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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 320
Abb.: 170
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Jugendliches Risikoverhalten und die offenbar jugendspezifische Neigung zur Selbstüberschätzung scheinen im öffentlichen Bewusstsein untrennbar miteinander verbunden zu sein. Häufig sind Assoziationen mit diesem Thema negativ konnotiert. Kein Wunder: Selbst- und fremdgefährdende Mutproben Jugendlicher sind in den Medien allgegenwärtig und längst dienen Online-Videoportale als exponierte Plattformen, solche Risikohandlungen zur Schau zu stellen: Jugendliche springen von Kanalbrücken, balancieren auf Brückengeländern, stellen sich – wartend auf den nächsten Zug – auf Bahngleise oder versuchen, Autobahnen zu überqueren. Ausgehend von einer quantitativ angelegten Feldstudie untersucht der Autor der vorliegenden Arbeit dieses Spannungsfeld und stellt Theorien, aktuelle Forschungsarbeiten und Befunde dar, aus denen Einsichten jenseits der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmungsschemata abgeleitet werden können. Als paradigmatischer Bezugsrahmen dienen in erster Linie die Schulen der Entwicklungspsychologie und Tiefenpsychologie. Die Besprechung des Forschungsstandes berücksichtigt Studien aus Skandinavien, den USA und Deutschland.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2., Risikobegriff, Formen und Folgen jugendlichen Risikoverhaltens: 2.5, Formen und Diversifikationsmöglichkeiten jugendlichen Risikoverhaltens: Jugendliches Risikoverhalten stellt sich in verschiedenen Formen und auf unterschiedlichen Ebenen dar. Die möglichen Konsequenzen, die aus diesen Verhaltensweisen erwachsen, sind ebenso different. Um dieser Vielschichtigkeit gerecht werden zu können, erscheint zunächst der Versuch, unterschiedliche Risikoausprägungen einer ordnenden Struktur zuzuführen, als sinnvoll. Raithel (2001a) folgend, soll eine Systematik gewählt werden, die eine Diversifizierung in vier Hauptkategorien zulässt (vgl. Raithel 2001a, S. 17): (1) Gesundheitliche Risikodimension: Risiken, denen eine potentielle Gefahr für das psychische und/oder physische Wohl des Risikers und/oder seines sozialen Umfeldes innewohnt (Extrem-/Risikosportarten, S-Bahnsurfen, Alkoholmissbrauch, auf Brückengeländern balancieren etc.). (2) Sozialer Normenverstoß: Bewusst ins Kalkül gezogene Gefahren, die eine soziale Ächtung zur Folge haben können. Hierunter fallen sowohl Verstöße gegen akute, sozial angenommene und/oder tradierte Rollen- oder Verhaltensnormen, als auch Missachtungen der jeweiligen legislativen Konventionen und Gesetze (Ladendiebstahl, Autoantennen verbiegen, Schwarzfahren, Passanten anpöbeln etc.). (3) Finanzielle Risikodimension: Unverhältnismäßiger Umgang mit finanziellen Ressourcen, die nicht oder nicht hinreichend zur Verfügung stehen, oder der nicht autorisierte Ge- und Verbrauch von finanziellen Mitteln (Wetten, hohe Handyrechnungen, Käufe im Internet etc.). (4) Ökologische Risikodimension: Bewusst in Kauf genommene mittelbare oder unmittelbare Gefährdung des Ökosystems und damit auch die kurz-, mittel- oder langfristige Gefährdung des eigenen Lebensraums (Cross- oder Mountainbiking auf nicht eigens dafür angelegten Strecken, unsachgemäße Müllentsorgung, unverhältnismäßig hoher Gebrauch von kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen (‘mal eben mit dem Motorroller zum Kiosk um die Ecke fahren...’), in einem Naturschutzgebiet campen oder Partys feiern etc.). Es liegt auf der Hand, dass nahezu jedes Risiko nicht originär einer Risikodimension zugeordnet werden kann und dieser idealtypischen Systematisierung Überschneidungen inhärent sind. So mag eine riskante Handlung objektiv betrachtet Berührungspunkte mit allen Risikodimensionen aufweisen, auf der Ebene der subjektiven, individuellen Wahrnehmung hingegen nur einer einzelnen zugeordnet werden. Als Beispiel sei der leichtfertige Umgang mit Feuer und Brennspiritus an einem trockenen Tag in einem Waldstück angeführt: Objektiv betrachtet kann das Ausbrechen eines unkontrollierten Brandes (a) gesundheitliche Risiken bergen (Rauchvergiftung, Brandwunden), (b) strafrechtlich geahndet und sozial geächtet werden, (c) zu empfindlichen Geldstrafen führen und (d) der Umwelt nachhaltigen Schaden zufügen, in der Wahrnehmung des oder der Ausführenden jedoch lediglich als ‘kickendes’, gesundheitsgefährdendes ‘Spiel mit dem Feuer’ bewertet werden. Trotz dieser Limitierung und fehlender Trennschärfe – die Bearbeitung einer solchen komplexen Thematik muss zwangsläufig eine Reduzierung dieser Komplexität in Kauf nehmen, um diese überhaupt hinreichend fassen und systematisieren zu können – bietet eine derartige Kategorisierung eine Identifizierung etwaiger tendenzieller Schwerpunkte und wird daher im weiteren Verlauf des Untersuchungsdesigns Berücksichtigung finden. Neben der oben thematisierten Diversifizierung in vier Risikodimensionen, welche vornehmlich die kontextuelle Ausrichtung der Risikohandlung selbst und der daraus potentiell resultierenden Sanktionierung in den Mittelpunkt rückt, mögen das Ausmaß, die Präsenz und der unmittelbare oder mittelbare Charakter des in Kauf genommenen Risikos als weitere strukturierende Momente dienen. So können zum einen Risikoverhaltensweisen benannt werden, ‘die bei Jugendlichen weniger von spezifischen gesundheitsbezogenen Einstellungen abhängen, sondern zu den alltäglichen Lebensroutinen der Heranwachsenden und der sie umgebenden kulturellen und sozialen Umwelt gehören’, zum anderen ‘risikobezogene Aktivitäten (risk-taking behavior), [die durch, mj] eine akute Schädigungsgefahr gekennzeichnet [sind, mj]’ (Raithel 2001b, S. 237). Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal stellt die oben bereits erwähnte Mittelbarkeit/Unmittelbarkeit der zu befürchtenden Konsequenzen einer Risikohandlung dar. Während alltägliche Risikoverhaltensweisen in der Regel durch mittelbare, langfristig zu erwartende Sanktionen gekennzeichnet sind (gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Tabak- und/oder Alkoholkonsum, unausgewogene Ernährung, lautes Musikhören etc.), zeichnen sich risikobezogene Aktivitäten durch einen unmittelbar gefährdenden Charakter aus (z.B. Autobahnen überqueren oder von Kanalbrücken springen) (vgl. Raithel 2001b, S. 237). Mutproben: Eine exponierte Form des Risikohandelns: Für Mutproben können dieselben Charakteristika angeführt werden, die für die risikobezogenen Verhaltensweisen benannt wurden (vorheriger Bewusstwerdungsprozess, Unmittelbarkeit der zu befürchtenden Konsequenzen etc.). Jedoch stellen Mutproben eine besondere Form von risikobezogenen Verhaltensweisen dar. Limbourg et al. (2003): ‘Das Hauptmerkmal einer Mutprobe ist die subjektiv erlebte Überwindung von unangenehmen Gefühlen wie Angst, Unsicherheit, Ekel oder Scham’ (Limbourg et al. 2003, S. 81) und weniger ein zwangsläufig auch objektiv zu identifizierendes Gefährdungspotential (vgl. Limbourg et al. 2003, S. 82). Der Sprung von dem ‘Einmeterbrett’ eines Schwimmbades erscheint dem Springer als mutig und gewagt, als ein individuell zu verbuchendes Erfolgserlebnis und als die Überwindung einer eigenen Grenze, eine wahrscheinliche Gefährdung seiner Gesundheit ist objektiv betrachtet kaum zu erwarten. Mutprobenverhalten bezieht sich stets auf eine oder mehrere zu überwindende Angst- oder Hemmschwelle(n). Diese ‘Angstdimensionen’ lassen sich nach Limbourg et al. (2003) wie folgt typisieren (vgl. S. 90): (1) Verletzungs- und Schmerzmutproben: z.B. Verletzungsangst im Bereich des Straßen- oder Bahnverkehres, Angst vor Schmerzen. (2) konventionsbrechende bzw. regelverstoßende Mutproben: z.B. Angst vor rechtlichen Sanktionierungen/Angst, erwischt zu werden. (3) Ungewissheitsmutproben: z.B. Angst vor Ungewissheit, Dunkelheit, Alleinsein, Bewusstseinsverlust (durch Einnahme psychotroper Substanzen (‘Komasaufen’ etc.)). (4) Scham- und Ekelmutproben: z.B. Scham im sexuell-erotischen Interaktionsbereich (Jungen/Mädchen ansprechen etc.), soziale Angst oder Scham bei konventionsbrechenden (temporären) Änderungen der äußerlichen Erscheinung oder normverletzenden Verhaltensweisen, Überwindung von Ekel (Regenwurm essen etc.). 2.6, Folgen jugendlichen Risikoverhaltens: Spezifika und aktuelle Befunde: Die Spielarten jugendspezifischen Risikoverhaltens – sofern noch von einem ‘Spiel’ gesprochen werden darf – nehmen mitunter lebensbedrohliche Züge an. Die jeweiligen (Inter-) Aktionsräume, Genuss- und Betätigungsfelder der Jugendlichen sind different und bergen unterschiedlich ausgeprägte Gefährdungspotentiale und Gesetzesmäßigkeiten. Einige dieser Felder und ihre spezifischen Gefährdungslagen sollen an dieser Stelle umrissen werden. Ein Hinweis: Obwohl viele der hier dargestellten Sachstände immer auch andere Risikodimensionen berühren (sozialer Normenverstoß, finanzielle und ökologische Risiken), werden nachstehend verstärkt die gesundheitlichen, mitunter tödlichen Folgen des Risikoverhaltens in den Fokus gesetzt. Das Statistische Bundesamt (2005) unterteilt unfallbedingte Sterbefälle in fünf, davon vier näher spezifizierte Hauptkategorien: (1) Arbeits- und Schulunfälle (2) Verkehrsunfälle (3) Häusliche Unfälle (4) Sport- und Spielunfälle (5) Sonstige Unfälle 3., Paradigmatische Zugänge: Jugendliches Risikoverhalten sehen: 3.1, Entwicklungspsychologischer Ansatz: Wie zu Beginn dieser Arbeit erwähnt, baut David Elkind seine Theorie des jugendspezifischen Egozentrismus auf die Erkenntnisse Jean Piagets und damit auf das Paradigma der kognitionspsychologischen Schule auf (vgl. Elkind 1967, S. 1025). Der Begriff des Egozentrismus, so wie ihn Elkind interpretiert und weiterentwickelt, ist bereits in dem von Piaget vorgeschlagenen Stufenmodell zur kognitiven Entwicklung des Menschen integraler Bestandteil. Jedem Entwicklungsniveau wird hier eine ihm inhärente, spezifische Spielart egozentristischer Wahrnehmungs- und Handlungsschemata zugeschrieben, aus denen insbesondere im Jugendalter eine überhöhte Selbstsicht resultieren kann. Mit Blick auf diese phasenspezifisch differenzierten Egozentrismen soll das Entwicklungsmodell dargestellt werden. Das kognitionspsychologische Konzept geht davon aus, ‘daß sich bei der Auseinandersetzung des Kindes mit der Umwelt die inneren Mechanismen und Ordnungsschemata regelmäßig und gesetzmäßig aufbauen’ (Tillmann 1995, S. 85). Dieser Aufbau, die Genese des kindlichen Denkens und damit die Bewältigung der jeweilig akuten Entwicklungsanforderungen bis hin in die Adoleszenz und darüber hinaus, geschieht Piaget folgend in einer mehrstufigen, aufeinander aufbauenden Matrix. Keine dieser Entwicklungsstufen kann dabei ausgelassen werden, sie sind im Wortsinne als Schwellen, als zu erreichende Ebenen zu begreifen, welche nicht stufenlos, fließend in einander übergehen, sondern durch die Erlangung kognitiver Reife überwunden werden müssen. Die Frage, wie schnell ein Übergang von einer zur anderen Stufe errungen und welches maximale Niveau schlussendlich erreicht werden kann, wird von dem individuellen Potential und anderen intra- und extrapersonalen Bedingtheiten (soziales Umfeld, Kulturkreis etc.) beeinflusst. Hat das Individuum einmal ein bestimmtes Entwicklungsstadium erlangt, ist diese Qualität irreversibel in der personalen (und für die personale) Struktur verankert (vgl. Tillmann 1995, S. 92). Auf motivationaler Ebene wird das Überwinden eines einmal etablierten Niveaus hin zur nächsten Entwicklungsebene – sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht – durch das Erwachsen, das Erkennen und Empfinden von neuartigen Bedürfnissen erstrebenswert, da neue Problemlagen mit einem nunmehr obsoleten Kompetenzgefüge nicht mehr abgearbeitet werden können. Diese Motivation generiert sich somit auch durch ein Gefühl des inneren Ungleichgewichts, eines Defizits, welches durch das Spannungsfeld ‘Bedürfnis versus Kompetenz’ beschrieben und durch die Entwicklung neuer Erkenntnis- und Handlungsoptionen, in einen Zustand des Gleichgewichts, der Etablierung überführt werden kann. Die Bewältigung jedes Entwicklungsschrittes geschieht dabei jeweils im Wechselspiel von ‘Assimilation’ und ‘Akkommodation’. Im ersten Schritt des Assimilierens werden neue Herausforderungen oder Problemlagen den eignen, bereits vorhandenen Strukturen angeglichen, im zweiten Schritt werden jene Strukturen wiederum der neuen, fordernden Realität angepasst und so einem neuen, höheren Entwicklungsniveau durch Neuordnung des kognitiven Apparates zugeführt (vgl. Piaget 1974, S. 157). Piaget zufolge sind im Rahmen der Assimilation jedem Niveau originäre Formen des Egozentrismus inhärent, welche jeweils auf dem Unvermögen des Kindes/des Jugendlichen beruhen, spezifische Differenzierungen in der Subjekt-Objekt-Interaktion vorzunehmen, da es in diesen Phasen die Welt (das Objekt) seinem Selbst (dem Subjekt) zuordnet und (noch) nicht sein Selbst der Welt zuzuführen vermag (vgl. Piaget 1974, S. 205).

Über den Autor

Dr. phil. Michael Jost, Jahrgang 1969, ist Diplom-Erziehungswissenschaftler, promovierte im Fachbereich Bildungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und lebt mit seiner Familie im Großraum Essen.

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