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Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 216
Abb.: 16
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Jenseits der Routen wörtlicher Textinhalte lädt dieses Buch zu einer Reise durch den geistigen Kosmos der Bibel ein. Im Hebräischen, der biblischen Ursprache, hat jeder Buchstabe auch einen Zahlenwert und einen symbolischen Gehalt. Speziell die ersten fünf Bücher der Bibel bilden, darauf aufbauend, ein symbolisches System, das Seins- aber auch Sinnzusammenhänge beschreibt. Der Leser durchschreitet mit den biblischen Geschichten auch einige mythische Bedeutungsräume, deren Übergänge durch Zäsuren wie die Sintflut, den Turmbau zu Babel oder den Auszug der Israeliten aus Ägypten markiert werden. Dabei nähern sich die Lebensumstände der Akteure immer mehr unserer Erfahrungswelt an. Personen wie Abraham, Jacob oder Moses sind, so eigen sie sich schon zeigen, keine individuellen Charaktere, sondern Beispielgestalten. So interpretiert gewinnen die Texte ihre von Entstehungszeit und -ort unabhängige Aussagekraft. Der Reiseführer setzt kein jahrelanges Sprachstudium voraus, wohl aber die Neugier auf ein altes Menschheitswissen. Wer sich in das virtuelle Raumschiff traut und mitnehmen lässt, wird auch erfahren, welches Humorpotenzial die Beschäftigung mit der Bibel in sich birgt.
Textprobe: Kapitel 2, Die Sintflut – in eine neue Weltzeit schwimmen: Der erste Mann und die erste Frau sind wie alle Figuren in der Thora Beispielgestalten, die uns immer auch etwas vom Menschsein überhaupt erzählen, egal wie eigen sie sich bereits zeigen. Anders als spätere Vertreter etwa aus der Väterzeit oder der Gründungsära des Volkes Israel tragen Adam und Eva noch keine individuellen Züge es sind reine Prototypen. Die Bibel nutzt andere Mittel, als wir es von den Naturwissenschaften her kennen, um das menschliche Wesen zu beschreiben. Sie geht nicht von einem Stammbaum der Arten aus, in dessen Verzweigungen irgendwann unter den Primaten auch der Mensch auftaucht. Sie zeigt den Menschen zunächst als eine noch konturlose Urgestalt, die sich in einem mythischen Bedeutungsraum bewegt. Wenn man hier einen Vergleich mit den modernen Wissenschaften versuchen wollte, dann läßt das erste Menschenpaar am ehesten an den menschlichen Gattungsbegriff denken. In der Erzählfolge der Geschichten durchschreiten die späteren biblischen Protagonisten weitere solcher Räume, die in ihrer Ausgestaltung unserer Erfahrungswelt immer ähnlicher werden. So wird vom ersten Menschenpaar ausgehend über eine bestimmte Anzahl von Generationen das Menschliche weiter ausdefiniert und bekommen die beteiligten Figuren auch individuellere Züge. Die Abfolge der Geschichten ist also nicht allein chronologisch zu verstehen. Es werden vielmehr verschiedene Schichten der Wirklichkeit durchlaufen, die auch im wahren Leben immer präsent sind – in der Außenwelt wie in unserem inneren Erleben. Dieser Weg führt nicht allein von der Gattung zum Individuum, sondern auch von der Menschheit zur Menschlichkeit. Kurze Zeit nachdem Adam und Eva den Garten verlassen hatten, bekamen sie ihre ersten Kinder – zuerst den Kain, dann den Abel. Mit diesen Sprößlingen kommt zugleich der Konflikt in die Welt, und das weitere Geschehen schlittert geradewegs hinein in die erste Kriminalgeschichte der Menschheit. Den Mörder müssen wir nicht lange suchen daß Kain den Abel tötet, wird schließlich gleich miterzählt. Aber seinem Motiv auf die Spur zu gehen, ist noch eine lohnende Aufgabe für den Detektiv. Was würde ein professioneller Ermittler zuerst tun? Sich das Umfeld der beiden Männer näher ansehen. Und da ist vor allem eines wichtig für das Verständnis des Konflikts zwischen den Brüdern: Er setzt voraus, daß tatsächlich schon mehr als vier Menschen auf der Welt existieren. Für eine vierköpfige Familie hätten ein Schrebergarten und ein Kaninchenstall zur Selbstversorgung gereicht. Kain und Abel aber sorgten für pflanzliche und tierische Nahrung in größerem Stil. Abel wurde Viehzüchter und sein älterer Bruder Bauer. Mit ihnen stehen sich nicht nur zwei Berufsgruppen gegenüber, sondern zwei Lebensweisen: die des nomadisch lebenden Viehhirten und die des seßhaften Ackerbauern. Und ganz nebenbei erfahren wir, daß es schon Usus in jener Zeit war, Tiere und Pflanzen rituell zu opfern. So brachten auch Kain und Abel ganz selbstverständlich ihrem Gott etwas vom Ertrag ihrer Hände Arbeit dar (Genesis 4:3-16). Dabei stellte sich heraus, daß Gott das Tieropfer Abels offenbar mehr gefiel als das pflanzliche Opfer Kains. Vielleicht ist dies bereits ein Hinweis auf die zukünftige zentrale Stellung der Tieropfer im Tempelkult. Im Hinblick auf die beiden Lebensweisen bedeutet das aber, das Nomadenleben wäre eigentlich freier gewesen von der Versuchung, mehr Dinge anzuhäufen, als man tatsächlich zum Leben braucht. Mit der Seßhaftigkeit erst kamen der Besitz von Grund und Boden und damit der Zwist zwischen Besitzenden und Besitzlosen in die Welt. Dennoch haben Ackerbau und Viehzucht letztlich die Lebensweise der umherziehenden Viehhirten verdrängt. Aus der Perspektive von Geschichte und Archäologie gesehen, bewegen wir uns hier in der Jungsteinzeit (Neolithikum), als die Menschen erstmals dazu übergingen, sich in Dorfgemeinschaften niederzulassen und Landwirtschaft zu betreiben. Das Neolithikum setzte im Gebiet des fruchtbaren Halbmonds schon vor ca. 12.000 Jahren ein und in Europa zeitversetzt um ca. 6000 Jahre später. Aber kehren wir zurück zur Erzählweise der Bibel. Auch Kain gibt vom Besten, was er hat, nur bekommt er dafür nichts. Versagte Anerkennung tut weh. Sie weckt das Unrechtsempfinden ebenso wie ein vorenthaltener materieller Lohn. Dieser Herausforderung hält Kain nicht stand. Er lockt seinen Bruder aufs Feld und bringt ihn um. So kehrt ein Erdling (Adam) allzu schnell zur Erde (adamah) zurück und kann sein Lebenspotential nicht mehr ausschöpfen. Damit überschreitet Kain eine Grenze, die er bei allem Verständnis für seine Enttäuschung niemals auch nur hätte streifen dürfen. Kein materielles oder ideelles Gut wiegt ein Leben auf […]
Dr. phil. Jona Kirchner, geboren 1967, studierte Philosophie, Judaistik und Theologie in Berlin, Jerusalem, München und New York. Ihre Interessenschwerpunkte sind Systemdenken, Sprachlogik und Wissenschaftstheorie. Kirchners besonderes Anliegen ist, ideologisch motivierte, systematisch aber unbegründete Spannungen zwischen religiösem und wissenschaftlichem Wirklichkeitszugang abzubauen und beide in komplementärer Weise aufeinander zugeordnet vielmehr zu nutzen, um zu einem umfassenderen Verständnis des Menschen und seiner Stellung im Kosmos zu gelangen. Diese Grundhaltung prägt auch dieses Werk, mit welchem die Autorin in die Denkweise der Hebräischen Bibel einführt.
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