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- Die kapitalgedeckte Altersvorsorge am Beispiel Chile
International
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Abb.: 20
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Am 4. November 1980 beschloss die damalige chilenische Regierung ein Gesetz, mit dem zum ersten Mal in der Geschichte ein staatlich organisiertes Umlageverfahren der Altersvorsorge durch ein kapitalgedecktes, privatwirtschaftlich organisiertes Verfahren abgelöst werden sollte. Heute, ein Vierteljahrhundert später, ist Chile das aus mehreren Gründen geeignetste Fallbeispiel, um die Funktionsweise der kapitalgedeckten Altersvorsorge und ihre vielfältigen Auswirkungen in der Praxis zu beobachten: Erstens wurde das bestehende Umlagesystem nicht nur durch eine zusätzliche Säule ergänzt, sondern das erwähnte Gesetz sah den vollständigen Ausstieg aus der Umlage vor. Ein praktischer Grund, der für Chile als Anschauungsbeispiel spricht, ist der, dass die Reform seit nunmehr 26 Jahren ohne substantielle Änderungen in Kraft ist und sich somit eine vergleichsweise umfangreiche empirische Basis bietet. Hinzu kommt, dass sich in Chile der Übergang von einem etablierten Umlageverfahren zur Kapitaldeckung nachverfolgen lässt. An der chilenischen Erfahrung ist weiterhin bemerkenswert, dass eine Reform, die eigentlich hoch entwickelte Kapitalmärkte zur Voraussetzung hat, um ihr vollständiges Potential zu entfalten, in einem Umfeld implementiert wurde, in dem gerade diese Märkte anfangs nur rudimentär vorhanden waren. Die notwendigen Begleitreformen wurden erst parallel zur Rentenreform durchgeführt, aber auch mit Wechselwirkungen zu dieser. Trotz all dieser Vorzüge ergibt sich bei der Betrachtung des chilenischen Modells eine große Schwierigkeit. Bei aller Ähnlichkeit mit einem kontrollierten Experiment fehlt doch die wichtigste Eigenschaft eines solchen vollkommen: die Konstanz aller weiteren Einflussfaktoren. Chiles Rentenreform wurde durchgeführt in einer Epoche, die wirtschaftspolitisch einen völligen Bruch mit der bisherigen dirigistisch-interventionistischen Tradition bedeutete. Die Reichweite des Reformprozesses erschwert es, den Beitrag einer individuellen Reform zu isolieren, zumal von umfangreichen Wechselwirkungen zwischen diesen ausgegangen werden kann.
Kapitel III.2.3, Totale Faktorproduktivität: Die Idee, die in diesem Kapitel beschrieben werden soll, lautet: Die Rentenreform hat dazu beigetragen, den Reifegrad der Finanzmärkte zu erhöhen. Dieser höhere Reifegrad wiederum hat dazu beigetragen, die Totale Faktorproduktivität (TFP) zu steigern. Theorie: Die TFP oder das Solow-Residuum bezeichnet Wachstum, das nicht auf eine Vermehrung der beiden Faktoren, und auch nicht auf erhöhte Produktivität der Faktoren als solcher, sondern auf die erhöhte Effizienz im Zusammenspiel beider Faktoren zurückzuführen ist. Es wird manchmal grob als der technische Fortschritt umschrieben, obwohl sich viel mehr hinter dem Phänomen TFP verbirgt. Dies sei einmal am Beispiel einer statischen Robinson-Crusoe-Ökonomie ohne technischen Fortschritt erläutert, in der einige Familien Handel und Arbeitsteilung betreiben. Es gelte in dieser Ökonomie die Sitte, dass jedes Gesellschaftsmitglied stets den Beruf der Eltern übernimmt, unabhängig von Talent und Vorlieben. Nun werde die Neuerung der freien Berufswahl eingeführt. Es sei zusätzlich angenommen, dass Individuen ihre Berufe nur untereinander tauschen, die Komposition der Ökonomie sich also nicht ändert, und dass sie nur dann zu einem solchen Tausch gewillt sind, wenn sie für ihren neuen Beruf größeres Talent besitzen. In diesem Einfachstbeispiel ändert sich weder der Kapitalbestand, noch die Zahl der Arbeitsstunden, noch gibt es technischen Fortschritt. Trotzdem wird die Robinson-Crusoe-Ökonomie danach einen deutlich höheren Output hervorbringen, denn sie führt die verschiedenen Arten von Kapital und die verschiedenen Arten von Arbeit nun in einer Art und Weise zusammen, in der ihr Interagieren ergiebiger ist. Diese Logik kann auf komplexe Ökonomien übertragen werden. In solchen wird es nicht mehr so sehr, wie eben angenommen, um den absoluten Vorteil in der Produktion eines Gutes gehen, sondern eher um den komparativen, also den relativen im Vergleich zu anderen möglichen Aktivitäten. Es wird nicht mehr darum gehen, Faktoren einfach so zusammenzuführen, dass mehr produziert wird, sondern sie dort zum Wirken zu bringen, wo ihr Grenzprodukt am höchsten ist, wo ihre letztgenutzte Einheit also (aus Sicht der Konsumenten) am dringendsten gebraucht wird. Die TFP kann also verstanden werden als die Fähigkeit einer Ökonomie, Faktoren optimal zusammenzuführen. Da Faktoren am Markt idealtypischerweise nach ihrem Grenzprodukt entlohnt werden, ließe sich der letzte Satz auch alternativ formulieren als: Die TFP beschreibt die Fähigkeit einer Ökonomie, Marktpreise zu generieren und ihren Akteuren ein Reagieren auf diese zu ermöglichen. Es kann also, hier werden einige Ergebnisse der Empirie bereits vorweggenommen, davon ausgegangen werden, dass Handelshemmnisse, Preiskontrollen und Subventionen die TFP senken. All diese Maßnahmen führen Faktoren in einer Art und Weise zusammen, in der sie nicht ihr höchstes Grenzprodukt erzielen. Gleiches müsste für Inflation gelten, denn diese stört die Übertragung von Marktsignalen. Dies sind Beispiele für Fälle, in denen Akteure durch willkürliche Maßnahmen daran gehindert werden, auf Knappheitssignale zu reagieren. Ebenso können aber auch Fälle bestehen, in denen der Koordinationsmechanismus, der diese Knappheitssignale erst generiert, überhaupt nicht besteht. Wer ein völlig neuartiges Produkt anbietet, kann sich nicht nach Marktsignalen richten, da ein Markt für sein Produkt noch gar nicht existiert. Typischerweise fehlt es in Entwicklungs- und Schwellenländern an einem solchen Koordinationsmechanismus für Kapital, also einem ausgereiften Kapitalmarkt – nicht, weil keine Nachfrage nach dessen Produkten besteht, sondern weil der institutionelle Rahmen, dessen Kapitalmärkte bedürfen, nicht ausreichend ausgebaut ist. Das ordnungspolitische Gerüst für Kapitalmärkte ist notwendigerweise ein komplexeres als das für die meisten Industriegüter. Es folgt aus der obigen Logik unmittelbar, dass es ohne ausgebaute Kapitalmärkte nicht zur Allokation dieses Faktors nach seiner Dringlichkeit kommen kann. Es geht also, anders als in III.2.1, nicht um die Menge an Investitionskapital, sondern um die Zielgenauigkeit in der Zuteilung desselben. Zur Abgrenzung soll hier noch einmal das Beispiel von Eugen von Böhm-Bawerk herangezogen werden. Dieses ließe sich mit einigen Modifikationen auch auf die Rolle von Kapitalmärkten anwenden. Bei Böhm-Bawerk ging es um den Bau einer Wasserleitung, zu dessen Herstellung Ersparnisse nötig sind. Es sei jetzt angenommen, dass der Leitungsbauer diese darauf verwendet, sein Feld effizienter zu bewässern, also um wirtschaftliche Nutzung, die eine Produktionssteigerung direkt ermöglicht. Auf der anderen Seite des Dorfes lebe ein Bauer, der ebenfalls eine Investition plane, und zwar die Herstellung eines Ochsenkarrens, da er bisher sein Feld von Hand pflügt. Weder für die Wasserleitung noch für den Ochsenkarren bestehen eigene Ersparnisse. Im Dorf leben einige Bürger, die jeweils kleinere Summen angespart haben und dieser gerne anlegen würden. Nun ergeben sich folgende Probleme: Die beteiligten Personen wissen nichts voneinander. Wie sollen Kapitalgeber und Kapitalnehmer überhaupt zusammengeführt werden? Das gemeinsame Kapital reiche nicht für die Realisierung beider Projekte. Beide Kreditanwärter geben an, bei ihrem Projekt sei die Verzinsung des Angelegten höher als beim Konkurrenten. Wie sollen die Sparer beurteilen können, wessen Angaben realistischer sind? Beide Kreditanwärter geben an, ihr Projekt könne nicht scheitern. Wie sollen die Sparer aber überprüfen können, wie hoch ihr Ausfallrisiko ist? Wie können die Anleger, nach der Kreditvergabe, kontrollieren, ob ihre Ersparnis überhaupt in der vereinbarten Art und Weise verwendet wird? Es geht also, kurz gesagt, um Informationsbeschaffung und –auswertung und Transaktionskosten. Die logische Folge an einem Markt wäre die Herausbildung spezialisierter Intermediäre, die Informationsverarbeitung über möglichen Investitionsbedarf, dessen Verzinsung und Risiko konzentrieren und professionalisieren, Sparer und Investoren zusammenführen und Investitionsprojekte überwachend begleiten. Mit zunehmender Erfahrung und einem wachsenden Markt dürfte die Verfeinerung der Spar- und Finanzierungsinstrumente stetig zunehmen, so dass auch unterschiedlichen Bedürfnissen von Anlegern und Investoren zielgenau Rechnung getragen werden können. Mit zunehmendem Entwicklungsgrad der Finanzmärkte steigt die gesamtwirtschaftliche Produktivität, denn Investitionen können nun bewusster und informierter getroffen werden. Kapital gelangt schneller dorthin, wo es aus Sicht der Konsumenten am dringendsten benötigt wird, es gibt weniger Kapitalvernichtung durch Fehlinvestitionen, und weniger ökonomische Ressourcen müssen für den Zuteilungsprozess aufgewendet werden. Diese Beschreibung, die vor allem von Joseph Schumpeter vertreten wurde, scheint zunächst sehr offensichtlich. Lange Zeit war aber die entgegengesetzte Auffassung der marxistischen Ökonomin Joan Robinson einflussreich, nach der Kapitalintermediäre den erfolgreichen Unternehmen folgen, anstatt ihnen vorauszugehen . Ein funktionierender Finanzmarkt wäre dann eine Folge kapitalistischer Entwicklung, nicht deren Ursache. Sollte Schumpeters Auffassung die zutreffende sein, so hätte die Entwicklung des Finanzmarktes in Chile die TFP erhöht. Wovon aber hängt dieser Entwicklungsgrad des Finanzmarktes ab? Es scheint nahe liegend, dass die Rentenreform den Kapitalmarkt gleich in mehrfacher Hinsicht beeinflusst hat. Das müsste schon durch den bloßen Größeneffekt geschehen sein. Nach der Rentenreform musste plötzlich eine stetig wachsende Menge an Kapital am Markt platziert werden. Somit ist die Nachfrage nach Sparprodukten stark angestiegen. Ein größerer Markt bietet in der Regel Raum für mehr Angebotsvielfalt (was dadurch noch verstärkt wird, das Rentenersparnis eine Nachfrage nach sehr langfristigen, komplexen Sparprodukten bedeutet), die Nutzung von Größenvorteilen und effizienterer Arbeitsteilung. Es ist also mit einem höheren Spezialisierungsgrad, mit der Entstehung sekundärer Finanzintermediäre zu rechnen. Der Markt dürfte dadurch nicht nur an Größe, sondern auch an Raffinesse gewonnen haben. Zweitens ist Rentenersparnis aber nicht einfach mit einem Anstieg der Sparquote gleichzusetzen, da sie institutionelle Anleger ins Spiel bringt, was nicht nur eine Professionalisierung bedeutet. Heterogene Großgruppen wie die Sparer können in der Regel wenig politischen Einfluss nehmen, weil sie kaum organisierbar sind. Das ist auch der Grund, warum die Public Choice Schule davon ausgeht, dass die Interessen von Großgruppen wie den Steuerzahlern oder den Konsumenten im politischen Zuteilungsprozess meist homogenen, leicht organisierbaren Gruppen unterlegen sein werden. Die Schaffung von AFPs hat aber eine gewisse Konzentration auf dieser Seite geschaffen. Es ist davon auszugehen, dass diese Druck auf die Regulierungseinrichtungen ausüben konnten, einen adäquaten Ordnungsrahmen zu schaffen, da dieser die Erfolgsgrundlage der AFPs ist. Natürlich sind die Interessen der AFPs nicht einfach mit denen ihrer Kunden gleichzusetzen. Geht es darum, Wettbewerb auf dem Pensionsmarkt herzustellen, ist die Interessenlage sicher eine völlig andere, aber an einer angemessenen Mindestregulierung durch qualitativ hochwertige Institutionen dürften AFPs und ihre Kunden gleichermaßen interessiert sein.
Kristian Niemietz, Diplom-Volkswirt, Studium der Volkswirtschaftslehre an der Humboldt Universität zu Berlin. Abschluss 2007. Derzeit tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Gesundheits- und Sozialpolitik beim Londoner Think Tank The Stockholm Network, nebenbei freier wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Institut für Unternehmerische Freiheit.
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