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- Alzheimer im problemorientierten Bilderbuch: Inhaltliche, künstlerische und sprachliche Aspekte
Gesundheitswesen
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Seit Jahrzehnten wählen Erwachsene Bilderbücher für ihre Kinder und Enkel aus, die unterhaltsam sein sollen, lehrreich oder erzieherisch. Nicht selten greifen sie dabei zu Büchern, mit denen sie selbst aufgewachsen sind, oder zu niedlichen, scheinbar kindgerechten Bilderbüchern und Geschichten. Die ästhetische Bildung der Kinder kann sich so nicht variantenreich entwickeln. Seit einigen Jahren sind problemorientierte Bilderbücher verstärkt auf dem Markt. Sie beschäftigen sich unter anderem mit Tod, Krankheit, psychischen oder sozialen Problemen. Auch eine Reihe von Büchern, die die Alzheimer-Krankheit thematisieren, ist erschienen. Diese greifen ein Thema auf, das mehrere Millionen Menschen in Deutschland direkt oder indirekt betrifft. Die Krankheit verändert das Leben eines Patienten und dessen Familie und häufig sind gerade Kinder mit der Situation überfordert. Alzheimer-Gesellschaften geben Patienten und Angehörigen Ratschläge zum Umgang miteinander. Die vorliegende Arbeit untersucht, ob Bilderbücher, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, im Sinne der ästhetischen Bildung und im Sinne eines konstruktiven Umgangs mit der Alzheimer-Krankheit positive Anreize geben, die das Leben mit der Alzheimer-Krankheit für Patienten und Familie erleichtern können.
Textprobe: Kapitel 3, Das Bilderbuch als problemorientiertes Medium: Seit der Erfindung des Bilderbogens und der Fibel im 16. Jahrhundert begleiten bebilderte Texte und betextete Bilder die Kinder in Deutschland. Diese Vorformen des Bilderbuchs intendierten vor allem die Belehrung der Kinder, brachten ihnen erste Worte, Buchstaben und Zahlen bei. Illustrierte Fabelbücher mit moralischen Botschaften im Sinne der Aufklärung im 18. Jahrhundert leiteten das Bebildern von Geschichten und Märchen ein im 19. Jahrhundert diente das Bilderbuch wieder vornehmlich als Erziehungsmittel. Während es in der Mitte des 20. Jahrhunderts meist zur Unterhaltung und Belustigung der Kinder genutzt wurde, kreist die Diskussion heute darum, ob sich das Bilderbuch auch zur Vermittlung problematischer Themen eignet und ob es gar als therapeutisches Medium zum Gespräch über Krankheit, Tod und Ängste genutzt werden kann. In den 80er Jahren kritisiert vor allem Jens Thiele, Direktor der Forschungsstelle Kinder- und Jugendliteratur an der Universität Oldenburg, die Einheitlichkeit und Naivität von Bilderbüchern. Probleme werden noch immer kaum thematisiert, Illustrationen sind oft stark vereinfacht und pseudo-kindgerecht, ästhetische und inhaltliche Bandbreite ist durch unreflektierte Weitergabe von Büchern kaum vorhanden. Dabei können seiner Meinung nach Bilderbücher [...] für die Sozialisation der Kinder mehr leisten als Zerstreuung und Unterhaltung. Neben diesen unbestreitbar wichtigen Funktionen können sie aufmerksam machen auf bestimmte Probleme, Stellung nehmen zu kindlichen Fragen und somit zu einem konfliktfreieren Leben beitragen. Die Stilrichtung des ‚Realismus’, ‚in der es bei Themenauswahl und Darstellungsweise um ein möglichst genaues Treffen der tagtäglichen Probleme von Kindern und/oder Jugendlichen geht’, beschäftigt sich per Definition mit dem Alltag und seinen Schwierigkeiten, also mit familiären Problemen, Generationskonflikten, Identitätssuche, Krankheit und Tod. Realistische Jugendromane wie die von Peter Härtling, Max von der Grün oder Elfie Donnelly dienen der Aufarbeitung solcher Fragen und Stressoren aus dem kindlichen Alltagsumfeld. Die Hauptfiguren, welche selbst meist im Kindesalter sind, bieten Identifikations- und Handlungsmuster und geben gerade durch das konsequente Aufzeigen von Hindernissen und Konflikten Hilfestellung in der Bewältigung. Was im Kinderbuch schon seit etwa 100 Jahren üblich ist, lässt beim Bilderbuch noch auf sich warten. Vielmehr sind die meisten Bilderbücher laut Heike Bürger-Ellermann von einer Entidyllisierung der Kinderwelt weit entfernt. ‚Es gibt verschwindend wenige Bilderbücher auf dem Markt, die an der Wirklichkeit und der Problemlage von 2- bis 10-jährigen orientiert sind.’ Während also im Bereich der Kinderliteratur in den 70er Jahren im Rahmen einer neuen Aufklärung Problembücher Tabus besiegen und der sozialkritische Realismus eines Peter Härtling Themen wie Behinderung, Alter und Tod zur Sprache bringt, bleibt die Konfliktlosigkeit des Bilderbuchs bestehen. Thiele zufolge ist es versäumt worden, ‚die Heranwachsenden auf ihre spätere Rolle als Käufer und Vermittler von Bilderbüchern vorzubereiten’. Da die meisten Eltern nach ihrer eigenen Jugend die Beschäftigung mit Bilderbüchern bis zum Vorlesealter der eigenen Kinder beiseite gestellt haben, fänden sie sich ratlos vor einer Auswahl neuer Bilderbücher und griffen darum auf Der Struwwelpeter und Die Häschenschule zurück, die sie selbst schon von ihren Eltern geerbt haben. Im Falle des Struwwelpeters reicht diese Vererbungskette nunmehr bis ins Jahr 1845 zurück. Diese Beispiele für Bilderbücher des Biedermeiers und der Nachfolge des Jugendstils zeichnen sich häufig durch belehrende oder triviale Inhalte aus. Während der Struwwelpeter Horrorszenarien als Konsequenz von Unartigkeit vorstellt (Tod durch Nahrungsverweigerung, Verbrennen durch Unachtsamkeit, Verlust von Körperteilen durch Daumenlutschen), hoppeln die Protagonisten des ‚Bilderbuch-Evergreens’ Die Häschenschule unbeschwert durchs immergrüne Gras. Beide Bücher sind im zeitlichen und literaturhistorischen Kontext als Parodien und Satiren des belehrenden und des trivialen Genres zu verstehen, aus heutiger Sicht betrachtet verkörpern sie aber dennoch das ‚moralisch Abschreckende’ und das ‚Treuherzigliebe’ des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Thiele räumt auch den trivialen Bilderbüchern eine Berechtigung ein, da sie ‚Entlastungen und Zerstreuungen’ bieten, plädiert jedoch für eine Vielfalt von Bilderbuchformen, in der nicht nur das Triviale, bereits Vertraute, immer wieder gezeigt wird. Zumal die Kinder selbst scheinbar nicht ausschließlich auf ‚vergnügliche Lustigkeit’ erpicht sind. Vielmehr genießen sie ‚langsam betrachten, forschen, lernen’, wie es Monika Niermann, Professorin der Universität Osnabrück mit den Schwerpunkten Kunstpädagogik und Kindheitsforschung, beschreibt. Trotzdem wählen viele Erwachsene Bilderbücher der eigenen Sehnsucht nach einer romantischen Kindheit entsprechend aus. Sie halten sich an bekannte Bilderbuchtypen, da sie sich um die emotionale Unversehrtheit des Kindes sorgen. Es ist dementsprechend auch in diesem Jahrtausend noch umstritten, welche Themen in Kinderbüchern angesprochen werden könnten, ohne die Kinder zu überfordern. Diese thematische Zensur beinhaltet Thiele zufolge eine pädagogische Entscheidung und lässt somit auf die allgemeinen Einflüsse der Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen schließen: Gerade vor dem Hintergrund einer allgegenwärtigen Medienpräsenz gibt es den Wunsch, Kinder vor den negativen, belastenden Seiten des Lebens fernzuhalten. Tod, soziale Not, Gewalt oder Krieg sind tabuisierte Themen des Bilderbuchs, auch deswegen, um sich von ihrer permanenten Anwesenheit in Fernsehen, Computerspielen, Zeitschriften und Kino zu distanzieren. Hier will das Bilderbuch so etwas wie eine pädagogische Schutzfunktion übernehmen. Die Problematik ist sogar noch grundlegender: Nicht nur vor Problemthemen im Speziellen, sondern vor realistischer Darstellung im Allgemeinen scheut sich die Gattung Bilderbuch, ihr liegen stattdessen ‚Harmlosigkeit und Beschwichtigung’ als Konstruktionsmerkmale zu Grunde. Auch auf die Illustration bezogen neigen laut Thiele die meisten Kinderbücher zu pseudo-‚kindgemäßen’, vereinfachten Darstellungen, geprägt durch vertraute (Kindchen-)Schemen, niedliche Charaktere, Dekorationen und Vielfarbigkeit. Bis heute gelten Harmonie und Einfachheit für viele Erwachsene als ‚kindgemäß’, obwohl diese Definition des Begriffs bis heute nicht belegt ist. Thiele stellt die These auf, dass dieser naive Stil der Illustrationen nicht nur unnötig ist, sondern auch unterfordernd und lähmend wirkt. Durch die vielfältigen Medienerfahrungen seien Kinder nämlich einem täglichen Wahrnehmungstraining unterzogen und – bei Bereitstellung großer Auswahlmöglichkeiten – auf dem Weg zur unabhängigen Wertung und Beurteilung. Dies qualifiziere sie, Kunst und Vielfalt zu schätzen. Thiele zufolge können und müssen Bilderbücher auch Ratgeber für seelisch belastende Situationen sein: [S]ie müssen auch die ernsten, schwierigen, dunklen, bedrohlichen Seiten des Lebens aufschlagen, sie müssen eindringen in die widerstreitende Gefühlswelt des Kindes, sie müssen positive wie negative Gefühle erlebbar machen und nicht falsche Gefühle vorgaukeln. Seiner Meinung nach gibt es im Bereich der Bilderbücher für Kinder seit den 90er Jahren eine positive Entwicklung, auch bedrohliche Facetten der Wirklichkeit und Gefühlswelt zu zeigen, anstatt eine unechte Harmonie zu kreieren. Immer mehr Bilderbücher erheben diesen Anspruch, weil sich das Bild des Kindes und das der Kindheit gewandelt haben, weil die Lebensbedingungen und –Zusammenhänge komplizierter geworden sind, aber auch, weil immer mehr AutorInnen und IllustratorInnen nach anderen Ausdrucksformen suchen und Kindern mehr mitteilen möchten als farbenfrohe Impressionen phantasierter Tierwelten. Es handelt sich beim Bilderbuch um ein Medium, welches ‚elementare soziale, emotionale und ästhetische Erfahrungen [...] gesellschaftliche Verhaltensweisen, Normen und Modelle’ transportieren kann, Identifikation mit Rollen und Charakteren ermöglicht und so grundlegend Einstellungen des Kindes prägen kann. Dadurch empfehlen sich Bilderbücher als ‚potentielles Übungs- und Lernmaterial im sozialen Erfahrungsbereich’. Zwar bewirkt nicht das einzelne Bilderbuch ein Hinterfragen und Umdenken, aber in Kombination mit begleitenden Diskussionen, Erklärungen und Unterhaltungen kann das Anschauen von Bilderbüchern soziales Lernen ermöglichen und Ängste abbauen.
Mareike Hachemer (Studienrätin der Fächer Englisch und Deutsch) studierte Germanistik, Anglistik, Philosophie und Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit den Schwerpunkten Neuere Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft. Hier untersuchte sie unter anderem die Darstellung verschiedener geistiger Krankheiten in der Literatur des 20. Jahrhunderts und spezialisierte sich auf Untersuchungen der Darstellung der Alzheimer-Krankheit. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Kinder- und Jugendliteraturforschung und der Unterrichtsdidaktik. Seit 2008 ist Mareike Hachemer Redaktionsmitglied von interjuli - Zeitschrift für internationale Kinder- und Jugendliteraturforschung. Als Dozentin in German Studies thematisierte sie Kinder- und Jugendliteratur auch mit internationalen Studenten an der University of Otago in Dunedin, Neuseeland.
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