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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Im Sportunterricht steht der menschliche Körper im Fokus der Aufmerksamkeit. Innerhalb unserer Gesellschaft und somit auch im Bereich institutioneller Bildungseinrichtungen muss der menschliche Körper einer Vielzahl von Anforderungen gerecht werden. Von der motorischen Funktionsfähigkeit bis hin zu sozial konstruierten Normativitätsvorstellungen steht der menschliche Körper in einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen sozialen Anforderungen und seiner Materialitätsbasis. Aufgrund phänotypischer Andersartigkeit, körperlicher Beeinträchtigung sowie abweichender Sexualität und Geschlechtlichkeit entstehen allzu schnell Formen sozialer Diffamierung und Isolation, die sich als schmerzhafte Erfahrungen in den Lebensläufen der betroffenen Individuen bemerkbar machen. Es sind jedoch gerade die Unterschiede, die unseren Erfahrungsschatz bereichern können. Diversität als Chance!

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.1, Stereotype Verhaltensbilder im Schulsport: Jungen spielen Fussball. Mädchen tanzen gerne. Jungen sind stark und durchsetzungsfähig, Mädchen eher einfühlsam und zart. Ein deutscher Junge weint nicht (Marienfeld, 2011, S. 107). Der Junge in der rhythmischen Sportgymnastik muss mit vergleichbaren Widerständen und Diskriminierungen rechnen wie das boxende Mädchen oder die Trainerin einer Herrenbasketballmannschaft (Gieß-Stüber, 2000, S. 31). Solche Aussagen scheinen in der heutigen Zeit, einer Zeit der weiblichen Emanzipation sowie der Existenz einer Vielzahl an pluralistischen Formen von Lebensweisen, hinsichtlich Geschlechts- und Rollenmustern, antiquiert und klischeebehaftet zu sein. Dennoch greifen im Schulsport Mechanismen, die stereotype Verhaltensweisen und geschlechtsspezifische Rollenmuster einfordern und bei Missachtung dieser, Sanktionierungsroutinen bereithalten. So schreibt Sykes (2011, S. 36): Men´s and women´s sport along with boys´ and girls´ physical education have been, and continue to be [Hervorhebung v. Verf.], ubiquitous and unquestionable ways in which to organize physical activity and, thus, physical education . Die Aussage von Sykes beschreibt ein stereotypes Bild, welches immer noch fest im Sportunterricht verankert zu sein scheint: Es gibt Sportarten die männlich bzw. weiblich konnotiert sind und ein Inventar von maskulinen bzw. femininen Verhaltensweisen und Körperpraktiken mit sich bringen. Die geschlechtliche Zuschreibung maskulin bzw. feminin lässt nur wenig Spielraum für andere geschlechtliche Lebensweisen und trägt zu einem Bild bei, das auch im Sportunterricht eine unangenehme Grauzone für alles das darstellt, was sich fernab der geschlechtlichen Dichotomie bewegt. Im Sportunterricht steht der Körper im Fokus der Aufmerksamkeit. Die Differenzen, die sich aus der geschlechtlichen Zweiteilung in männlich bzw. weiblich ergeben, werden [im Sportunterricht] verleiblicht und formen unsere subjektive Evidenz (Gieß-Stüber 2000, S. 34). So greift auch im Sportunterricht folgendes Phänomen: Sozial konstruierte Rollenmuster werden hinsichtlich geschlechtlicher und körperlicher Ordnungen verinnerlicht und dann reflexhaft, scheinbar freiwillig befolgt und nachvollzogen (ebd.). Die Verweigerung der geschlechtlichen Zuordnung birgt gerade im Sportunterricht für SuS immense Probleme. So treten Perspektiven, Wünsche sowie Bedürfnisse der SuS in ein Spannungsverhältnis mit aufgezwungenen, stereotypen Verhaltensweisen. Eine geschlechtliche Zuordnung scheint geradezu notwendig für die Partizipation am Unterricht: Um einem Geschlecht zugeordnet zu werden, müssen die Individuen nicht die dazu gehörenden Eigenschaften unter Beweis stellen, vielmehr werden ihnen umgekehrt diese Eigenschaften unterstellt und ihr Verhalten nach Maßgabe ihrer Geschlechtszugehörigkeit bewertet (Nissen, 1997, S. 69). Welcher Platz im Sportunterricht kommt Mika zu, der sich zwischen den Geschlechtern bewegt und geschlechtsspezifische Verhaltensanforderungen im Sportunterricht nicht erfüllen kann und will? Der Fokus auf den Körper ist für Mika mit Schmerzen, Scham und Ohnmacht verbunden und zwingt ihn in ein prekäres Verhältnis zwischen Teilnahme und Nicht-Teilnahme am Sportunterricht. Sein Körper fügt sich in kein stereotypes Rollenmuster und zeigt trotz seiner männlichen Erscheinungsform, durch das temporäre Brustwachstum, weibliche Züge. Von Seiten des Lehrpersonals erfährt Mika nur wenig Rückhalt: Nur vorübergehend wurde Mika vom Sportunterricht befreit, weil Lehrer/innen und Schüler/innen Verständnis für seine Situation aufbrachten, in den übrigen Zeiten war er gezwungen, das schwere Atmen und die blauen Flecken auszuhalten und hinzunehmen (Klika, 2012, S. 368). Mika ist hinsichtlich seiner Problematik nicht alleine. Sykes (2011, S. 41) schildert in einem Interview mit Arnand, einem Schüler, der sich als weiblich empfindet, jedoch ein männliches Erscheinungsbild hat, seine Aussage über Probleme im Sportunterricht: I always had a bit of a gender dysphoria when I was younger … I learned from a very early age, there was something inherently wrong with my body. That was strong. I didn´t understand why am I not a girl. Had I been a girl, my interests, my playmates, and my lack of interest in roughhousing [Hervorhebung v. Verf.] with other boys through sport, wouldn´t have been chastised. There would have been lots of room for me to explore what I wanted to explore, which were considered feminine, you know? It´s no surprise now that I worry about my masculinity at 25 . Die stereotypen Anforderungen sind mit Arnands körperlichem und geschlechtlichem Empfinden nicht vereinbar. Arnands Körper wehrt sich gegen das männliche Anforderungsprofil, das er im Sportunterricht vorfindet. Weiterhin schreibt Sykes (2001, S. 42): He talks about rejecting and expelling from his body notions about masculine strength, mastery of the body, skilled expansive movement are associated with securing masculinity. Arnands innere Befindlichkeit bringt ihn in einen Konflikt mit seinem eigenen Körper, der durch den Sportunterricht den Anforderungen der geschlechtlichen Dichotomie unterliegt. Arnands phänotypische Männlichkeit und die damit verbundenen Probleme, zeigen das Bild eines gefestigten Rollenmechanismus, der zur Stabilisierung einer geschlechtlichen Dichotomie innerhalb des schulischen Sportunterrichts beiträgt: Aus unveränderlichen körperlichen Merkmalen leiten sich auch Erwartungen an das Handeln und Verhalten der Person ab. Solche stereotype Bilder über den Mann und die Frau haben sich trotz des sozialen Wandels in den letzten Jahrzehnten kaum geändert (Gieß-Stüber, 2000, S. 88). Eine Unterscheidung hinsichtlich Arnands äußerlicher Erscheinung und seiner innerlichen Befindlichkeit findet innerhalb des Sportunterricht nicht statt. Gildemeister (2011, S. 11) schreibt diesbezüglich: Im alltagsweltlichen Denken ist unterstellt, dass dann unterschieden wird, wenn es Unterschiede gibt. Arnands innere Weiblichkeit sowie Mikas Zweigeschlechtlichkeit bleiben in einer stetigen Grauzone, die im Rahmen des Sportunterrichts keinen berechtigten Platz zu haben scheint bzw. nicht erkannt wird oder erkannt werden will. Somit entsteht innerhalb des Sportunterrichts eine Angst, die sowohl auf Seiten der SuS, als auch seitens des Lehrpersonals greift: Die Angst der SuS vor einer authentischen Körperartikulation sowie des Ausdrucks innerer Befindlichkeiten im Sportunterricht und die Angst des Lehrpersonals (die im weiteren Verlauf thematisiert wird) vor einer entsprechenden Thematisierung abweichender Geschlechtlichkeit. Abschließend soll die Aussage von Sykes (2011, S. 3) Beachtung finden, die auf ein konstantes Bild des Schweigens bzw. der Nicht-Beachtung vielfaltiger Geschlechtlichkeit innerhalb des Sportunterrichts hinweist: When transgender experiences and issues are silenced, dismissed and even denied I argue that, in physic terms, this indicates that a widespread transphobic imagination has a hold in physical education . 4.2, Aspekte der sozialen Diffamierung und Distinktion im Schulsport: Im Verlauf der Studie wurde bereits die Stigmatisierung und Isolation von Individuen angesprochen. Im Zusammenhang des Sportunterrichts nimmt der Körper, als äußere Erscheinungsform eines Individuums und Übermittler von Botschaften, eine zentrale Rolle ein. In Gesellschaft, Schule und auch im Sportunterricht lässt sich folgender Mechanismus beobachten: Der Körper muss innerhalb eines normierten Systems aus Leistungs- und Verhaltensanforderungen sowie Regulierungsmechanismen ein gewisses Anforderungsprofil erfüllen. Ludwig & Schierz (1998, S. 149) machen diesbezüglich folgende Aussage: Das Körper-Design erzeugt seinen Gegenstand als eine ästhetisierte und stilisierte Oberfläche … Ein Verstoß gegen Stilistik und Ästhetik hinsichtlich körperlicher Anforderungen führt zu Ausgrenzung und Abwertung der betroffenen Individuen. Körperliche Devianz erfährt nur wenig Akzeptanz. Vielmehr werden die Individuen von einer omnipräsenten Angst beherrscht: Die Sorge um den richtigen Körper, die Ungewi[ss]heit, sich selbst schön zu finden, der Druck zur Schlankheit und zur V-Form [darüber hinaus wären geschlechtliche Aspekte wie beispielsweise eine klare geschlechtliche Zuordnung sowie der Zwang zur Heteronormativität zu nennen] … (Ludwig & Schierz, 1998, S. 149). Für Mika und Arnand kommen Aspekte der Geschlechtlichkeit als erschwerendes Kriterium für die Zuschreibung von Devianz hinzu. Sie weisen diesbezüglich Merkmale der Fremdheit und Andersartigkeit auf, die innerhalb des Sportunterrichts nur geringe Akzeptanz erfahren. Geht es um soziale Diffamierung und Distinktion im Schulsport, so spielt die Körpersprache der Individuen eine entscheidende Rolle: Sprache, Tonfall, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Gangart und vieles mehr sind Signale, die ausgestrahlt und gegenseitig voneinander wahrgenommen werden (Werner-Weisenburger, 2013, S. 196). Mikas Zurückhaltung, die Unterdrückung seiner eigenen Körperlichkeit sowie Arnands Drang zu femininen Bewegungsformen und Körperpraktiken reichen aus, um bei den Mitschülern und Mitschülerinnen sowie Lehrern ein Bild der körperlichen Devianz auszulösen, denn minimale Signale entscheiden zum großen Teil darüber, was dem anderen zugeschrieben wird, ob Sympathie oder Antipathie empfunden wird, Stärke oder Schwäche, Intelligenz, Naivität, Interesse oder Desinteresse u.v.m. (Werner-Weisenburger, 2013, S. 196). Der Körper eines Individuums kann nicht nicht kommunizieren. Mikas Körperlichkeit wird im Sportunterricht negativ bewertet und führt aus fehlendem Verständnis und durch verfestigte Bewertungsmechanismen bzgl. der Körperlichkeit zur Abwertung und Diffamierung seiner Person. Allgemein lassen sich nach Werner-Weisenburger (2013, S. 199) folgende Merkmale der Verunsicherung in Bezug auf die Körperlichkeit beschreiben:

Über den Autor

Niels van der Woude wurde 1983 in Heidelberg geboren. Sein Interesse galt schon früh sportlichen Aktivitäten. Dabei stand für ihn schon immer ein Leitsatz an oberster Stelle: Sport bedeutet soziales Miteinander, Fairness und Freude! Dies gilt für jeden, gleich welcher Hautfarbe, Geschlecht etc. Während seines Sportstudiums an der Technischen Universität Darmstadt galt sein Interesse der Sportsoziologie, die einen Kernbestandteil des Buches bildet. Auch bei seinen Trainertätigkeiten spielt die soziale Komponente einen wesentlichen Bestandteil.

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