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- Pflegetheorien und Demenz: Eine kritische Betrachtung der Modelle von Feil und Böhm
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 172
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In dieser Arbeit werden, ausgehend von der pflegerischen Praxis, wesentliche Anforderungen an die Begleitung von Menschen mit Demenz formuliert und diskutiert. Darauf aufbauend wird ein Untersuchungsinstrument zur Evaluation von pflegetheoretischen Konzepten für die Begleitung von Menschen mit Demenz entwickelt. Exemplarisch werden die beiden theoretischen Ansätze, die in Deutschland die größte Verbreitung finden, untersucht und bewertet: die Validation nach Feil und das Psychobiographische Pflegemodell nach Böhm. Entgegen den durch die Akzeptanz in der Praxis geweckten Erwartungen wird im Ergebnis deutlich, dass beide Konzepte sowohl aus wissenschaftlicher, als auch aus moralphilosophischer Sicht sehr fragwürdig sind.
Textprobe: Kapitel 5, Grundlagen einer ethischen Reflektion für die Begleitung von Menschen mit Demenz: Die Begriffe Ethik und Moral bzw. moralisches Handeln werden sehr häufig synonym verwandt (Tschudin 1996 Arndt 1996 v. d. Arend/Gastmans 1996 v. d. Arend 1998). Beide Begriffe beziehen sich auf das Individuum und haben etwas mit Charakter, Werten, Normen und dem Verhalten der Menschen miteinander zu tun. Das Wort ‘Ethik’ ist vom griechischen ‘ethos’ abgeleitet und bedeutet soviel wie Charakter, aber auch Sitte. Es beschreibt geistiges und/oder objektives Verhalten von Menschen und gibt Auskunft oder Anhaltspunkte für anzustrebende Ideale (vgl. Tschudin 1996: 33). Als philosophische Disziplin ist Ethik auf Aristoteles zurückzuführen, deren Aufgabe darin besteht, allgemeingültige Aussagen über das gute und richtige Handeln zu treffen. Dieses galt nicht nur für das Individuum, sondern auch für den Staat und dessen Handeln. Später stand weniger das gesellschaftliche oder staatliche Handeln, sondern vor allem das persönliche Verhalten des Einzelnen im Sinne einer Moralphilosophie im Vordergrund (vgl. Höffe 1997: 66). ‘Moral’ ist vom lateinischen ‘moralis’ abgeleitet und bedeutet soviel wie ‘Sitte’ und ‘Verhalten’. Vom Wortsinn ausgehend, bedeutet ‘Moral’ ein ‘System von auf Tradition, Gesellschaftsform, Religion beruhenden sittlichen Grundsätzen u. Normen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt das zwischenmenschliche Verhalten reguliert.’ (Duden, Band 5: 476). Sie handelt von Gefahren, die abgewendet werden müssen (vgl. Tschudin 1996: 33) und bildet eine Basis gegenseitigen Vertrauens im menschlichen Zusammenleben (vgl. Höffe 1997: 206). Nach Pieper werden unter den Begriffen Moral und Sitte ‘Handlungsmuster zusammengefasst, denen normative Geltung zugesprochen wird’ (Pieper 1994: 26). Moral gibt Regeln für gutes und richtiges Handeln im konkreten Leben vor, Ethik hingegen kann ‘als die Theorie des moralischen Handelns’ (Arndt 1996: 2) bezeichnet werden. ‘Ethik ist die wissenschaftliche Betrachtung moralischer oder sittlicher Fragen’ (ebd.: 16) Nach van der Arend lässt sich Ethik auch als ‘Nachdenken über die Moral’ definieren (1998: 14), also über das, was gut und richtig ist, was getan oder unterlassen werden sollte. Damit sind Werte angesprochen, die als Orientierungsstandards und Leitvorstellungen (vgl. Höffe 1997: 332f), die anzustreben sind und Normen als Handlungsmaximen (vgl. ebd.: 22ff) die, von Werten abgeleitet, für das menschliche Zusammenleben entscheidende Bedeutung haben. Als Beispiele für Werte nennt van der Arend (1998: 14) Entscheidungsfreiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Wohlbefinden, Gesundheit und Effizienz. Arndt (vgl. 1996: 10) verwendet den Begriff der Fürsorge als Grundlage pflegerischer Wertehaltung, im Sinne einer bewussten Entscheidung, die über normale Mitmenschlichkeit hinausgeht. Tschudin (vgl. 1996: 50ff) spricht von drei Ausdrucksebenen für Werte und bezeichnet sie als Glauben, Werthaltungen und Werte als solche. Bei der Entwicklung von Werten spielt in der Regel auch Motivation eine Rolle, wodurch Werte weniger starr sind als Glaube und Haltung. ‘Das Besitzen, Erkennen und Hochhalten von Werten setzt immer eine Wahl voraus.’ (ebd.: 56) Normen hingegen können als Handlungsrichtlinien verstanden werden, abgeleitet aus den Werten, die ausgewählt wurden (vgl. v. d. Arend/Gastmans 1996: 195). Als zusammenfassendes Ergebnis einer Diskussion über Ziele, Werte und Normen einer Berufsgruppe im gesellschaftlichen Zusammenhang werden Berufskodizes formuliert. Diese können als ‘ein zusammenhängendes Ganzes von ethischen Prinzipien und Regeln bezüglich der Ziele und Werte eines Berufes und die Haltung und das Verhalten, die für das Fördern und Evaluieren des beruflichen Handelns notwendig sind’ (ebd.: 56) verdeutlichen, ‘auf welche Weise eine Berufsgruppe seine Aufgabe in der Gemeinschaft erfüllen will’ (ebd.:.62). Eine Legitimation ethischer Berufsnormen ist davon abhängig, dass sie ‘mit allgemeinen Normen verbunden oder davon abgeleitet sind’ (ebd.:59). Ein Berufskodex ist daneben auch essentieller Bestandteil des Professionalisierungsprozesses eines Berufes. Er gibt Auskunft über das Verhalten der Berufstätigen untereinander (Binnenwirkung) und gegenüber anderen (Außenwirkung), z.B. der Gesellschaft als Ganzes, anderer Berufsgruppen, Kunden, Klienten oder Patienten. Nach Bandman und Bandman (1985, zitiert von v. d. Arend, 1996: 56) haben Berufskodizes in der Pflege vier Funktionen: - sie dienen der Vertrauensbildung der Gesellschaft in die Pflege. - bieten Richtlinien für professionelles und ethisch verantwortliches Handeln der Pflegenden. - beschreiben Positionen und Rollen der Pflegenden gegenüber anderen. - sind ein, der Selbstregulation dienendes Mittel der Berufsgruppe. Berufskodizes, wie z.B. der ICN Kodex von 1953, sind als Orientierungsrichtlinien für berufliches Handeln im Sinne einer ‘Ersten Hilfe beim drohendem ethischen Unfall’ (ebd.: 58) sinnvoll. Sie ersetzen aber nicht die ethische Diskussion, die in konkreten Situationen, in denen die Frage ‘Was soll ich tun’, ‘Was ist gut, was ist richtig?’ zu beantworten ist. Dies ist eine Frage, die sich in der beruflichen Praxis der Pflege, insbesondere der psychiatrischen und gerontopsychiatrischen Pflege, sehr häufig (vgl. Schädle – Deininger 2000: 45ff) stellt. Bei der Beantwortung dieser Frage ist das Gewissen, als ‘jenes innere Gefühl, das wir als moralischen Richter anerkennen’ (Tschudin 1996: 104), gefordert. Die Genese des Gewissens beginnt mit der Ausbildung der Sprachlichkeit und kann als Teil des Sozialisationsprozesses verstanden werden. Dabei ist die Gewissensbildung kein abgeschlossener Prozess, der mit einem bestimmten Entwicklungsalter beendet ist, sondern ein kontinuierliches Geschehen in der Auseinandersetzung des Ichs mit der Umwelt (vgl. Höffe 1997: 107). Daraus kann gefolgert werden, dass die Auseinandersetzung mit spezifischen ethischen Fragestellungen und der reflektierte Umgang mit ethischen Themen, das Gewissen nachhaltig beeinflusst (vgl. Schädle – Deininger 2000: 46). Professionelles Handeln und Entscheiden setzt eine reflektierte und systematische Auseinandersetzung mit ethisch – moralischen Frage-stellungen voraus. Tschudin (vgl. 1996: 34ff) unterscheidet einen normativen und einen deskriptiven Ansatz. Der normative Ansatz ist gekennzeichnet durch die Frage ‘Was sollen wir tun?’. Hierunter werden Normen, Werte und Vorschriften für das Handeln verstanden. Der deskriptive Ansatz hat einen eher wissenschaftlichen, beschreibenden Charakter. Hier wird nicht die Frage gestellt, wie der Einzelne oder die Gesellschaft sich verhalten soll, sondern wie das Individuum oder die Gesellschaft sich tatsächlich verhält. Nach Tschudin (1996) orientiert sich die Pflege eher am normativen, die Medizin eher am deskriptiven Ansatz. Die normative Ethik beinhaltet zwei Gesichtspunkte, die Teleologie und die Deontologie. Bei der Fragestellung ‘Was ist richtig?’ ist die Antwort oder die Entscheidung vor allem davon abhängig, was unter ‘richtig’ verstanden wird. Aus teleologischer, also auf das Ziel, den Zweck und die Folgen gerichteter Betrachtungsweise, steht die Nützlichkeit des Handelns in Bezug auf das Ergebnis im Vordergrund. Die Hauptströmungen der Teleologie sind der ethische Egoismus ‘menschliche Wesen sollten in ihrem eigenen Interesse Handeln’ (Tschudin 1996: 37) und der Utilitarismus. Utilitaristisches Handeln ist auf den größtmöglichen Gewinn oder Nutzen einer größtmöglichen Menschenmenge und den geringstmöglichen Schaden einer kleinstmöglichen Menschenmenge ausgerichtet (vgl. v. d. Arend/ Gastmans 1996: 23). Kurz gefasst könnte dieser Ansatz als zweckrational beschrieben werden. Auf dieser argumentativen Ebene wird z.B. der Irak -Krieg, Bundeswehreinsatz in Afghanistan und der Wunsch nach Forschung an Alzheimer – Kranken und geistig Schwerstbehinderten oder deren Tötung (vgl. Singer, 1984) begründet. Der Utilitarismus wird aber auch und in Zukunft, so ist bei knapper werdenden finanziellen Mitteln zu befürchten, noch größere Auswirkungen auf das Gesundheitswesen haben. Die deontologische Betrachtungsweise ist gekennzeichnet durch die inneren Qualitäten der Haltung, unabhängig von den Folgen der Handlung. Im Vordergrund steht die Pflichterfüllung der handelnden Person. Handlungen werden nach dem Maße der Pflichterfüllung beurteilt. Diese ist dabei als das Befolgen bestimmter ethischer Prinzipien, unabhängig von der gegebenen Situation, zu verstehen (vgl. v. d. Arend/Gastmans 1996: 24). Diese Betrachtungsweise ist sehr einengend und lässt kaum Spielräume für Entscheidungsprozesse. So wird in der Altenpflege die tägliche Ganzkörperwaschung der BewohnerInnen (nicht selten gegen deren Willen) damit begründet, dass durch eine Einstufung in die Pflegeversicherung eine bestimmte Zeit für die Körperpflege aufzuwenden sei. Zwar bleibt dadurch in der Regel keine Zeit mehr für zwischenmenschliche und soziale Belange, der aus einem Gesetz (fälschlicherweise) abgeleiteten Pflicht einer ‘Erfüllung der Pflegeminuten’ wird jedoch nachgekommen. Andere Beispiele sind in der pflegerischen Fixierung auf messbare Parameter wie BMI, Flüssigkeitsaufnahme und ähnlichem, unabhängig von der Lebensgeschichte und den realen Bedürfnissen und Befindlichkeiten zu beobachten. 5.1, Zum Stand der ethischen Diskussion in der Begleitung von Menschen mit Demenz: Mit der zunehmenden Diskussion über Kriterien zur Aufnahme, Begrenzung und Finanzierbarkeit von Gesundheitsleistungen, insbesondere bei chronisch verlaufenden Erkrankungen rücken vermehrt auch Menschen mit Demenz in den Fokus der Betrachtung (vgl. Petzold u.a. 2007: 9). Auf der Makroebene wird die ‘Funktion und Reichweite’ (ebd.: 10) der Pflegeversicherung (SGB XI), auch nach den aktuellen Reformbemühungen seitens der Bundesregierung (19.12.2007), wegen des eingeschränkten Pflegebedürftigkeitsbegriffes von unterschiedlichen Interessensgruppen kritisiert. Beklagt wird zudem ein ‘fehlender Wertekonsens’ (Petzold u.a. 2007: 10) zu Fragen der Versorgungsqualität bei unterschiedlichem Pflegebedarf bezüglich der Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen. Menschen, wie solche mit Demenz, die ihre Ansprüche nicht oder nicht mehr ausreichend zu Gehör bringen können, geraten dabei zunehmend in den Hindergrund. Es entsteht ein ‘asymmetrisches Machtverhältnis’ (ebd.: 11), für dessen verantwortungsvolle Gestaltung im Sinne eines guten, gemeinsamen Lebens mit Demenz (vgl. Wallrafen-Dreisow/Stelzig 2007: 13), besondere Fähigkeiten zur ethischen Reflexion und moralischen Urteilsfindung notwendig sind. Diese Forderungen richten sich insbesondere an die Mesoebene, die die organisatorischen Rahmenbedingungen dafür zur Verfügung stellen muss und an die handelnden Akteure (Mikroebene), also vor allem Pflegende und Ärzte. Eine getrennte Betrachtung dieser Ebenen ist, wenn überhaupt, nur eingeschränkt möglich. Gesetzliche bzw. politische Rahmenbedingungen, insbesondere die Allokation von finanziellen Ressourcen, Vorgaben zur Qualität (Pflegequalitätssicherungsgesetz), zur Personalbemessung (Pflegepersonalverordnung) und zur Ausbildung (Altenpflegegesetz, Krankenpflegegesetz), um nur einige zu nennen, beeinflussen und begrenzen die Handlungsspielräume der Organisation. Wenn eine Einrichtung, ob stationär oder ambulant, allen Vorgaben gerecht werden will, wird der ‘Kunde zum Produkt’ (vgl. Meyer, 2007). Gleichzeitig werden die Binnenstrukturen und damit die Lebensqualität in einer Institution von den dort handelnden Personen, ihren Einstellungen, ihrer fachlichen und moralischen Kompetenz beeinflusst (vgl. Schwert/ Reisach, 2007: 33). Eine, wenn nicht die zentrale Bedeutung in der würdevollen Begleitung von Menschen mit Demenz (vgl. Wallrafen-Dreisow/ Stelzig 2007: 15) ist bei den Pflegenden und deren Wertebewusstsein (vgl. Höffe, 1997: 332f) verortet. Aber während z.B. in der psychiatrischen Arbeit die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen aus Sicht der Pflege bereits Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts (vgl. Meyer, 2001/2006,: 22ff) thematisiert und eigene Positionen besetzt wurden, hat diese Diskussion in der Begleitung von Menschen mit Demenz erst in den letzten Jahren (u.a. Schwerdt, 1998 Müller, 1999 Klie, 2004 Schnell, 2004) an Intensität zugenommen. Die inhaltlichen Schwerpunkte haben sich dabei deutlich verändert: Standen zuerst sehr praktische Themen, die sich an Begleiterscheinungen oder Symptomen orientierten, wie z.B. ‘Nahrungsverweigerung’ (Berg/Borker/ Schnell, 2000), ‘Zwangsernährung im Alter’ (Thieswald, 2002), oder ‘Gewalt gegen Pflegende’ (Weismann, 2003) im Vordergrund, werden in den letzten Jahren vermehrt auch Fragen der Lebensqualität in der Begleitung von Menschen mit Demenz thematisiert. Van der Kooij u.a. (2004: 65f) betont die emotionale Lernfähigkeit von Menschen mit Demenz, Klie (2004: 60) fordert, Demenz vor allem auch als Lebensform und weniger als Krankheit zu begreifen. Zunehmend werden Gesundheit und Krankheit, auch bezogen auf Demenz, nicht als sich gegenseitig ausschließend, sondern als Eckpunkte eines Kontinuums (vgl. Robertz – Grossmann, 2007: 17) betrachtet. Das Interesse an der Person, ihre ‘Einzigartigkeit’ (Wallrafen – Dreisow/ Stelzig 2007: 14) tritt in den Vordergrund. Menschen mit Demenz müssen nicht ‘prinzipiell behandelt, therapiert, gepflegt und erst recht nicht vor sich selbst bewahrt werden’ (ebd.). Als ‘grundlegendes Werteprinzip’ (Schwerdt, 2007: 22) wird die Autonomie von Menschen mit Demenz in den Vordergrund gerückt und löst Fürsorge und Paternalismus als Leitidee ab (vgl. Rehbock, 2002: 132 Schwerdt/Reisach, 2007: 34). In der Praxis der Begleitung von Menschen mit Demenz ergibt sich aus diesem Prozess ein breites Spannungsfeld unterschiedlicher und auch widersprüchlicher Vorstellungen. Im traditionellen Pflegeverständnis, und das gilt auch und insbesondere in der ‘Laienpflege’, fast Zweidrittel aller Menschen mit Demenz (vgl. Grond, 2004: 41) werden ausschließlich von Familienangehörigen versorgt, findet sich ein eher paternalistisch geprägtes Fürsorgedenken. Wenn die Eltern (oder die alten Menschen) ‘wieder zu Kindern werden’ (ebd.: 40f), findet, beinahe reflexartig, ein unreflektierter Rollentausch statt, der auch vor professionellen Kreisen nicht Halt macht. ‘Sich um alles kümmern müssen’, ‘Bemuttern’, ‘Bewahren’, ‘Beschützen’ und ‘Behandeln’ wird zur Grundhaltung einer ‘guten’ und ‘richtigen’ Pflege, vermittelt scheinbare Handlungskontrolle und schützt vor Unsicherheit und Hilflosigkeit. Wer sich dieser Erwartungshaltung entzieht, andere Vorstellungen wie ‘Abwarten’, ‘Gewähren lassen’ und ‘Zurückhaltung’, wie in den meisten Konzepten zur Begleitung von Menschen mit Demenz proklamiert, trifft auf Unverständnis, löst Widerstand aus und gerät schnell ins normative Abseits. Das Spannungsfeld der Vorstellungen bei Laien und Professionellen von dem, was eine gute und richtige Begleitung von Menschen mit Demenz ist oder sein soll, spannt sich von einem ausgeprägten, als Fürsorge deklarierten, Paternalismus bis zur unreflektiert hochstilisierten, die Menschenwürde in Frage stellenden, Primat der Autonomie. Die Sprache konstituiert die Wirklichkeiten und wirkt in Kommunikations-prozessen wirklichkeitsgestaltend und wirklichkeitsverändernd (vgl. Petersen, 2001: 60f). Der gemeinsame Gebrauch von Begriffen, ohne deren inhaltliche Klärung, birgt die Gefahr einer uneinheitlichen semantischen Interpretation (vgl. Uzarewicz 2004: 8) und damit einhergehenden Missverständnissen. Aus pflegewissenschaftlicher und pflegeethischer Sicht ergibt sich daraus die Notwendigkeit, den Kontext zentraler Wertvorstellungen, wie Fürsorge, Autonomie und Verantwortung, bezogen auf die Begleitung von Menschen mit Demenz, herauszuarbeiten und zu klären.
Bernd Meyer, M.A., wurde 1961 geboren und ist Krankenpfleger, Pflegepädagoge und Pflege- und Gesundheitswissenschaftler. Seit 1989 geht er Leitungs- und Lehrtätigkeiten in psychiatrischen und gerontopsychiatrischen Weiterbildungen nach und leitet seit 2001 stationäre bzw. teilstationäre Altenhilfeeinrichtungen mit gerontopsychiatrischen Schwerpunkten. Er ist Lehrbeauftragter für Pflegewissenschaft, Gerontologie und Ethik (HFH, BAGSS). Zudem ist er Autor und Mitautor diverser Publikationen zu den Themen Pflegepädagogik, Psychiatrie, Gerontopsychiatrie, Geistige Behinderung und Ethik. Das täglich Neue und Unerwartete in der Begegnung mit Menschen mit Demenz beschreibt er als ‘immer wieder faszinierend und wertvoll, auch nach fast 30 Jahren.’
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