- Sie befinden sich:
- Specials
- »
- Bachelor + Master Publishing
- »
- Gesundheitswissenschaften
- »
- Extrembergsteigen: Versuch einer psychologisch orientierten Bestimmung
Gesundheitswissenschaften
» weitere Bücher zum Thema
» Buch empfehlen
» Buch bewerten Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 64
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Bergsteigen übt einen ganz besonderen Reiz auf die Menschen aus. Doch was treibt Menschen zu solchen Unternehmungen an? Diese Frage und weitere Gesichtspunkte werden in dieser Arbeit zu ergründet. Hauptaufgabe ist in erster Linie, die Grundmerkmale des Extrembergsteigens sowohl anhand von phänomenologischen und psychologischen Beschreibungen einiger Autoren, die sich intensiv mit dieser Thematik befasst haben, als auch anhand von Berichten und Büchern einiger Extrembergsteiger aufzuzeigen. Außerdem setzt sich der Autor in dieser Arbeit mit einigen berühmten Extrembergsteigern auseinander. Ziel der Arbeit ist es, mögliche Gründe dafür zu finden, was Extrembergsteiger zu solch besonderen Höchstleistungen verbunden mit Lebensgefahr, Entbehrungen und Qual antreibt.
Textprobe: Kapitel 4.1.3, Personifizierung des Bergs als Gegner: Besonders eindrucksvoll wird der Kampfescharakter des Extrembergsteigens auch in der Literatur von Lammer beschrieben: ‘In zähem Kampfe wanden wir uns vorsichtig die schaurig steilen Hänge hinunter’ (Lammer, 1999 [1887], S. 87). In einigen Aufsätzen von Eugen Lammer, beispielsweise in seiner Schrift ‘Unfall am Matterhorn’, beschreibt er die Steinschläge als Stimme des Berges: ‘[...] die warnenden Stimmen der Berge verstummten [...]’ (Lammer, 1999 [1887], S. 80) und einige Seiten später den Berg, als Gegner: Du grausam herrliches Matterhorn, vom flüssigen Silber des Mondes bist du umronnen, [...] mir nur schattest du und raubst mir Weg und Schau ! Und doch, du grausamer Berg, unser Besieger, du Stiefmutter Natur, du harter Gott, ich liebe euch in all eurer gnadenlosen Schöne, in eurer graniten Gleichgültigkeit. [...] Wohl neige ich mich vor dem Richterspruche des Waltenden, der uns vom Matterhorn geschleudert, [...] (Lammer, 1999 [ca. 1887], S. 87). In diesen teilweise mythischen Beschreibungen wird der Berg zuerst durch die Stimmen, anschließend sowohl durch das Adjektiv ‘grausam’ als auch durch sein Handeln (‘geschleudert’) personifiziert. In diesen Bilder kann Lammers innere Gestimmtheit möglicherweise auch Erfahrungen mit früheren Bezugspersonen zum Ausdruck kommen. Man könnte den Berg hier als Projektionsfläche von Gefühlen, die aus früheren Erfahrungen herrühren, betrachten. Denn er sieht im Berg einen Gegner, vielleicht einen Rivalen, der in tiefenpsychologischer Betrachtung als Vaterfigur interpretiert werden kann. Darauf soll im Kapitel fünf ‘Bezug zur Lebensgeschichte der Extrembergsteiger’ näher eingegangen werden. Andererseits sieht Lammer im Gegner ‘Berg’ einen Gott und stellt sich selbst auf dessen göttliche Ebene: ‘Ich, der Unzerstörbare, bin euresgleichen.’ (Lammer, 1999 [1887], S. 87). Er will sich diesem Gott nicht unterwerfen. Dies kann als Größenphantasie gedeutet werden. Aufmuth konkretisiert diese Beschreibungen und vergleicht das Erzwingen des Berges mit dem ‘Kampf gegen einen hartnäckigen menschlichen Kontrahenten’ (Aufmuth, 1988, S. 25) und bleibt damit auf einer greifbareren Ebene. Ihm geht es dabei mehr um die im Menschen steckende Kampfeslust. Er bezeichnet den Berg als ‘passiven Gegner’, denn im Unterschied zu einem wahrhaften menschlichen Gegner könne er sich nicht wehren. So könne der Bergsteiger all seine Kraft an ihm auslassen, ohne ihn zu ‘verletzen’. Darin sieht Aufmuth auch einen signifikanten Unterschied zu anderen Sportarten. Der Berg könne nicht verletzt werden und ermögliche dem Bergsteiger damit das Ausleben all seiner Kräfte, was nicht einmal in kämpferischen Sportarten wie dem Boxen oder Ringen möglich sei. Im Gegensatz zu einem reglementierten Wettkampf gibt es für den Bergsteiger keine Regeln, die er einhalten muss (vgl. Aufmuth, 1988, S. 25). Es scheint ein Kampf zu sein, der dem David gegen Goliath gleichkommt und auf den ersten Blick ein Ungleichverhältnis darstellt. Doch der Bergsteiger schafft es meist doch, mit allen Raffinessen den Berg zu besteigen und damit den Kampf zu gewinnen. Des Weiteren geht Aufmuth davon aus, dass das ‘körperliche Sich-Messen mit einem ebenbürtigen Gegenüber’ (Aufmuth, 1988, S. 25) ein Impuls ist, der im Menschen steckt. Er vergleicht die Eroberung der Berge mit der früheren Sagenwelt, in der die Helden unermüdlich von Kampf zu Kampf eilten, um nach immer gewaltigeren Gegnern Ausschau zu halten. Darüber hinaus stellt er das Schicksal der Extremen dem von Kriegerfiguren gleich, die rastlos von Kampf zu Kampf ziehen und lediglich darin Frieden und innere Erfüllung finden können. Er beschreibt den Kampf beim Extrembergsteigen als ein unmittelbares und elementares Kräftemessen, als ein ‘Feuerwerk der Sinne und der Körperkraft’ (Aufmuth, 1988, S. 26) und sieht darin einen fundamentalen Beweggrund der Bergsteiger in ihrem Tun. Wie im Boxkampf bleibe dabei die Frage nach Sieg oder Niederlage bis zum Ende, dem Erreichen des Tales, offen (vgl. Aufmuth, 1988, S. 25-27). Aufmuth sieht im Berg folglich einen Herausforderer, einen Widerstand, den es zu bezwingen und zu überwinden gilt. Dies zeigt sich auch in zahlreichen Beschreibungen von Extrembergsteigern. Beispielsweise im Bericht Whympers von der Besteigung des Matterhorns: Das Matterhorn war ein hartnäckiger Feind, wehrte sich lange, teilte manchen schweren Schlag aus, und als es endlich mit einer Leichtigkeit, die niemand für möglich gehalten hatte, besiegt wurde, da nahm es als heimtückischer Gegner, der überwunden, aber nicht zermalmt ist eine fürchterliche Rache’. (Whymper, zitiert in Messner, 1976, S. 23) Im Gegensatz zu den Beschreibungen Aufmuths betont Reinhold Messner, dass er diese kämpferischen Ambitionen nicht in sich trägt: ‘Ich bin nicht zum Mount Everest gefahren, um ihn zu bezwingen, sonst hätte ich ja von vornherein alle möglichen Techniken eingesetzt, um mir des Erfolges sicher zu sein’ (Messner, 1978, S. 14). Auf den aggressiven Charakter des Extrembergsteigens, der in diesem Kapitel durchaus zum Anklang kam, werde ich in Kapitel 4.5.3 ‘Autoaggression’ eingehen.