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Gesundheitswesen

Sandra Obermeier

Vom Skalpell zur Schreibfeder: Wenn Ärzte zu Literaten werden

ISBN: 978-3-95850-645-9

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Zahlreiche Mediziner fühlen und fühlten sich dazu berufen, ihr Skalpell und ihr Stethoskop zur Seite zu legen, und diese Instrumente gegen eine Schreibfeder einzutauschen. Doch wie zeichnet sich das literarische Schreiben eines Schriftsteller-Arztes aus? Wie spiegeln sich dessen Erfahrungen, die er tagtäglich im Umgang mit seinen Patienten gewinnt, in seiner Narration wider? Welche Färbung erhält scheinbar erfundene Fiktion, wenn sie durch die Augen eines Mediziners beschrieben wird? Die Studie versucht solchen Fragen auf den Grund zu gehen und konzentriert sich dabei auf drei Beispiele der französischen und spanischen Literatur, auf poetae-medici, die sich nicht nur in der Welt der Medizin und Wissenschaft, sondern auch als Schriftsteller einen Namen machten: Pío Baroja, Luis Martín-Santos und Louis-Ferdinand Céline. Unter Berücksichtigung biographischer Fakten und wissenschaftsgeschichtlicher Hintergründe wird die Rolle der Medizin in den Romanen El árbol de la ciencia (Baroja), Tiempo de silencio (Martín-Santos) und Voyage au bout de la nuit (Céline) untersucht. Ferner wird aufgezeigt, inwiefern der diagnostische Blick und das Fachwissen eines Arztes dessen literarisches Schreiben beeinflussen kann, ohne dabei gewisse Unterschiede zwischen den drei Autoren außer Acht zu lassen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Wissenschaftsgeschichtliche Hintergründe zum Werk Pío Barojas: 3.1, Medizin und Hygiene in vorpasteurianischer Zeit – ‘Wir wollen sanieren’: Auf den Leser des 21. Jahrhunderts mag es befremdlich wirken, wenn Baroja in El árbol de la ciencia von ‘unas cosas vivas en el aire […]’ schreibt, ‘que son malas [y] mueren con la luz.’ (147) Aus diesem Grunde ist es unerlässlich, an dieser Stelle der Arbeit die historischen Hintergründe des Werkes aufzuarbeiten und die Rolle der Medizin zur Zeit Pío Barojas darzustellen. An zahlreichen Textstellen wird der Leser mit dem Thema der Hygiene, sowie mit Namen wie Liebig, Berthelot, Koch oder Pasteur konfrontiert. Diese Namen sind heute eindeutig in das breite Forschungsfeld der Chemie und der Bakteriologie einzuordnen. Die Hygiene und die Bakteriologie erlebten zwar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre große Blüte, jedoch sind deren Anfänge bereits in der Antike zu suchen. So betonte schon der griechische Arzt Hippokrates (460 – 375 v. Chr.) die Individualität einer jeden Krankheit und den Zusammenhang zwischen der Gesundheit eines Menschen und dessen Umwelt. Krankheit und Gesundheit seien demnach das ‘Resultat von Umwelteinflüssen’. Auch der Begriff der ‘Infektion’, der im 19. Jahrhundert unter Berücksichtigung des medizinisch-fortschrittlichen Wissenstandes als ‘Invasion von pathogenen Organismen in Körpergewebe’ definiert wird, hat seinen Ursprung weit vor dem 19. Jahrhundert. Das lateinische infectio leitet sich ab von dem Verb inficere, das unter anderem ‘färben’ oder ‘beflecken’ bedeutet, wobei letzteres stets die Bedeutung von ‘Verunreinigung’ in sich trägt. Gleiches gilt für den Begriff der ‘Kontagion’. Mit ‘contagiös’ wurden Krankheiten bezeichnet, die von Gott als Strafe für ein Verbrechen gesandt wurden. Diese Krankheiten standen in Opposition zu denen, die auf natürliche Weise erklärt werden konnten – etwa durch unreine Luft, im Griechischen mit miasma bezeichnet. Dieser Gegensatz zwischen religiösen und natürlichen Ursachen für Krankheiten wurde auch bereits in den sogenannten Hippokratischen Schriften formuliert und spielte im Weiteren eine große Rolle für das aufkommende Bewusstsein für Hygiene. Man erkannte den Zusammenhang zwischen Infektion und Kontagion, zwischen Krankheiten und Verunreinigungen. Im 14. Jahrhundert waren Epidemien, wie etwa die Beulenpest, keine Strafe Gottes mehr, sondern das Resultat unreiner Luft. In der Zeit Pío Barojas scheint man sich also bereits von der Vorstellung verabschiedet zu haben, dass Krankheiten durch überirdische, spirituelle Dinge verursacht werden. Dennoch war in Spanien ein Leben ohne Gott nach wie vor unvorstellbar. Es musste demnach ein Weg gefunden werden, Neues mit Altem zu verbinden, das heißt, eine Verknüpfung herzustellen zwischen der Religion und der Vernunft der Aufklärung. Genau dies versuchte Mitte des 19. Jahrhunderts die in Spanien einsetzende Bewegung des krausismo, ausgehend von der Lehre des deutschen Philosophen Karl Christian Friedrich Krause (1781 – 1832). Der krausismo ist eine pantheistische Lehre, bei der man davon ausgeht, dass Gott als eine Art Urwesen in allen Dingen der Welt präsent ist und somit Rationalität und Irrationalität nebeneinander existieren lässt. Welche Rolle spielt diese Lehre im Denken und Schreiben Pío Barojas? El árbol de la ciencia gibt hierzu nur wenig Aufschluss, zumal das Thema der Religion stark in den Hintergrund gestellt wird. Nur an einer Stelle wird angedeutet, dass das starre Festhalten der Spanier an Religion und Kirche als eine für die Wissenschaft und Forschung nicht förderliche Haltung anzusehen ist (282). Zum Verhältnis von Religion und Wissenschaft schreibt Baroja: ‘La ciencia no puede estar nunca en un acuerdo íntimo con la religión, ni la religión con la ciencia.’ Dessen ungeachtet schreibt Ignacio Elizalde über Baroja: ‘Para él la ciencia es casi una religión.’ Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig die Wissenschaft in Barojas Leben ist und welch große Rolle Medizin und Wissenschaft im Spanien des 19. Jahrhunderts spielen. Im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und der damit aufkommenden Hygienebewegung – als einer der ersten bedeutenden Hygieniker ist der Engländer John Simon zu nennen – bezieht man sich wieder auf jenes Bewusstsein, welches ihren Ursprung bereits in der Antike hat, nämlich dass Krankheiten und Verunreinigungen durch entsprechende Hygienemaßnahmen verhindert werden können. Der von den Hygienikern des 19. Jahrhunderts gebrauchte Ausspruch ‘Wir wollen sanieren’ bringt die damals herrschende Stimmung gut zum Ausdruck, denn infolge der industriellen Revolution konnte man eine immer größer werdende Verschmutzung der Städte beobachten. Spaniens Industriehochburg ist zu jener Zeit Bilbao und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, warum Pío Baroja, der wie oben erwähnt baskischer Herkunft ist, dem technischen und wissenschaftlichen Fortschritt eine sehr hohe Bedeutung beimisst. In El árbol de la ciencia spiegelt sich der Geist jener Zeit zweifellos wieder. Doch legt Andrés hier nicht nur großen Wert auf Hygiene, sondern richtet den Fokus auch auf einen zu jener Zeit neuen Forschungsbereich, welcher der Medizin unabdingbare Erkenntnisse einbrachte – die Bakteriologie.

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