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  • Die internationale Gemeinschaft und tertiäre Prävention auf dem Westbalkan: Von Dayton über Brüssel ins Niemandsland? – Der Comprehensive Approach auf dem Prüfstand

Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 176
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Dieses Buch befasst sich in neuer Perspektive mit der nunmehr 20 Jahre alten Nachkriegsordnung in Bosnien und Herzegowina, die vor Augen führt, dass es nach wie vor eines nachhaltigen Konzepts bedarf, das die vor Ort wirkenden militärischen und zivilen Organisationen vernetzt. Das Erkenntnisinteresse liegt auf psychotherapiewissenschaftlich relevanten Fragestellungen, und methodisch möchte das Buch zu einem adäquaten Transfer von Konzepten und Ergebnissen der Sicherheitsforschung auf den Gegenstandsbereich der EU als internationalem Akteur beitragen. Dabei wird ein personen- und kompetenzzentrierter Grundansatz verfolgt, der mittels eigens erhobener Daten sowie Dokumenten- und Sekundärliteraturanalyse umgesetzt wird. Abschließend werden Vorschläge zur Verbindung von Konzepten der sicherheitspolitischen Forschung mit Konzepten der zivilen Sicherheitsforschung unterbreitet und die Herausforderungen dargestellt, die sich aus psychotherapiewissenschaftlicher Sicht an künftige Sicherheitsforschung sowie an Ausbildung und Training im Dienste des comprehensive approach stellen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4 Der comprehensive approach im Rahmen des security governance-Paradigmas als ein Bezugsrahmen für die Rolle der EU: Unabhängig von der Tatsache, dass die Europäische Union nicht unstrittig als kollektiver Akteur in der internationalen Sicherheitspolitik betrachtet werden kann, da die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwar die Finalität einer vergemeinschafteten Sicherheitspolitik beinhaltet, derzeit aber intergouvernemental ohne Verzicht auf nationale Hoheitsrechte organisiert ist, gilt die EU in der Fachliteratur als ein kollektiver Akteur auch in Sicherheitsfragen (z.B. Emerson u.a. 2011). Aus diesem Blickwinkel heraus ist es angemessen und notwendig, die Thematik auch unter dem Vorzeichen von security governance zu betrachten. Dies gilt insbesondere auch für das Engagement im post-conflict peacebuilding, von dem in Bezug auf Bosnien und Herzegowina nach wie vor sowohl von der Forschung als auch von sowohl zivilen als auch militärischen verantwortlichen Vertretern/-innen der internationalen Gemeinschaft vor Ort kritisiert wird, das es zu technisch angegangen wird, aber ein politisches und diplomatisches konsensuales Vorgehen mit umfassendem Blickwinkel zur Voraussetzung hat (Metz 2010: 101 siehe auch bereits Solioz 2007). Ein umfassender Ansatz ist in diesem Sinne ein Aspekt von security governance. Es kann nämlich trotz des Charakters von Sicherheit als öffentliche Gestaltungsaufgabe oder gar öffentlich herzustellendes Gut nicht durchregiert werden, sondern die Erfolgsvoraussetzung ist Koordination im Rahmen einer flexiblen Sicherheitsarchitektur: Mit Sicherheitsarchitektur ist […] jener Bauplan gemeint, nach dem die Sicherheitsaufgabe im Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft bewältigt wird. Sicherheitsarchitektur meint mehr als einen ganzheitlichen Zugriff. Sie zeichnet das dynamische Netzwerk nach, durch das und in dem innere Sicherheit verwirklicht wird (Würtenberger/Tanneberger 2009: 97f.). Die Eckpunkte dieses Netzwerks sollten forschungsbasiert, durch interdisziplinär integrierte Sicherheitsforschung , erarbeitet werden (ebd.: 98). Security governance ist ein sich entwickelndes informelles System unterhalb der Schwelle harter Sanktionen und Durchsetzungsfähigkeit, das der Konformität einer Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen und Akteure mit internationalen rechtlichen und sozialen Normen dient. In diesem Zuge kann das internationale System neue und andere Merkmale entwickeln, wie etwa Diversifizierung von Machtressourcen und -verhältnissen, und neue Wege, in der internationalen Gemeinschaft Macht einzusetzen, Interessen durchzusetzen, aber auch den Frieden zu sichern. Dazu gehören beispielsweise auch Geopolitik als territoriale Kontrolle über den Raum, nicht nur Grenzen. Die öffentlich-private Zusammenarbeit im Sicherheitssektor ist ein wichtiger Faktor (Kirchner/Sperling 2007). Der in diesem Zusammenhang wichtige governance-Aspekt streicht insbesondere den Übergang von einer Staatsaufgabe zu nunmehriger Gewährleistungsverantwortung hervor, der für den umfassenden Ansatz charakteristisch ist (Würtenberger/Tanneberger 2009: 121f.). Analyse zum Wandel von Staatlichkeit sollte daher ein wesentlicher Teil geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Aspekte (GSK) von Sicherheitsforschung sein. Mit dem security-governance-Paradigma (z.B. Kirchner/Sperling 2007) rückt vor allem eines der unterschiedli-chen Modelle, nämlich der comprehensive approach, ins Zentrum der Betrachtung. Aus dem sicherheitspolitischen Bereich übernommen, ist der comprehensive approach vor allem anlassfallbezogen entwickelt und weiterentwickelt worden. Darüber hinaus hat dieses Konzept auch in der zivilen Sicherheitsforschung und in der Planung externen ebenso wie unions-internen Krisenmanagements eine programmatische und strategische Bedeutung erlangt. Die theoretische Innovation der umfassenden Sicherheit liegt in der Steuerung kooperativer Interaktion von sowohl Akteuren auf unterschiedlichen politisch-wirtschaftlichen Ebenen als auch Bürger/-innen auf soziokulturellen Entfaltungsmöglichkeiten. Um dem Ziel einer adäquaten Systemsteuerung zu entsprechen, müssen Gefährdungspotenziale, Risikowahrscheinlichkeiten und Risikodimensionen auf verschiedenen Ebenen erfasst und kompensiert werden. Die Entwicklung des Konzepts von comprehensive approach zeugt dahingehend von einer breiteren Forschungsströmung, deren Interesse sich vermehrt von Sicherheits- und Bedrohungsanalysen bis hin zu fertigen Produkten sowie Dienstleistungen und Beratungsangeboten zur Gefahrenvorbeugung und -abwehr richtet. Eine Besonderheit des Begriffs comprehensive approach ist wie bereits eingangs erwähnt, dass er sich sowohl auf eine Klasse von Verfahren zur Herstellung von Sicherheit als auch auf eine Forschungsmethodologie bezieht. Der wissenschaftliche Begriff von comprehensive approach ist jedoch zunächst weithin eine Intellektualisierung von Praxisverfahren, wie sie in der Sicherheitsforschung oft vorkommt. Auch die Analyse des Sicherheitsbegriffs oder von Sicherheitsherausforderungen aus einer umfassenden gesellschaftlichen Perspektive heraus ist nicht neu. Sie geht mindestens auf Sorokin (1942): Man and Society in Calamity zurück, im deutschen Sprachraum auf Kaufmann (1970): Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, der Sicherheit als vorwissenschaftlichen Begriff ohne analytische Kompetenz klassifizierte (ebd.: 7). Mit der Zählung des Sicherheitsbegriffs zu den Grundwerten (wie auch Freiheit oder Gleichheit) knüpft man heute – oft unwissentlich – an klassische politologische Definitionen von Sicherheit an, wie jene von Wolfers (1952: 481-502), der den Begriff in seiner gesamtstaatlichen Dimension sozusagen als zusammengesetzten Indikator für die von einer Gesellschaft erworbenen Werte definierte. Wie erwähnt, wurde der ursprünglich aus der Entwicklungspolitik kommende Begriff und praktische Handlungsansatz comprehensive approach zunächst insbesondere von der NATO aufgegriffen, um ein koordiniertes zivil-militärisches Zusammenwirken in komplexen Problemfeldern der Rüstungskontrolle sowie des internationalen Krisenmanagements zu erzielen. Nachdem auch die EU den comprehensive approach zunächst auf internationales Krisenmanagement bezogen hatte, wandte sie ihn wie bereits erläutert schließlich auch auf die zivile Sicherheit und die zivile Sicherheitsforschung an, um damit unter anderem methodologische Anforderungen an Sicherheitsforschungsprojekte zu beschreiben. Da es bislang keine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs comprehensive approach gibt, bezieht man sich in der Praxis auf das Leitziel eines ressortübergreifenden Ansatzes zum sektoren- und zuständigkeitsübergreifenden Schutz der Gesellschaft. In Österreich erfordert insbesondere die Tradition der Umfassenden Sicherheitsvorsorge (USV) die Konzeption eines umfassenden und koordinierten Ansatzes für die Bewältigung von Notfallsituationen. Aus dem Konzept der Umfassenden Landesverteidigung (ULV) von 1975 über die Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin von 2001 bis hin zur Sicherheitsstrategie von 2011 (Andexinger 2010) ist die umfassende Sicherheitspolitik – jedenfalls in der Konzeption – stetig auf einen comprehensive approach hin gewachsen. Aufgrund der föderalen Struktur in Österreich stößt solch ein governance-Ansatz aber an bestimmte strukturelle sowie kulturelle Grenzen: Da für die einzelnen Bundesländer die Gefahren- und Risikolage ein politisch und gesellschaftlich wichtiges Distinktionsmerkmal ist (bewusst pointiert: Was wäre Galtür in Tirol ohne seine Lawine?), wird ungern ein all-hazards approach verfolgt. Vielmehr werden bottom-up-Kataloge der Bedrohungsbilder entwickelt, um ausdrücklich länderspezifische Situationen und Konstellationen zu versinnbildlichen, zumal für die Erarbeitung von Schutzplänen die einzelnen Bundesländer gemäß den Katastrophenschutzgesetzen (Landesgesetzgebung) zuständig sind. Es fällt auf, dass ein all-hazards approach nicht umgesetzt wird, sondern dass der Ansatz auf Länderebenen definierten Kerngefahren folgt. Diese kulturelle Selektion von Risiko (Douglas/Wildavsky 1982) macht sich auch in den Beiträgen der einzelnen Staaten zur internationalen Friedenssicherung bemerkbar. Eine weitere Folge ist ein oft selektives Verständnis des comprehensive approach und eine resultierende selektive Anwendung des Konzepts in der Praxis. Deshalb folgt nun die empirische Systematisierung des gegenwärtigen Konzeptstands des comprehensive approach, um eine baseline zu gewinnen, an der die Ergebnisse der Befragungen und weiteren Arbeiten abgemessen werden können. Dieser Schritt liefert sozusagen einen gemeinsamen Nenner für den comprehensive approach im Realitätsprinzip, im Gegensatz zu durch Perzeptionen, groupthink, Schuldzuweisung für das Nichtfunktionieren des gewählten Ansatzes usw. geprägten individuellen und institutionellen Begriffsverständnissen.

Über den Autor

Dr. Andrea Jerkovic ist Sicherheitsforscherin und übernahm nach Tätigkeiten an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, der World Wide Education GmbH in Wels, dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sowie der Sigmund Freud Privatuniversität Wien die Leitung des dortigen Center for European Security Studies. Die Autorin war außerdem Teil des österreichischen Sicherheitsforschungsprogramms KIRAS des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie sowie an diversen EU-Projekten zur Sicherheitsforschung im 7. Rahmenprogramm, z.B. im Projekt Foresight Security Scenarios: Mapping Research to a Comprehensive Approach to Exogenous EU Roles (FOCUS) beteiligt. Neben ihren internationalen Lehr- und Forschungstätigkeiten ist sie zusätzlich von Anfang an Organisationsleiterin der European Security Conference Initiative (ESCI) und Mitglied des Beirats des Kölner Forums für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik e.V. (KFIBS). Publikationen hat die Autorin u.a. zur Entwicklung der EU als Akteur im internationalen Krisenmanagement, zur vergleichenden Sicherheitskulturforschung sowie zu ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten von Sicherheitstechnologien verfasst.

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