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Gesellschaft / Kultur

Ines Triphaus-Giere

Tugenden: Orientierung für benachteiligte Jugendliche?

ISBN: 978-3-95425-184-1

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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 180
Abb.: 28
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Tugenden gehören nicht unbedingt zu den aktuellen und innovativen Begriffen, vielmehr kann ihnen schon fast ein angestaubtes Image attestiert werden. Demgegenüber steht vor allem im Kontext von pädagogischer Arbeit der Ruf nach der Vermittlung von Werten und Tugenden. Diese Forderung wird besonders häufig in Hinblick auf die gesellschaftliche und berufliche Integration von Jugendlichen mit niedrigem Bildungsniveau erhoben. Spielen Werte und Tugenden eine Rolle zum Eingang in die Berufsausbildung? Fordern die Anbieter von Ausbildungsplätzen tugendhafte Bewerber und sind daher Lehrer gefordert, die Tugenden ihrer Schüler zu stärken? Können Tugenden Jugendlichen mit schlechten Chancen auf dem Ausbildungsmarkt Orientierungen bieten? Werden Tugenden deontologisch verstanden oder verkürzt auf Sekundärtugenden und wird in der Vermittlung von Werten und Tugenden der Weg zu gesellschaftlich erwünschten Verhaltensanpassungen gesehen, so begrenzt sich in diesem Verständnis die Frage nach Orientierung für benachteiligte Jugendliche auf gesellschaftliche Integration. Dagegen steht das aristotelische Tugendverständnis in der Perspektive Lebensglück.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.4, Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche - eine ethische Anfrage an die Gesellschaft: Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen Werteorientierungen ausbildungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher in pluraler, individualisierter Gesellschaft sowie die, sich an diese Jugendlichen stellenden Herausforderungen in der Situation, den Übergang in die Berufswelt zu bewältigen. Den beschriebenen gesellschaftlichen Prozessen sind Jugendliche in besonderer Weise ausgesetzt, da die gesellschaftlichen und individuellen Anforderungen in der Lebensgestaltung und der Suche nach Orientierung die Jugendlichen in einer Lebensphase, die durch Suche nach einer eigenen Identität geprägt ist, besonders herausfordern. Für benachteiligte Jugendliche verschärfen sich die Aspekte der ´Risikogesellschaft` noch zusätzlich. Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche sind nicht nur ´Bildungsbenachteiligte`, sondern sie können, da ihre Lebensgestaltung und berufliche Biographisierung eingeschränkter Optionalität unterliegt, als Benachteiligte hinsichtlich ihrer Lebenschancen und möglicherweise auch ihrer Lebenszufriedenheit angesehen werden. Ihre Benachteiligung kann weitreichendere Auswirkungen haben, als Nachteile beim Erlangen eines (Wunsch-) Ausbildungsplatzes zu erfahren. Zur Benachteiligung am Ausbildungsplatzmarkt stellt sich die Frage, warum einer großen Anzahl von Jugendlichen, obwohl kein quantitativer Mangel an Ausbildungsplätzen mehr vorliegt, kein Ausbildungsplatz angeboten wird. Als Kriterien für die konstatierte ´Ausbildungsunreife` werden vielfach wertbezogene Aspekte, über die knapp 300 000 Schulabgänger pro Jahr nach Meinung von Berufsbildungsexperten nicht verfügen, genannt. Explizit kennzeichne sich demnach ´Ausbildungsreife` durch eine Reihe wertbezogener Eigenschaften und Verhaltensweisen, die dem Bereich der gesellschaftlich erwarteten Sekundärtugenden zuzuordnen sind. Daher standen nach den Werteorientierungen ausbildungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher im Unterschied zu Jugendlichen mit einem höheren Schulschluss zu fragen. Dazu wurden Ergebnisse der empirischen Jugendforschung angefragt, mit denen spezifische Abhängigkeiten zwischen niedrigem Bildungsniveau und bestimmten Haltungen zu wertbezogenen Fragen, z. B. höhere Gewaltakzeptanz, geringere Beziehungsorientierung u. a. (vgl. Kap. 3.2 vgl. Anhang 2), im Vergleich zu Jugendlichen mit einem höheren Bildungsniveau, herausgestellt werden konnten. Sind es diese spezifischen Aspekte ihrer Werteorientierungen, aufgrund derer der Übergang der beschriebenen Gruppe Jugendlicher in die Berufsausbildung häufiger problematisch verläuft als der anderer Jugendlicher? Können die Werteorientierungen, die hier verstanden werden als innere Haltung des Subjekts - zumindest teilweise - als ursächlich für Benachteiligung gesehen werden? Dazu stehen zwei Aspekte zu bedenken, einerseits ist für die empirische Sozialforschung ‘das Explanandum [.] nicht Persönlichkeitseigenschaften von Jugendlichen und auch nicht schulische Leistungen, sondern Werteorientierungen’, und ebenso sind direkte Rückschlüsse von geäußerten Werteorientierungen auf personale Identität nicht möglich. Desweiteren liefert auch die Berufsbildung keine Definition von ´Ausbildungsreife`, die dem personalen Bezugspunkt von ´Reife` gerecht würde, vielmehr beschreiben Berufsbildungsexperten die geforderte ´Ausbildungsreife` indirekt über wertbezogenen Kriterien und Verhaltensweisen. Aufgrund welcher Kriterien findet demnach die Auswahl von Ausbildungsplatzbewerbern statt? Tatsächlich findet die Selektion am Übergang in den Beruf in erster Linie nicht anhand von Persönlichkeitsaspekten der Bewerber, sondern anhand des Schulabschlusses, des Bildungsniveaus, statt. Damit kann als beachtenswert herausgestellt werden, dass die genannten Indikatoren für ´Ausbildungsreife`, die von Ausbildungsplatzbewerbern eingefordert werden, und die in der bildungspolitischen Diskussion z. B. im Rahmen des ´Ausbildungspaktes` im Mittelpunkt stehen, nicht identisch mit dem primär angelegten Selektionskriterium anzusehen ist. Daher stellte sich die Frage nach einer Abhängigkeit der Werteorientierungen vom Bildungsniveau, sowie zum Einfluss weiterer gesellschaftlich-sozialer Faktoren auf die Werteorientierungen. Aufgrund welcher Abhängigkeiten äußern Jugendliche mit niedrigem Bildungsniveau von der Mehrheit der Jugendlichen abweichende Werteorientierungen? Mit den Überlegungen in Kap. 3.3 weisen Werteorientierungen einen Zusammenhang mit familialen Sozialisationserfahrungen, sozialer Ungleichheit und insbesondere dem Bildungsniveau auf, die einander wechselseitig beeinflussen. Ebenso nimmt der gesellschaftliche Wertehorizont Einfluss auf Werteorientierungen des Individuums. Allerdings kann mit den Überlegungen zur pluralen, auch liberalistische Aspekte enthaltenden Gesellschaft, eine funktionale Differenzierung, eine Fragmentierung der Gesellschaft auch hinsichtlich der Werte angenommen werden, und damit auch von einem erhöhten spezifischen Einfluss des gelebten Wertehorizontes des jeweiligen, durch die Person partikulierten, gesellschaftlichen Teilssystems auf die Werteorientierungen ausgegangen werden. Desweiteren kann eine Abhängigkeit zwischen Werteorientierungen und sozialer Selektion in beide Richtungen beschrieben werden, so dass bei Jugendlichen dieser Altersgruppe von Erfahrungen mit sozialen Selektionsprozessen ausgegangen werden kann, die Einfluss auf ihre moralische Entwicklung genommen haben. Daher kann zusammenfassend für ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche im Mittel von einer ungünstigen Korrelation der einzelnen Faktoren gesprochen werden. Schließlich stand die personale Identität im Mittelpunkt, denn wenn Werteorientierungen als Haltung des Subjektes verstanden werden, kann der individuelle Einfluss einer Person auf die Ausprägung der persönlichen Werteorientierungen nicht missachtet werden. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der personalen Identität des Einzelnen und seinen Werteorientierungen? Eid beschreibt den Einfluss von Sozialisationserfahrungen und gesellschaftlicher ´Schichtzugehörigkeit` auf die Ausprägung individueller Wertekonzepte und die Entwicklung zu einem freien sittlichen Subjekt. Damit stellt er die moralische Kompetenz des Einzelnen heraus, die er als maßgebliche personale Eigenschaft zur Anerkennung von Werten und damit zur Ausbildung der persönlichen Werteorientierungen versteht. Somit kann ein Zusammenhang zwischen sozialen Faktoren und persönlichen Erfahrungen in direkter sozialer Umgebung mit der Ausprägung subjektiver Werteorientierungen über die moralische Kompetenz als personale Eigenschaft, bekräftigt werden. Zusammenfassend kann daher eine hohe Abhängigkeit der, im Mittel spezifisch von anderen Jugendlichen abweichenden Werteorientierungen ausbildungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher von spezifischen erlebten Erfahrungen festgehalten werden. Ebenso kann damit eine Verantwortung der Gesellschaft konstatiert werden. Denn, wenn gesellschaftliche Faktoren wie soziale Ungleichheit, Bildungsungleichheit und Auswirkungen gesellschaftlicher Fragmentierung auf einen gemeinschaftlichen Wertehorizont zu spezifischen Sozialisationserfahrungen führen, die die Werteorientierungen von Einzelnen in einer Weise prägen, die den Zugang zur Berufsbildung erschweren, wird dies hier als erneute Benachteiligung mittels der Potenzierung von schon erfahrenen benachteiligenden Faktoren angesehen. Damit stellt sich die Verantwortung der Gesellschaft auch unabhängig davon dar, ob das Bildungsniveau oder (zusätzlich) Aspekte der Werteorientierungen der jungen Menschen als Kriterien zur Selektion am Übergang in die Berufsausbildung und damit in die qualifizierte Berufstätigkeit angelegt werden. In beiden Fällen können gesellschaftliche Bedingungen, sowohl rückblickend auf die Entstehung von Ausbildungsplatzmarktbenachteiligung, als auch in der Perspektive der Verbesserung der Lebenschancen der benachteiligten Jugendlichen als verantwortlich angesehen werden. Entsprechend stellt sich die Frage, wie die Chancen der Jugendlichen am Ausbildungsmarkt und ihre Lebenschancen verbessert werden können. Wie kann positiver Einfluss auf ihre Werteorientierungen genommen werden und damit im optimalen Fall die Perspektiven für ein geglücktes Leben verbessert werden? Dazu wird hier die Persönlichkeit des Einzelnen in den Focus gerückt. Werteorientierungen sind abhängig von individuellen Kompetenzdimensionen und damit von personaler Identität zu sehen. Sie gründen sich in den Erfahrungswerten, sind integrativer Teil des persönlichen Daseins- und Weltverständnisses, und werden daher als veränderliche weltanschauliche, soziale und wirtschaftliche Bedingungen von Sozialisation und Identitätsfindung verstanden. Wenn Werteorientierungen in Zusammenhang mit personaler Identität, und personale Identität abhängig von erlebten Erfahrungen zu sehen ist, könnte dann in der Persönlichkeit des Einzelnen ein Bezugspunkt und in neuen Erfahrungsräumen eine Perspektive für die Orientierung des Einzelnen, und damit für seine Lebenschancen und Lebenszufriedenheit gesehen werden? Können mit diesen Überlegungen, in neuen Erfahrungsräumen, die unabhängig sind vom bisherigen sozialen Umfeld, wie sie z. B. eine betriebliche Berufsausbildung anbieten würde, die Werteorientierungen und die Persönlichkeit der Jugendlichen positiv beeinflusst werden?

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