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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 160
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Totale Schulverweigerung ist ein zunehmendes Problem an deutschen Schulen. Bei der Entwicklung passender pädagogischer Handlungskonzepte steht die Frage nach den Ursachen von Schulverweigerung an erster Stelle, um der Problematik prozessorientiert, aber auch präventiv zu begegnen. Das vorliegende Buch beleuchtet insbesondere familiäre Einflussfaktoren, aber auch bildungspolitische und jugendtypische Bedingungen. Entsteht Schulverweigerung insbesondere in bildungsfernen, sozioökonomisch benachteiligten Elternhäusern, oder kann die Schule als Institution, und hier insbesondere auch die Lehrerschaft, nicht mehr mit den Jugendlichen von heute umgehen? Um Antworten darauf zu finden, wurde von der Autorin eine Befragung in einem Schulverweigerer-Projekt durchgeführt und mit Ergebnissen anderer einschlägiger Studien verglichen. Des Weiteren bietet das vorliegende Buch Handlungsansätze zur verbesserten Unterrichtsgestaltung und Elternarbeit als Fundamente der Prävention von Schulverweigerung.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Diskurs der Erklärungsmodelle von Schulabsentismus im familialen Kontext: Ziel dieser Arbeit ist es, Erklärungsmodelle und Ursachenbezüge des Schulabsentismus in familienstrukturellen und familiendynamischen Prozessen darzustellen. Dazu ist es notwendig, sowohl die Mikrosysteme Familie und Schule als solche, als auch auf der Makroebene Beziehungen und Einflüsse zu anderen Systemen zu betrachten. In diesem Fall ist es das Mesosystem aus Schule und Familie als pädagogischer Systemverbund und auf Makroebene der Einfluss des sozioökonomischen Status auf die Familie und damit die Kinder mit schulabstinentem Verhalten. 4.1, Vorbetrachtung: Struktureller Wandel des Mikrosystems Familie – Auswirkungen auf Bildung und Erziehung: Die tief greifenden Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft haben die Lebensbedingungen der Familien umfassend verändert. Daraus ergibt sich ein neues Aufgabenspektrum für die Eltern und die Bildungsinstanz Schule. Rahmenbedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, sind heute geprägt durch die Zunahme von Kleinfamilien und Einpersonenhaushalten, der Notwendigkeit großer und dauerhafter Mobilität und dem erhöhten Risiko, arbeitslos zu werden (vgl. Schreiber-Kittl/Schröpfer 2002, 23). Durch diese Faktoren wird das soziale Gefüge insgesamt nachhaltig verändert. Dies bedeutet nicht nur soziale Trennungen im Sinne von Scheidung, Verlust von Bezugspersonen, Wechsel von Freundschaften und Nachbarschaften, sondern auch örtliche Veränderungen durch Anpassung an die arbeitsmarktübliche regionale Mobilität. Lebenslange persönliche Neuorientierungen und Anpassungsprozesse sind die notwendige Konsequenz. Möglicherweise entstehende Trennungsängste sind schwerwiegende, ernstzunehmende Ängste, die u. a. Beachtung bei Lehrern im Unterrichtsalltag verlangen (vgl. Wittrock/Schulze 2005, 11). Nicht umsonst werden Trennungsängste als eine Ursache schulabstinenten Verhaltens erkannt. Die Rolle der Frau in der Familie hat sich verändert. Neben dem klassischen Bild der Hausfrau und Mutter, sind viele Frauen heute berufstätig und streben eigene Karrieren an. Ein weiterer Grund für die starke Zunahme berufstätiger Mütter schulpflichtiger Kinder ist die Notwendigkeit, durch ein zweites Einkommen den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Dieser Bedarf setzt indes ein soziales Gefüge voraus, welches die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt. Die Bildungsstätte Schule ist Bestandteil dieses sozialen Gefüges (vgl. Rüegg 2001, 17). Einen wichtigen Aspekt des familialen Wandels bilden die seit Jahren steigenden Scheidungsquoten. Die Ehe ist nicht mehr das entscheidende Merkmal einer Familie. Es gibt neue Beziehungsentwürfe, die eine Reihe vielfältiger Familienzusammensetzungen zur Folge haben. So sind Ein-Eltern- oder Patchwork-Familien heute keine Seltenheit mehr (vgl. Ganter-Bührer 1991, 162). Generell ist ein starker Anstieg Alleinerziehender zu verzeichnen. Nach dem Mikrozensus 1998 sind 1,3 Millionen Haushalte (entspricht 3,6 %) in Deutschland Alleinerziehenden-Haushalte mit Kindern über und unter 18 Jahren. 1997 lag die Rate noch bei 3,4 %. Von den Alleinerziehenden waren 1998 87,5 % Mütter (vgl. Ott/Strohmeyer In: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2005, 34). In vielen Familien wachsen Kinder als Einzelkinder auf. Dieser Trend wird sich in Zukunft weiter fortsetzen. Ihr Interaktionsrahmen speziell mit anderen Kindern wird auf diese Weise eingeschränkt. Auf Grund der mangelnden Gruppenerfahrungen, neigt ein Teil der Kinder zu Anpassungsschwierigkeiten in der Schule, sind ängstlich oder stark aufmerksamkeitsbedürftig (vgl. Wittrock/Schulze 2005, 10). Eng verbunden mit der Familienform sind die sozioökonomischen Lebensverhältnisse der Familie, welche wiederum vom Bildungsniveau und Erwerbsstatus der Eltern abhängig sind. Mit zunehmender Kinderzahl und in Alleinerziehenden-Haushalten ist das Armutsrisiko vergleichsweise hoch (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, 76). Zudem werden Familien in ihren Kulturen und Traditionen mannigfaltiger, was zu unterschiedlichen Vorstellungen und Auffassungen von Schule führt (vgl. Rüegg 2001, 17 ff.). Betrachtet man die familialen Konstellationen von Schülern einer beliebigen Schulklasse, wird deutlich, dass Rollen- und Normbilder der Familie nur schwer zu fassen sind. Die daraus entstehenden pluralistischen Erziehungsformen unterscheiden sich wesentlich in ihren Vorstellungen in Bezug auf die Stellung des Kindes gegenüber Erwachsenen, dem Sinn der Arbeit, der Freizeitgestaltung und der Einstellung zu Glauben und Wissen. Für Schulen ist es eine Herausforderung, mit dieser Pluralität umzugehen (vgl. Warzecha 1999, 11). Warzecha meint dazu, dass Kinder und Jugendliche heute in einem Klima der Desorientierung und des ständigen Wandels aufwachsen. Dies bringt Verunsicherung hinsichtlich der Pluralität von Lebenswegen mit sich (vgl. Warzecha 1999, 11). Das breite Spektrum an Möglichkeiten, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben, sozialen und kulturellen Interessen nachzugehen, birgt wegen des Fehlens verbindlicher Orientierungen ein hohes Risiko für Jugendliche (vgl. Wittrock/Schulze 2005, 14 f.). Die Familie selbst kann zunehmend weniger Struktur bieten, da sie selbst einem Entstrukturierungs- und Enttraditionalisierungsprozess unterworfen ist. Gleichzeitig weichen verbindliche Normen und Werte in der Gesellschaft auf (vgl. Warzecha 1999, 11). ‘Das Eltern-Kind-Verhältnis ist partnerschaftlicher, emotionaler, kommunikativer und argumentativer geworden.’ (Rüegg 2001, 18). Auch innerhalb der Familie ist eine Individualisierungstendenz festzustellen, die mit größerer Wertschätzung und mehr Handlungsspielräumen für Kinder einhergeht (vgl. Fend 1990, 131). Die Werte in der elterlichen Erziehung haben sich gleichzeitig verändert. Werte wie Stabilität, Ordnung und Einheitlichkeit, die Sicherheit gaben, sind als Orientierungspunkte verloren gegangen (vgl. Fend 1990, 114). ‘Argumentative Erziehungsformen korrespondieren in der Regel mit Erwartungshaltungen der Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Rücksichtnahme.’ (Fend 1990, 113). Die größere Entwicklungsfreiheit erfordert ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Mit dem Wegfall äußerer Disziplin ist es von Nöten, vermehrt innere Disziplin aufzubauen. Außerdem muss der Rückgang traditioneller Moral durch verantwortungsbewusste und rationale Lebensplanung kompensiert werden (vgl. Fend 1990, 130). Das Freizeitverhalten vieler Kinder und Jugendlicher hat sich stark verändert. Früher war Freizeit geprägt von Nicht-Kontrolle der Eltern. Heute ist die Freizeit häufig vollständig institutionalisiert und von Erwachsenen organisiert. Es gibt wenige Freiräume für Probehandeln der Kinder (vgl. Wittrock/Schulze 2005, 13). Ebenso hat sich das Konsumverhalten in der Familie grundlegend gewandelt. Primär unter Schulkindern herrscht heutzutage ein regelrechter Konsumzwang. Dies verschärft besonders die Lage für Kinder aus Multiproblemfamilien und unterstützt damit Ausgrenzungsprozesse (vgl. Wittrock/Schulze 2005, 12). Im gleichen Maße hat sich das Medienverhalten verändert. Problematisch sind dabei nicht die Medien selbst, sondern vielmehr die fehlende Diskussion zwecks Verarbeitung mit den Kindern. Zudem herrscht eine Kluft zwischen medial dargestellten Familien und real vorhandenen familialen Beziehungen, Problemen und Lösungsstrategien. Wittrock und Schulze sprechen hier von einer ‘medial gesteuerten Familienorientierung’ (Wittrock/Schulze 2005, 13). In Folge der Pubertät findet ein Wandel im Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern statt. Die Adoleszenz ist ein Entwicklungsvorgang mit dem Resultat der Loslösung von den Eltern (vgl. Fend 2001, 270). Sie muss als Abarbeitung von Spannungen verstanden werden, die aus den zahlreichen Entwicklungsprozessen entstehen. Persönliche Sinngebung und Identitätsfindung sind dabei übergreifende Zielsetzungen dieser Prozesse (vgl. Fend 1990, 131). Zudem werden Erziehungsaufgaben in der Jugendphase mehr durch außerfamiliale Institutionen, wie Schule, Peer-group oder Vereine, übernommen. Das schwächt die Autorität der Eltern (vgl. Oerter/Montada 1998, 114). Der Jugendliche lässt sich von seinen Eltern weniger vorschreiben. Stattdessen müssen viele Dinge verhandelt und Kompromisse gefunden werden. Haben Eltern und/oder Kinder keine oder schlechte Fähigkeiten dazu, werden die Jugendlichen orientierungsloser und der Einfluss der Eltern auf ihre Kinder sinkt (vgl. Fend 2001, 275 ff.). Ähnliche Beziehungsschwierigkeiten können zwischen Lehrern und Schülern auftreten. Die Institution Schule muss sich diesem Entwicklungsprozess der Schüler stellen und sich dabei als Stütze, nicht als Gegner verstehen (vgl. Fend 1990, 142). 4.2, Zusammenhänge im Spannungsfeld Familie und Schule: Mit Beginn des Schulalters interagiert ein Kind nicht mehr nur in seiner Familie, dem Sportverein oder der Kindertagesstätte. Es kommt eine weitere Lebenswelt hinzu, die Schule, die einen entscheidenden Einfluss auf das Kind haben wird. Damit diese Entwicklung positiv für das Kind verläuft, müssen beide Lebenswelten zusammenarbeiten und sich aufeinander abstimmen. Die neuen Familienmodelle, die gestiegenen Qualifikationsanforderungen, wie auch organisatorische und strukturelle Mängel in Vormittagsschulen haben dazu geführt, dass die Anforderungen an die Schüler und deren Familien stark gewachsen sind (vgl. Holtappels In: Schirp/Schlichte/Stolz 2004, 154). Aus struktureller Sicht werden die veränderten Bedürfnisse der Familien in der Schule bereits mehr berücksichtigt. Aktuelles Beispiel dafür ist die vermehrte Einrichtung von Ganztagsschulen, in denen Schüler auch am Nachmittag pädagogisch betreut werden und an der Mittagessenversorgung teilnehmen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, 57). Veränderungen und Probleme in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen werden in den angewandten schulpraktischen Lehr- und Lernmethoden sowie Erziehungsweisen kaum entsprechend beachtet. Somit driften gesellschaftliche und familiale Sozialisation sowie elterliche Erziehung und schulischer Auftrag auseinander. Dies trägt dazu bei, dass eine wachsende Zahl von Schülern mit einem schrittweisen Rückzug aus dem Unterricht und der Instanz Schule reagiert. Für schulischen Erfolg und vor allem für die Vorbereitung auf ein Leben nach der Schule ist demnach die Berücksichtigung des familialen Lebensraumes unverzichtbar (vgl. Schultz/Jacobs/Schulze 2006, 333). Die intensive Gemeinschaftsarbeit von Lehrern und Eltern wird als effektivste Maßnahme zur Prävention und Intervention bei drohendem Schulabsentismus angesehen (vgl. Ricking 2003,180). Dabei ist die Einbeziehung der Eltern als wichtige Ressource für die Bildungs- und Sozialentwicklung des jungen Menschen, zu sehen. Deshalb muss eine Kooperation zwischen beiden Lebensräumen eines Schülers stattfinden, die über formale, gesetzlich verankerte Zusammenhänge hinausgeht. Wichtig ist dabei eine Zusammenarbeit, die von Partnerschaftlichkeit, gegenseitiger Ergänzung und Anerkennung von Kompetenzen bestimmt wird. Diese von allen Seiten als hochrelevant eingeschätzte Zusammenarbeit gilt allgemein als mangelhaft. Derzeitig ist die Kooperation Elternhaus-Schule von gegenseitiger Unwissenheit über jeweilige Erwartungen und Bedürfnisse geprägt (vgl. Schultz/Jacobs/Schulze 2006, 333). Unzufriedenheit mit der Erziehungsleistung, Uneinigkeit, Misstrauen und Vorurteile prägen nicht selten die Beziehungen zwischen Lehrern und Eltern (vgl. Ricking 2006 b, 186). Als transparenzhemmender Faktor gilt die Tatsache, dass Schule in Deutschland, anders als in anderen Ländern, nicht als öffentliche Veranstaltung, sondern als geschlossene gesehen wird (vgl. Kastirke/Jennessen 2005, 130). Die Grundlage der Partizipation der Eltern an der Schule bildet das Schulgesetz. In den §§ 55-63 des SchulG LSA sind die Mitwirkungsrechte der Eltern an schulischen Entscheidungen gesichert (vgl. §§ 55-63 SchulG LSA 2005). Das Schulgesetz gibt den Eltern damit eine Möglichkeit zur Mitwirkung. Im Gegenzug dazu haben Eltern nach § 43 Abs. 1 SchulG LSA nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, an der Bildung und Erziehung der Kinder mitzuwirken. Darin heißt es weiter, ‘Erziehungsberechtigte und Schule unterstützen sich bei der Erziehung und Bildung. Die Erziehungsberechtigten […] haben dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler am Unterricht sowie den sonstigen Veranstaltungen der Schule teilnehmen und ihre Pflichten als Schülerinnen und Schüler erfüllen sie haben die Schülerinnen und Schüler dafür zweckentsprechend auszustatten’ (§ 43 Abs. 1 SchulG LSA 2005). Dieser Paragraph unterstreicht damit die allgemeinen Regelungen zur Schulpflicht (§§ 36, 40, 44 a SchulG LSA 2005), indem er explizit die Eltern für deren Erfüllung verantwortlich macht. Zudem werden hier nochmals die Grundsteine für eine gemeinsame Verantwortungsübernahme über die Erziehung und Bildung des Kindes gelegt (vgl. §§ 36, 40, 44 a SchulG LSA 2005). Das Grundgesetz (GG) räumt sowohl den Eltern nach Art. 6 Abs. 2 GG als auch der Schule nach Art. 7 Abs. 1 jeweils einen eigenständigen Erziehungsauftrag ein (vgl. Art. 6 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 GG 2006). Da beide diesen an ein und demselben Kind ausüben, müsste eine Kooperation beider selbstverständlich sein (vgl. Ricking 2006 b, 186). Eltern haben laut § 1626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) das Recht auf elterliche Sorge für ihr Kind und damit die Pflicht, nach § 1631 BGB ‘[…] das Kind zu pflegen, zu erziehen und zu beaufsichtigen […]’ (vgl. §§ 1626, 1631 BGB 2004). Dazu gehört auch, dem Kind eine angemessene Bildung zu ermöglichen und diese zu fördern (vgl. Ricking 2006 b, 187). Dazu bestimmt § 33 Abs. 1 des SchulG LSA das Recht des Kindes auf Bildung und verpflichtet die Erziehungsberechtigten nach Abs. 2 des § 33, ihre Kinder, je nach Fähigkeiten und Neigungen, dabei zu unterstützen (vgl. § 33 SchulG LSA 2005). Mit Blick auf die Intervention und Prävention von Schulabsentismus sind diese Pflichten der Eltern kritisch zu sehen. Hintergrund dessen ist, dass Mitarbeiter im Schuldienst und der Jugendhilfe zunehmend feststellen, dass die Befähigung der Eltern – insbesondere aus benachteiligten Milieus – ihren Erziehungspflichten nachzukommen, unzureichend bis schlecht sind. Ihre Möglichkeiten die Kinder zu fördern, zu beraten und zu unterstützen, sind durch fehlende Ressourcen, Mangel an Wissen und Überlastung mit eigenen wirtschaftlichen und sozialen Problemen begrenzt (vgl. Schreiber 2006, 184). Eltern müssen darin ermutigt werden, die ihnen zur Verfügung stehenden (sehr unterschiedlichen) Ressourcen zur Unterstützung des Bildungsprozesses ihrer Kinder einzubringen (vgl. Verein für öffentliche und private Fürsorge 2006 Abruf vom 28.12.2006, 22). Indes verpflichtet das Schulgesetz Sachsen-Anhalts die Bildungseinrichtung Schule nach § 43 Abs. 2 lediglich zur Information der Eltern (vgl. § 43 Abs. 2 SchulG LSA 2005). Regelungen bezüglich einer Verpflichtung zur aktiven Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern sowie deren Ausgestaltung fehlen gänzlich. Die Heterogenität der schulischen und familialen Sozialisation, die sich in unterschiedlichen Erziehungszielen und -stilen äußert, ruft Desorientierung hervor und kann die Schüler überfordern. Dieses Spannungsfeld widersprüchlicher Zielvorstellungen führt zu Unsicherheit, welche gepaart mit Schulschwierigkeiten zur Verweigerung des Schulbesuchs führen können (vgl. Ganter-Bührer 1991, 62). Auf Grund der genannten Veränderungen, welche die Kindheit und Jugend heute prägen, muss sich Elternarbeit als schulische Aufgabe wandeln (vgl. Wittrock/Schulze 2005, 15). Elternarbeit, bei der die Kooperationspartner auf einer Ebene agieren, ist dabei äußerst wichtig (vgl. Sodogé/Eckert 2004, 453). Praktizierte Werte-, Normen- und Sprachmuster in der Schule orientieren sich an den Normen, Werten, Sprach- und Lebensgewohnheiten der bürgerlichen Mittelschicht. Um den Schulalltag zu meistern und ‘Schüler’ zu sein, benötigen die Kinder und Jugendlichen Kompetenzen wie Leistungsbereitschaft, Frustrationstoleranz, Ich-Kontrolle und Eingliederungsfähigkeit in die soziale Gruppe. Diese Kompetenzen kann ein Kind nur durch außerschulische Leitbilder und Identifikationen erwerben. Viele Kinder und Jugendliche können aus ihrer familialen und gesellschaftlichen Sozialisation heraus nicht auf dieses Fundament zurückgreifen. ‘Häufig werden in Familien mit niedriger sozialer und ökonomischer Position die in der Schule geforderten kognitiven, motivationalen, sprachlichen und sozialen Kompetenzen weniger gefördert.’ (Zens et al. 2002, 152). Diese Jugendlichen können sich in Folge dessen nicht mehr mit den schulischen Anforderungen identifizieren, da sie eine Diskrepanz zwischen ihrer Familien- und der Schulkultur erleben (vgl. Kiy/Schulze 2004, 152). Erst ein sicheres Einkommen, genügend Wohnraum, kognitive und soziale Kompetenzen, Selbstvertrauen und gesellschaftliche Akzeptanz befähigen Eltern dazu, auch unterstützend auf ihre Kinder einzuwirken (vgl. Thimm 2000, 216).

Über den Autor

Nicole Mösch-Prill wurde 1978 in Halle/Salle geboren. Ihr Studium der Heilpädagogik an der Hochschule Magdeburg schloss sie 2007 erfolgreich mit dem Diplom ab. Schon während des Studiums sammelte die Autorin umfassende Erfahrungen in der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen und Schulverweigerern. In den folgenden Jahren engagierte sie sich insbesondere für die berufliche Integration benachteiligter Jugendlicher sowie in der Suchthilfe. Bis heute ist Nicole Mösch-Prill als Förderschullehrerin in einer Oberschule in einem Brennpunktstadtteil Bremerhavens tätig.

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