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- Segregation oder Integration bei Demenz? Über das Erleben von Pflegenden in der stationären Altenhilfe
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Pflegende sind in der stationären Altenhilfe mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, welche häufig auch physisch und psychisch belastend wirken. Die Zunahme demenzieller Erkrankungen stellt hierbei eine der zentralen Herausforderungen dar, insbesondere wenn diese mit herausfordernden Verhaltensweisen einhergehen. Bei der Konzeption von Altenhilfeeinrichtungen wird dieser Umstand in den vergangenen Jahren bereits berücksichtigt. Dies zeigt sich unter anderem in der Implementierung verschiedenster Versorgungskonzepte. Die Wirkung dieser Konzepte auf die BewohnerInnen bleibt jedoch umstritten. Da die Arbeitszufriedenheit der Pflegenden die Versorgungsqualität der BewohnerInnen maßgeblich beeinflussen kann, wird im Rahmen dieser Untersuchung die Situation der Pflegenden in den Vordergrund gestellt. Es wurden Interviews mit Pflegenden geführt, aus denen sowohl die Herausforderungen als auch die positiven Aspekte der Arbeit, in Abhängigkeit vom jeweiligen Versorgungskonzept, extrahiert wurden. Des Weiteren wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet, die eine Hilfestellung für die Verantwortlichen in der stationären Altenhilfe darstellen können.
Textprobe: Kapitel 3.1, Effekte des Versorgungskonzeptes auf die BewohnerInnen: Zur Beurteilung der Effekte verschiedener Versorgungskonzepte für Menschen mit Demenz liegen Ergebnisse aus qualitativen sowie aus quantitativen Studien vor. So konnte im Rahmen der Begleitforschung zur Umsetzung von Hausgemeinschaften festgestellt werden, dass sich sowohl das körperliche Befinden als auch die kognitiven Fähigkeiten, die sozialen Beziehungen sowie die Stimmung, das Wohlbefinden und Verhalten bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Hausgemeinschaften positiver darstellte (Reggentin/Dettbarn-Reggentin 2006: 66-76). Auch bei einem Vergleich von Hausgemeinschaften mit traditionellen Versorgungskonzepten in den Niederlanden und Belgien konnten positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der BewohnerInnen von Hausgemeinschaften festgestellt werden. Allerdings traten in der herkömmlichen Versorgung seltener Unruhezustände auf und die BewohnerInnen fühlten sich häufiger zuhause als die BewohnerInnen der Hausgemeinschaften (de Rooij et al. 2007: 936-938). Des Weiteren musste erkannt werden, dass die BewohnerInnen von Hausgemeinschaften nicht immer wie geplant in das Tagesgeschehen einbezogen werden und an Aktivitäten teilnehmen konnten. Vielmehr sitzen einige der demenziell erkrankten BewohnerInnen teilnahmslos in den Gemeinschaftsräumen, während die Pflegenden die Mahlzeiten selbst zubereiteten, da eine Beteiligung der BewohnerInnen nicht möglich ist. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass die Wohnküche, welche häufig als Mittelpunkt der Hausgemeinschaften betrachtet wird, nicht von allen Bewohnerinnen und Bewohnern eigener Mittelpunkt empfunden wird, da dies beispielsweise auch der Garten oder die Werkstatt sein kann (Brüggemann et al. 2009: 156-157). Bei weiteren Untersuchungen zu Hausgemeinschaften konnte festgestellt werden, dass die BewohnerInnen, im Vergleich zu denen von SCUs, eine höhere Selbstständigkeit und Mobilität sowie eine geringere Aggressivität aufwiesen (Radzey/Heeg 2001: 25). Hieran anknüpfend ist jedoch festzuhalten, dass auch SCUs positive Effekte bewirken können. Die BewohnerInnen können beispielsweise mobiler bleiben und länger am Gemeinschaftsleben teilnehmen (BMFSFJ 2006: 147). SCUs scheinen im Vergleich zu integrativen Versorgungskonzepten mit einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, der positiven Affekte sowie einer höheren sozialen Aktivität und reduzierten negativen Affekten verbunden zu sein (Wahl/Schneekloth 2007: 45-46). Des Weiteren konnte in Studien gezeigt werden, dass der Abbau der Alltagskompetenzen im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs) bei Bewohnerinnen und Bewohner einer SCU, im Vergleich zu denen eines integrativen Pflegebereiches, insgesamt geringer waren. Auch das Interaktionsniveau zwischen Pflegenden und den Menschen mit Demenz konnte in dieser SCU positiver bewertet werden (U.S. Congress 1992: 117-121). Diese Befunde konnten in einer Langzeitstudie bestätigt werden. Hierbei wurde jedoch auch deutlich, dass die Lebensqualität der BewohnerInnen bei einer segregativen bzw. integrativen Versorgung insgesamt gleich zu bewerten ist (Reimer et al. 2004: 1088). In einer Studie aus der Schweiz, in der drei segregative Konzepte und ein integratives Konzept miteinander verglichen wurden, konnte in den Bereichen Ruhe/Unruhe, gute/schlechte Stimmung, Wachheit/Müdigkeit ebenfalls keine relevanten Unterschiede festgestellt werden. Die BewohnerInnen der Einrichtungen mit segregativen Versorgungskonzepten wiesen jedoch eine höhere Selbstständigkeit im Bereich der ADL auf als die BewohnerInnen der integrativen Einrichtung (Oppikofer et al. 2009: 25-27). Auch in einer deutschen Untersuchung konnten keine eindeutigen Ergebnisse ermittelt werden. Während beim integrativen Versorgungskonzept die Aktivitätenrate sowie die Besuchshäufigkeit von Angehörigen höher war, zeigten die demenziell erkrankten BewohnerInnen in der segregativen Betreuung mehr positive Gefühle und waren häufiger in Kompetenz fördernde Aktivitäten eingebunden. Dennoch konnte bei den Bewohnerinnen und Bewohnern in der integrativen Versorgung die bedeutsamere Verbesserung der Verhaltensauffälligkeiten nachweisen (Weyerer et al. 2004: 32-33/92). In Bezug auf die geistige Gesundheit und das Verhalten konnten auch negative Effekte festgestellt werden. So zeigten die BewohnerInnen einer SCU beispielsweise deutlich häufiger Depressionen und Anzeichen schlechter Stimmung sowie herausfordernde Verhaltensweisen als demenziell erkrankte BewohnerInnen in integrativen Versorgungskonzepten (Buchanan et al. 2005: 257-258). Insgesamt ist somit festzuhalten, dass anhand der aktuellen Datenlage zu den bewohnerbezogenen Effekten eine eindeutige Empfehlung eines dieser Versorgungs-konzepte nicht möglich erscheint. Demzufolge kann eine bedarfsgerechte Pflege der demenziell erkrankten BewohnerInnen nicht alleine auf Grundlage des Versorgungskonzeptes gewährleistet werden. Aus diesem Grund werden im Folgenden die Herausforderungen dargestellt, die für Pflegende bei der Versorgung dieser Personengruppen auftreten und die, bei fehlenden Bewältigungsressourcen, die Pflegequalität beeinflussen können. 3.2, Herausforderungen für Pflegende in der stationären Altenhilfe: Der folgende Abschnitt befasst sich ausführlich mit den Herausforderungen die Pflegende im Rahmen ihrer Tätigkeit in der stationären Altenhilfe bewältigen müssen. Hierbei sind zwei wesentliche Aspekte zu beachten: Das Forschungsinteresse war bislang fast ausschließlich auf mögliche Belastungen Pflegender ausgerichtet. Belastungen können, wenn entsprechende (Bewältigungs-)Ressourcen vorliegen, als Herausforderungen betrachtet werden (siehe hierzu auch Kapitel 4), weshalb diese Studien ebenfalls zur theoretischen Fundierung herangezogen werden. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Herausforderungen im Allgemeinen sowie in Bezug auf den Umgang mit Menschen mit Demenz zwar ausführlich erhoben wurden, jedoch fehlt weitestgehend eine Differenzierung anhand des umgesetzten Versorgungskonzeptes (Oppikofer et al. 2009: 3). Die bekannten Untersuchungen verfolgten zudem alle einen quantitativen Ansatz. Es ist somit fraglich, ob sie geeignet sind das subjektive Erleben der Pflegenden in Abhängigkeit vom Versorgungskonzept voll umfassend zu erheben. Aus diesem Grund erfolgt zunächst eine Darstellung der Befunde zu den Herausforderungen im Umgang mit demenziell erkrankten BewohnerInnen sowie zu den allgemeinen Herausforderungen in der stationären Altenhilfe (in Anlehnung an die Klassifikation nach Zimber et al. 2000). Abschließend werden die wesentlichen Erkenntnisse der Studien vorgestellt, die die Situation der Pflegenden in integrativen und segregativen Settings miteinander verglichen haben. 3.2.1, Herausforderungen bei der Pflege von Menschen mit Demenz: Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben ist in Einrichtungen der stationären Altenhilfe die Pflege von Menschen mit Demenz ein wesentlicher Bestandteil der Arbeitsaufgabe der Pflegenden. Allgemein wird der Umgang mit verwirrten Bewohnerinnen und Bewohnern von den Pflegenden als schwierig empfunden (Heinemann-Knoch et al. 1998: 216 Simon et al. 2005: 19), da sie sich hierbei teilweise unsicher und hilflos fühlen (Kruse et al. 1992: 135). Als problematisch werden insbesondere Situationen im Zusammenhang mit der Ernährung, Kommunikation und Körperpflege erlebt. Jedoch sind auch die Bereiche Orientierung, Aggressivität, Umherwandern und Abwehrverhalten problembehaftet (Rüsing et al. 2008: 310-311) und mit Herausforderungen verbunden. Brodaty et al. (2003) stellten fest, dass Pflegende demenziell erkrankte Bewohner häufig eher negativ als positiv wahrnehmen und den Umgang mit ihren Verhaltensweisen als herausfordernd betrachten. In ihrer Untersuchung gab teilweise deutlich mehr als die Hälfte der Pflegenden an, dass es eine Herausforderung ist, mit demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern umzugehen, da diese manipulativ (52,7 %) sind und ständig Aufmerksamkeit einfordern (53,7 %). Zudem reagieren sie häufig negativ auf die Pflegehandlungen (60,3 %), sind fordernd (61,9 %) und unberechenbar (64,8 %). Darüber hinaus wird das Verhalten dieser BewohnerInnen als herausfordernd empfunden, da sie absichtlich ‚schwierig‘ sind (65,5 %) und sich stur (65,8 %) bzw. aggressiv (77 %) verhalten (Brodaty et al. 2003: 586-588). Trotz der vorgestellten Befunde muss betont werden, dass sich die Pflegenden in der Regel nicht durch die demenziell erkrankten BewohnerInnen an sich herausgefordert fühlen. Viel mehr sind es die schweren Verhaltensauffälligkeiten, die für die Pflegenden eine Herausforderung darstellen können. Zu diesem herausfordernden Verhalten zählt insbesondere die Aggressivität gegenüber den Pflegenden sowie gegenüber anderen Bewohnerinnen und Bewohnern. Darüber hinaus werden jedoch insbesondere ständiges Schreien und Rufen als große Herausforderung erlebt. Diesem Verhalten kann in Einrichtungen mit einem großen Anteil an Doppelzimmern eine besondere Bedeutung beigemessen werden. Zudem besteht die Herausforderung darin Außenstehenden, wie beispielsweise Angehörigen, immer wieder zu erklären, weshalb nicht umgehend auf die Rufe reagiert wird. Des Weiteren stellt die sogenannte Weglauf- bzw. Hinlauftendenz der BewohnerInnen die Pflegenden ebenso vor Herausforderungen wie sexuelle Übergriffe auf die Pflegenden oder andere BewohnerInnen. Aber auch das Ablehnen der ‚notwendigen‘ Hilfen kann zu Belastungen bei den Pflegenden führen (Blass et al. 2008: 50).
Pajam Rais Parsi wurde 1979 in Oberbayern geboren. Nach seiner Ausbildung zum examinierten Altenpfleger lag sein Arbeitsschwerpunkt im Gerontopsychiatrie, wodurch er auf eine umfassende berufliche Erfahrung im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen zurückgreifen kann. Sein theoretisches Wissen konnte er im Rahmen eines Bachelorstudiums (Pflegepädagogik) sowie eines Masterstudiums (Public Health) weiter vertiefen. Zudem konnte er sich intensiver mit der wissenschaftlichen Betrachtung der Versorgungssituation demenziell erkrankter Menschen sowie den Versorgungsstrukturen im Bereich der stationären Altenhilfe im Allgemeinen auseinandersetzen. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Lehrkraft an einer Berufsfachschule für Altenpflege ist Herr Rais Parsi aktuell als Mitarbeiter einer Kreisverwaltungsbehörde für die Umsetzung und Weiterentwicklung des Seniorenpolitischen Gesamtkonzeptes zuständig.
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