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- Lebens- und Arbeitsalltag der Wärter in der Irrenpflege im Hospital Haina: Psychiatrische Pflege im 19. Jahrhundert
Gesundheitswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Abb.: 9
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Diese Studie beschreibt zunächst die bestehenden Rahmenbedingungen (Insassen, bauliche Strukturen) der Wärter im Hospital Haina im 19. Jahrhundert. Im Anschluss daran wird ein allgemeines Profil des Wärters in Deutschland mit Hilfe der Sekundärliteratur formuliert. Als Vergleich werden die eingestellten Wärter im Hospital Haina als Personen näher beschrieben und charakterisiert: Wer waren die Wärter, woher kamen sie, welche Bildung hatten sie. Exemplarisch werden anhand von Fallstudien Bewerbungs- und Auswahlverfahren des Hospitals zur Anwerbung von Wärtern beschrieben. Die Organisation des Wärterdienstes mit ihren Differenzierungen (Wärtergehilfe, Wärter, Oberwärter) sowie deren Weiterentwicklungen im Laufe des 19. Jahrhunderts werden anschaulich dokumentiert und schematisch dargestellt. Im weiteren wird die fortschreitende Professionalisierung des Wärterdienstes in ihrer wachsenden Bedeutung für die psychiatrische Pflege beschrieben. Im Hospital herrschten strenge Normen und Regelungen in Form von Hausordnungen und Dienstanweisungen, welche Aufgaben, Rechte und Pflichten der Wärter formal bestimmten. Die Hausordnungen und Dienstanweisungen gaben eine starre Hierarchie und Weisungsstruktur zwischen den einzelnen Berufsgruppen im Hospital vor. Sie regelten wer wem zu gehorchen hatte. Die stark hierarchisierte Kommunikationsstruktur innerhalb der unterschiedlichen Berufsgruppen im Hospital wurde nicht immer eingehalten. Inwieweit sie tatsächlich Einfluss auf Wirklichkeit des Hospitalalltags nehmen konnten, zeigen Auswertungen von Personalakten. Sie zeigen wie die Wärter ihre berufliche Situation und den Hospitalalltag subjektiv wahrnahmen und wie die Kommunikation zwischen Wärtern und Hospitalbeamten letztlich in Wirklichkeit aussah. Im Rahmen einer Fallstudie, welche den beruflichen Werdegang eines Wärters von der Einstellung bis zu seinem Tode nachzeichnet, konnte nachgewiesen werden, wie die Arbeits- und Lebenswelt eines Wärters aussah, welche soziale Rolle er innerhalb der Organisation des Hospitals einnahm und wie er diese veränderte.
Textprobe: Kapitel 3.1, Hospital Haina als Pflege- und Versorgungsanstalt im 19. Jahrhundert: Das Hospital Haina wurde von Landgraf Philipp dem Großmütigen im Jahre 1533 gegründet. Der Zweck des Hospitals war die Pflege und Versorgung von armen und kranken Dorfbewohnern aus der Umgebung. Vor allem aber diente das Hospital der anstaltlichen Verwahrung von Geisteskranken, für die es bis zu diesem Zeitpunkt keine Form der Fürsorge in Deutschland gab. Die Einrichtung des Klosters Haina als Hospital war somit die erste derartige Einrichtung für geisteskranke Männer in Deutschland (Moritz, 1980, S.18). 1815 wurde Haina 'Pflege- und Versorgungsanstalt für preßhafte, und insbesondere für verrückte, wahnsinnige, hilflose und epileptische Personen', wobei 'preßhaft' für Gebrechlichkeit, Krankheit, Elendigkeit steht (Grimm, 2004). Dies machte sich auch in den Diagnosen der Insassen bemerkbar. In Haina waren von den Pfleglingen im Jahr 1800 66% geisteskrank oder epileptisch. Zum Ende 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der unheilbaren Geisteskranken bereits bis auf 94% (Nolte, 1996, S.38f). Unter Punkt 3.1.1 werden Einzelheiten zu Lage, Bau und Ausstattung des Hospitals Haina vorgestellt. 3.1.1, Lage, Bau und Ausstattung: Ein Lageplan des Hospitals aus dem Jahr um 1830 (s. Abbildung 5) zeigt die verschiedenen Abteilungen des Hospitals Haina, in denen die Pfleglinge untergebracht waren. Dies waren das Capitel, ein großer Saal, er befindet sich noch innerhalb der Klosteranlage und der Raum daneben, die Hospitalitenwohnung. Zwischen der Krankenstube und dem Durchgang lag die Wärterstube (s. Abbildung 6). Oberhalb des Capitels ist noch ein weiteres Stockwerk vorhanden, in dem ebenfalls Pfleglinge untergebracht waren. Dies war das Schlafhaus. Östlich vom Capitel lag das Magazin. Hier waren die tobsüchtigen und gefährlichen Irren untergebracht. Im Magazin wurden um 1850 40 Autenriethsche-Zellen, benannt nach ihrem Erfinder, dem Leiter der Tübinger Universitätsklinik (1792-1835), Ferdinand Autenrieth, errichtet. Sie dienten zur Isolierung von tobsüchtigen Pfleglingen. Die Autenriethschen-Zellen sind so ausgestattet, dass die Fenster und die Öfen mit Holzpalisaden geschützt waren, so dass der Tobsüchtige sich daran nicht selbst verletzen konnte (vgl. Hayner, 1817, S.14f). Daneben gab es im Magazin vier Versammlungsstuben und vier Wohnzimmer (vgl. Kahm, 1994, S.92). Darüber lag ein weiteres Gebäude, das Lazareth, für die Unterbringung akut und chronisch kranker Pfleglinge, die chirurgisch behandelt werden mussten. Der Bau bestand aus 20 Zimmern. Für diese Abteilung war der gut ausgebildete Lazarethwärter zuständig, der über eine offizielle Qualifikation zum Bader oder Barbierer verfügte (s. auch unter Punkt 3.3.4.5). Nördlich von diesen Gebäuden befand sich der Irrengarten, wo die Pfleglinge der beiden Abteilungen täglich, unter Aufsicht der Wärter, hineingelassen wurden. Südlich dieser Gebäude schloss sich der Hof für das Hospital an. Gegenüber dem Lazareth befand sich das Blockhaus. Dieses Gebäude hatte drei Stockwerke. Es verfügte über 10 Doppelzimmer in der untersten Etage mit zwei Zimmern für die Wärterfamilie und über 8 große Einzelzimmer im oberen Geschoß. Im Erdgeschoss dieses Gebäudes waren kleine Räume zur Aufnahme der 'unreinlichen Idioten', gemeint sind hiermit harn- und/ oder stuhlinkontinente Pfleglinge. Der Neubau lag neben dem Blockhaus in Richtung Osten (vgl. Kahm, 1994, S.83). Der Neubau war von der Anzahl der Stockwerke und vom Grundriss ähnlich konstruiert wie das Blockhaus, der Neubau war kleiner als das Blockhaus. Der Irrengarten und der Hof für das Hospital waren von Gebäuden und einer Mauer umschlossen. Der Honoratiorenbau, eine weitere Abteilung des Hospitals, lag im Ostteil des ehemaligen Klostergebäudes, hier waren selbstzahlende oder besser gestellte Pfleglinge untergebracht. Daran schloss sich die Hospitalküche an. Südlich des Neubaus befand sich die Schneiderei und im direkten Umkreis lagen andere Einrichtungen, die Schusterei, der Marstall, unterschiedliche Ställe für Schafe, Rinder und Schweine, die Wäscherei, Metzgerei, Bäckerei, der Gutshof usw., wo die Pfleglinge, die arbeitsfähig waren, ihre tägliche Arbeit verrichteten (s. Abbildung 7). Im ehemaligen Klosterbereich im Ostflügel waren ebenfalls Pfleglinge untergebracht (Kahm, 1994, S.82f). Die Zimmer oder Kammern waren mit ein bis zwei Pfleglingen belegt. Jeder Pflegling hatte ein eigenes Bett mit einer Matratze, einem Oberbett, einem Kissen, einer wollenen Decke mit Bett- und Kissenbezug. Die pflegebedürftigen Pfleglinge, die aufgrund ihrer Gebrechen ständig bettlägerig waren, wurden gemeinsam in Sälen untergebracht (Schlieper, 1983, S.258). Der Aufwand für die Versorgung und Pflege dieser Pfleglinge war somit geringer. Unter Punkt 3.1.2 werden die verschiedenen Berufsgruppen in der Organisation des Hospitals Haina beschrieben. Exemplarisch werden deren Gehälter mit aufgeführt, um einen Überblick über die Vergütungsstrukturen im Hospital Haina zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu erhalten. 3.1.2, Organisation der Anstalt: Die personelle Führung der Anstalt bestand aus einem Obervorsteher und drei bis vier Beamten. Der Obervorsteher war der eigentliche Hospitalleiter. Die folgenden Gehaltsangaben der verschiedenen Berufsgruppen beziehen sich ausnahmslos auf das Jahr 1810 (LWV Archiv Haina, Best. 13. Geldrechnungen 1810). Der Obervorsteher erhielt ein Gehalt von 525 Th jährlich, hinzu kamen Naturalien wie Getreide, Holz, Heu und Stroh. Des Weiteren erhielt er 10 Gänse, 20 Hühner und 26 Hahnen, er war somit der am höchsten Besoldete im Hospital Haina. Der Rentmeister war erster Beamter, der für die Verwaltung und die Rechnungslegung des Hospitals zuständig war. Sein Jahresgehalt belief sich auf 126 Th im Jahr, dazu kamen Naturalien. Der zweite Beamte war der Fruchtrentmeister, der den Grundbesitz der Anstalt und seine Erträge zu verwalten hatte. Sein Gehalt betrug 113 Th jährlich. Der Pfarrer gehörte ebenfalls zu dieser Beamtengruppe, sein Jahresgehalt lag auch bei 113 Th. Er war mit seinen Gehilfen zuständig für die christliche Erziehung der Pfleglinge. Dies war zu dieser Zeit eine wichtige therapeutische Aufgabe. Als vierten Beamten gab es noch den Sekretär, der auch als Hospitalinspektor bezeichnet wurde. Er hatte verschiedene Aufgaben innerhalb des Hospitals und erhielt 107 Th Jahresgehalt (vgl. Kahm, 1994, S.32). Des Weiteren gab es noch weitere Beamte, die eine wichtige Bedeutung hinsichtlich der Vorgesetztenfunktion für die Wärter im Hospital hatten. Der Küchenmeister und Kleiderverwalter, auch als Hausmeister bezeichnet, wurde hier genannt. Er war neben dem Hospitals-Arzt, den es in Haina ab 1821 gab, und dem späteren Oberwärter, welcher ab dem Jahr 1853 in den Geldrechungen aufgeführt wurde, der unmittelbare Vorgesetzte der Wärter. Er verdiente 113 Th pro Jahr. Der Koch verdiente 42 Th und die zwei Oberförster erhielten 24 Th im Jahr. Im Hospital war ein Chirurgus angestellt. Dieser Begriff wurde damals für einen Wundarzt verwendet (Krünitz, 1773 bis 1858). Er erhielt ein Jahresgehalt von 40 Th. Für die Wartung der Pfleglinge waren im Jahr 1810 11 Wärter mit je einem Jahresgehalt von 24 Th tätig. 3.1.3, Pfleglinge: Die Pfleglinge, die in Haina aufgenommen wurden, waren meist Menschen, die bis dahin ein armseliges Leben geführt haben. Sie kamen aus den untersten Bevölkerungsschichten. Die wenigsten der aufgenommenen Pfleglinge waren Honoratioren, dies waren Personen von Stand, Studierte, Offiziere und ihre Familien, die ihren Aufenthalt im Hospital selbst zahlten (Schlieper, 1983, S.256). Eine erste Aufstellung und Beschreibung über die Pfleglinge und deren Unterbringung wurde 1800 von dem Haus- und Küchenmeister Cranz aufgrund einer Anfrage von außen erstellt (LWV Archiv Haina, Best. 13. Alg. 1). Als Diagnosen der Pfleglinge wurden genannt: Geisteskrankheit, Blindheit, Taubheit, Gebrechlichkeit, Lahmheit, Epilepsie, manche Pfleglinge wurden auch als 'närrisch' oder 'wahnsinnig' diagnostiziert. Die Einteilung der Pfleglinge in unterschiedliche Stände, in Honoratioren und den so genannten Gemeinen, die, wie eingangs beschrieben, völlig mittellos waren, schlug sich vor allem in deren Unterbringung und in deren Verköstigung nieder. Die Honoratioren (sofern sie nicht tobsüchtig oder anderweitig selbst- oder fremdgefährdet waren) wurden in dem gleichnamigen Bau einquartiert. Diese wurden in der Regel in gut ausgestatteten Einzel- und Doppelzimmern untergebracht. Die Gemeinen waren meist in Mehrbettzimmern beherbergt. Die Matratzen und das Bettzeug der Betten waren teilweise mit Stroh gefüllten Säcken ausgestattet. Alle Pfleglinge erhielten Anfang des 19. Jahrhunderts drei Mahlzeiten pro Tag. Das Frühessen bestand aus einer warmen Suppe und Bier, es war für beide Stände gleich. Die Mittags- und Abendmahlzeit unterschied sich vor allem in ihrem Fleischanteil. Die Kost für die Honoratioren bestand aus 4,5 Pfund Fleisch in neun Portionen pro Woche, während die Kost für die Gemeinen nur zwei Pfund Fleisch in vier Portionen für die Woche enthielt. Ansonsten gab es Kartoffeln, Gemüse und Getreideprodukte. Jeder Pflegling erhielt täglich 1,5 Pfund Brot und 1/2 Maß (=1,09 Liter) Bier (Schlieper, 1983, S.259). Die Kostformen wurden auch nach medizinischer Bedürftigkeit unterschieden. Es gab eine ärztlich verordnete Krankenkost, die auch Wein und eine extra Portion Fleisch enthielt. Es sind dementsprechend unterschiedliche Speisepläne überliefert, die diese medizinischen und ständischen Unterschiede abbilden. Die Mahlzeiten wurden von den Pfleglingen in ihrem Zimmern eingenommen. Die Verköstigung ging also über den Eigenbedarf der einzelnen Pfleglinge hinaus. Im Gegensatz zu der mit Lebensmittel schlechter versorgten Landbevölkerung hatten die Pfleglinge einen Überschuss an Nahrungsmittel. Dies hatte zur Folge, dass die Pfleglinge mit diesen Nahrungsmitteln Handel mit der Landbevölkerung betrieben. Dies wurde von der Hospitalleitung unter Strafe gestellt. Über die Strafen für die Pfleglinge wurde ein Strafbuch (von 1826 bis 1851) geführt (LWV Archiv Haina, Best. 13, Strafbuch). Es war tabellarisch eingeteilt in die Rubriken Name, Vorname des Pfleglings, Zimmer und Vergehen. Das Vergehen beschrieb die begangene Straftat des Pfleglings. Eine weitere Rubrik war das Straferkenntniß, es legte fest, welche Art und welcher Umfang der Strafe bei dem betreffenden Pflegling angewandt wurde. Das Straferkenntniß wurde eingeteilt in: Hospitalarrest, Arrest bei Wasser und Brot (der Pflegling wurde für eine bestimmte Zeit in eine abschließbare Einzelzelle eingesperrt und erhielt zu den Mahlzeiten nur Wasser und Brot), Fleisch- und Bierabzug (für circa 6-14 Tage), Verbringen im Zwangsstuhl, Tragen eines angeschlossenen Klotzes und körperliche Züchtigungen (Hiebe). Die körperlichen Züchtigungen in Form von Hieben wurden im Strafbuch ab 1849 nicht mehr vermerkt. Es ist davon auszugehen, dass diese seitdem nicht mehr vorgenommen wurden. Die genannten Vergehen sind Beleidigungen, Beschimpfungen gegen andere Pfleglinge oder Hospitalpersonal (vor allem gegen Wärter), Nichterscheinen zu Gottesdiensten, aber auch Angriffe auf Wärter oder 'Mißhandlungen' von anderen Pfleglingen. Die Strafmaßnahmen wurden vom Arzt angeordnet und mussten von den Wärtern durchgeführt werden. Bei den körperlichen Züchtigungen ist nicht bekannt, wer diese ausgeführt hatte. Die Kleidung der Pfleglinge bestand aus grauem, wollenem Tuch und niederem Leinen. Honoratioren und Pfleglinge, die Geld verdienen konnten, trugen bessere Kleidung (Schlieper, 1983, S.259).
Axel Eierdanz (MA) wurde 1970 geboren. Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger, Fachkrankenpfleger für Psychiatrie und Pflegedienstleiter absolvierte er ein pflegewissenschaftliches Studium an der Fachhochschule Frankfurt / Main. Im Anschluss daran erfolgte die Aufnahme des Masterstudiengangs Beratung und Sozialrecht. Dieses Studium schloss der Autor im Jahre 2012 erfolgreich ab und ist seit 2007 selbständig als professioneller Berater in der betrieblichen Wiedereingliederung von erkrankten Beschäftigten tätig. Herr Eierdanz ist zertifizierter Case (DGCC) und Disability Manager (CDMP).