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- E. T. A. Hoffmanns „Der goldene Topf": Über die Konstruktion eines „Fantasiestücks“
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 188
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Zweifellos hat es ‚Der goldene Topf’, E. T. A. Hoffmanns ‚Märchen aus der neuen Zeit‘, zu einer ganz besonderen Prominenz gebracht. Bereits die Zeitgenossen waren sehr von diesem Werk angetan. Eine Hochschätzung, die bis heute anhält. Noch zu Hoffmanns Lebzeiten erschien ‚Der goldene Topf’ in einer zweiten Auflage, was keinem weiteren seiner Werke vergönnt war. In den folgenden fast zwei Jahrhunderten trat das ‚Märchen’ einen globalen Siegeszug an, der heute bis nach Japan und Korea reicht. Parallel zu dieser Wertschätzung entwickelte sich eine umfangreiche Forschung, die ebenfalls keineswegs auf Deutschland beschränkt blieb. Was könnte eine neue Studie dem hinzufügen, welche neuen Aspekte lassen sich noch beleuchten, die noch nicht hinreichend beschrieben wären? In diesem Buch soll der Versuch unternommen werden, aus einer Kombination von erzähltheoretischen und linguistischen Ansätzen heraus, eine systematische Untersuchung des gesamten Textes vorzunehmen, um v. a. dem Geheimnis der ‚Vieldeutigkeiten’ und der scheinbar oder tatsächlich gespaltenen ‚Realitäten’ auf die Spur zu kommen, die bereits viele Leser des ‚Märchens’ ratlos zurückgelassen haben.
Kapitel 2, Welten und Realitäten: Als Ausgangspunkt sei Korff zitiert, der meint, im ‚Topf’ sehe der Leser ‚die beiden Welten, zwischen denen die Erzählung spielt und wechselt – die Welt der Wirklichkeit und die des Märchens‘ und es sei ihm ‚ergötzlich […], wenn die beiden Welten sich ineinanderschieben, durcheinandergeraten und gleichsam handgemein miteinander werden, um sich am Schlusse wieder fein säuberlich zu trennen‘. Die ‚eigentlich tragenden Szenen‘ seien die, ‚in denen sich die beiden Welten zu komischer Romantik durchdringen‘. Diesem Urteil Korffs widerspricht Hunter-Lougheed, nach deren Einschätzung ‚man vor allem die beiden Welten des Goldnen Topfes keineswegs fein säuberlich voneinander trennen kann‘. Vielmehr gebe es ‚zwei Welten, zwei Wirklichkeiten, die einerseits unlösbar miteinander verbunden sind und die sich dennoch gegenseitig ausschließen‘. Ein Blick in die Forschung zeigt rasch, dass damit ein Kernthema angeschnitten ist: die Erzähl- und Realitätsebenen in ‚Der goldene Topf’. Für Wührl, der im Laufe von Jahrzehnten zahlreiche Beiträge über den ‚Topf’ verfasst hat und wohl als eine Autorität gelten kann, liegt das Geheimnis jener einzigartigen Verschmelzung der zeitgenössischen Wirklichkeit mit einem aus ‚Atlantis’ aufsteigenden Wunderbaren im ‚Topf’ ‚in einer aufs feinste ausgewogenen Ambivalenz, die das Figurenfeld ebenso erfaßt wie den Geschehnisraum und die Erzählstruktur‘. Von Anfang bis Ende wisse der Leser daher ‚nicht zu sagen […], wo die ihm vertraute Erfahrungsrealität aufhört und das Wunderbare beginnt‘. Diese ‚durch und durch zweideutige Welt‘ des ‚Topfes’ betrachtet er als ‚unauflösliche Duplizität‘, und diese entwickle sich hier, ‚und nur in diesem von allen sieben Hoffmann-Märchen, zu einer so unauflösbaren Ambiguität, ‚dass es selbst nach der Lektüre unmöglich sei, ‚das Märchen auf eine eindeutige Botschaft festzulegen.‘ Seiner Einschätzung nach hänge diese ‚Ambiguität‘ mit einer ‚polyphone[n] Erzählpartitur zusammen‘, in der es vier ‚Handlungsebenen‘ gebe, ‚wobei jede, für sich genommen, eine in sich plausible Geschichte erzählt‘. Das Konzept der ‚Handlungsebenen‘ erweist sich allerdings als etwas unpraktisch, da Wührl dabei die im ‚Topf’ selbst berichtete eigentliche Handlung in Einzelgeschichten auflöst, die so eben nicht erzählt werden. Er unterscheidet einerseits nach ‚Realität’ (1.) ‚in der realen Dresdner Zeit […] die Liebesgeschichte zwischen dem gehemmten, aber begabten Studenten Anselmus und der resoluten Lehrerstochter Veronika Paulmann‘ und (2.) auf der ‚mythische[n] Erzählebene […] eine Variante zum Mythos vom Goldenen Zeitalter‘. Dazu komme eine Art Zwischenreich (3.) ‚[w]o die beiden Haupterzählebenen einander berühren‘ (was im Prinzip der tatsächlichen ‚Geschichte’ des ‚Topfes’ entspricht) (4.) gebe es ‚[a]uf der Textebene‘ die ‚Leseranreden, Erzählerexkurse, Fiktionsnennungen und Kapitel-Untertitel‘, die Wührl Hoffmann persönlich zuschreibt. Diese vierte ‚Ebene’ entspricht erzähltheoretisch der eines extradiegetischen Erzählers. Nach Wührls These ‚beginnen die in sich stimmigen Teil-Erzählungen so verwirrend zu changieren, daß der Leser seinen übergeordneten Standpunkt aufgeben muß‘ und unterm Strich ratlos zurückbleibe. So faszinierend und durchaus erhellend diese Auflösung in verschiedene Ebenen auch ist, so ist doch das grundsätzliche Problem erkennbar, dass dabei Fehlstellen nur durch Vermutungen gefüllt werden können. Um ein Beispiel zu nennen: nach Wührls Annahme verbleibt Anselmus in der Dresdner Realität ‚vermutlich als Sonderling in einem Poeten-Dachstübchen‘. Dagegen macht sich McGlathery dafür stark, Anselmus ende als Selbstmörder in der Elbe. Beide Thesen können sich auf keine konkrete Aussage aus dem Text berufen, leiten sich aber (scheinbar) logisch aus ihm ab. Ein solches Ebenen-Modell hat also die Schwäche, auf der Herauslösung und Neukombination von einzelnen Textelementen zu basieren, wobei jede Ebene zwangsläufig unvollständig bleiben muss. Wührl hat mit ‚Ambivalenz‘, ‚Ambiguität‘ und ‚Duplizität‘ aber interessante Schlagwörter geliefert. Besonders das letzte scheint einen grundsätzlichen Blick auf den wohl hervorstechendsten Zug nötig zu machen, den die Hoffmann-Forschung in seinem Werk überhaupt ausgemacht hat. Kapitel 3.1, Aus der Forschung: Mayers Einsicht ist in der Hoffmann-Forschung keine grundsätzliche Neuheit, so hat bereits Dahmen in seinem 1929 erschienen Buch über ‚Hoffmanns Weltanschauung’ ähnliche Vorstellungen formuliert und meint sogar, ‚eines der wichtigsten Motive bei Hoffmann […], die in zwei Hälften zerfallene Welt‘, schon in einer sehr frühen Hoffmann-Studie von Alexis nachweisen zu können. Kaum eine Arbeit über Hoffmann kommt ohne einen Versuch aus, ‚Dualität’ oder ‚Duplizität’ zu definieren und als Grundlage seines Werkes zu diskutieren. Dabei kann die Begriffsverwendung des ‚Dualismus’ (bzw. der ‚Dualität’) sich auf Hoffmann selbst berufen, der in ‚Prinzessin Brambilla’ den Meister Celionati bei dem verwirrten Schauspieler Fava die Diagnose stellen lässt: ‚Der junge Mann leidet nämlich an dem chronischen Dualismus‘. Müller-Seidel erkennt als das ‚eigentliche Gesetz dieser Dichtung‘ Hoffmanns ein ‚sie durchwaltende[s] Strukturprinzip, das man mit dem Begriff des Dualismus wohl zutreffend bezeichnet‘. Auch er sieht dieses ‚Prinzip’ bereits in ‚Ritter Gluck’ angelegt, doch habe Hoffmann ‚nicht schon den Dualismus zum Zielpunkt seines Erzählens‘ gemacht, ‚[d]ie Formen des Erkennens bestimmen nicht weniger die Strukturen seines dichterischen Werkes‘. Daher scheint ihm auch im ‚Topf’ die Verspottung der Philister ebenso zentral wie die des Anselmus – ‚sofern sie ihre eigene Welt absolut setzen.‘ Neben dem ‚Dualismus‘ kennt die Forschung auch die ‚Duplizität‘. Aus den ‚Serapionsbrüdern’ entlehnt z. B. Preisendanz diesen ‚Konkurrenzbegriff’, den er am ‚Sandmann’ exemplifiziert. Er meint aber etwas Ähnliches, nämlich dass in jeder Dichtung Hoffmanns der Zwiespalt zwischen innerer und äußerer Welt, die Erfahrung einer ambivalenten Wirklichkeit, daß die fundamentale Duplizität des Menschen zum Vorschein‘ komme. Im ‚Sandmann’ beobachtet er ‚eine mehrdeutige Wirklichkeit […], die ständig in eine andere Perspektive gerät und dergegenüber [!] wir eben durch den dauernden Perspektivenwechsel keinen festen Standort gewinnen‘. Die ‚‘Duplizität’, die Zweischichtigkeit des Daseins‘ nimmt auch Nehring zum Ausgangspunkt, wobei die ‚Entscheidung der Figuren für nur einen Bereich […] einseitig‘ sei und ‚eine Verengung der Gesamtwirklichkeit‘ bedeute, während der Autor ‚für beide Seiten ein[tritt] und […] sich über beide lustig [macht]‘. Martini stellt fest, ‚Hoffmanns Märchen‘ seien ‚innerlich diametral gespalten‘ in ‚eine genau beobachtete stoffliche und psychologische Wirklichkeit‘, die ‚neben das Geisterhafte‘ trete und sich mit ihr vermische, wobei ‚[a]uch das Geisterhafte […] ins Böse und Gute gespalten‘ sei und damit ‚potenziert die Dissonanz der Welt‘ wiederhole. Durch ‚die suggestive Illusion einer doppelbödigen Wirklichkeit, die dieser schwebenden, die Grenzen verwischenden Kombination der beiden Welten entspringt‘ bzw. die ‚Duplizität des Seins‘ würden ‚Hoffmanns Märchen zum Ausdruck einer modernen Zerrissenheit außerhalb und innerhalb des Menschen‘. Angesichts der zahlreichen Definitionsbemühungen (und in direkter Auseinandersetzung mit Preisendanz) versucht Deterding eine Neufestlegung und Unterscheidung der beiden Begriffe, was ihn zu der Bilanz führt, ‚Dualismus‘ sei das ‚Erleiden der Duplizität‘, ‚Dupliziät‘ sei ‚Überwinden des Dualismus‘. Es scheint also nicht ganz einfach zu sein, eine verbindliche und anerkannte Definition für Hoffmanns ‚Dualität’/‚Dualismus’ und/oder ‚Duplizität’ zu finden, von der aus eine Analyse eines Textes möglich wäre, auch wenn die Umschreibungen sich natürlich meist ähnlich sind. Hinzu kommt eine gewisse methodische Unsicherheit, werden die beiden (oder auch drei) Konzepte doch i. d. R. aus Hoffmanns Werken und Selbstaussagen herauskonstruiert, um sie in einem Zirkelschluss dann wieder in seinen Geschichten zu suchen. Die Existenz und Überschneidung von zwei Welten, Realitäten oder Wirklichkeiten bei Hoffmann allerdings, unabhängig von der Terminologie, kann grundsätzlich als These angenommen werden. Auch neutralere Versuche zu deren Bestimmung finden sich in der Forschung. Schneider etwa unterscheidet ‚zwei Ebenen‘, d. h.: einerseits ‚die Welt des Alltags, die exakt nachgezeichnet wird‘ und andererseits ‚eine höhere Welt, in der die im Alltag herrschenden Gesetze keinen Kurswert besitzen‘. Zwischen diesen ‚beiden auch sprachlich voneinander abgehobenen Erzählebenen‘ werde die ‚Vermittlung‘ ‚meist durch Doppelgestalten vollzogen‘. Er betont aber auch den Einsatz von ‚behutsame[n], aber scharf pointierte[n] Relativierungen‘, durch die ‚angezeigt‘ werde, ‚daß die höhere Welt zwar als real gesetzt, aber nicht als wirklich seiend, zumindest nicht als so seiend zu betrachten ist‘. Die ‚Funktion und Bedeutung dieses Erzählens‘ liege darin, dass ‚es ganz bestimmte Menschen [sind], denen sich das Wunder öffnet‘, nämlich ‚Jünglinge, die mit poetischem Sinn begabt sind, die sich in den banalen Alltag nicht einfügen können, denen im Gegenteil alles schiefgeht – Enthusiasten‘. Beachtung verdient auch der Ansatz Itäläs, bei Hoffmann (und speziell u. a. im ‚Topf’) die ‚fiktional-irreale‘ von der ‚fiktional-realen‘ Wirklichkeit zu scheiden. Cramer betrachtet die ‚Welten’ Hoffmanns als ‚Teilwahrheiten und Teilwirklichkeiten‘, ohne dass die Darstellung einer ‚Gesamtwirklichkeit‘ möglich wäre. Dabei seien beide ‚wahr, d. h. als objektiv vorhanden zu verstehen, gleichzeitig setze ihre ‚Wirklichkeit’ für die Figuren aber die subjektive Akzeptanz durch diese voraus. Ausgehend von diesen vielstimmigen Überlegungen stellt sich eine weitergehende Frage: Wie steht es eigentlich mit dieser Subjektivität und der Figurenwahrnehmung, auf die in vielen der oben zitierten Beschreibungen Bezug genommen wird und die für die Darstellung der ‚Welten’ konstitutiv zu sein scheinen?
Stefan Krause [M. A.] wurde 1981 in Naumburg (Saale) geboren. Nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann machte er sein Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg und studierte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Fächer Germanistische Literaturwissenschaft, Neuere Geschichte und Medienwissenschaft. Er schloss sein Studium 2012 mit dem akademischen Grad des Magister Artium ab. Während des Studiums begeisterte er sich besonders für das Werk der Romantiker und für Fragen der Erzähltheorie. Beide Schwerpunkte verbindet er auch in diesem Buch.
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