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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 110
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Menschen, die von ihrem Leben in Armut erzählen und uns so Teil haben lassen an ihren Erlebnissen und ihrem Verständnis der Welt haben mit ihren Geschichten oft fasziniert und ein großes Publikum erreicht. Von sozialistischen Regierungen als zentrales Werkzeug zur Integration der Ärmsten in die Gesellschaft gefeiert, und von Kritikern als literarisch arm und unbedeutend verschrieen, ist das Testimonium ein literarisches Genre, das extreme Reaktionen herausfordert. Verortet zwischen Realität und Fiktion, Analphabetismus und Wissenschaft, Sozialwissenschaft und Literatur sollen die Erzählungen zwischen den Kulturen und Lebenswirklichkeiten vermitteln und so eine Brücke bauen und gegenseitiges Verständnis ermöglichen. In der vorliegenden Studie untersucht die Lateinamerikanistin Nora Gores das für Hispanoamerika typische Genre des testimonios aus literaturwissenschaftlicher Perspektive. Dabei bezieht sie sich insbesondere auf zwei relativ unbekannte, peruanische Texte der 1970er Jahre, die vieles verbindet, die jedoch zugleich unterschiedlicher nicht sein könnten. Die anthropologische Studie Gregorio Condori Mamani. Autobiografía und der Roman Canto de Sirena von Gregorio Martínez erzählen vom Leben eines indigenen Lastenträgers und eines afroperuanischen Grabräubers am Rande der Gesellschaft. Die Texte berichten von den Liebschaften und der Suche nach Arbeit genauso, wie von religiösen Vorstellungen und den Auseinandersetzungen mit technischen Neuerungen und der westlichen Kultur. Dabei stützen sich beide Bücher auf zuvor geführte Interviews, die im Buch präsentiert werden. Aber bereits die von den Autoren gewählte Präsentationsform der Texte, die als Autobiographie bzw. als Roman angekündigt werden, unterscheidet sich extrem. Den Ähnlichkeiten und Unterschieden, die sich hier auftuen geht die Autorin in ihrer Analyse nach und zeigt theoretisch fundiert und doch gut nachzuvollziehbar auf, wie vielseitig das Genre des testiomios sein kann. Welche Menschen erzählen hier ihre Geschichte und wer schreibt sie? Welche Motivation treibt sie dazu an? Wie viel Literatur steckt schließlich in den erzählten Geschichten des Lebens und wie viel Realität wird durch sie vermittelt? Wie viel Fantasie hat darin Platz? Wie viel Lust an Exotik spielt bei den Texten über das Fremde eine Rolle? Und wessen Geschichte kann der Leser schließlich verfolgen? Fragen, denen im vorliegenden Band dezidiert nachgegangen wird.
Kapitel III. 3, Genese eines Textes: Von der Erzählung zum Artefakt: In diesem Abschnitt soll auf die doppelte Autorenschaft eingegangen und die Frage thematisiert werden, wessen Geschichte im fertiggestellten Testimonium schließlich erzählt wird. Ursprung eines jeden testimonio ist das Gespräch (mindestens) zweier Menschen. Ein Interview, das aufgezeichnet, bearbeitet und publiziert wird, bevor es seinen Weg in die Hände eines Lesers findet. An seinem Entstehungsprozess sind daher mindestens zwei Personen maßgeblich beteiligt: ein Erzähler und ein Schreiber. Wer hat welchen Anteil am vollendeten Werk? Wessen Geschichte steht schließlich in den Regalen der Buchhandlungen zum Kauf bereit? Oder andersherum, mit Foucaults einleitender Frage nach der Relevanz des Autors Qu’importe qui parle? , die der französische Philosoph in einem Essay mit dem Titel Qu’est-ce qu’ un auteur? aufkommen lässt. Während der Entstehung eines testimonio wird zwischen Oralität und Schriftlichkeit verhandelt. Mit der notwendigen Transkription der mündlichen Erzählung geht stillschweigend ein Filterprozess einher, der in den meisten Testimonien nur unzureichend reflektiert wird. Es stellt sich die Frage, wer in den Texten eigentlich spricht. Wer ist also der Autor eines Testimoniums? Derjenige, der Zeugnis gibt? Oder derjenige, der es schriftlich festhält? Blickt man mit Roland Barthes’ Essay La mort de l’auteur auf diese Frage, so wird der Leser des Textes mit in die Antwort einbezogen. Um die zentrale Stellung des Autors in den Literaturwissenschaften anzugreifen, hebt er in seiner Analyse die Bedeutung des Lesers gegenüber der des Autors hervor. In ihm, so Barthes, finde der Text erst (zurück) zu (s)einem Sinn. Der Text vervollständigt sich erst im Lesen, und die Prämissen verkehren sich. Der Leser selbst steht nun im Mittelpunkt des Textes und ist ausschlaggebend für dessen Inhalt der Autor selbst ist nicht mehr von Belang, er stirbt mit der Geburt des Lesers. Mit dieser Feststellung endet Barthes seinen Aufsatz: La naissance du lecteur doit se payer de la mort de l’Auteur. Da jedoch der Editor eines testimonio (also dessen Bearbeiter), im eigentlichen Sinne auch sein erster Leser/Hörer ist, kündigt Barthes mit seinem Text gewissermaßen auch den Tod der Stimme des Erzählers an, der bis zur Verschriftlichung als alleiniger Autor gesehen werden kann. Die indische Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Gayatri Spivak kommt in ihrem bekannten Essay Can the subaltern speak? zu einem vergleichbaren Ergebnis. Der Subalterne, in unserem Falle folglich der Testimoniant, so beantwortet Spivak ihre Frage, könne (auch mit Hilfe einer Mittelsperson) nicht sprechen und somit könne er weder im akademischen Diskurs repräsentiert, noch auf politischer Ebene vertreten werden. Die Zugehörigkeit zur Subalterne zeichne sich nach Spivaks Definition gewissermaßen erst durch den Ausschluss aus dem öffentlichen und akademischen Diskurs aus. Könnte er sprechen, so wäre er nicht subaltern. Der Versuch der Anthropologen und Ethnologen, den Subalternen mit in den Diskurs einzubeziehen, könne daher nur fehlschlagen. Er erschiene, so Spivak, nur bei oberflächlichem Hinsehen als ein möglicher Ausweg, bei genauer Analyse der Situation erweise sich auch dieser gut gemeinte Repräsentationsversuch durch die Elite als utopisch. In ihrem Buch In Other Worlds stellt Spivak fest: To investigate, discover, and establish a subaltern or peasant consciousness seems at first to be a positivistic project – a project which assumes that, if properly prosecuted, it will lead to firm ground, to some thing that can be disclosed. (But) there is always a counterpointing suggestion in the work of the group that subaltern consciousness is subject to the cathexis of the elite, that it is never fully recoverable, that it is always askew from its received signifiers, indeed that it is effaced even as it is disclosed, that it is irreducibly discursive. Die Hoffnung auf eine adäquate Repräsentation der Realität der Menschen, die vom Diskurs ausgeschlossen sind, erfüllt sich auch auf diese Weise nicht. Ihre Interessen können auch durch die Vermittlung eines engagierten Helfers nicht in den Diskurs integriert werden. Das Bild einer Asymptote kann zur Veranschaulichung der Problematik herangezogen werden, um einerseits die erreichte Annäherung an die Realität der Subalterne zu illustrieren, andererseits jedoch auch die ihr inhärente Distanz zwischen Vorbild und Abbild einzufangen.
Nora Gores, Lateinamerikanistin und Theaterwissenschaftlerin (M.A.), absolvierte ihr Studium zunächst an der Ludwig Maximilian Universität in München, bevor sie an die Freie Universität in Berlin wechselte. Als Stipendiatin des DAAD vertiefte sie ihr Studium an der Universidad Nacional Autónoma in Mexiko, wo sie insbesondere zu den Themen des hispanoamerikanischen testimonio und der oral history recherchierte. Die Früchte dieser Arbeit werden im hier vorliegenden Buch präsentiert.
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