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- Am Rand der Postmoderne: Eine literaturwissenschaftliche Annäherung an Markus Werners Romane
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Mit seinem bissigen Romandebüt Zündels Abgang (1984) hat der Schweizer Autor Markus Werner (*1944) Leser wie auch Kritiker erstmals auf sich aufmerksam gemacht. Seither hat er weitere sechs Romane geschrieben, von denen der aktuellste Roman Am Hang (2004) auch als Theaterstück aufgeführt und 2013 von Markus Imboden verfilmt wurde. Die vorliegende Studie versteht sich als erste umfangreichere literaturwissenschaftliche Annäherung an Markus Werners Romane. Sie bündelt zunächst, was an eher rezensorischer Sekundärliteratur vorhanden ist und stellt in weiten Teilen die Romane in den Kontext der Moderne-Postmoderne-Diskussion, welche anhand der Theorie Peter V. Zimas aufgearbeitet wird. Die Romane werden als alltagsnah gestaltete Kritik der Postmoderne im Geiste der Spätmoderne und der kritischen Theorie gelesen. Es wird dargelegt, wie in Markus Werners Romanen trotz grosser Ambivalenz der eigenen Position am Wirklichkeitsbegriff und an Gesellschaftskritik, am Subjekt und am Erzählen festgehalten wird, was teilweise auch explizit in Abgrenzung zu postmodernen Positionen geschieht.
Textprobe: Kapitel ‘Markus Werners Romane als spätmoderne Kritik der Postmoderne’: Markus Werner wendet sich in Interviews in erster Linie gegen die Gleichgültigkeit als Kehrseite der postmodernen Indifferenz-Problematik: ‘[I]ch frage mich nicht, woher mein Ekel dem 'anything goes' gegenüber kommt. Ich sage einfach: Eine Kunst, die nichts zu tun hat mit unserer Existenz und mit der zersplitterten und beschädigten und komplizierten Realität, interessiert mich nicht. Ich bin altmodisch, ich bin für Verbindlichkeit. Der Postmoderne ist alles gleich gültig, also gleichgültig.’ Zimas Konstruktion von spätmoderner Ambivalenz zu postmoderner Indifferenz soll dazu dienen, die Bedeutung solcher Aussagen im Rahmen der Romane zu prüfen. Markus Werners Romane erweisen sich aus dieser Perspektive als spätmoderne Kritik der Postmoderne. Dass diese Interpretation durchaus plausibel scheint, obwohl das Wort 'Postmoderne' kein einziges Mal explizit in den Romanen vorkommt, soll in den folgenden Kapiteln dargelegt werden. Die Problematik der Spätmoderne wird vereinfachend charakterisiert durch das ‘Bewusstsein von der Widersprüchlichkeit oder Ambivalenz der Werte, Normen, Handlungen und Aussagen’, wobei die Postmoderne radikaler als das ‘Bewusstsein von der Austauschbarkeit oder Indifferenz der Werte, Regungen, Handlungen, Aussagen’ definiert werden kann. Indem in Markus Werners Romanen daran festgehalten wird, die romankonstitutiven Konzepte 'Wirklichkeit' (und deren Kritik), 'Subjekt' und 'Erzählen' ambivalent und selbstkritisch darzustellen, wenden sie sich implizit (seltener explizit) gegen eine postmoderne Aufgabe solcher Konzepte. Die gesellschaftliche 'Wirklichkeit' wird zwar einerseits kritisch beleuchtet bis vehement verworfen, andererseits zwingt die radikale und partikuläre Sicht der Protagonisten auch zur Selbstkritik und -relativierung (insofern nähern sich die Romane auch der postmodernen Indifferenz-Problematik im Sinne einer extremen Partikularisierung an). Die Protagonisten versuchen sich zwar als autonome Subjekte kritisch zu behaupten, um durch Selbstreflexion in einer Krisensituation die Handlungsfähigkeit wieder zu erlangen, sehen sich aber stets von den Heteronomien der Sprache, der Gesellschaft, der Körperlichkeit, des Zufalls, etc. bedroht. Das Erzählen schwankt zwischen der Möglichkeit einer narrativen Sinnstiftung und narrativer Offenheit. Markus Werners Romane sind verknappte Romane, wie der Autor selbst zugibt: ‘Möglicherweise ist es [...] mein Individualstil, dass ich zum ausladend Epischen unfähig bin, dass die Verknappung mein Stilprinzip ist. Ich möchte viel offenlassen. Mein Ziel ist die Abbreviatur.’ Aus der partikulären, subjektiven Sichtweise der Protagonisten beschreiben die Romane jeweils einen zeitlich sehr eingeschränkten krisenhaften Lebensmoment, während welchem persönlich Vergangenes aufgearbeitet und gesellschaftlich Gegenwärtiges diagnostisch unter die Lupe genommen wird. Zwar spielen fast immer gescheiterte und scheiternde Liebesbeziehungen sowie die Konfrontation mit der (eigenen) Sterblichkeit oder dem Tod nahe stehender Personen eine Rolle, um diese literarischen Grundmotive, die in den Romanen vielerorts verarbeitet werden, soll es hier jedoch nicht gehen. Vielmehr geht es darum, in einem ersten Kapitel zu zeigen, vor welchem theoretischen Hintergrund die oftmals harsche Gesellschaftskritik zu verstehen ist. Wie sich zeigen wird, schliessen sich die Romane implizit der Kritischen Theorie und deren gesellschaftskritischen Momenten an, wenn sie in unterschiedlichen Facetten von Krisen der Entfremdung erzählen. Dabei wird prinzipiell in Betracht gezogen, dass diese Entfremdung nicht überwunden werden kann: ‘Vielleicht ist die Entfremdung ein Naturgesetz. Vielleicht ist es ein Fehler, dass ich die Ferne nicht begreifen kann als helle Selbstverständlichkeit.’ (FN: 75) Platz für gross angelegte Utopien - nicht einmal retrospektive - scheint keiner zu bleiben, denn gemäss Loos/Bendel aus Am Hang ist das Dilemma der heutigen Sofaträumer: ‘[G]ehen sie vom Bestehenden aus, ohne es anzutasten, starten sie also auf der Rampe des Status quo und phantasieren sie sich vorwärts Richtung Zukunft, um dort etwas Lieberes zur Erscheinung zu bringen, dann scheitern sie. Denn in der Zukunft wird das heute Faktische, das sie ja mitträumen müssen, noch dreimal faktischer sein. Da bringt man kein Luftschloss mehr unter.’ (AH: 41) Nachdem sich auch ‘Rückwärtserei’ (AH: 42) und Nostalgie in Form einer modernen Sintflut bzw. in Form eines hypothetischen Anschlags auf die Energieversorgung als unbequem erwiesen hat (‘kein Mozart und kein Haydn mehr’, AH: 42), formuliert Loos/Bendel resignativ: ‘Vorne kein Stauraum für Träume, hinten Romantik mit Mängeln und in der Mitte jener pralle Wahnwitz, der unseren Fluchtwunsch verursacht. Wohin also?’ (AH: 42). Während dem Protagonisten Wank in Die kalte Schulter oder auch dem Erzähler in Der ägyptische Heinrich die gegenwärtige oder vergangene Wirklichkeit bisweilen durch die Finger zu rinnen scheint und daher ein Anspruch auf allgemein gültige Wahrheiten fern liegt, rutschen den anderen Figuren zwischenzeitlich vehemente und absolut gesetzte 'sweeping statements', ‘breitspurige Bemerkungen’ (BB: 86), zum Weltlauf heraus, wie beispielsweise ‘Dreckgletscher Welt’ (ZA: 21), ‘die Welt ist unhaltbar’ (BB: 10, 86, 132) oder am derbsten ausgedrückt in den Tiraden der imaginierten Melk-Monologe des Bauers Klemens Thalmann in Froschnacht: ‘Das ist die Welt, sag ich, die heutige, auf deutsch gesagt ein Sauloch, ein Stinktal, ein verdammtes.’ (FN: 26). Mit Lorenz Hatt können wir auf die ebenfalls in den Romanen angelegte Selbstkritik der verbalen Entgleisungen aufmerksam machen und einwenden, dass ‘Bestimmtheit eine Notmassnahme gegen Zweifel’ sein kann (BB: 195). Sie ist zwar nicht zu lösen aber ‘sie ist klebrig, die Sinnfrage’ (ZA: 43), die unweigerlich mit der Vorstellung einer Wirklichkeit, definiert als positiver Sinn- und Wertezusammenhang, verbunden ist. Die meist männlichen Protagonisten hadern mit der Gesellschaft und mit sich selbst, wobei individuelle Krise und Gesellschaftskritik oft eng verknüpft sind. So äussert sich Zündel folgendermassen zu seiner Situation: ‘Jedes Sturmtief im sogenannten Privat- oder Intimleben erhöht meine Empfänglichkeit für das Trübe schlechthin. Die Weltluft ist zwar objektiv unrein, aber nur als Privatversehrter wittere ich den Gestank. Und so kommt es, dass ich, statt über das Besondere, das heisst meine Ehekrise, zu meditieren, mich ablenken lasse durch die umfänglichere Schadhaftigkeit des Allgemeinen.’ (ZA: 26) Loos/Bendel hingegen diagnostiziert kritischer und unter umgekehrten Vorzeichen, was die Abhängigkeit von individueller und gesellschaftlicher Krise angeht. Hier wird die Krise des individuellen Subjekts zudem mit dem marktbedingten Tauschwert verknüpft, welcher die Postmoderne vollends beherrscht: ‘Vermarktet wird bekanntlich alles, und inmitten des tobenden Umschlagplatzes, auf dem sich inzwischen fast jeder und jede als ein Markenprodukt präsentiert, das die anderen überflügeln und ausstechen muss - inmitten dieses Schlachtfelds, sage ich, fühlt sich der einzelne, sofern er noch fühlt, ein wenig leer, ein wenig überfordert und ziemlich sehr vereinzelt’ (AH: 28). Dabei wird jedoch angesichts dieser Indifferenz-Problematik die Option der ideologischen Gegenreaktion nicht in Betracht gezogen. Franz Thalmann meint in Froschnacht hierzu: ‘Schick alle weg, die dich zu sättigen versprechen ob sie nun westlich, östlich, himmlisch reden, sie meinen es nicht gut mit dir [...].’ (FN: 138) Das Wertesystem vor den 68ern war gemäss Loos/Bendel zwar zu starr, doch trotzdem meint er im Zusammenhang mit dem Zerfall dieses Wertesystems neue Ideologisierungen antizipierend: ‘Ich halte nichts für trauriger und für gefährlicher als das Brüllen der Freigelassenen nach Orientierung und Halt - womöglich nach der Peitsche’ (AH: 65). Markus Werners Protagonisten fühlen sich inmitten der postmodernen Welt nie ganz heimisch und sehen sich in ihrer individuellen Subjektivität bedroht: ‘Einer will, einer hat keine Lust, und einer wird sich so oder so entscheiden müssen. Der Einfachheit halber gibt man allen dreien den Namen Konrad. Das Schweinsnetz hält die Wurstmasse zusammen. Der Name tut so, als wolle er uns vor dem Zerfliessen bewahren, aber die gestiftete Kompaktheit bleibt quallig.’ (Zündel in ZA: 28) Diese wird aber auch umso heftiger verteidigt, denn der Denkmalpfleger Lorenz Hatt in Bis bald protestiert: ‘Ich sagte, dass kein totes Individuum den Tod des Individuums verkünden und beklagen könne. Und wenn die Dichter, sagte ich, das Ich nicht fallen lassen, zeugt das vielleicht von Treue und kann sogar als Akt des Widerstands begriffen werden, als denkmalpflegerische Leistung, denn jede denkmalpflegerische Leistung ist auch ein Akt des Widerstands.’ (BB: S. 91f.) Nicht umsonst scheinen die meisten Romane konsequent durch die Ich-Form an die erzählenden Romansubjekte gebunden. Stets präsentiert sich dem Leser in Markus Werners Romanen ein Erzähler ‘mit Leib’, welcher aus einer konkreten Erzählsituation und -motivation heraus seine existenziellen Nöte erzählend zu ordnen versucht. Dieser erzählende Verstehensprozess und dessen Sinnstiftung wird aber stets durch offene Enden, durch zeitlich mehrschichtige Erzählstrukturen oder aber durch explizite Infragestellung selbstkritisch hinterfragt: ‘Ja, sagte er, manches ist wahr, und selten darf man die Gewissheit haben, das Gesagte stimme überein mit dem Erlebten oder scheinbar Erkannten, ich beginne jeden Satz im Gefühl, etwas schuldig zu bleiben, daher mein Stottern, ich bitte um Nachsicht!’ (FL: 47) Trotzdem scheint das Erzählen - wie die vehement verteidigte Individualität in Bis bald bzw. auch das Festhalten an Gesellschaftskritik - als denkmalpflegerischer Akt verstanden zu werden, der seiner sich selbst bewussten Zersetzung zu trotzen versucht. Unter welchen Vorzeichen lässt sich dies als ‘Rückkehr zum Erzählen’ (oder auch Rückkehr der Gesellschaftskritik bzw. des Subjekts) im Roman beschreiben? Fern liegt hier der zu bequeme Verweis auf eine anthropologische Konstanz, da es sich in der Literatur ja um spezifische, historisch gewachsene Formen des Erzählens handelt. Vielmehr lässt sich aus Markus Werners Romanen eine selbstkritische, ambivalente Romanpoetologie herauspräparieren, welche sich ästhetisch und philosophisch eher an der Spätmoderne zu orientieren scheint als an der Postmoderne, welche eigentlich den zeitlichen Rahmen seines Schreibens vorgibt. Ob diese vordergründig 'konservative' Orientierung als unzeitgemäss abzuwerten ist (ein Vorwurf der Kritik), steht hier nicht zur Debatte. Vorerst kann man mit Zima verbleiben und sagen, dass zwar die zeitliche Dimension der Postmoderne nicht unterschlagen werden darf, dass jedoch auch in unserer Zeit ‘vormoderne, moderne, modernistische und postmoderne Strömungen in Politik, Wissenschaft und Kunst zusammen[wirken], so dass es sinnlos wäre, von einer rein postmodernen Zeit seit 1950 oder 1960 zu sprechen.’ Ähnlich wie auch die Heterogenität anderer Epochen (Romantik, Modernismus) nach einer vormaligen Kanonisierung später wieder revidiert wurde, so kann man schliessen, dass sich die ohnehin schon heterogen und plural sich gebärdende Postmoderne im Nachhinein als noch heterogener erweisen wird. Denn ‘Schriftsteller mühen sich nicht ab, um den Realismus und die Postmoderne zu illustrieren, sondern um auf die stets offene Frage zu antworten: Wie kann ich in der gegenwärtigen sprachlichen Situation schreiben?’ Dabei gilt es einerseits den partikulären Standpunkt - ‘Wie kann ich...’ -, andererseits aber auch die verständlicherweise durchaus divergierende Auffassung und Haltung gegenüber 'der' ‘gegenwärtigen sprachlichen Situation’ herauszustreichen, welche Markus Werner anders zu beantworten scheint als prototypische Vertreter der Postmoderne. Markus Werners Romane werden in den folgenden drei Kapiteln nicht gesondert oder chronologisch behandelt, sondern vielmehr unter den drei Perspektiven Wirklichkeit, Subjekt und Erzählen - wobei es oft schwierig ist, diese voneinander zu trennen - auf Analogien hin gelesen. Dass es dabei unweigerlich zu Verkürzungen der Differenzen kommt, liegt auf der Hand. Die Konzentration auf bestimmte Romane in den einzelnen Kapitelen sollen aber vor allzu groben Generalisierungen schützen. Ausserdem können die Vorwürfe der Literaturkritik, dass Markus Werners Romane eine starke thematische Kohärenz aufweisen, versuchsweise ins Positive gewendet werden, indem sie als zusätzliche Plausibilisierung des hier postulierten und konstruierten Werkzusammenhangs herangezogen werden können. ‘Die Wirklichkeit - zwischen Gesellschaftskritik und Partikularisierung’: ‘[E]s ist die Persönlichkeit des Dichters [resp. des Erzählers], die in bewusster Selbstherrlichkeit die eigene Deutung des Weltsinnes - die Ereignisse als Instrumente meisternd - ertönen lässt, nicht aber ihnen als Hütern des geheimen Wortes den Sinn ablauscht es ist nicht die Totalität des Lebens, die gestaltet wird, sondern die Beziehung, die wertende oder verwerfende Stellung des Dichters, der als empirisches Subjekt in seiner ganzen Grösse, aber auch in seiner ganzen kreatürlichen Begrenztheit die Bühne der Gestaltung betritt, zu dieser Totalität des Lebens’. In diesem Kapitel soll es - wie der ein wenig hoch gegriffene Titel zu suggerieren scheint - selbstverständlich nicht darum gehen zu zeigen, was Wirklichkeit ist (‘Was heisst schon Wirklichkeit?’ Judith in DkS: 39), sondern ansatzweise darzulegen, wie und anhand von welchen Sinnzusammenhängen Wirklichkeit und die davon abhängige Gesellschaftskritik in Markus Werners Romanen konstruiert wird. Dabei soll aber das Augenmerk nicht auf explizite und augenfällige Seitenhiebe gerichtet werden, wie sie z.B. wiederholt in Richtung Tourismus, Fremdenfeindlichkeit und Patriotismus, die Schule, das Militär, oder auch der Schweiz im Allgemeinen erfolgen. So fragt Clarin in Am Hang berechtigterweise im Zeichen der Postmoderne, in welcher Wertsetzungen grundsätzlich als austauschbar erscheinen: ‘Entschuldigen Sie, Herr Loos, aber wenn in der pluralistischen Jetztzeit jemand mit der Behauptung daherkommt, er wisse, was gut und schlecht und richtig und falsch sei, so ist er wirklich ein Wichtigtuer, und man muss ihm die Frage stellen, woher er die Massstäbe nimmt, die ihm wie er glaubt, ein objektives Urteil erlauben.’ (AH: 33) Dass diese Indifferenz-Problematik nicht erst in Am Hang anklingt, wo der postmoderne ‘Ironiker’ Clarin und der ‘klassische Humanist’ Loos/Bendel im Dialog gegeneinander antreten, sondern bereits viel früher in Froschnacht schon bearbeitet wird, zeigen auch folgende Zeilen des Ex-Pfarrers Franz Thalmann, der jeweils die Buch-Rezensionen seiner Ex-Frau Helen liest und feststellt: ‘Rezensionen las ich immer gern. Dass es in einer Zeit der allgemeinen Relativität noch Leute gibt, die sagen, was gut ist und was schlecht, das fasziniert mich. Auch Helen sagt und weiss es. [...] Natürlich plaudert sie nicht aus, warum sie etwas tadelt oder lobt und wie der Massstab aussieht, den sie anlegt. Das ist nicht üblich und nicht nötig [...]’ (FN: 97). Die Positionen des Scheidungsanwalts Clarin und der christlich geprägten Helen zeichnen ansatzweise die beiden Positionen der Gleichgültigkeit und Ideologisierung (‘Natürlich plaudert sie nicht aus [...] wie der Massstab aussieht, den sie anlegt’) nach, welche Zima als mögliche Reaktionen auf die postmoderne Indifferenz-Problematik deklariert. Zumindest gegen die Gleichgültigkeit wendet sich auch Thalmann:’[W]eil alles so komplex ist und so erfreulich relativ, sind wir von vornherein entschuldigt, wenn wir nicht dies, nicht jenes sagen, die Selbstzensur nennt man gedankliche Behutsamkeit, und Wahrheitsangst heisst Toleranz [...].’ (FN: 136) Selbstzensur üben die Protagonisten in Markus Werners Romanen wohl kaum. Aber wie entgeht ihre teils heftige Kritik dem Vorwurf der Ideologisierung? In Bezug auf diese Frage gilt es, grundsätzlich die Massstäbe aber auch die Haltung der Erzähler und Figuren gegenüber den eigenen Aussagen über die gesellschaftliche 'Wirklichkeit' zu überprüfen. Roger Willemsen schreibt in Bezug auf die Äusserungen von Loos/Bendel in Am Hang: ‘Die Beschimpfung der Welt ist mehr als das. Sie ist diagnostisch’. Willemsen fragt sich deshalb weiter: ‘Was [...] macht man mit einem Kulturpessimismus, der keine Attitüde ist, sondern Diagnose.’ Man sollte aber noch ein zweites Mal nachhaken und fragen, was man mit einer kulturpessimistischen Diagnose einer Romanfigur macht, welche erklärt: ‘Es mag so scheinen, sagte er [Loos/Bendel] jetzt, als sei ich auf die schäbige Genugtuung des Rechtbehaltens aus, und das hat damit zu tun, dass man meine zweite und flehende Stimme nicht hört, wenn ich rede. Sie nämlich sagt nach jedem meiner Sätze: Liebe Welt, bitte strafe mich Lügen. - Und? Fragte ich [Clarin], gibt sie ab und zu Antwort, die Welt? - Ja, aber eine ausweichende und eher ohnmächtig stimmende. Ihr lieben Sätzchen alle, sagt sie, ihr könnt mich nicht fassen, ich lasse mich, sagt sie, seit längerem nicht mehr begreifen und darstellen, sorry.’ (AH: 70) Die kulturpessimistische Gesellschaftskritik aber auch die selbstkritische, bisweilen resignative Selbstzurücknahme, welche hier explizit auch als Sprachkritik geäussert wird, zieht sich durch das gesamte Romanwerk von Markus Werner und weist einen dritten, ambivalenten Weg zwischen der Gleichgültigkeit und Ideologisierung.
Arto Elsässer wurde 1980 in Zürich geboren. Von 2000 bis 2007 studierte er Germanistik und Anglistik an der Universität Zürich und an der University of Edinburgh. 2007 schloss er sein Studium als Magister Artium ab und arbeitet seither als Gymnasiallehrer.
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