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- Zu Tisch mit König Artus und Parzival: Mähler in epischen Texten des Mittelalters im Kontext höfischer Etikette, höfischer Kommunikationsformen und rhetorischer Darstellung
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 156
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Ob Siegfried ein Freund würziger Würste ist, ob Herzog Ernst knuspriges Hähnchen liebt oder Parzival vielleicht sogar die vegetarische Küche verehrt, das wissen im Mittelalter allein die Erzähler. Doch sie verraten es nicht. Denn wenn sie zwischen Abenteuern und Kämpfen, zwischen Minneerlebnissen, prächtigen Festen und hitzigen Turnieren auch von Mahlzeiten berichten, gewähren sie den Blick auf Handlungsschauplätze, die sie wortreich ausmalen. Was da in den Mündern der Speisenden verschwindet, ist nur von geringem Interesse. Von größerer Bedeutung ist dagegen, wie gegessen wird. Und noch wichtiger ist, wie der Gastgeber das Mahl ausrichtet, wie er seine Bediensteten anleitet und wie diese den Tischdienst versehen und sich um das Wohl der Gäste an den Tafeln kümmern. Ziel ist es, ein höfisches Mahl zu arrangieren. Von zuht ist daher oft die Rede, von Speisen in übermäßigen Mengen und dem vorbildlichen Verhalten derjenigen, die gerade essen. Dies ist das Ideal. Das vorliegende Werk bietet sowohl eine systematische Durchsicht als auch eine Auswertung von Speiseszenen aus mehr als 50 Verserzählungen aus der Zeit vom zwölften bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts.
Textprobe: Kapitel 3.3. Mähler im religiös-kultischen Kontext: Die zuvor betrachteten Mahlesszenen, selbst diejenigen, die ein Mahl in einem verlassenen Palas zeigen, erlauben allesamt Rückschlüsse auf den (abwesenden) Gastgeber und seine Einstellung zur höfischen Etikette. Immer sind die Tafeln bestens gedeckt. Die nun folgenden Mahlesszenen gehören nicht mehr in den Bereich der Wunderwelten mit zauber- oder märchenhaften Zügen. Doch zeigen sie eine klare Tendenz zum nicht rational Erklärbaren und Spirituellen. Ihre Wunderwelt ist die der biblischen Wunder und die der göttlichen Intervention, die im Münchner Oswald ohnehin handlungsdirigierend wirkt. Gleiches gilt für den Parzival Wolframs von Eschenbach. Die Gralsdarstellung zeigt eine direkte Verbindung zu Gott auf. Kapitel 3.3.1. Münchner Oswald: Der christliche König: Oswalds Darstellung ist von Beginn an mit christlichen Motiven versehen und von Wertvorstellungen geprägt. Der König wird zu Anfang der Erzählung dementsprechend dem Publikum vorgestellt: wolt ir herschaft stille tagen,/ so wolt ich euch chunden und sagen/ von dem miltisten man/ so er daz leben ie gewan:/ saz was sand Oswalt aus Engelland [...] (1-5). Die bisweilen groteske Handlung läuft auf seine Heiligsprechung zu. Wichtige Stationen in ihrem Verlauf sind die Mähler im Kreise der Ritter, die im Anschluss an das Hochzeitsfest mit der heidnischen Prinzessin Paug zu Pfingsten stattfinden (3261-3502). Mehrfach kommt es zu Begegnungen mit dem Pilger Warmunt. Mit dem eingangs geschilderten Hoftag beginnt die Erhöhung des ohnehin christlichen Herrscherbildes zum Ideal (81-192). Oswald erhält den Auftrag zur Missionierung (67-70), die er mit einem kreftigen her von 72.000 Rittern im Heidenland ausführt (1514). Dorthin führt ihn später die Suche nach einer Braut. Diese Reise nimmt dann allerdings die Form eines Kreuzzugs an: ein michel gedreng zuo den kräutzen ward (1610), heißt es später. In der Darstellung der Fürstenversammlung auf dem Hoftag bedient sich der Erzähler des Instrumentariums der Zahlensymbolik: Zwölf Könige (91-92), 24 Herzöge (93-94), 36 Grafen (95-96) und neun Bischöfe nehmen am Hoftag teil. Die folgende wirdschaft ist an dasselbe Zahlenschema angelehnt: Sie ist zwölftägig (134-135) und dient der Beratung. König Oswald empfängt seine Gäste würdevoll (100-112). Sie danken: nun dank euch got der guot (112). Das Mahl beginnt mit dem Waschen der Hände (122), dem Platzieren der Gäste (123-125) und dem Auftragen der Speisen – Fische, Brot und Fleisch – in genügender Menge (126-132). Anschließend formuliert Oswald sein Anliegen: Er fragt nach einer geeigneten Braut in christlichen und in heidnischen Ländern (138-158). Doch die Hoftagsteilnehmer wissen keinen Rat. Oswald trauert (159-192). Fortan begegnet der König mehrfach dem Pilger Warmunt, der stets Forderungen an Oswald richtet. Er ist es auch, der die richtige Braut für den König kennt. Mit ihr kehrt der Herrscher endlich nach England zurück. Die Hochzeit findet zu Pfingsten statt (3203-3219). Das Festmahl wird in nur drei Versen (3214-3216) abgehandelt, immerhin verweist der Erzähler darauf, dass Arme und Reiche gemeinsam speisen. Eine solche Armenspeisung findet später noch einmal statt: Oswald selbst sitzt zu Tisch mit den Armen, die er durch Boten hat einladen lassen, wie sonst adlige Gäste eingeladen werden (3220-3254). Erneut erscheint der Pilger Warmunt an der Tafel: Aus den Händen des Königs erhält der Bedürftige zwölf Stücke Fleisch und zwölf Brote (3285-3286), später einen Braten, den Oswald eigentlich seinen Fürsten auftragen lässt (3303-3348). Auch damit erweist sich Oswald als vorbildlicher, freigebiger und mildtätiger Herrscher im christlichen Sinn. Jedoch hat er die größte und letzte Prüfung noch vor sich. Erst diese bringt Warmunts wahre Identität zum Vorschein. Zuvor sitzt König Oswald mehrfach wie gewohnt mit seinen Rittern zu Tisch, immer wieder stellt der Pilger dort Forderungen an den Herrscher. Sind es zunächst materielle Dinge – einen goldener Becher (3350-3362) und die kostbare Tischdecke (3363-3374) – sowie Nahrungsmittel, die er begehrt, so verlangt der Pilger dann die königlichen Ländereien samt der Herrschaftsinsignien Zepter und Krone (3426-3438) und zuletzt sogar Oswalds Gemahlin (3439-3454). Nichts davon verwehrt ihm der König. Seinen erbosten Bediensteten verbietet er zudem, den ungebetenen Gast für sein Verhalten zu bestrafen – für dieses Ansinnen züchtigt Oswald die Bediensteten sogar (3379-3412). So wehrt sich der König auch gegen die im Aufbrausen der Untergebenen enthaltene Kritik an seiner allzu großen Freigebigkeit. Selbst zum mittellosen Mann geworden, verlässt er den eigenen Hof – als Pilger. Biblische Motive prägen diese Szene. Als Warmunt Becher und Tischdecke verlangt, benutzt er das Bild eines Altars, auf dem diese eigentlich ihren Platz hätten, da sie für Oswald zu kostbar seien: er [der Becher] zimt dir nicht auf deinem tisch zu han,/ er sol auf ainem altar stan,/ daz man darin wandel daz lemptig prot (3355-3357). Als Oswald dem letzten Wunsch des Pilgers nachgibt, verrät dieser seine wahre Identität: ich pin ez an allen spot/ selb der lemptig got! (3501-3501). Damit hat Gott selbst den König all seiner weltlichen Güter enteignet und ihn zum Pilger reduziert, dem nichts mehr gehören als sein schlichtes Gewand und sein starker Glaube. In dieser Situation der völligen Entblößung, sowohl von materiellen Gütern als auch von abstrakten Werten wie der Königswürde, findet Oswald durch Selbstaufgabe zu Gott. Dieser Weg führt ihn in das ewige Himmelreich (3549-3564). Kapitel 3.3.1.1. Das Zahlenschema: Das auffällige und mehrfach wiederholte Spiel mit der Zahl Zwölf und ihrer Vervielfachung zur Summe 72 in Gestalt der weltlichen Würdenträger führt in das Gebiet mittelalterlicher Zahlensymbolik und damit auf unsicheres Terrain: Zu warnen ist vor zu hochgespannten Erwartungen an ,Rund’- und ,Schlüsselzahlen’ und vor zu weitreichenden Annahmen hochkomplizierter Zahlenkompositionen, da diese nicht authent[isch] bezeugt sind, in der Regel ihre[r] eindeutigen materiellen (handschriftlich überlieferten) Grundlage entbehren [und] vom Publikum nicht rezipiert werden konnten [...] . Der Aspekt dieser Symbolik sei daher nur angedeutet und nicht weiter ausgeführt. Im Münchner Oswald tritt die Zahl Zwölf mit der Ankunft der weltlichen Herrscher in Erscheinung – in der hierarchisch geordneten Vervielfachung der Könige, Herzöge und Grafen. Zudem steht sie für die Zahl der Apostel. Somit könnten die Adligen als Gefolge und zugleich als Gemeinde des sie führenden und stets christlich handelnden Herrschers verstanden werden. Durch die Begegnungen mit dem Pilger Warmunt erfährt dieser Läuterung und findet so den Weg zu Gott. Die geistlichen Würdenträger dagegen erscheinen zu neunt. Zudem erscheinen sie, der weltlichen Hierarchie entsprechend, zum Schluss der Aufzählung der Adligen. Kapitel 3.3.1.2. Das Motiv der Eucharistie: […] daz man darin wandel daz lemptig prot (3357) – das Bild der Eucharistie ist in dieser Zurechtweisung des Pilgers an König Oswald offensichtlich. Die wesentlichen Komponenten sind der Becher, der hier stellvertretend für den Weinkelch steht, und das Brot. Der Altar und der Begriff der Wandlung beziehen sich auf die rituelle Handlung des Priesters, die erst den entscheidenden Schritt aus der weltlichen in die geistliche Sphäre bewirkt: In Brot und Wein ist der Erlöser real und alles bloß Zeichenhafte überwindend anwesend und doch sind priesterliche Symbole, Worte und Zitate notwendig, um diese Realität zu bewirken . Im Münchner Oswald offenbart sich somit – stimmt man der Datierung auf das 12. Jahrhundert zu – eine frühe Tendenz der Literarisierung des Sakramentes von Brot und Wein, die sich erst später verfestigt: Das Sakrament von Brot und Wein ist im 13. Jahrhundert europaweit nicht irgendein, sondern das symbolisch generalisierte Medium, das die Unwahrscheinlichkeit schlechthin: Sein als sinnvoll und Sinn als seiend zu erfahren, in einen so hochsymbolischen Zusammenhang von Selektion und Motivation einzubetten vermag, daß diese Hochsymbolik selbst als das Reale (fast universal) beglaubigt wird . In den Grals- und Tristandichtungen erfährt das Motiv der Eucharistie das höchste Maß der Ausdifferenzierung. Im Münchner Oswald verweist dieses Abbild des Sakramentes auf göttliche Anwesenheit, die sowohl durch materielle als auch durch rituelle Zeichen bezeugt wird: So verlassen der Becher und das Tischtuch den Besitz des Königs, um als Altargegenstände der Eucharistie und höheren Zwecken als einem einfachen Mahl zu dienen.
Jens Höhner, 1973 in Krefeld geboren, lebt und arbeitet heute als Autor, Schriftsteller und Journalist in Köln. Nach einem Studium der Fächer Germanistik und Geschichte an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität volontierte er bei einer Tageszeitung in Norddeutschland und kehrte anschließend ins Rheinland zurück. Im seinem Studium legte er einen Schwerpunkt auf die Mediävistik und dort insbesondere auf die Darstellung des vermeintlichen Lebens zur Zeit der höfischen Dichter. Umgangsformen, rituelles Geschehen und nicht zuletzt die Gestaltung von Festen und Festmählern zählten zu den Schwerpunkten seiner Forschungsarbeit.
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