studium hat ihr Interesse an medienwissenschaftlichen und kulturellen Stoffen stets unterstützt und erforderte eine ständige Beschäftigung mit der aktuellen Medienlandschaft. Der Umgang mit Sprache, Texten und Film zählte stets zu ihren Interessensschwerpunkten und hat sie animiert, sich eingehend mit den genannten Themen auseinanderzusetzen.
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