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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 360
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Mit dem Streit um die Evolution wurde seit den 80er Jahren ein Thema zum Mittelpunkt einer öffentlichen Kontroverse, welches auf den ersten Blick höchst speziell wirkt, jedoch – wie bei genauerem Hinschauen deutlich wird – an den Grundfesten der politischen Kultur Amerikas rüttelte. Der protestantische Fundamentalismus forderte die Lehre alternativer Theorien zur Evolution im Schulunterricht, um einen wahrgenommenen moralischen Verfall zu bekämpfen. Diese Bestrebungen wurden von evolutionsbefürwortenden Aktivistinnen und Aktivisten als Angriff auf die Wissenschaft selbst gedeutet. Der Konflikt über die Evolution war damit von Anfang an weit mehr als ein Streit um Lerninhalte. An ihm entzündete sich vielmehr ein Machtkampf zwischen konkurrierenden sozialen Gruppen um die Zukunft Amerikas, der untrennbar mit der Suche nach der kollektiven Identität der Nation in Zeiten beschleunigter Globalisierung verbunden war. Den Auslöser bildete die Wahrnehmung einer tiefgreifenden Krise der jeweils eigenen gesellschaftlichen und machtpolitischen Position. Der diskursanalytische Blick offenbart das Verhältnis von Krisenwahrnehmungen, Legitimationsinstanzen und Machtansprüchen beider Lager.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2. Politik im Zeichen kultureller Polarisierung: Die USA nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Auseinandersetzung zwischen den beiden entgegengesetzten Kräften, die schon seit der Kolonialzeit über die politische und soziale Ordnung des Landes stritten und die mit dem Aktivismus des protestantischen Fundamentalismus in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts kurzzeitig eine besondere Dynamik entfacht hatte, trat nach 1945 vollends an die Öffentlichkeit, als Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts die Christian Right entstand. Diese kulturelle Polarisierung bezeichnete der Politologe James Davison Hunter als Culture War . Er schuf damit einen perspektivischen Zugang, mit der die Kontroverse über die Evolution analytisch erfasst werden kann. Hunter formulierte zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts die These, dass sich Amerikanerinnen und Amerikaner in kulturell-progressive und kulturell-orthodoxe aufteilen ließen und, dass sich der Konflikt zwischen beiden zunehmend verschärfe. Die Orthodoxen seien darin geeint, dass sie eine externe, definierbare transzendente Autorität anerkennen, während der Progressivismus sich dadurch auszeichne, dass er historische Glaubensüberzeugungen an das zeitgenössische Leben anpasse. Im orthodoxen Gründungsmythos wird herausgestellt, dass Amerika auf biblischen Prinzipien errichtet wurde. Im progressiven Gründungsmythos entfällt der Bezug zu einem höheren übernatürlichen Wesen. Während die Orthodoxen Freiheit ökonomisch und Gerechtigkeit sozial in Form des moralisch gerechten Lebens verstehen, definieren Progressive Freiheit sozial in Form von Individualrechten und Gerechtigkeit als ökonomische Gleichheit. Entscheidend für die Analyse der Evolutionsdebatte ist, dass der Culture War nicht auf die Auseinandersetzung zwischen protestantisch-fundamentalistischen und säkularen Organisationen (z.B. Christian Right vs. ACLU) beschränkt werden kann. Zwar sind jene Akteursgruppen in der Öffentlichkeit am sichtbarsten, jedoch sind weite Teile der amerikanischen Öffentlichkeit von ihm erfasst. Die zuvor beschriebene Spaltung vollzog sich nämlich nicht nur innerhalb des Protestantismus, sondern auch innerhalb des Katholizismus und des Judentums. Sie resultiert in allen drei Fällen aus dem theologischen und liturgischen Programm des Modernismus. Der Konflikt wird laut Hunter daher in erster Linie durch die Aufklärung und ihre philosophischen Folgen geprägt: Yielding to the temptation of hyperbole, it could be said that the politically relevant divisions in the American context are no longer defined according to where one stands vis-à-vis Jesus, Luther, or Calvin, but where one stands vis-à-vis Rousseau, Voltaire, Diderot, and Condorcet . Hunter erklärt hierzu, dass im Grunde jede Amerikanerin und jeder Amerikaner durch die weltanschaulichen Veränderungen der Aufklärung geprägt sei. Die Positionierung hierzu entscheide darüber, welchem Culture War -Lager man angehört. Evolutionskritische Aussagen im öffentlichen Diskurs müssen daher nicht zwangsläufig auf eine fundamentalistische Einstellung zurückzuführen sein, sondern können als Ausdruck der Zugehörigkeit zum konservativen Lager gewertet werden, auf das der Fundamentalismus besonders seit Ende der siebziger Jahre eingewirkt hat. Hunter stellte zudem heraus, dass eine Verschärfung des Konfliktes vor allen Dingen durch seine Darstellung in der Öffentlichkeit hervorgerufen wird. Hierbei betont er, dass die Argumente im öffentlichen Diskurs zunehmend moralisiert werden. Daher kommt es zur moralischen Diskreditierung der Opposition, die sich in Beleidigungen, Dämonisierungen und Veralberungen der Gegenseite ausdrücken kann. Die Stigmatisierung der Gegnerschaft wurde bereits als Merkmal des Fundamentalismus herausgestellt. Inwiefern sie zu einem Mittel aller Konfliktparteien in der Evolutionsdebatte wurde, soll in der diskursanalytischen Betrachtung beleuchtet werden. Die Kritik am Culture War -Konzept verweist darauf, dass die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner gemäßigt seien. Sie erkennt jedoch an, dass der Culture War in den Köpfen vieler Aktivistinnen und Aktivisten, Politikerinnen und Politiker sowie Journalistinnen und Journalisten sei. Gerade die Medien hätten den Culture War dankbar aufgenommen, weil er besser zu verkaufen sei als Kompromisse und Übereinstimmung. Daher müssen die Aussagen zur Evolutionskontroverse immer in Bezug zu den Tendenzen des Medienwandels betrachtet werden, auf den an späterer Stelle gesondert eingegangen wird. Seit Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts die Christian Right auf die politische Bühne trat, hat dieser kulturelle Konflikt in den USA eine besondere Dynamik entfacht. Die Entwicklungslinien, die zur verschärften kulturellen Polarisierung führten, lassen sich bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückverfolgen. Ausschlaggebend war erneut ein existentielles Krisenbewusstsein im konservativen Lager. Außenpolitische Entwicklungen, allen voran der Krieg in Vietnam, stellten den Anspruch der globalen Vormachtstellung der USA in Frage. Diese wurden in direktem Zusammenhang mit als religionsfeindlich bewerteten landesinternen Veränderungen gebracht, die von der Führung des konservativen Protestantismus als existentielle Krise gedeutet wurden. Mit Prediger Billy Graham, der auf neue Kommunikationstechnologien setzte, hatte der konservative Evangelikalismus seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts wieder begonnen, vermehrt eine Rolle im öffentlichen Leben zu spielen. Insbesondere seine hervorragende mediale Infrastruktur bot dem protestantischen Fundamentalismus beste Voraussetzungen für die Rückkehr in die Öffentlichkeit. Sie lieferte dem Kreationismus ein Forum, das Thema Evolutionstheorie in einen größeren gesellschaftspolitischen Kontext einzubetten. Anstoß nahm der protestantische Fundamentalismus vor allen Dingen an Gerichtsurteilen aus den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, nachdem den Schulen untersagt worden war, religiöse Inhalte zu vermitteln. Den Gerichten wurde vorgeworfen, die historische Tatsache zu ignorieren, dass Amerika auf christlichen Prinzipien errichtet worden sei. Erneute Einwanderungsströme führten zudem zu einer weiteren Pluralisierung der Lebensstile, die vom konservativen Protestantismus als Abkehr vom christlichen Ideal bewertet wurden. Für konservative Protestantinnen und Protestanten war Amerika nach wie vor ein christliches von Gott erwähltes Land geblieben, welches wie das alttestamentliche Israel, Fluch und Segen erhält, je nachdem ob es Gottes Gebote hält oder der Sünde verfällt. Die Evolution wurde hierbei als antichristliche Lehre mit negativen Auswirkungen auf die Moral gebrandmarkt. Dass Gott die USA für ihren moralischen Verfall bestrafe, war für viele spätestens in den späten siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts offensichtlich geworden. Ölschock, Kalter Krieg, die Wirtschaftskrise und insbesondere die Niederlage in Vietnam stellten zu dieser Zeit die globale Vormachtstellung der USA in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht in Frage. Mit dem Krieg in Vietnam war ein Riss durch die amerikanische Gesellschaft gegangen, in der religiös-motivierte Aktivistinnen und Aktivisten in beiden Lagern zu finden waren. Die eine Seite, vor allen Dingen jüngere Amerikanerinnen und Amerikaner, forderte eine völlige Veränderung der Gesellschaft, die sich unter anderem durch eine Abkehr von autoritären Strukturen und durch die Einheit von Mensch und Natur auszeichnet. Die andere Seite bekannte sich zu einem bedingungslosen Patriotismus. Der Rückzug aus Vietnam, der als Zeichen des Schwindens militärischer und ökonomischer Macht der USA und als Ausweitung des gottlosen Kommunismus verstanden wurde, stellte für sie eine Einschränkung zur Evangelisation der Welt dar. Diese als Krise Amerikas wahrgenommenen Entwicklungen konnten als Strafe für die fortschreitende Säkularisierung verstanden werden, zu der auch die Lehre der Evolutionstheorie an öffentlichen Schulen gehörte. Darüber hinaus entstand in der amerikanischen Gesellschaft nach dem Watergate-Skandal ein besonderes Bedürfnis nach Moralität in der Öffentlichkeit. Niemand verstand den Zeitgeist besser als Jimmy Carter, der sich ohne Scheu als Born-Again Christian zu erkennen gab. Er trug maßgeblich zu einer politischen Mobilisierung aller Evangelikalen bei, indem er in der Öffentlichkeit ihre Sprache verwendete und sich zu ihren Werten bekannte. Obwohl sie sich während seiner Regierungszeit enttäuscht von Carter abwendete, machte ebenfalls die sich Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts formierende Christian Right den scheinbaren Abfall der Politik von religiösen Werten zu einem zentralen Thema. Liberals wurden von Fernseh-predigern als Schuldige für antichristliche Modernisierungen gebrandmarkt. Die Prediger forderten eine Rückbesinnung auf strikte Moralvorstellungen, die Halt in einem in die Krise geratenen amerikanischen Wertesystem boten. Das gestiegene Bedürfnis nach Moral und Religiosität sorgte zum einen dafür, dass neuen Themen, denen Relevanz hierfür zu gesprochen wurde, zum Gegenstand politischer Diskussionen wurden. Es führte zum anderen dazu, dass moral-religiöse Bezüge im politischen Diskurs zunahmen.

Über den Autor

Tim Bernshausen wurde 1981 in Siegen geboren. Sein Studium der Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaften schloss der Autor im Jahr 2008 mit dem Master of Arts erfolgreich ab. Mit seiner Bachelor-Arbeit über die Religiosität des US-Präsidenten Jimmy Carter und seiner Master-Arbeit über die libanesische Miliz Hisbollah legte er schon während seines Studiums einen Forschungsschwerpunkt auf das Verhältnis von Religion und Politik in der Moderne. Eingebunden in das Forschungsprojekt Evolution and the Public widmete er sich als Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Siegen der Erforschung der öffentlichen Rezeption von Darwins Evolutionstheorie seit ihrer Veröffentlichung im Jahre 1859. Ein besonderes Interesse galt dabei der amerikanischen Kontroverse über die Lehre der Evolutionstheorie an öffentlichen Schulen in den USA seit Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts.

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