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Gesellschaft / Kultur

Florian Fix

Wahnsinn als Thema in der Erzählprosa Ludwig Tiecks und E. T. A. Hoffmanns

ISBN: 978-3-95425-760-7

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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Mit der beginnenden Romantik rückt das Seelenleben des Menschen in den Mittelpunkt nicht nur des literarischen Interesses. Das Gedankengut der Aufklärung, die einseitige Verstandesorientierung, wird hinterfragt, um auf diesem Wege bisher verborgene Wahrheiten über die menschliche Natur und damit auch die Welt zu ermitteln. Sowohl im Werk Ludwig Tiecks als auch E. T. A. Hoffmanns wird der Wahnsinn - der Verlust des Verstandes - in beträchtlichem Umfang thematisiert. Diese Arbeit setzt sich damit auseinander, mit welcher Motivation und auf welche Weise dies geschieht, welchen Stellenwert der Wahnsinn bzw. der Wahnsinnige in den Darstellungen einnimmt und was die Darstellung des Wahnsinns als Kehrseite des Verstandes schließlich auch über diesen auszusagen vermag.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3, Konfusion des Lesers und Wahnsinn als Nemesis in ‘Der blonde Eckbert’: Ludwig Tiecks romantisches Kunstmärchen, welches 1796 entstand, handelt von dem in naturentfremdeter Abgeschiedenheit lebenden Ritter Eckbert und seiner Frau Bertha, welche beide durch den Einbruch phantastischer, grauenerregender Phänomene in ihr Leben ein tragisches Ende finden: Bertha stirbt, die Gesundheit zerrüttet, am Rande des Wahnsinns. Ihr Mann, den die Erkenntnis seines verfehlten Lebens um den Verstand bringt, stirbt in abgründiger Einsamkeit. Tiecks Erzählung lässt sich nicht restlos deuten, wie die zahlreichen Interpretationen des Eckberts nahe legen. Zumindest teilweise könne die vielschichtige Erzählung allerdings als psychopathologische Novelle gelesen werden, wie es Gonthier-Louis Fink in seiner Interpretation anempfiehlt. Folgend soll aufgezeigt und erläutert werden, welche Faktoren das fatale Ende der Figuren bedingen. Detlef Kremer hebt in seiner Interpretation von Tiecks Prosa die Bedeutung des Blonden Eckberts für die Literatur in Deutschland hervor. Er nennt die Erzählung ein ‘zentrales Archiv der romantischen Literatur’, dementsprechend ein Prototyp des romantischen Kunstmärchens, da die in ihr verwandten Motive traditionsbildend für die gesamte Epoche der Romantik wurden. Dazu gehören neben der allegorischen Verrätselung der Schrift die konstatierte Ununterscheidbarkeit von Traum bzw. wahnhaften Halluzinationen und Wirklichkeit sowie die Verwirrung der Figurenidentität. 2.3.1, Die Konzeption der Protagonisten: Eckbert und Bertha leben, die Einsamkeit liebend, zurückgezogen auf einem abgelegenen Schloss, ohne sich jemals um die Angelegenheiten der Nachbarn zu sorgen, selbst ohne die Mauern ihres Heimes oft zu verlassen. Die umgebenden Ringmauern verdeutlichen ihre Abgeschiedenheit, die Begrenztheit, die Beschränktheit ihrer Existenz, gemäß Winfried Freund auch ‘Enge, Kreisen um sich selbst und die Abwehr von Kontakten, ein Leben in offenbar selbstgewollter Isolation, bestimmt von Berührungsängsten, ohne Anregung und das Bedürfnis nach persönlicher Erweiterung.’ Eckbert und seine Frau vertreten augenscheinlich die Tugenden der Aufklärung: ‘[…] die Mäßigkeit wohnte dort, und die Sparsamkeit selbst schien alles anzuordnen’ (ER S. 3). Selbst die seltenen Gäste ändern nichts an dem gewöhnlichen Ablauf. Die einzige intensivere Beziehung nach außen unterhält das Ehepaar mit dem zuweilen in der Nähe residierenden Walther, mit welchem sie im Laufe der Jahre eine immer ‘innigere Freundschaft’ verbindet. Eckbert habe sich an ihn geschlossen, ‘weil er an ihm ohngefähr dieselbe Art zu denken fand, der auch er am meisten zugetan war’ (ER S. 3). Auch in dieser Hinsicht verschließt sich Eckbert also Neuem, Unbekanntem, indem er nur homogenes Gedankengut die Ringmauern seines Heims passieren lässt. In ihrer Analyse deutet Barbara Neymeyr das Motiv der Einsamkeit an dieser Stelle als Signal für die ‘Gefahr einer bis zur Weltlosigkeit reichenden Isolation’, seine Beziehung zu Walther sei ein Symptom Eckberts ‘geradezu autistische[r] Selbstverfallenheit’. Indes zeigt Eckbert, nach außen hin zwar ‘heiter und aufgeräumt’ (ER S. 3), im Stillen ‘eine gewisse Verschlossenheit, eine stille zurückhaltende Melancholie’ (ER S. 3) – deutliche Zeichen der Unzufriedenheit. Der Grund für Eckberts Schwermut sowie die Verschlossenheit und Selbstisolation der Eheleute liegt in der geheimnisvoll bewahrten Vergangenheit Berthas, welche unverarbeitet, ins Unterbewusste verdrängt, in ihm gärt: ‘[…] er war schon sonst immer schwermütig gewesen, weil ihn die seltsame Geschichte seiner Gattin beunruhigte, und er irgendeinen unglücklichen Vorfall, der sich ereignen konnte, befürchtete […]’ (ER S. 21). Fink weist in diesem Zusammenhang auf die Rolle des Erzählers hin, der keine Verantwortung für seine Schilderung übernehme, sondern an einigen Stellen sogar bewusst vage bleibe, um eine Vieldeutigkeit der Handlung zu erzeugen. So spricht der Erzähler einleitend beispielsweise - ansonsten in seinen Aussagen konkret – davon, dass Eckbert und Bertha sich von Herzen zu lieben ‘schienen’ (ER S. 3), ohne diese relativierende Verrätselung anschließend zu begründen. Wie ein Chronist scheint er nur die Gegenwart zu kennen und ist dementsprechend kein auktorialer Berichterstatter. So verkündet er zu Anfang, dass Eckbert die Einsamkeit liebe, später heißt es allerdings, dass er sich über den Besuch Walthers freue. In ihrer zurückgezogenen Lebensweise erscheinen Eckbert und Bertha als Philister, die keinen Versuch unternehmen, ihre beschränkte Existenz zu erweitern, den sie um-schließenden Kreis zu durchdringen oder zu öffnen. Das Ehepaar ist demzufolge einer Welt der Eintönigkeit verhaftet, in der nichts auf das Phantastische und Wunderbare hindeutet, das der Leser durch die Gattungsbezeichnung ‘Märchen’ erwartet. Die Einsamkeit der Eheleute kontrastiert in ihrer selbstverschuldeten Beschränktheit mit der idyllischen, paradiesischen ‘Waldeinsamkeit’, von welcher Bertha im Folgenden berichtet. Winfried Freund sieht in seiner Interpretation des Blonden Eckberts die ritterliche Lebensweise des Protagonisten als Spiegel für den ‘Lebenswandel des Bürgertums im 18. Jahrhundert, seine Abgrenzung gegen den anderen und das andere, sein Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit und das ängstliche Hüten des erworbenen bescheidenen Wohlstands’, Eckbert und Bertha als Verkörperung der ‘von den Romantikern immer wieder gegeißelte[n] philisterhafte[n] Existenz’. Die Abgrenzung, die Furcht vor Vertrauen, der Argwohn des Ehepaares wird deutlich, als das unverarbeitete Geheimnis gelüftet wird: Mit dem wachsenden Vertrauen zu Walther verspürt Eckbert ‘einen unwiderstehlichen Trieb, sich ganz mitzuteilen’ (ER S. 4), den Freund durch Offenheit noch näher an sich zu binden und somit die Selbstisolation zu überwinden. Er bittet Bertha, die Geschichte ihrer Kindheit dem gemeinsamen Freund zu entdecken, bereut seine Offenheit jedoch unmittelbar darauf. 2.3.2, Berthas Verfehlung und deren Folgen: In direktem Zusammenhang mit Berthas Erzählung ihrer Kindheitserlebnisse geraten sowohl sie als auch ihr Ehemann in eine psychische Grenzsituation, weswegen eine Interpretation des Geschehens ihrer Vergangenheit an dieser Stelle notwendig ist. Mit Berthas Bericht entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem philisterhaften Alltag der Eheleute und dem naturhaften, wandelbaren Phantastischen. Bertha gelangt in ihrer Kindheit nach der Flucht aus ihrem (vermeintlichen) Elternhaus, in welchem sie der Vater aufgrund ihrer anscheinenden Nutzlosigkeit, ihrer Tagträumerei und ihres Müßiggangs züchtigte, nach einigen Irrwegen, in einen idyllischen, märchenhaften, fernab vom einengenden Alltag liegenden Locus amoenus. Winfried Freund deutet diesen Ort als wiedergefundenes Paradies: ‘Das Paradies erscheint als die Einheit von Ich und Welt, Mensch und Natur, die Rückkehr in den naiven Stand der Unschuld.’ Bertha lebt einige Jahre sorglos und in Einheit mit der Natur in dem Haus einer Alten, mit derem Hund und einem Vogel, welcher mit Perlen bestückte Eier legt und die schöne, ewig währende Waldeinsamkeit besingt, die sie um-gibt. Gleichwohl die Idylle zeitlos erscheint, wächst Bertha schließlich vom Kind zur jungen Frau heran. Diese individuelle Entwicklung lässt ihren analytischen, auf den eigenen Vorteil bedachten Verstand erwachen: ‘Ich war jetzt vierzehn Jahr alt, und es ist ein Unglück für den Menschen, dass er seinen Verstand nur darum bekömmt, um die Unschuld seiner Seele zu verlieren. Ich begriff […], dass es nur auf mich ankomme, in der Abwesenheit der Alten den Vogel und die Kleinodien zu nehmen, und damit die Welt, von der ich gelesen hatte, aufzusuchen’ (ER S. 14). Ihr Verstand lässt sie vom naiven Kind zur kalkulierenden, durch den Verlust der Unschuld von der intuitiven Einheit mit der Natur entfernten Erwachsenen werden. Von der Lektüre angeregt, entwirft sich Bertha eine Vorstellung ihres Lebens außerhalb der Idylle, wohl wissend um den Wert des Vogels und seiner Perlen in der Alltagswelt. Winfried Freund beschreibt Berthas Konflikt folgendermaßen: ‘Bertha, hin- und hergerissen zwischen der Waldeinsamkeit und den Verlockungen des Verstandes und ihrer Vorstellungen, entscheidet sich schließlich gegen das märchenhafte Idyll.’ Nach Freund liege Berthas moralische Schuld allerdings nicht im Erwachen ihres erwachsenen Verstandes, der zu ihrer individuellen Entwicklung gehört, sondern darin, dass sie sich völlig von den Verstandes- und Vorstellungskräften vereinnahmen lasse, ohne nach einer Synthese von naturhaftem und neuem Bewusstsein zu suchen. Heimlich verlässt sie die Waldeinsamkeit während der Abwesenheit der Alten und entwendet den wertvollen Vogel den Hund, ein Tier, welches die Treue symbolisiert, überlässt sie aus Angst, jedoch schweren Herzens seinem Schicksal, ohne ihre Fürsorge vermutlich verhungern zu müssen. Sie verlässt also aus eigenem Antrieb die naturhafte Einheit des Paradieses. Schon nach kurzer Zeit bereut sie ihren Entschluss und wird von Schuldgefühlen geplagt, welche sich darin äußern, dass sie oft die Alte sich entgegentreten sieht und von ihren Drohungen träumt. Um ihrer Schuldgefühle Herr zu wer-den, tötet Bertha schließlich den Vogel, der sie durch sein Lied schmerzhaft an den harmonischen Zustand erinnert, den sie voreilig verlassen hat. Freund deutet dies folgendermaßen:’ Der Mensch in seiner äußersten Verblendung verrät und mordet das, was ihm wahre Erfüllung hätte bringen können, und entfernt sich dabei von der Natur in dem Maße, wie er sich rechnend und projektierend dem Diktat des Verstandes unterwirft’.

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