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- Bauerntracht in Wandel und Beharrung: Beschrieben anhand der Tracht des Untergerichts des Breidenbacher Grundes
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Bäuerliche Trachten erscheinen den modernen Außenstehenden oft als Stoff gewordene über Jahrhunderte zementierte Form der Unterdrückung der gesamten bäuerlichen Gesellschaft, insbesondere der Frauen. In der Gegend um Marburg, einer Region mit einer der höchsten Trachtendichten Deutschlands und Europas, was sowohl noch im Alltag Tracht tragenden Personen bis kurz vor dem Jahr 2000 als auch was die Anzahl verschiedener Trachten auf engstem Raum angeht, konnte man aber bis vor Kurzem noch ein völlig anderes, authentisches Bild von Bauerntracht und ihrer Funktion bekommen. Ausgehend von der Tracht meiner eigenen Schwieger-Großmutter, einer lebenslangen Trägerin der Tracht des Untergerichts des Breidenbacher Grundes, möchte der Autor der inzwischen auch hier ausgestorbenen Tracht ein kleines Andenken setzen, mit einer Auflistung der ihm bekannten Regeln zur Trageweise wie auch der einzelnen Bestandteile. Gedacht ist dieses Buch als Ergänzung zur schon vorher erstellten Grundlagenliteratur zu dieser wie den anderen mittelhessischen Trachten.
Textprobe: Schwarz: Das ‘Abtrauern’ gehört wohl zu den für moderne Menschen unvorstellbarsten Gegebenheiten der Tracht. Wird heute im Allgemeinen gar kein Zeichen von Trauer mehr in der Kleidung gezeigt, oder gehört schwarze Kleidung längst zu den Erkennungszeichen bestimmter Jugendkulturen oder Modestile, so war in den meisten Trachten nicht nur zu erkennen, dass man trauerte, sondern auch in welchem Grad der Verwandtschaft zum Verstorbenen, oder bei nahen Verwandten seit wie vielen Jahren man trauerte. Die schwarze Kleidungsfarbe war unterschieden in das ‘blasse’ oder ‘trockene’ und das ‘geglätzerte’ Schwarz. Geglätzerte Schürzen glänzten, weil der Stoff mechanisch behandelt worden war, blasses Schwarz war matt. Man unterschied die ‘Harte Trauer’, in der die bis auf die weißen Hemden, schwarz-grünen oder blau –grünen Strumpfbänder und grünen oder blauen Unterröcke absolut schwarze Kleidung keinerlei Zier aufweisen durfte und die für den Ehemann und die Kinder sieben Jahre dauerte, für Eltern und nähere Verwandte 2 - 3 Jahre. In dieser Zeit war die Tracht blass schwarz. Nach einem komplizierten Regelwerk traten jedes Jahr weitere Details an Farbe oder Zierde wieder dazu, bis endlich die normale Alltagstracht getragen werden durfte. Wer viele Verwandte hatte, konnte aufgrund der niedrigen Lebenserwartung oft schon nach dem 35. Lebensjahr keine andere Tracht mehr als irgendeine Stufe der Trauer, also schwarz, tragen. Lediglich die Strümpfe und die Strumpfbänder blieben immer weiß bzw. in der Trauer im 20. Jh. grün-violett. Nach dem Abtrauern kehrte die Frau zu den rot-grünen Strumpfbändern zurück, wenn sie dann noch jung genug war und in der Trauerzeit kein weiterer Todesfall eingetreten war. Auch hier ist schwarz also nicht die übliche Trauerfarbe, sondern eher als ‘ernste’ Farbe anzusehen, also reserviert für die Trauer ebenso wie für die Kirche. Ansonsten müssten komplett schwarze Strumpfbänder existieren. Welches Stilpchen zur Trauer getragen wurde, ist, wie oben erwähnt, nicht einheitlich in der Literatur geklärt. Vermutlich war es das schlicht blaue, aber das schwarze dürfte sicher zur harten Trauer getragen worden sein. Vielleicht änderte sich aber auch das noch vor dem Ablegen der Stilpchen um 1900. Insbesondere das Verschwinden der schwarzen Stilpchen war vollständig, auch im Bewusstsein der nachkommenden Trachtenträgerinnen. Menges scheint schwarze Stilpchen weder beobachtet zu haben, noch haben seine Gewährsfrauen sie ihm gegenüber noch erwähnt. Das einzige öffentliche Exemplar stammt aus Niederdieten und gelangte bereits 1914 in die Sammlung des Biedenköpfer Schlosses. Zur Trauer gehörten Schuhe mit einer Lasche mit grünem Aufsatz, die bei Mädchen rot war. (Menges, S. 27) Ähnliche Laschen finden sich bis heute an den Schuhen in der Schwalm wie auch an den wenigen Originalen im Biedenköpfer Schloss. Diese Laschen überlebten auch den Wechsel von den ‘Schwälmer’ Schuhen mit barocken Sohlen, sie sie auf dem Nebel-Blatt zu sehen sind, hin zu den halbhohen Stiefeln. Interessant ist, dass die jungen Frauen in Wallau während der Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre des 20. Jhs. ihre bisher weißen Strümpfe schwarz umfärbten, da keine Seife mehr zu bekommen war, um die Strümpfe weiß halten zu können. Diese Veränderung wurde von den älteren Frauen aber nicht nur nicht nachgeahmt, sondern fand sogar heftigen Widerstand. Die alten Wallauerinnen behielten die weißen Strümpfe bis zu ihrem Tode bei. Während Veränderungen wie der Wegfall des Stilpchens, der ‘von oben’ verordnet worden war, oder des sehr unpraktischen Bruststeckers keinen allzu breiten Widerstand ausgelöst hatten, war diese sehr stark die Optik verändernde Abwandlung der Veränderung eindeutig zu viel. Veränderungen waren also jeder Generation zwar durchaus freigestellt, wie auch im Laufe des 20. Jh. immer neue Stoffe alte Textilien verdrängten, und z.B. in der Kinderkleidung bedruckte Baumwollstoffe die alten grünen Büffel ablösten. Aber weiße Strümpfe stellten aufgrund der offensichtlichen Arbeit, die ihr Weißhalten erforderte, ganz eindeutig einen echten Grund zu Stolz für ihre Trägerinnen dar. Diese Veränderung musste also ganz grundsätzlich Widerstand hervorrufen. Welche Trachtenträgerin ihre Strümpfe nicht mehr weiß halten konnte, die musste schlichtweg fürchten, als faul zu gelten, ein Ruf, dem sich keine gestandene Frau aussetzen wollte, nur weil ein Krieg Seife knapp machte. Auch hier ist die Tracht also eindeutig Ausdruck des eigenen Stolzes und nicht eines sozialen Korsetts.
Christoph Kaiser, Jahrgang 1970, evangelischer Diplomtheologe und Restaurator, kam mit ethnologischen Themen zuerst während seines Studiums der Sinologie und Japanologie in Kontakt. Aufgrund seiner engen Verbundenheit mit seiner mittelhessischen Heimat, die ihn schon früh z.B. zur Erforschung der Geschichte der jüdischen Gemeinde seines Heimatortes veranlasste, wurde er auch und gerade für ältere Zeitzeugen zu einem gesuchten Ansprechpartner. Aus seinen Gesprächen zur Tracht des Dorfes Wallau an der Lahn mit solchen Zeitzeugen und der Beschäftigung mit alten Bilddokumenten entstand dieses Buch.
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