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Gesellschaft / Kultur

Heike Vogt

Psychische Erkrankung: Vom Stress zur Resilienz

Ein systemische Perspektive auf Belastungen und Bewältigungsversuche von Kindern und Partnern psychisch kranker Menschen

ISBN: 978-3-95425-368-5

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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 216
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das vorliegende Buch setzt ausgehend von einer stresstheoretischen Grundlegung der Manifestation einer Psychopathologie im Familiensystem einen Fokus auf die psychosozialen Belastungen und Bewältigungsversuche von Kindern als Angehörige psychisch kranker Menschen. Im sozialwissenschaftlichen Diskurs bleibend erfolgt dabei eine Abkehr von den Befunden der High-Risk-Forschung hin zur Resilienz, welche hierbei als eine der zentralen Moderatoren fungiert. Die Resilienz der Kinder wird weiterhin durch einen anderen gesunden Elternteil erheblich gestärkt. Erfolgreiche Bewältigungsversuche von Partnern psychisch kranker Menschen moderieren die Lebenswelt der betroffenen Kinder maßgeblich zum Positiven. Aus diesem Grund geht eine kongruente, nahezu gleichwertige Darstellung der psychosozialen Belastungen und Bewältigungsversuche im Teilsystem Paarbeziehung dem beschriebenen Theorieteil voraus. Der sich anschließende Exkurs zum Stigma psychische Krankheit intendiert die selbstreferenzielle Verstärkung auf die Stressrelevanz beider Angehörigengruppen zu verdeutlichen. Handlungsimplikationen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene runden das Buch ab.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2.3, Stress und Coping in der Bedeutung für die Partnerschaft: Im folgenden Kapitel werden Erklärungen für die häufig schlechte Qualität und den negativen Verlauf und Ausgang von Partnerschaften klinisch relevanter Paare im Stress und Coping gesucht. Die Bedeutung von Stress liegt nach BODEMANN in vier interagierenden destabilisierenden Effekten auf die Partnerschaft (Vgl. BODEMANN 1999, S. 228/229 BODEMANN 2000, S. 83-87 BODEMANN 2003, S. 491-494): Einschränkung der gemeinsamen Zeit, die das Wir-Gefühl schädigt: - Verschlechterung der Kommunikationsqualität um 40 % bedingt durch eine Zunahme an verbaler, paraverbaler und nonverbaler Negativität, Egozentrismus sowie Rückzug und soziale Zurückweisung des Partners. - Negative Auswirkungen von stressbedingten psychischen und/oder somatischen Beeinträchtigungen. - Freilegung problematischer Persönlichkeitsmerkmale. Von BODEMANNS destabilisierenden Effekten scheint die drastische Abnahme in der Kommunikationsqualität zwischen den Partnern für die Fragilität von Partnerschaften mit psychisch kranken Menschen besonders verantwortlich zu sein. Zahlreiche Studien, die sich für klinisch relevante Partnerschaften interessieren, belegen eine negativ getönte Kommunikation (Vgl. Kapitel 3.1.6). Insbesondere für Paare mit einem depressiv erkrankten Partner gelten feindselig kritisierende Inhalte als eindeutig verifiziert (Vgl. GOTLIB/WHIFFEN zit. n. HAHLWEG 1991, S. 271 HAHLWEG/HOOLEY zit. n. HAHLWEG 1991, S. 272/273 NELSON/BEACH zit. n. HAHLWEG 1991, S. 272 RUSHER/GOTLIB zit. n. HAHLWEG 1991, S. 271). Nach einer Studie von BODEMANN, SCHWERZMAN und CINA nimmt die negative Kommunikation von depressiv auffälligen Paaren ein weitaus größeres Ausmaß an, als die von psychisch Unauffälligen. Während in 41 % der Partnerschaften mit einem depressiv erkrankten Menschen schwerwiegende Konflikte vorherrschten, stellten lediglich 13,5 % der psychisch nicht belasteten Paare Beeinträchtigungen des Partnerschaftsklimas fest (Vgl. BODEMANN 2000, S. 144 BODEMANN/ SCHWERZMAN/CINA 2000 S. 9). Die Konfliktneigung in der Kommunikation steht eindrucksvoll für die Instabilität von psychisch auffälligen im Vergleich zu psychisch unauffälligen Partnerschaften. Einen weitaus größeren Einfluss als dem Stress, attribuiert BODEMANN dem Coping, das die Effekte von Stress auf die Partnerschaft moderiert. Studien der Gruppe um BODEMANN u. a. belegen deckungsgleich mit anderen Forschungsarbeiten eine signifikante Korrelation zwischen positivem dyadischen Coping und der Qualität, dem Verlauf und Ausgang von Partnerschaften. 40 % der Varianz der Partnerschaftsqualität werden nach den Befunden von BODEMANN u. a von positivem dyadischen Coping aufgeklärt, wodurch die Bedeutung einer Dysfunktionalität bereits erahnt werden kann. In Paarbeziehungen mit einem psychisch kranken Partner wirkt sich defizitäres oder ineffektives positives dyadisches Coping destabilisierend aus (Vgl. BODEMANN 2000, S. 155-158/ S. 158-159/ S. 170 BODEMANN 2003, S. 497/498), da die wertvollen Funktionen der Stressreduktion und der Steigerung der Partnerschaftsqualität unerfüllt bleiben, und ist daher eng mit der Auflösung der Partnerschaft assoziert (Vgl. BODEMANN1999, S. 22-24 BODEMANN 2000, S. 182-192). Die negative Partnerschaftsqualität von klinisch relevanten Paaren wird aber nicht nur von ungenügendem positivem dyadischen Coping beeinflusst, sondern erklärt auch dessen Auftreten. Nach BODEMANN wird positives dyadisches Coping solange angewandt, wie dessen Funktionen erfüllt werden, und mündet im Falle von Dysfunktionalität in negatives dyadisches Coping. Positives dyadisches Coping funktioniert, wenn sich der Stress für beide Partner in Folge von dessen Anwendung reduziert und die Qualität der Partnerschaft erhöht. Genau daran scheitert das zunächst noch positive dyadische Coping von Paaren mit einem psychisch kranken Partner. Eine langfristige, an austauschtheoretischen Aspekten gemessene, günstige Kosten-Nutzen-Bilanz, ein sog. quid pro quo, das nach BODEMANN die Antezedens für eine positive Beurteilung der Partnerschaftsqualität bildet, muss mangels eines Gleichgewichts im Geben und Nehmen in klinisch relevanten Partnerschaften in der Regel verneint werden. (Vgl. BODEMANN 1991, S. 14/15 BODEMANN 1999, S. 10 BODEMANN 2000, S. 80-82). Der gesunde Partner leistet unverhältnismäßig mehr emotionale und funktionale Unterstützung als der psychisch erkrankte Partner zurückgeben kann. Nach BODEMANNS Annahmen generiert das Ungleichgewicht im Austausch zu ungunsten des Gesunden eine Abnahme von dessen Partnerschaftszufriedenheit und evoziert konkludent negatives dyadisches Coping, das eine Abwärtsspirale in der Partnerschaftsentwicklung in Gang setzt. Negatives dyadisches Coping wirkt, wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht, nicht Stress reduzierend, sondern dessen stetige Anwendung stabilisiert oder verstärkt nach Plausibilitätsannahmen dyadischen Stress und dessen destabilisierenden Stresseffekte massiv. Die drastische Kumulation und Expansion von Stress bringt eine starke Dynamik in den negativen Partnerschaftsverlauf. Negatives dyadisches Coping kommt demnach indirekt, dergestalt zu tragen, dass mangels eines Potentials zur Stresskompensation Stress und dessen Effekte ein Höchstmaß erreichen. Exemplarisch für die Häufung von Problemen in der Partnerschaft mit einem psychisch kranken Menschen stehen weitere Befunde der Studie von BODEMANN, SCHWERZMAN und CINA: Probleme in der Partnerschaft werden von einem Drittel der depressiven Partner Stress ver-ursachend erlebt und von den gesunden Partnern als zweithäufigste Stressquelle wahrgenommen (Vgl. BODEMANN 2000, S. 144 BODEMANN/SCHWERZMAN/CINA 2000, S. 9/10). Deutlich wird daran auch, dass sich die Ursachen und Auswirkungen von Stress überlagern, Stresseffekte stellen potentielle Quellen für Stress in der Partnerschaft dar. Der oben skizzierten Dynamik folgend kommt die Interferenz in Partnerschaften mit einem psychisch kranken Menschen zu tragen, wenn positives dyadisches Coping Stress nicht mehr abzufedern vermag und sich dysfunktional erweist. Die psychische Krankheit eines Partners evoziert lang andauernden Stress, der die Partnerschaft enorm herausfordert, das ist die substantielle Schlussfolgerung des vorangegangenen Kapitels. Stress und dysfunktionales positives bzw. negatives dyadisches Coping greifen ineinander und führen zu einer massiven Stresskumulation, welche die Konfliktneigung in klinisch relevanten Partnerschaften drastisch erhöht. Eine damit einhergehende rapide Abnahme der Partnerschaftsqualität liegt nicht zuletzt auch im Verlust von antezedenten Elementen, wie einem gegenseitigen Geben und Nehmen, begründet. Wechselseitige Verstärkungen von hohem Stress und niedriger Partnerschaftsqualität bedingen schließlich ein enormes Risiko von klinisch relevanten Partnerschaften zu scheitern.

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