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Gesellschaft / Kultur
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disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 236
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Generell bieten sich in der heutigen Zeit zwei Möglichkeiten, die Gegebenheiten und Ereignisse in der Welt zu deuten: im Sinne einer wissenschaftsbasierten Daseinsdeutung oder im Sinne einer mythischen Weltanschauung. Die promovierte Philosophin und Kunsthistorikerin Dr. Dr. Susanna Berndt stellt ausgewählte zentrale Merkmale und Theorien beider Weltdeutungen vor und einander gegenüber, um der Frage nachzugehen, ob sich aus der kritischen Auseinandersetzung mit den Mythen vergangener Kulturen brauchbare Impulse für einen rationalen Umgang mit auf mythischen Vorstellungen basierenden Ansichten in grundsätzlich wissenschaftsorientierten Gesellschaften gewinnen ließen. Am Beispiel ausgewählter inselkeltischer Überlieferungen legt die Fachbuchautorin dar, dass eine themenbezogene Mythenanalyse nicht nur geeignet ist, die mit ideologischen Dogmatisierungen und Instrumentalisierungen verbundenen Gefahren aufzuzeigen und durch rationale Kritik zu verringern, sondern auch dazu beitragen kann, auf kreative Weise nach vernünftigen Lösungsansätzen zu suchen – beispielsweise für menschliche Lebensprobleme wie dem Bedürfnis nach Orientierung oder für gegenwärtige soziale Konflikte im Rahmen von politischen, religiösen und ökonomischen Machtansprüchen.
Textprobe: 1. Grundzüge der keltischen Kultur: Religion: Über die Jahrhunderte hinweg boten die Religionsvorstellungen der Kelten viel Anlass zu den fantastischsten Spekulationen. Und bis heute hat sich daran im Grunde wenig verändert. Eine einheitliche, systematisierende Mythologie wie über das griechische Pantheon oder den hinduistischen Götterhimmel ist für die keltische Religion nicht belegt. Dennoch lassen sich im gesamtkeltischen Siedlungsgebiet anhand des Quellenmaterials Gemeinsamkeiten herausarbeiten, die auf eine verwandte, wenn nicht sogar dieselbe mythische Weltdeutung schließen lassen. Auf gemeinsame Weltanschauungen deuten nicht nur die im gesamten keltischen Siedlungsgebiet zu findenden Übereinstimmungen bei den Bestattungen, Grabbeigaben, versenkten Opfergaben und heiligen Kultplätzen, sondern vor allem die Weigerung, religiöse Inhalte schriftlich niederzulegen, obwohl die damals bekannten Schriften etwa im Handel nachweisbar zur alltäglichen Verwendung in Gebrauch waren. Es ist schon erstaunlich, dass kein Priester, kein Dichter, kein Gelehrter dieser zahlreichen Stämme über einen Jahrhunderte andauernden Zeitraum auch nur ein einziges Schriftstück mit Bezug auf die eigene Glaubensvorstellung und Weltdeutung hinterließ, insbesondere, da doch gerade die Rede- und Dichtkunst bei den keltischen Stämmen in so hohem Ansehen gestanden haben soll. Große Bedeutung kam dem Opferwesen zu. Zu opfern, bedeutet, etwas heilig zu machen und anschließend in die nicht fassbare, die Andere Welt zu überführen. Auf diese Art war es möglich, den transzendenten Wesen die Wünsche oder den Dank des Einzelnen wie auch der Gemeinschaft kundzutun, sie zu stärken, oder begangenes Unrecht wieder gutzumachen, um die Wesen zu versöhnen. Das Vollziehen von Sach-, Tier- und Menschenopfern gehörte zu den Kulthandlungen der Druiden. Diese Opfergaben wurden meist auf eine spezielle Weise an einem besonderen Ort dargebracht. Viele der Gegenstände, besonders Waffen und Werkzeuge, wurden vor der Weihung unbrauchbar gemacht, um damit ihr Ausscheiden aus der profanen (natürlichen) Welt anzuzeigen. Weit verbreitet waren außerdem Riten, die darin bestanden, ein Götterbildnis oder einen Steinpfeiler mit Fett, Blut oder Rötel einzureiben. Vermutlich ging es dabei um die Kräftigung und Stärkung der damit verbundenen Gottheit. Neben der Darbringung oft unbrauchbar gemachter Votivgaben in Höhlen, Spalten und vor allem Gewässern, deuten versenkte Menschenopfer auf eine tiefe Verehrung chthonischer Mächte. Handelte es sich um einen Kult der Erdmutter? Einst war er weit verbreitet. Insbesondere den frühen Ackerbauern diente er der Huldigung der fruchtbaren Erde, aus der alles Leben stammte und in die es an seinem Ende wieder einging. Doch wieso genossen die erdgebundenen Gottheiten bei den Kelten eine solche Stellung? Hatten die kriegerischen Völker der Indogermanen mit ihrem Sieg über die autochthone Bevölkerung Europas nicht auch einen Sieg über die alten Gottheiten errungen? Anhand der griechischen und römischen Mythen lässt sich gut nachvollziehen, wie die Funktionen der Erdgöttin zu einem Großteil auf männliche Gottheiten übertragen wurden. Als unberechenbare Urmutter hatte sie kaum noch Anteil an den offiziellen Götterkulten, wenngleich sich Hinweise auf ihre einstige Macht in zahlreichen Mythen finden und Rituale ihres Kultes über lange Zeit hinweg in geheimen Mysterienkulten ausgeübt wurden. Hatte die Verehrung chthonischer Mächte eine Abwendung von den lichten, Ordnung bringenden Himmelsbewohnern zu bedeuten, hin zu den dunklen Kräften des Chaos, dem Schoß der alles verschlingenden Erdmutter? Nicht unbedingt. So stand an der Spitze der keltischen Götterwelt eine männliche Gottheit. Sie war zugleich Ahnherr des Stammes und Herrscher über das fruchtbare Jenseits. Die Linguistin und Keltologin Marie Louise Sjoestedt vermutet, dass es in der keltischen Religion zwei Leitmotive gab: das männliche Prinzip der Gesellschaft und das weibliche Prinzip der Natur oder – dem keltischen Verständnis einer Vielfalt näherstehend – die sozialen Kräfte männlichen Charakters und ihr Gegenstück die natürlichen Kräfte weiblichen Charakters. Ein Gegensatz, der durch die sexuelle Vereinigung von Stammesgott mit Erdmutter, von König mit Priesterin zu einer Versöhnung und somit zum Gedeihen des Stammes führen sollte. Dafür spricht auch, dass Menschenopfer offenbar nicht nur den chthonischen Mächten dargebracht wurden. Zeugnis darüber liefern beispielsweise Berichte antiker Autoren, wobei es einigen von ihnen ein besonderes Anliegen gewesen sein dürfte, ihre Leserschaft durch Beschreibungen grausamer Opferpraktiken über das vermeintlich barbarische Wesen der keltischen Stämme aufzuklären. Mit Bezug auf Menschenopfer meinte Cäsar: Sie [die Druiden] glauben zwar, dass die Tötung von Menschen, die bei Diebstahl, Raub oder anderen Verbrechen gefasst wurden, den unsterblichen Göttern angenehmer ist wenn es ihnen jedoch an solchen fehlt, gehen sie auch dazu über, Unschuldige zu opfern. Archäologisch lassen sich Menschenopfer oft schwer nachweisen. Eine rituelle Tötung ist anhand der erhaltenen Überreste meist kaum von einer tödlichen Verletzung etwa im Rahmen eines Kampfes zu unterscheiden. Bei einem Bauopfer könnte es sich ebenso um eine normale Bestattung handeln, Doppel- und Mehrfachbestattungen können auf natürliche Ursachen zurückgehen. Bernhard Maier betont, dass selbst in den latènezeitlichen Heiligtümern Nordfrankreichs Menschenopfer nicht eindeutig nachzuweisen sind. Die Skelettreste würden eher auf rituelle Manipulationen post mortem hinweisen. Selten sind die Umstände so eindeutig wie bei dem sogenannten Lindow Man , der Moorleiche von Lindow Moss bei Wilmslow in Cheshire aus dem 1. Jahrhundert. Der Tod des jungen Mannes war auf dreifache Art eingetreten: Erdrosseln, Erschlagen und Durchschneiden der Kehle. Über den Grund dieser Tötung lässt sich allerdings nur spekulieren. Ein rituelles Opfer? Eine öffentliche Hinrichtung? Blutrache? Ob die vielfach belegte Bedeutung des menschlichen Hauptes mit Menschenopfern in Verbindung stand, bleibt zu bezweifeln. Die Kopfjagd beschränkte sich auf das Enthaupten bereits verstorbener Menschen, wobei die Köpfe anschließend um den Hals der Pferde gebunden beziehungsweise auf Lanzen gespießt wurden. Ein Brauch, den antike Autoren auch dem Reitervolk der Skythen zuschrieben. Vielleicht sollte er die Kraft des Siegers vermehren, wie es für die Dajak auf Borneo belegt ist. Dort diente die Enthauptung des getöteten Feindes der Vermehrung der persönlichen Manneskraft des Siegers. Erst durch die Darbringung zumindest eines menschlichen Hauptes kam er für seine Auserwählte als ernst zu nehmender Geschlechtspartner in Betracht. Als Zeugnis seiner Mannhaftigkeit wurde dem Krieger nach dem Vorzeigen seines ersten Menschenkopfes ein Ring über dem Finger tätowiert. Die Potenz des erbeuteten Kopfes galt als umso höher, je außergewöhnlicher die Herkunft oder Position seines einstigen Trägers gewesen war, wobei das Geschlecht keine Rolle spielte . Auch die Gallier sollen gerne mit der besonderen Herkunft ihrer Trophäen geprahlt haben, insbesondere wenn es sich um Menschenköpfe handelte. Zudem wurden menschliche Köpfe in südgallischen Heiligtümern öffentlich ausgestellt. Eine himmlische Götterwelt ist weder überliefert, noch durch Darstellungen fassbar. Vielmehr existierte parallel zur Menschenwelt eine eigene Sphäre mit ausgedehnten Reichen der überirdischen Fürsten und Fürstinnen. Die Erdgöttin trat meist in Gestalt der königlichen Herrscherin als Personifikation des Landes auf oder als mütterliche Schutzgöttin. Auch Kriegsgöttinnen sind überliefert. Die Verbindung der Erdgöttin zum Jenseits wird jedoch nicht explizit herausgestellt. Sie lässt sich nur noch durch Attribute und Begleittiere erahnen. Darstellungen während der römischen Zeit zeigen sie oft an der Seite eines römischen Gottes. Ein Umstand, der nach Bernhard Maier auf die Unterordnung der einheimischen Gottheit unter den fremden Gott der siegreichen Römer deutet. Hinzu kommen unzählige inschriftlich überlieferte Namen von männlichen und weiblichen Gottheiten, deren Vielfalt jedoch nicht auf die Existenz ebenso vieler Götter und Göttinnen verweisen muss. Eventuell handelte es sich um stammesspezifische Kultnamen, die zur Identifikation mit dem jeweiligen Stamm beitrugen, aber auf einer ursprünglich gemeinkeltischen Weltdeutung beruhten. Darauf deuten die im gesamten keltischen Siedlungsgebiet durch Inschriften, Abbildungen und die Art ihrer Verehrung bezeugten Funktionen der Gottheiten. So besaßen vor allem männliche wie weibliche Schutzgottheiten des Krieges und des Handwerks überregional große Verehrung. Außer Frage scheint zu stehen, dass die Kelten im Tod kein Ende, sondern den Anfang von etwas Neuem sahen. Darauf lässt nicht nur eine Nachricht bei Valerius Maximus schließen, wonach bei den Galliern der alte Brauch begegnet, Geld zu leihen, dessen Rückzahlung im Jenseits erfolgte, weil sie überzeugt waren, dass etwas im Menschen, eine Art Seelenkraft, für einen nicht näher bestimmten Zeitraum weiterlebt. Auch die Angst vor Wiedergängern, also von unheilbringenden Totenseelen weist auf den Glauben an ein Weiterleben dieser Seelenkraft. Sie lässt sich anhand der Bestattungsformen, darunter Manipulationen der Leichname, und der Beigabe von apotropäischen Symbolen nachweisen. Cäsars Beschreibungen ist zu entnehmen, dass er die bestärkte Tapferkeit der keltischen Krieger ihrem Glauben an das ewige Leben ihrer Seele zuschrieb. Pomponius Mela erwähnt, dass eines ihrer Dogmen lautete, die Seelen seien ewig und unter den Schatten gebe es ein anderes Leben. Lucanus schreibt, dass die Schatten nach Ansicht der Druiden nicht in die Gefilde des Erebus und die bleichen Reiche von Dis gingen, sondern dass der gleiche Geist den Gliedern in einer anderen Welt geböte und wenn das, was sie sängen, richtig sei, wäre der Tod nur die Mitte eines langen Lebens. Ammianus behauptet, dass die Druiden das sterbliche Los der Menschen verachteten und die Unsterblichkeit der Seele propagierten. In den Hippolytus zugeschriebenen Philosophumena wird berichtet, dass die druidische Lehre mit der pythagoreischen Philosophie der Wiedergeburt verwandt sei. Allerdings ging es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um die allgemeine Wiedergeburt in irgendeinem Körper dieser Welt, sondern um ein neues Leben in einem menschlichen Körper, ob in dieser oder in einer anderen Welt steht weiterhin zur Diskussion. Generell zeigen die Überlieferungen zwei verschiedene Auffassungen über die Art der Wiedergeburtslehre bei den Kelten. Die eine nahm an, dass die Druiden eine Wiederkehr der Seele in einem menschlichen Körper in dieser Welt lehrten, die andere, dass es sich um ein menschengleiches Leben in einer anderen Welt handelte. Auf letzteres könnten die umfangreichen Grabbeigaben deuten. Zu diesem Brauch passt zudem die Beschreibung bei Cäsar: Was dem Toten [...] lieb war, werfen sie auf den Scheiterhaufen, auch Tiere und bis vor kurzem noch Sklaven und Clienten, [...die...] der Tote [...] geliebt hatte. Nach den feierlichen Beerdigungsriten werden sie zusammen mit den Verstorbenen verbrannt. Ob jeder Mensch eine unsterbliche Seele besaß, unabhängig von seiner Volkszugehörigkeit oder seiner gesellschaftlichen Stellung, geht aus den Überlieferungen nicht hervor. Vielleicht entstand und entwickelte sie sich auch erst im Laufe eines Lebens und war somit auserwählten Menschen vorbehalten, eine Vorstellung, die sich unter den afrikanischen Weltdeutungen findet. Ebenso scheint die Art des Lebens im Jenseits nicht mit der Lebensweise im Diesseits zusammenzuhängen. So deutet nichts in den inselkeltischen Aufzeichnungen auf Vorstellungen von Lohn und Strafe für ein bestimmtes Verhalten im Diesseits, auf den Glauben an ein Strafgericht, an etwas wie die christliche Hölle oder an ein dem Hades entsprechendes düsteres Schattenreich, wenngleich es in der keltischen Anderen Welt , also jenseits der menschlichen Welt durchaus unfruchtbare und trostlose Reiche zu geben scheint. Die Namen der jenseitigen Inseln weisen auf ihre Funktionen hin wie Tir na n-óg (Land der Jugend), Tir na mban (Land der Frauen) oder Mag Mell (Angenehmes Gefilde). Doch selbst Unsterblichkeit, ewige Jugend und Gesundheit hinderten die Bewohner der transzendenten Welt nicht daran, sich zu bekämpfen. Es zeigt, welch hohe Bedeutung der kriegerische Aspekt im Leben der keltischen Stammeskulturen hatte. Für viele Völker stellen die Bereiche der diesseitigen und der jenseitigen Welt eine zusammengehörige Einheit dar. Naturgeister, Ahnenseelen, Götter und andere übernatürliche Wesen sind ein Teil des gewöhnlichen Alltaglebens. Sie sind ebenso real wie alle anderen Dinge. Diese Art der Weltsicht kennt keine absolute Trennung der transzendenten von der empirisch fassbaren Welt. Auch in den inselkeltischen Erzählungen scheinen die Grenzen zwischen den beiden Welten zu verschwimmen. In der transzendenten Welt befanden sich neben männlichen und weiblichen Gottheiten, den Seelen der Verstorbenen sowie anderen übernatürlichen Wesen ebenso Tiere und Pflanzen. Trotz der Transzendenz wurde diese Welt durchaus real vorgestellt, real und konkret, etwa auf bestimmten Inseln weit im Westen, aber auch in den Seen, oder unter großen Erdhügeln, den so genannten Sidhe, bei denen es sich um Wohnsitze der Feen handelt, die unter der Erde über riesige Reiche geboten. Auserwählte Sterbliche konnten diese Reiche besuchen, jedoch geschah dies nicht immer freiwillig, und nicht immer bekam ihnen die Reise dorthin.
Dr. Dr. Susanna Berndt promovierte an der Karl-Franzens-Universität Graz 1998 am Institut für Kunstgeschichte und 2016 am Institut für Philosophie. Die Fachbuchautorin arbeitete als Chefredakteurin, Textchefin und freie Wirtschaftsjournalistin für verschiedene Online- und Printmedien. Der Fokus ihrer philosophischen und wissenschaftlichen Arbeit liegt neben der Erforschung alt- und außereuropäischer Kulturen vor allem im Bereich sozial- und wissenschaftsphilosophischer Themen sowie der Praktischen und Interkulturellen Philosophie.
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