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- Warum manchen Menschen das Lesen so schwer fällt: Ursachen, Diagnostik und Therapie der Teilleistungsstörung Dyslexie
Gesundheitswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 48
Abb.: 11
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Schriftsprache ist eine der elementaren Kommunikationsmöglichkeiten in unserer alphabetisierten Gesellschaft, so dass Menschen, die diese Fähigkeiten nicht beherrschen große Probleme in vielen Lebensbereichen bekommen. In diesem Buch wird in mehreren Schritten versucht, sich dieser Teilleistungsstörung zu nähern. Dabei werden Erkenntnisse aus mehreren wissenschaftlichen Bereichen genutzt. Die Entwicklungspsychologie erklärt, wie Kinder zu ihrer Sprache finden. Die Neuropsychologie versucht dem Lese-lern-Prozess auf die Spur zu kommen. Durch die Neurobiologie erfahren wir, wie unser Gehirn Buchstaben und Wörter verarbeitet. Die Molekularbiologie versucht auf der kleinsten Ebene die Veränderungen im Gehirn zu erklären, die eine Dyslexie auslösen können. Alle zusammen sind dann bestrebt Lösungen für die Störung zu finden. Die tatsächlichen Abläufe und Prozesse des Lesens sind bis heute nicht eindeutig geklärt, aber die Erkenntnisse verdichten sich und sind auf einem guten Weg. Deshalb sind die im Buch vorgestellten Ansätze auch eher hypothetisch zu verstehen, die sich auf biologische und psychologische Untersuchungen stützen.
Textprobe: Kapitel 2, Die Sprach- und Schriftsprachentwicklung bei Kindern: Die erfolgreiche Sprachentwicklung des Kindes ist sehr wichtig für den Schrift-spracherwerb. Probleme in dieser Entwicklungsphase können sich störend auf die weitere Entwicklung der Sprachfähigkeit – die später auch lesen und schreiben beinhaltet – auswirken. Doch bevor Kinder sprechen, lesen und schreiben können, bereiten sie sich auf viele Weisen darauf vor. 2.1, Die vorsprachliche Entwicklung: 2.1.1, Die rhythmisch-prosodische Entwicklung: Der Spracherwerb beginnt bereits pränatal, denn von Geburt an verfügen die Säuglinge über eine Präferenz, die muttersprachtypischen prosodischen Muster – also Betonungs-, Dehnungs- und melodische Muster – von denen anderer Sprachen zu unterscheiden. Dies wird damit begründet, dass die Embryonen die Mutter sprechen hören und damit gewissermaßen eine muttersprachliche Prägung erhalten. Mit etwa vier Monaten sind die Kinder empfänglich für prosodische Teilsatzmarkierungen. Ungefähr zur selben Zeit können die Kleinkinder ihren eigenen Namen im Sprachfluss der Umwelt erkennen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für den späteren Worterwerb. Ab etwa neun Monaten sind sie sensibel für muttersprachspezifische Phrasenmarkierungen. Es wird vermutet, dass diese Sensitivität einen Einstiegsmechanismus in den Erwerb formaler grammatischer Regeln fördert (Berk 2005 Weinert 2007). 2.1.2 Die phonologische Entwicklung Zunächst sind die Kinder für lautliche Kontraste, die in ihrer Muttersprache be-deutungsunterscheidend sind, empfänglich. Ein Beispiel hierfür ist die Unter-scheidung der Laute L und R, die beispielsweise in der japanischen Sprache nicht bedeutungsunterscheidend sind. Mit etwa neun bis zehn Monaten verfügen die Kinder über ein phonologisches Wissen, das die Lautkategorien, die Konsonanten und Vokale sowie die Lautkombinationen der Sprachgemeinschaft beinhaltet. Etwa zur gleichen Zeit sind die Kleinkinder in der Lage, aufgrund phonologischer Charakteristiken vertraute Wörter aus dem Sprachfluss der Umwelt herauszulösen und zu erkennen. In dieser Zeit ist auch ein erstes Wortverständnis zu beobachten. Am Ende des ersten Lebensjahres verfügen die Kleinkinder über ein ausgeprägtes Wissen über die rhythmisch-prosodischen Merkmale sowie über die lautlichen Kategorien und Kombinationsregeln. Dieses Wissen ermöglicht es den Kindern, den Lautstrom der Umweltsprache in sinnvolle grammatische Einheiten zu segmentieren. Damit sind auch die wichtigsten Grundlagen für den Wort-schatz- und den Grammatikerwerb geschaffen (Weinert 2007). 2.2, Die sprachlich-produktive Entwicklung: Nachdem die Kleinkinder die prosodischen Muster erkannt haben – im Alter von etwa zwei Monaten –, beginnt die produktive Entwicklung. Diese Zeit ist geprägt von Gurren , dem wenig später auch Konsonanten hinzugefügt werden. Diese Phase beginnt mit etwa vier Monaten und wird Brabbel- oder Lallphase genannt. Das Brabbeln weitet sich aus und umfasst mit etwa sieben Monaten viele Laute der Erwachsenensprache. Im Alter von etwa einem Jahr enthält das Lallen die Konsonant-, Vokal- und Intonationsmuster der Sprachgemeinschaft des Kindes. Die ersten gesprochenen Wörter umfassen Begriffskategorien, die in den ersten beiden Lebensjahren ausgebildet werden, und beziehen sich in der Regel auf wichtige Personen – beispielsweise die Eltern – sowie auf vertraute Handlungen und Aktionen. So wird zum Beispiel für das Windelwechseln das Wort nass oder schmutzig verwendet. Wenn der Wortschatz zwischen dem 18. und dem 24. Monat etwa 200 Wörter umfasst, beginnen die Kinder damit, zwei Wörter zu kombinieren. Die Zweiwortsätze werden auch als Telegrammstil bezeichnet, da die Kinder ihnen unwichtige Nebenwörter weglassen. Beispiele für den Telegrammstil sind Mama Schuh oder gehen Bett (Berk 2005). Mit etwa zwei Jahren sind die Kinder bereits in der Lage, Inhalte von Sätzen zu unterscheiden. Sie erkennen den Unterschied zwischen dem Satz Der Hund beißt die Katze und dem Satz Der Hund und die Katze beißen. Die Fähigkeit dieser Unterscheidung erleichtert einen weiteren Wortschatzerwerb und fördert vor allem das Wissen von Verbbedeutungen. Am Ende des dritten Lebensjahres beherrschen die Kinder die Variationen einfacher Sätze, die bis zu elf Wörter lang sein können. Ab jetzt ist die Sprache auch nicht mehr ortsgebunden somit können auch Dinge, die erst später passieren werden oder die bereits passiert sind, besprochen werden. Damit geht das Bewusstsein für Denken, Planen und Berichten einher (Weinert 2007). 2.3, Schriftspracherwerb: 2.3.1, Das Lesen: Bereits im Vorschulalter sind die Kinder in der Lage, Buchstaben zu erkennen. Dies gilt vor allem für vertraute Buchstaben und Wörter – zum Beispiel das Schild am Supermarkt, in dem sie mit den Eltern häufig einkaufen die Buchstaben des Namens eines Schnellrestaurants oder die bunten Magnetbuchstaben am Kühlschrank, die den Namen des Kindes zeigen. Allerdings fehlt noch die Abstraktion von den jeweiligen Kontexten. So werden die Kinder das Wort «RE-WE» zwar wiedererkennen sie sind jedoch noch nicht in der Lage, die einzelnen Buchstaben – losgelöst von den jeweiligen Assoziationen – als eigenständige Symbole zu identifizieren. Die Sprachentwicklung ist für den späteren Erfolg beim Lesenlernen von großer Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Graphem-Phonem-Korrespondenz. Dies ist die Fähigkeit, Schriftsymbole in Sprechlaute umzuformen. Damit spielt die phonologische Verarbeitung eine wichtige Rolle für die spätere Lesekompetenz. Am Anfang des Lernprozesses stehen phonologische Rekodiervorgänge – also die Umsetzung von Buchstaben in Laute sowie die voll-ständige Kenntnis des Alphabets. Dies geschieht in der ersten Klasse. Ab der zweiten Klasse wird zunehmend auf das flüssige Lesen Wert gelegt. Da die Worterkennung ein komplexer Vorgang und für die Kinder sehr fordernd ist, wird das Lesen in dieser Zeit noch nicht zur Informationsaufnahme verwendet. Allerdings befähigen die Worterkennung und das Entschlüsseln der einzelnen Phoneme die Kinder dazu, Wörter zu lesen, die sie zuvor noch nicht gesehen haben (Berk 2005 Helmke, Schrader 2007). Wenn die eben beschriebenen Prozesse weitgehend automatisiert ablaufen, wird vermehrt auf den Inhalt der Texte geachtet und das Leseverständnis kann eingeübt werden. Dies geschieht ab etwa der vierten Klasse. Damit wird die Schriftsprache ein zunehmend wichtiges Instrument zur Informationsaufnahme: das Gelesene wird mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft und damit werden neue Inhalte erschlossen (Berk 2005 Helmke, Schrader 2007). 2.3.2, Das Schreiben: Das Schreiben lernen beginnt bereits im Vorschulalter. Hier experimentieren die Kinder mit Linien und Kreisen. Zuerst schreiben sie nur Buchstaben, die dann symbolisch für ein Wort – meist der eigene Name – stehen. Im Alter von etwa fünf Jahren können die Vorschulkinder ihren Namen ausschreiben (Berk 2005). Dabei werden noch manche Buchstaben verdreht. Mit zunehmendem Verständnis der Graphem-Phonem- Korrespondenz wird auch die korrekte Schreibrichtung bedeutsamer. Ähnlich wie beim Lesen, wird erst die Fertigkeit erlernt. Dadurch sind die ersten geschriebenen Texte nicht so komplex wie die mündlichen Erzählungen der Kinder. Dies ändert sich, wenn die Kinder weitgehend au-tomatisiert die Graphem-Phonem-Korrespondenz beherrschen und die korrekte Schreibrichtung der Buchstaben verinnerlicht haben – dann werden die geschriebenen Texte komplexer als die Erzählungen. Die Komplexität der geschriebenen Texte hängt aber auch von der Leseerfahrung der Schüler ab. Beide Fertigkeiten – Lesen wie Schreiben – stellen eine hohe kognitive Leistung dar. Dabei greifen die Kinder vielfach auf implizites Wissen zurück, um die erworbenen Fähigkeiten – wie die Graphem-Phonem-Korrespondenz oder das Wiedererkennen der Buchstaben und Wörter – zum Lesen und Schreiben zu verwenden. Diese automatisierten Vorgänge setzen ein effizientes Arbeitsgedächtnis voraus. Für die kognitiven Prozesse des Lesens gibt es eine neuroanatomisch-physiologische Entsprechung. Daher überrascht es nicht, dass gestörte Vorgänge in diesem Bereich in der Folge zu kognitiven Störungen führen können. Die neurobiologischen Vorgänge beim Lesen werden im nächsten Kapitel vorgestellt zudem werden die auf diesen Vorgängen basierenden Erklärungen für die Dyslexie gezeigt.