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Gesellschaft / Kultur

Klaus Walter

Erziehen ist eine Kunst. Gestaltpädagogik in der Jugendhilfe

ISBN: 978-3-95425-964-9

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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 168
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Gestaltpädagogik adaptiert die Erkenntnisse der Gestalttheorie und die Erfahrung der Gestalttherapie an pädagogische Erfordernisse. Dieses Fachbuch wendet sich an PädagogInnen und TherapeutInnen aus der Jugendhilfe, die an ganzheitlichem Lernen und Erleben ihres Berufes interessiert sind. Es sucht den Spagat zwischen der Information über die Inhalte von Gestaltpädagogik für die Jugendhilfe und der Werbung für die Teilnahme an selbsterfahrungsorientierter Fortbildung. Dabei kommt es immer wieder zu dem Schluss, dass die angebotene Theorie alleine nicht genügt, sondern um ganzheitliches Erleben ergänzt werden muss. Dies mündet in der Erkenntnis, dass Erziehen im Grunde keine Wissenschaft ist, sondern eine Kunst.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.1. Bezug zur Gestalttherapie: Die Gestalttherapie hat ihre Wurzeln in der humanistischen Psychologie. Auf die gleichen humanistischen Grundlagen bauen noch eine ganze Reihe weiterer psychotherapeutischer Verfahren und Methoden auf. Ihnen gemeinsam sind eine am Menschen orientierte Denk- und Erlebensweise, was unter anderem bedeutet, dass der Mensch als eine Einheit von Denken, Fühlen und Verhalten verstanden und jeder Organismus als Bestandteil eines Feldes oder Systems mit komplexem Bedingungsgefüge angesehen wird. Der Begriff Gestalt stammt aus der experimentellen Wahrnehmungs- und Erkenntnispsychologie der Berliner Schule der Gestaltpsychologie von Max Wert-heimer, Kurt Koffka, Lewin und Goldstein, die verschiedene Wahrnehmungsphänomene erforschten und formulierten. Hierzu gehört unter anderem die Beobachtung, die der Gestalttherapie ihren Namen gab, das Gestaltphänomen: Menschen neigen dazu, visuelle Eindrücke so zu organisieren, dass sie eine sinnvolle Einheit, eine Gestalt bilden. Der deutsche Arzt und Psychotherapeut Fritz Perls erkannte, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Gestaltpsychologie nicht nur für die Wahrnehmung, sondern für das gesamte menschliche Erleben Relevanz haben. Er übertrug sie darum auf seine psychotherapeutische Arbeit und legte so den Grundstein für die Gestalttherapie. Fritz Perls hat zumeist in den USA gearbeitet, nachdem er wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem nationalsozialistischen Deutschland flüchten musste. Hier hat er zusammen mit anderen Therapeuten humanistischer Orientierung in Esalen eine Stätte kreativen Schaffens ins Leben gerufen, von der über viele Jahre hinweg die Entwicklung von Therapie- und sozialen Arbeitsformen ausging. Mit dieser Entwicklung verbinden sich Namen wie Ruth Cohen, Ida Rolf (Rolfing), Laura Perls, Paul Goodman, Jacob Moreno (Psychodrama) und viele mehr. Sie haben zusammen mit Perls erheblich zur sogenannten New-age-Bewegung beigetragen. Perls und auch alle anderen mir bekannten Gestalttherapeuten haben die Gestalttherapie nie als isolierte Technik oder Psychotherapieform betrachtet. Vielmehr haben sie gerade auf das Wachstum des Ansatzes gesetzt, der hierfür auch aus anderen Konzepten Erfahrungen und Inhalte schöpft. Sie haben – teils sehr pragmatisch – verschiedene Psychotherapieformen und -methoden integriert, gemäß dem Gestaltprinzip, dass das Ganze mehr ist, als die Summe seiner Teile. Wegen dieser Integration wird heute auch vielfach von integrativer Gestalttherapie gesprochen. Des Weiteren wurde die Entwicklung auch durch Ansätze phänomenologischen und existentialistischen Denkens befruchtet, wie sie sich in fernöstlichen Philosophien finden. Beim Transfer von Gestalttheorie und Gestalterleben in andere als sozialwissenschaftliche Bereiche entstand ebenfalls ein gegenseitig fruchtbarer Austausch, wie durch die Berücksichtigung anderer Wissenschaften, wie zum Beispiel astrophysikalischer Theorien durch Stemmler und Bock . Manche dieser Integrationsversuche gewannen keine Kraft, führten in eine Sackgasse und wurden wieder aufgegeben. Manche wurden aber auch als Esoterik kritisiert und verworfen. Schon im Laufe seiner frühen psychotherapeutischen Arbeit erkannte der psychoanalytisch gebildete Perls, dass ein Mensch Kraft und Motivation zu seiner Entwicklung oder zur Heilung seiner Persönlichkeit aus der bewussten Wahrnehmung der Gegenwart schöpft. Er postulierte das Grundprinzip, dass die The-rapie permanent auf das Erleben im Hier-und-Jetzt zurückgreifen müsse. Perls Versuche, seine Ideen in die Psychoanalyse einzubringen, wurden von Sigmund Freud zurückgewiesen, so dass er sich zunehmend distanzierte und seinen eigenen Weg ging. Die Gestaltprinzipien: Der Gestalttherapeut oder Gestaltpädagoge arbeitet mit dem Prinzip des permanenten Erlebens im Hier-und-Jetzt indem er seine eigene Wahrnehmung und die Wahrnehmung des Menschen dem er hilft, immer wieder auf die Gegenwart lenkt. Nicht immer ist der Mensch mit dieser Hilfe einverstanden oder möchte die damit verbundenen Konsequenzen ertragen, denn dabei werden verdrängte leidvolle Erlebnisse gegenwärtig erlebbar, mit all ihren seelischen Verletzungen und dem damit verbundenen Schmerz. Um sich vor diesem Leid zu schützen, bringt ein Mensch der Wahrnehmung in der Gegenwart Widerstand entgegen, versucht den Kontakt mit seinen Sinneserlebnissen zu vermeiden. Wenn sich ein Mensch so gegen verändernde Einflüsse wehrt, dann ist diese Vermeidung nicht negativ zu bewerten, sondern als wichtige Äußerung seines Selbst anzuerkennen, als der aktuelle Versuch, seine psychische Balance aufrecht zu erhalten. Durch die Vermeidung ist zwar der gesunde Ablauf des Erlebens gestört, der Kontakt mit Teilen des Selbst und mit Teilen der Umgebung findet nicht oder reduziert statt, aber dennoch bedeutet Heilung nicht, den Widerstand zu ignorieren oder zu durchbrechen, sondern in zu akzeptieren, bis er im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung seine Notwendigkeit verliert und von selbst aufgegeben wird. Aus den eben aufgezählten und im Folgenden noch ausführlicher dargestellten Prinzipien haben Gestalttherapeuten Vorgehensweisen für die Psychotherapie abgeleitet. Mit diesen Vorgehensweisen zielen sie auf die Verbesserung der Wahrnehmung in der Gegenwart, die Überwindung der Trennung von Leib und Seele, die Stärkung der Selbstfunktionen, sowie auf die Wiederherstellung eines guten Kontaktes zwischen Organismus und Umgebung. Die Ziele lassen sich zusammenfassen in dem Bestreben, die Fähigkeit des Menschen zu verbessern, seine Gestalten des Erlebens zu schließen. Da die Ziele, die Haltungen des Helfers und die Methoden übereinstimmen, vermag ich derzeit die Frage, was Gestalttherapie und Gestaltpädagogik voneinander unterscheidet nur so zu beantworten, dass ich feststelle: Es ergeben sich aufgrund der verschiedenen Arbeitsbedingungen verschiedene Schwerpunkte der Aufmerksamkeit und der Handlungsfelder, so dass Pädagoge und Psychotherapeut aus einem gemeinsamen Pool von Möglichkeiten lediglich nach diesen unterschiedlichen Schwerpunkten wählen: Der Psychotherapeut hat sein intensivstes Wirkungsfeld bei intrapsychischen Prozessen und arbeitet zumeist in Einzelgesprächen. Der Pädagoge im Gruppendienst wird sein Handeln vornehmlich auf interpersonelle und Gruppenprozesse lenken und so eher indirekt Einfluss auf intrapsychische Vorgänge haben, den Austausch zwischen Personen und die Entwicklung in der Gruppe fördern. Kapitel 4.2. Die Gestaltbildung und Figurbildung: Als ich ein etwa 8 Jahre alter Schüler war, passierte mir Folgendes: Ich saß im Unterricht vor einem Zeichenblock und meine Lehrerin wollte, dass ich eine Blume male. Um mich herum waren alle meine Mitschüler emsig am Farbe mischen und klecksen. Mir war aber eher langweilig, weil ich hier stillsitzen sollte und viel lieber auf dem Schulhof hinter einem Ball her gerannt wäre. Und weil ich zappelig und mit den Gedanken bei ganz anderen Dingen war, stieß ich gegen meine Palette, in der Farbe angerührt war. Sie schwappte über und auf meinem Blatt entstand eine kleine dunkelrote Pfütze. Viel Farbe war es nicht und ich faltete das Blatt einfach zusammen, damit es niemand sehen sollte. Später bekam meine Lehrerin dann durch einen Zufall meine Zeichnung doch noch zu sehen und lobte sie, weil meine Blume so schön symmetrisch war. Sie war damit dem Wahrnehmungsphänomen der Figurbildung zum Opfer gefallen . Ein für die Gestaltarbeit wesentliches Ergebnis der Wahrnehmungsexperimente ist die Entdeckung des Prozesses der Gestaltbildung, zu dem als wichtigster Bestandteil die Figurbildung gehört. Figurbildung: Menschen strukturieren ihre Wahrnehmung und ihr gesamtes Erleben. Fakten, Sinneswahrnehmungen, Verhaltensweisen und Phänomene werden von Menschen erst durch ihre Organisation definiert und nicht schon durch ihre Bestandteile. Erst durch die Organisation und durch ihre Differenzierung in Vordergrund und Hintergrund erhalten sie ihre eigenständige und besondere Bedeutung. Die Gestalt ist hierbei die organisierte Gesamtheit unseres aktuellen Erlebens und die Figur ist der Teil dieser Gestalt, der im Zentrum unserer Aufmerksamkeit ist. Der Prozess, der als Gestaltbildung bezeichnet wird, ist für die Gestalttherapie und Gestaltpädagogik namengebend gewesen. Er erklärt, dass Menschen zum Beispiel Gegenstände, auf die sie ihre Aufmerksamkeit richten, nicht als unzusammenhängende Bruchstöcke wahrnehmen, sondern sie im Wahrnehmungsprozess zu einem sinnvollen Ganzen, zu einer Figur organisieren und sie vom Rest der Gegenwart als Hintergrund abheben. Dinge, Gedanken, Gefühle, Personen: Alles das, was in unserer Wahrnehmung in den Vordergrund tritt und von uns als ein Ganzes erlebt wird, ist Figur. Dieses Wahrnehmungsphänomen ist in einem Satz zusammengefasst, der lautet: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Über den Autor

Klaus Walter ist gebürtiger Braunschweiger. Nach der Ausbildung zum Werkzeugmacher und der Tätigkeit als Krankenwagenfahrer entdeckte er sein tieferes Interesse am gelegentlich ungewöhnlichen Verhalten seiner Mitmenschen. Über den Besuch des Gymnasiums für Erwachsene und einem Studium der Psychologie an der TU-Braunschweig wurde daraus mit weiteren Ausbildungen letztlich eine fundierte Profession als Psychotherapeut (Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Gestalttherapie etc.). Nach Honorartätigkeiten und einem Abstecher in den Justizvollzugsdienst verschlug es ihn nach Burgdorf und Hannover, wo er im Stephansstift in der Jugendhilfe tätig ist.

weitere Bücher zum Thema

Akademisierung in der Pflege. Aktueller Stand und Zukunftsperspektiven

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