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Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 256
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Dieses Buch ist ein Beitrag zu einer grundlegenden Reform von Schule und Unterricht. Dabei steht die Grundschule im Fokus der Studie. Im Gegensatz zu den aktuellen, meist politisch motivierten und durch immer neue Pisa-Studien verursachten reformerischen Schnellschüssen, möchte der Autor zu einer pädagogisch argumentierenden, gründlichen und wohl durchdachten inhaltlichen Reformdiskussion beitragen. Zentrales Anliegen der Studie ist die wissenschaftlich fundierte Entwicklung und Begründung eines integrativen Unterrichtskonzepts in mehreren Schritten. Ausgehend von einer kurzen theoretischen Standortbestimmung und begrifflichen Klärung erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der aktuellen Schulreformpolitik für das Lehren und Lernen in der Schule. Auf dieser Basis werden die für die Schulpädagogik relevanten Konzepte wie Bildung, Lernen, Lehren und Lehrplan aus der Perspektive des integrativen Ansatzes schrittweise analysiert und mit Hilfe von konkreten und praxisrelevanten Merkmalen und Kriterien neu formuliert. Die auf diese Weise gewonnenen Grundzüge eines integrativen Unterrichtskonzepts sind schließlich die Basis für die Konstruktion der Skizze eines integrativen Lehrplans. Abschließend wird in dem Buch eine Fülle von praktischen Beispielen ausführlich dargestellt und vor dem Hintergrund der Kriterien integrativer Pädagogik geprüft und bewertet. Aus dieser Auseinandersetzung mit der Praxis erwachsen weiterführende Gedanken und Ideen für eine Erneuerung von Schule und Unterricht.
Textprobe: Kapitel 2.3.1, Die Reformdebatte der Schulstrukturen im Grundschulbereich: Die Frage nach der Struktur der staatlichen Bildungseinrichtungen ist nach der ersten großen Bildungsdebatte in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund der wissenschaftlichen Diskussion und anschließend auch der bildungspolitischen Debatten getreten. Ausgehend von der durch den Pädagogen Picht ausgerufenen ‘Bildungskatastrophe’ (vergl. Picht 1965), die im Zusammenhang mit dem sogenannten ‘Sputnikschock’ (1. Satellit im Weltraum durch die damalige UdSSR 1957) stand, war diese Debatte vor allem fokussiert auf den Begriff der ‘Chancengleichheit.’ Dieser kritische Forschungsansatz zielte auf die Analyse der sozio-ökonomischen Bedingungen und deren Folgen für die Chancen, an Bildung zu partizipieren. Die zentrale These dieser Debatte war: Je niedriger der sozio-ökonomische Status eines Kindes, desto geringer sind seine Chancen, zu einem höheren Bildungsabschluss zu gelangen (vergl. hierzu Böhm 2007 Kampshoff 2002 Benner 2011 Reble 2004). Diese Diskussion mündete dann in der Einrichtung von vielen Gesamtschulen, die neben dem traditionellen gegliederten Schulsystem bestanden und denen man vor allem die Realisierung des Ziels ‘Chancengleichheit’ zuwies. ‘Chancengleichheit’ wurde somit verkürzt auf das Strukturkonzept ‚gemeinsames Lernen‘. Die zwar postulierte aber nie konkret nachgewiesene Erfolgsbilanz dieser Entwicklung wurde dann durch die erste Pisa-Studie 2000 in Frage gestellt. Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass die in der Strukturreform der 1970er Jahre anvisierten Ziele nicht erreicht wurden (vergl. hierzu Baumert 2006 Prenzel 2008). Die Gründe dafür sind sicher vielschichtig. Manche Kritiker weisen zurecht darauf hin, dass die Gesamtschulen oft in sozialen Brennpunkten eingerichtet wurden und damit das von den Lernbedingungen und von der Schülerpopulation her einem Gymnasium in einem ‘besseren’ Stadtteil von vorherein unterlegen waren (vergl. hierzu Prenzel ebenda). Nach dem ‘Pisaschock’, der von vielen Autoren so interpretiert wurde, dass Chancengleichheit nicht erreicht worden war und außerdem der Leistungsstandard in ausgewählten Bereichen im Vergleich mit anderen Ländern niedrig blieb (vergl. Prenzel ebenda). Andere Autoren beurteilten die Pisa-Ergebnisse kritisch und sahen darin eine einseitige Fixierung der Schulpolitik auf diese Ergebnisse und eine Instrumentalisierung der Bildungspolitik als Wirtschafts- und Sozialpolitik (Krautz 2007, S.45 ff.). ‘Der Befund ist recht eindeutig. Pisa zielt auf rein zweckorientiertes Denken und ökonomische Verwertbarkeit von funktionalem Wissen’ (Krautz ebenda, S. 82 vergl. auch Fuhrmann 2004, S.222). Die nur auf einen bestimmten Ausschnitt fokussierte Diskussion in der Öffentlichkeit blieb jedoch weiterhin Leitfaden der Bildungspolitik in Deutschland. Diesbezügliche Einwände und Hinweise auf positive Entwicklungen vor allem in der Grundschulpädagogik in den 70er, 80er und 90er Jahren wurden kaum beachtet (z.B. Integration), ‘Öffnung der höheren Bildungsabschlüsse für größere Bevölkerungskreise’ (Krautz ebenda, S.47). Folgerichtig wurde deshalb nun ein neuer Anlauf gemacht, das alte Ziel, erweitert um das Problem der Migration, zu erreichen und das neue Ziel ‘Verbesserung des Leistungsstandards’ auf der Basis der Pisa-Ergebnisse zu realisieren. Viele Autoren üben jedoch fundamentale Kritik an den Pisa-Tests. Jochen Krautz kommt bei seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass die Pisa-Tests ausschließlich ‘auf zweckrationales Denken und ökonomische Verwertbarkeit’(Krautz ebenda, S.82) abzielen. Manfred Fuhrmann meint: ‘Der Idealtyp des Pisa-Test ist derjenige, der sich später einmal am besten in der Industrie, der Technik und der Wirtschaft auskennen wird. Von allen übrigen Bereichen der Kultur (…) sieht der Test rigoros ab’ (Fuhrmann 2004, S.222, zit. nach Krautz ebenda, S. 82). Joachim Wuttke kritisiert unter anderem, dass die Ergebnisse der Tests infolge grober Mängel bei den Messinstrumenten nicht aussagekräftig seien (Wuttke 2006, S.101-154). Eva Jablonka schließlich bezweifelt gar den Anspruch der Pisa Studie, unser Bildungssystem grundsätzlich in Frage zu stellen(vergl. Jablonka 2006, S. 155-186). Schließlich wurde auch die Strukturdebatte wieder aufgenommen und, beispielsweise in Hamburg, mit dem Konzept der 6-jährigen Primarschule erneut das gemeinsame Lernen als Weg zum Ziel erwählt (vergl. hierzu Vertrag CDU/GAL in Hamburg 2008, S.7 ff.). Es entstand ein heftiger Streit zwischen Befürwortern und Gegnern. Während die Befürworter das Erreichen der gewünschten Ziele postulierten, bezweifelten viele Kritiker die zielführende Wirksamkeit des gemeinsamen Lernens sowohl im Hinblick auf den Schulerfolg als auch auf die soziale Integration (vergl. hierzu Baumert et al. 2002 Heller 2002). Andere wollten sich diesbezüglich vor einer Prüfung durch wissenschaftliche Langzeitstudien nicht festlegen. Nach dem Scheitern dieses Projekts durch den Volksentscheid im Sommer 2010 werden einige Hamburger Grundschulen als Primarschulversuch mit wissenschaftlicher Begleitung geführt (vergl. hierzu: Schule Vizelinstraße in Hamburg 2012). In anderen Bundesländern gibt es vergleichbare Debatten. In Schleswig-Holstein geht es um die Gemeinschaftsschule, in der ähnlich wie im Hamburger Stadtteilkonzept Haupt- und Realschule zusammengefasst werden. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Schulstrukturreformen, soweit sie bisher in die Praxis umgesetzt wurden, den Nachweis für die Wirksamkeit im Hinblick auf die selbst gesetzten Ziele noch keinesfalls erbracht haben. Zu kritisieren wäre im Hinblick auf eine integrative Perspektive, dass die Entwicklung der Reformvorhaben oft unter großem Zeitdruck steht. Ferner werden mehrere Vorhaben gleichzeitig in Angriff genommen, gründliche Diskussion und Erprobung sind daher kaum möglich. Darüber hinaus werden viele Vorhaben von der Politik initiiert, ohne die Betroffenen (Lehrer, Schulleiter, Eltern, Schüler) und deren Fachkompetenz und Interessen rechtzeitig einzubeziehen. Diese ‘Reformbewegung von oben’ setzt politische Machtinteressen vor pädagogische Argumente und demokratische Ansprüche. Reformvorhaben, die auf diese Weise umgesetzt werden sollen, können auf Dauer nicht gelingen (vergl. Krautz ebenda, S.50 Töller 2011). Sie führen, wie das Hamburger Beispiel deutlich zeigt, zu einem enormen Ressourcenverbrauch bei den Lehrkräften, zu Unmut und Frustration bei den Eltern und zur Vernachlässigung der Kinder, für deren Wohl man dem eigenen Anspruch zufolge streitet, weil die Pädagogen mit Reformdiskussionen so beschäftigt sind, dass weder Zeit noch Kraft für die eigentlichen Aufgaben bleibt (vergl. Krautz ebenda, S.69 Töller 2011).
Gerold Schmidt-Callsen wurde in Hamburg geboren. Auch sein Lehramtsstudium und das anschließende Referendariat absolvierte er in Hamburg. Anschließend war er als Lehrer und Schulleiter im Hamburger Schuldienst tätig. Der Autor promovierte an der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel und ist zurzeit als lehrbeauftragter Dozent am Institut für Pädagogik der Universität Kiel und als freier Autor tätig. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.
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