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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 132
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Arbeit befasst sich mit den Lebenswelten kurdischstämmiger Jugendlicher in Deutschland. Einführend erläutert der Verfasser die Fragestellungen seiner Untersuchung über spezifischer Inklusions- und Exklusionserfahrungen und Verarbeitungsmechanismen. Mit dem Ziel Zugang zum Verständnis von und für Jugendliche kurdischer Herkunft aus der Türkei, Syrien, dem Irak sowie Iran und Grundlagenbildung für eine adressatenspezifische Jugendarbeit soll dabei in besonderer Weise der besonderen psychosozialen Situation aufgrund trikultureller Orientierung und mangelnder Tradierung eines positiven kollektiven Selbstbildes sowie der Thematik ‚Sprachverlust‘ Rechnung getragen werden. Im Anschluss gibt der Verfasser eine Übersicht über den Forschungsstand in der modernen Kurdologie und der sozialwissenschaftlichen Forschung zu kurdischen Migranten in Deutschland. Ausgehend von den vorliegenden qualitativen als auch quantitativen Studien zur Selbst- und Fremdethnisierung dient diese Untersuchung vor allen Dingen der Erforschung der psychosozialen Situation dieser spezifischen ethnischen Minderheit im Umgang mit gesellschaftlicher Erfahrung von Inklusion und Exklusion. Die Arbeit stellt in ihrer Differenziertheit ein Muss für Akteure der Sozialen Arbeit - insbesondere der Jugendarbeit und Migrationsarbeit dar. Sie richtet sich ebenfalls ergebnisorientiert an Sozial- und Migrationspolitik, aber auch Jugendforschung und Erziehungswissenschaften und kann dort helfen, empfindliche Lücken zu schließen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2.1, Zur Konfliktimportthese und ihre Auswirkung auf die Beziehungen von kurdischen und türkischen MigrantInnen (-Jugendliche) in der BRD: Mit Thomas Briedens (1996) Eingangsworten aus der vergleichenden Analyse in Form eines Auszuges aus seiner Dissertation zu ‘Konfliktimport durch Immigration’ angefangen, soll an dieser Stelle folgender Hypothese kritisch nachgegangen werden: ‘Die Austragung ethnischer Konflikte im Zuzugsland findet ihre Ursache nicht in den sozialen Beziehungen im Zuzugsland selbst, sondern ist Resultat von sozialen Konstellationen im Herkunftsland’ (vgl. Brieden 1996a, S.34). Betont wird in diesem Kontext, dass das Zuzugsland im Feld zwischenstaatlicher Beziehungen agiert und von daher außenpolitisch in den Konflikt involviert ist. Dabei dürften sich dem Autor zufolge gravierende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Mehrheit und den jeweiligen Minderheiten in der unreflektierten Parteinahme der Außenpolitik und der Massenmedien des Zuzugslandes für die eine und gegen die andere Konfliktethnie niederschlagen (ebd., S.34-35). Insgesamt ließen sich daraus im wesentlichen zwei Entwicklungstendenzen hinsichtlich der Auswirkungen des türkischen Kurdenkonflikts auf die Beziehungen von TürkInnen, KurdInnen und Deutschen extrahieren: Auf der einen Seite könne ein zunehmender Rückzug bei türkischen und kurdischen MigrantInnen in die Eigengruppe nicht länger übersehen werden, welcher mit ebenfalls zunehmender Politisierung, Distanzierung und Polarisierung einherzugehen scheint. Auffällige Indizien und letztlich das Resultat hierfür seien die daraus hervorgehende Mobilisierung von Jugendlichen sowohl durch die PKK-nahen Einrichtungen als auch durch türkisch-nationalistische und islamistische Organisationen, die einen immer enger werdenden Spielraum für moderate und gesprächsbereite Kräfte auf beiden Seiten schafft. Anderseits finde in der öffentlichen Diskussion auch eine einseitige Prägung der MigrantInnen im Bereich der Kriminalität statt, was sich insbesondere in der öffentlichen Wahrnehmung der KurdInnen als ‘potentielle Gewalttäter und Terroristen’ widerspiegele. Dadurch, dass ‘die’ Kurden als gefährliche Ausländergruppe undifferenziert betrachtet und pauschal kriminalisiert würden, trugen die Diskussion über die Abschiebung missliebiger KurdInnen und der nahe Bezug dieser Frage zur Asyldiskussion mit einer Fokussierung auf die kurdische Bevölkerung in Deutschland zur Verschärfung der Fremdenfeindlichkeit bei. Sucht man nun nach Ursachen und Gründen für diese sich auf beiden Seiten frustrierend darstellende Situation, können wir mit einem Rückgriff auf Brieden (1996) noch einmal eine organische Verbindung und Interdependenz zwischen dem nach wie vor ungelösten Kurdenkonflikt in der Türkei und seinen Auswirkungen auf das Beziehungsmuster zwischen türkischen und kurdischen MigrantInnen konstatieren, die wiederum insgesamt die Beziehung zur deutschen Mehrheit beeinflussen. Dieser Wechselwirkung als Schlüssel für das Verständnis der in der Bundesrepublik lebenden KurdInnen folgend, findet sich hier im gleichen Moment auch der Ansatz für eine Deeskalation und Suche nach der langfristigen Lösungsmöglichkeit. Entgegen einer Reduzierung des komplexen Konfliktcharakters auf die Gewaltdimension der PKK, die mehrheitlich von den KurdInnen selbst abgelehnt wird, geht es vielmehr um die Berücksichtigung der Konfliktursachen im Herkunftsland der Türkei, welche die Spannungen und Distanzierung zwischen TürkInnen und KurdInnen in Deutschland zu forcieren vermag. Brieden (1996a,S.35) fragt deshalb in diesem Zusammenhang weiter: ‘Trifft die These des Konfliktimports zu, so läßt sich weiterfragen, inwieweit sich auch die Beziehungen zwischen der einheimischen deutschen Mehrheit und den dann ‘neugebildeten’ ethnischen Minderheiten verändern.’ Eine entscheidende Rolle nimmt hierbei auch die hiesige Presse- und Medienaufmerksamkeit ein, weil sie überwiegend negativ auf die Einstellung der deutschen Bevölkerung einwirkt. Während Aufklärung, detaillierte Informationen und aktuelle Zusammenhänge und Hintergründe in deutschen Presse- und Fernsehberichterstattung zu Unklarheiten in der Darstellung führen und damit die Unsicherheit der Bewertung schüren, werden dagegen Vereinfachungen kaum vermieden und zusätzlich durch negative sprachliche Begriffe (wie z.B. ‘Kurdenkrawalle’, ‘Terror in Deutschland’, ‘Terror-Kurden’) nachhaltig zu Ungunsten des Zusammenlebens der kurdischen und türkischen Bevölkerung besetzt. In Anlehnung an unser weiter oben dargelegtes Konzept der Diaspora lässt sich an dieser Stelle mit einer Kritik an der ‘Konfliktimportthese’ fortsetzen, dass diese die vielseitigen Verbindungen zwischen dem Herkunfts- und dem Aufnahmeland gänzlich ignoriert, obwohl gerade auch Brieden (1996a, S.33) der Argumentation beizupflichten vermag, ‘daß heutzutage Migration nicht, wie beispielsweise die Amerika-Auswanderung im 19.Jahrhundert, den ‘Abbruch aller Brücken’ zur Heimat bedeutet, sondern daß bei - oder trotz - Migration intensive Beziehungen zwischen Heimat- und Emigrations’ort’ (im weiten soziokulturellen Sinne gemeint) aufrechterhalten werden können und tatsächlich gepflegt werden (Reisen, Post, Telefon, Geldtransfer, Zeitung, Heimatfernsehen via Satellit usw.).’ Jedoch nimmt sich an dieser Stelle erst ein Strukturmodell von Renate Nestvogel (1991) dieser Thematik bewusst an, die aus der interkulturellen Perspektive heraus die wechselseitigen Abhängigkeiten verschiedener Ebenen der Sozialisation einbezieht. Zu Recht verweist sie auf die Bedeutung des internationalen Kontextes hin, wenn sie ganz im Sinne Birgit Ammanns (2001) erklärt, dass die Ebene des Weltsystems eine ‘analytische Qualität’ besitze, die ein Bezugspunkt der einzelnen Gesellschaften ‘in ihrem Verhältnis zueinander und im Zusammenwirken von endogenen und exogenen Faktoren werden kann’ (Nestvogel 1991, S.89). Demgegenüber sieht die ‘Konfliktimportthese’ die Ursachen des Problems ausschließlich in exogenen Faktoren (‘in der Türkei produziert’) und vernachlässigt dabei endogene Faktoren wie die innen- und außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik. In Anbetracht der in diesem Kapitel skizzierten Gefahr einer politischen Instrumentalisierung im Zuge des Kurdenkonflikts, mit der sich vor allem türkische und kurdische Jugendliche aus der Türkei konfrontiert sehen, fragt sich allerdings in einem nächsten Anlauf, ob hier auch ein Versagen der Integrations- und Ausländerpolitik vorliegen könnte. Da etwa türkische und kurdische Jugendliche als die Mehrheit unter den nicht-deutschen Jugendlichen zumeist im Bereich der Bildung und Ausbildung nach wie vor als ‘Träger von Defiziten’ angesehen werden, führt eine fehlende Gleichstellung (z.B. durch das Stimmrecht) mit deutschen Jugendlichen zu einem Rückzug in die eigene Gruppe, weil sie sich von der hiesigen Gesellschaft und Politik im Stich gelassen fühlen. Im jeweiligen innerethnischen Konfliktaustrag kann es dann tatsächlich verschiedenen Organisationen auf beiden Seiten jeweils gelingen, die Jugendlichen für ihre Ziele zu gewinnen und damit die interkulturelle Kommunikation zur Förderung des gegenseitigen Dialogs im Keim zu ersticken. An diesem Punkt kritisiert auch Thomas Brieden in seiner Dissertation die Ausländerbehörde, welche bisher den Widersprüchen und Integrationshindernissen unter den Migranten nicht ausreichend Beachtung geschenkt habe. Die MigrantInnen würden sich nicht nur von der Mehrheitsethnie abkapseln, ‘sondern sie betonen auch aufgrund der von ihnen betriebenen Selbstethnisierung ihre jeweiligen Besonderheiten auch gegenüber den jeweils anderen ethnischen Minderheiten’ (Brieden 1996, S.13). Am Ende seiner Arbeit stellt er daher die Frage, ‘welche Mittel und Techniken zur Gewaltprävention und zur Eindämmung importierter Konflikte im Zuzugsland zur Verfügung stehen und genutzt werden können’ (ebd., S.257) und gibt zu bedenken, dass dem serbisch-kroatischen Konflikt auf institutioneller Ebene Rechnung getragen werde, während die Kurden gegenüber den Türken institutionell diskriminiert würden: ‘Könnte es nicht sein, so die These, dass gerade die institutionelle Benachteiligung der Kurden (keine Sozialberatung für kurdisch-sprachige Migranten, kein eigener muttersprachlicher Unterricht, keine kurdisch-sprachigen Rundfunk- und Fernsehprogramme, etc.) diese in Organisationen treibt, die einerseits deren kulturelle Bedürfnis befriedigen, um sie andererseits für ihre politische Ziele zu mobilisieren?’ (ebd., S.239) Es müsse daher ‘den extremistischen Organisationen hinsichtlich ihrer Mobilisierungsfähigkeit das Wasser abgegraben’ und solchen gemäßigten und zur Kooperation bereiten Organisationen wie ,KOMKAR’ oder der ,Kurdischen Gemeinden in Deutschland’, die die Beseitigung dieser institutionellen Diskriminierung schon lange fordern, der Rücken gestärkt werden’ (ebd., S.260). Ein Dialog- und Vertrauensprozess sollte daher vor Ort mit einer ‘Politik der kleinen Schritte’ eingeleitet werden, der sich von kulturellen Einrichtungen über Eltern- und Studentenvereine bis hin zu Dachorganisationen erstrecken kann. Im Mittelpunkt bereits bestehender Runder Tische sollten auch m.E. nicht nur politische Fragen, sondern konkrete Alltagsprobleme der kurdischen und türkischen Einwohner sowie insbesondere die Ausgrenzungserfahrungen jugendlicher Migranten der zweiten und dritten Generation stehen. Zumindest – so auch der zitierte Autor in einem abschließenden Satz – ‘wäre schon viel gewonnen, wenn es gelänge, die Austragungsformen importierter Konflikte auf nicht-gewaltförmige Modi zu beschränken’ (Brieden 1996a, S.54).

Über den Autor

Deniz Düzel, Diplom, wurde 1978 in Erzincan (Türkei, Nordkurdistan) geboren. Sein Studium der Interkulturellen Pädagogik mit den Nebenfächern Politikwissenschaften und Soziologie an der Philipps Universität Marburg schloss der Autor im Jahre 2006 mit dem akademischen Grad des Diplom sehr erfolgreich ab. Bereits während seines Studiums sammelte der Autor umfangreiche praktische und theoretische Erfahrungen mit der Zielgruppe der allochthonen Jugendlichen, insbesondere der kurdischen. Seine auch heute noch aktuellen Tätigkeiten bei verschiedenen Stellen der kommunalen und politischen Jugendförderung motivierten ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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