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Gesellschaft / Kultur

Corinna Meyer-Suter

End-of-life Care auf Intensivstationen: Belastungen und Ressourcen von Pflegekräften

ISBN: 978-3-95425-448-4

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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 148
Abb.: 37
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Diese Studie untersucht, wie ‘End-of-life Care‘ auf Intensivstationen in Deutschland erfolgt und welche unterstützenden und hinderlichen Faktoren Pflegekräfte wahrnehmen. Sie basiert auf einer schriftlichen Befragung des Pflegepersonals von fünf Intensivstationen und einem umfangreichen theoretischen Unterbau. Intensivstationen sind hoch spezialisierte technikorientierte Einheiten in Kliniken. Sie bilden den Rahmen für die Versorgung von Menschen in lebensgefährdenden Krisensituationen. Die Handlungsmaxime lautet zunächst Maximaltherapie zur Rettung menschlichen Lebens dennoch sind deutsche Intensivstationen für ca. 8% ihrer PatientInnen der Ort des endgültigen Abschieds vom Leben. Die Zahl derer, die kaum Aussicht auf Heilung haben, wächst. Häufig wird der Tod als ein Versagen der Medizin verstanden diese Auffassung steht einer ganzheitlichen und längerfristigen Planung entgegen, die ein würdevolles Sterben möglich macht. Stimmt also die Analyse des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin: ‘Nirgendwo ist durch die medizinischen Möglichkeiten, den Todeszeitpunkt zu manipulieren, Sterbebegleitung so schwierig wie in der Intensivmedizin.‘(Müller-Busch, 2001, S. 733)?

Leseprobe

Textprobe: 6, Sterbebegleitung auf Intensivstationen: Die relativ hohe Letalität auf Intensivstationen zeigt, dass der Tod dort keine Seltenheit ist. Das eröffnet die Frage, wie da, wo eigentlich alles darauf ausgerichtet ist Leben zu erhalten, Sterbebegleitung praktiziert wird. Zunächst soll die Ist-Situation ausgeleuchtet werden, um dann auf die Bedürfnisse der Sterbenden einerseits und der begleitenden Pflegekräfte andererseits einzugehen. Schließlich werden die Maßnahmen aufgeführt, die zur Sterbebegleitung gehören und ‘End-of-Life Care Konzepte’ vorgestellt. Franco Rest bringt Klarheit in die vielfältigen Begriffe, die im Zusammenhang mit Sterben häufig genannt werden. Er unterscheidet zwischen folgenden drei Hilfen: - Hilfen ‘zum Sterben’ (‘Sterbehilfe’), - Hilfen ‘im Sterben’ (‘Sterbenshilfe’) - Hilfen ‘beim Sterben’ (‘Sterbebeistand’ und ‘Sterbebegleitung’). Während die ‘Sterbehilfe’ sich unmittelbar auf das Sterben selbst bezieht, umfasst die ‘Sterbenshilfe’ den gesamten Lebensabschnitt, in dem das Sterben stattfindet. Von beiden heben sich ‘Sterbebeistand’ und ‘Sterbebegleitung’ ab, indem sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen (Rest, 1998). Auch die Anforderungen an die Helfenden unterscheiden sich dementsprechend: ‘Zur Sterbehilfe benötigen wir Fachkenntnisse, für Sterbebeistand unser innerstes Menschentum, für Sterbebegleitung eine ethische Gesinnung - also gehören sie zusammen, damit nicht z.B. Fachkenntnisse ohne Gesinnung einhergehen.’ (Rest, 1998, S. 16). Leider wird der Begriff ‘Sterbehilfe’ in der Literatur durchaus für alle oben genannten Begriffe verwendet. Daher ist es unerlässlich, beim Gebrauch dieses Wortes klar zu beschreiben, was damit gemeint ist. Gleichwohl gibt es in der Praxis häufig Überschneidungen dieser Bereiche. Besonders auf Intensivstationen wird dies deutlich, und daher ist die Abgrenzung oft schwierig. Meist dominiert hier die ‘Sterbehilfe’, die sich in guten medizinischen, aber leider mäßigen rechtlichen Fachkenntnissen widerspiegelt. Franco Rest zählt Pflegewissenschaft, Erziehungswissenschaft und Psychologie zu den Professionen, die ‘Sterbebeistand’ leisten. Diese eher statische und durch ein Verhältnis von Über- und Unterordnung gekennzeichnete Anwaltsfunktion des ‘Sterbebeistands’ wird ergänzt durch die hinüberleitende Dynamik der ‘Sterbebegleitung’. Theologie, Philosophie und Kommunikationswissenschaft geleiten den/die PatientIn auf Augenhöhe auf seinem/ihrem letzten Weg (Rest, 1998). Meiner Auffassung nach besteht die professionelle Pflege sterbender Menschen darin, jedem/r die Unterstützung zukommen zu lassen, die seinen/ihren Bedürfnissen entspricht, ohne ihn/sie dabei zu dominieren. Daher wird in dieser Arbeit der Begriff ‘Sterbebegleitung’ oder die noch umfassendere Bezeichnung ‘End-of-life Care’ gewählt. 6.1,Ist-Situation der Sterbebegleitung auf Intensivstationen: 1984 schrieb Hilde Steppe: ‘Aus der oft absoluten Priorität der lebensrettenden medizinischen Notwendigkeiten auf der Intensivstation ergibt sich für das Pflegepersonal, daß Sterbebegleitung im Sinne einer ‘Lebensvollendung’ erst in dem Moment als solche wahrgenommen werden kann, wenn das Sterben offiziell zugelassen wird, was konkret einem ausdrücklich erklärten Verzicht auf Wiederbelebungsmaßnahmen entspricht.’ (Steppe, 1984). Sie hielt daher unter den damaligen Bedingungen, in denen das Sterben auf Intensivstationen quasi nicht erlaubt war, eine umfassende Sterbebegleitung für nicht integrierbar. Wie stellen sich zwei Jahrzehnte später die Gegebenheiten dar? Seit Anfang der 90er-Jahre beobachtet man in Nordamerika einen rapide ansteigenden Anteil von PatientInnen, die in Folge von Therapiereduktion oder -limitation sterben, 1988 betrug dieser Anteil in verschiedenen Studien zwischen 43% und 51%, und 1993 lag er zwischen 66% und 90% (Baggs, 2002). Auch in Europa fällt dieser Trend auf, allerdings zeigen sich hier große Differenzen nach Ländern. In Nordeuropa wird häufiger zum Mittel der Therapieminimierung gegriffen als in Südeuropa: Ursächlich hierfür sind Unterschiede ethnischer, kultureller und religiösen Art (Carlet et al. 2004). Nimmt man diese Entwicklung als Grundlage, so müsste Sterbebegleitung im Sinne von Hilde Steppe auf deutschen Intensivstationen heute planbarer sein. Leider gibt es dazu keine Studien. Von 1989 bis 1991 untersuchten ForscherInnen die Versorgung von über 4000 schwerstkranken PatientInnen, die zum Teil ihre letzten Tage auf Intensivstationen verbrachten. In der ersten Phase der größten Studie über das Sterben in Krankenhäusern der USA, der ‘Study to Understand Prognoses and Preferences for Outcomes and Risks of Treatment” (SUPPORT) wurden gravierende Missstände aufgedeckt. 53% der behandelnden ÄrztInnen war nicht klar, dass ihrE PatientIn eine Reanimation ablehnte (Principal Investigators, 1995 zitiert in Baggs, 2002). Weitere Erkenntnisse waren unter anderem ein unzureichendes Schmerzmanagement, eine schlechte Kommunikation über die Prognose und eine fehlende Versorgungsplanung. Die anschließende Intervention, die den Kommunikationsfluss verbessern sollte, misslang (Nelson-Marten, Braaten & English, 2001). Im April 2003 stellte sich die ‘5th International Consensus Conference in Critical Care” in Brüssel den Herausforderungen von End-of-life Care auf Intensivstationen (Carlet et al., 2004). Dort präsentierten dreißig EOLC-ExpertInnen aus Nordamerika und Europa, darunter auch registered nurses, einer zehnköpfigen Jury ihre Forschungsergebnisse, um nach breiter Diskussion Antworten auf fünf Fragen zu formulieren: - Gibt es ein Problem mit EOLC auf Intensivstationen? - Welche Erkenntnisse gibt es über die Epidemiologie des Todes auf Intensivstationen? - Wie lassen sich die Unterschiede innerhalb und zwischen den Ländern und Kulturen bzgl. EOLC erklären? -Wer entscheidet darüber, wann und ob lebenserhaltende Maßnahmen auf der Intensivstation zu beenden sind? -Wie sieht die optimale Versorgung für sterbende PatientInnen auf der Intensivstation aus? Die neun identifizierten Problemfelder sind nachfolgend kurz aufgeführt: Der Sprachgebrauch auf Intensivstationen zeugt häufig von mangelnder Sensitivität und Genauigkeit bei gleichzeitiger emotionaler Aufladung. Der Satz ‘Die Situation ist aussichtslos, deshalb haben wir die Therapie abgebrochen’, schreckt durch harte Begriffe ab und bietet keine Perspektive. Angenehmer dagegen klingt: ‘Wir können das Grundleiden nicht mehr heilen, werden aber alles tun, damit PatientInnen und Angehörige sich in der ihnen noch gemeinsam verbleibenden Zeit wohlfühlen.’ Als zweites Problemfeld stellten die ForscherInnen eine große Variabilität in der Handhabung von Therapieeinschränkungen auf Intensivstationen sowohl zwischen als auch innerhalb von Ländern fest. Dies betrifft die Häufigkeit, den Zeitpunkt, die Therapieart und die Vorgehensweise. Zudem bemerkten sie eine Barriere zwischen der Möglichkeit, die lebensunterstützende Behandlung ‘einzufrieren’ oder sie zu reduzieren, obwohl ethisch hier kein Unterschied besteht. Die Entscheidung lebensverlängernde Maßnahmen einzustellen, fällt häufig erst sehr spät, weil die Vorhersagbarkeit des Verlaufs der Erkrankung lange im Unklaren bleibt. Es gibt zwar Scoring-Systeme, um Überlebenswahrscheinlichkeiten zu berechnen, doch diese eignen sich nicht für den Einzelfall. Ein weiteres Problemfeld bildet die Präferenz des/der PatientIn. Weniger als 5% der PatientInnen von Intensivstationen behalten ihre Entscheidungsfähigkeit. Die anderen sind also nicht mehr in der Lage zu sagen, welche Therapie sie wünschen oder ablehnen. Im Vorhinein haben weniger als 10% der IntensivpatientInnen eine Patientenverfügung abgefasst und nur ein kleiner Teil das Thema Versorgungswünsche im Falle einer sehr ernsten Prognose diskutiert. Dementsprechend fehlen sowohl bei Angehörigen als auch beim Intensivteam häufig Wissen und Verständnis vom Willen des/der PatientIn bezüglich des Umgangs mit lebensverlängernden Maßnahmen. Die Erkundigung nach dem evtl. auch schriftlich niedergelegten Willen des/der PatientIn gehört jedoch nicht zur Routine. Schon in der SUPPORT Studie wurde festgestellt, dass 33% der Primary Nurses nicht über die bevorzugten Versorgungswünsche ihrer PatientInnen informiert waren und nur 13% mit ihnen direkt über deren Wünsche bezüglich Reanimationsmaßnahmen sprachen (Miller, Forbes & Boyle, 2001). Auf der Datengrundlage von SUPPORT wurde ermittelt, dass Angehörige glaubten, 70% der PatientInnen hätten Palliative Care bevorzugt, 15% von diesen jedoch lebensverlängernde Maßnahmen erhalten (Lynn et al., 1997 zitiert in Baggs, 2002).

Über den Autor

Corinna Meyer-Suter wurde 1959 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie in Berlin die Ausbildungen zur Kranken- und Kinderkrankenschwester. Nach langjähriger Tätigkeit auf multidisziplinären Intensivstationen in Berlin, Davos, Erlangen und Hamburg sowie nebenberuflicher Beschäftigung in der Hospizpflege und Studium der Gesundheitswissenschaften in Hamburg und Bremen quittierte sie 2007 den Pflegedienst. Als Diplom-Gesundheitswirtin und Gesundheitswissenschaftlerin ist sie seit dem in verschiedenen Versorgungsbereichen des Öffentlichen Dienstes tätig. Dank ihrer vielfältigen Erfahrungen und ihrem gesundheitswissenschaftlichen Hintergrund kann Frau Meyer-Suter Praxis und Theorie zu einer genauen Analyse kombinieren und weitsichtige Problemlösungen für die Versorgungsforschung aufzeigen.

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