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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 196
Abb.: 12
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Aufgaben der Pädagogik in den Bereichen Sterben, Tod und Trauer lassen sich mit den Worten von Vermittlung, Beratung und Begleitung umschreiben. Die Pädagogik besitzt, nach Meinung des Autors, die besten Voraussetzungen dafür. Weshalb das vorliegende Werk auch als ein Plädoyer gegen die zunehmende Psychologisierung in diesen Arbeitsfeldern verstanden werden kann. Zunächst erfolgt eine Auseinandersetzung mit der bisherigen pädagogischen Literatur zu diesem Thema, wobei sich mit den pädagogisch affinen Bereichen wie Death Education, Thanatagogik, Trauerberatung, Friedhofspädagogik und USTT beschäftigt wird. Der historische Teil legt anschließend den geschichtlichen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer und die daraus resultierende historisch verankerte Begründung von Pädagogik dar. Abschließend wird sich den drei zentralen Feldern von Vermittlung, Beratung und Begleitung gewidmet und der Versuch unternommen, von allgemeinen Voraussetzungen der jeweiligen Bereiche zu den spezifischen Anforderungen in Hinsicht auf Sterben, Tod und Trauer zu gelangen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.3.2, Sterben, Tod und Trauer ‘heute’: Gegen die bestehende Tabuisierung und Verdrängung entwickelte sich in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Hospizbewegung als Gegenbewegung zu den herrschen-den Zuständen. Sie war aus dem Mitgefühl mit dem sich ‘selbst entfremdeten Sterben-den’ hervorgegangen und hatte sich für eine Verbesserung der Bedingungen des Sterbens ausgesprochen, ‘die dem Sterbenden seine mit Füßen getretene Würde zurück-erstatten sollte’ (ebd., S. 755). Voraussetzung dafür war, den Tod als entscheidendes Ereignis anzuerkennen, das nicht in aller Heimlichkeit zur Seite geschoben wurde (Aries 1982, S. 755). Der Tod sollte ‘zum diskreten, aber würdigen Ende eines befriedigten Lebens werden, zum Abschied von einer hilfreichen Gesellschaft, die nicht mehr zerrissen noch allzu tief erschüttert wurde von der Vorstellung eines biologischen Übergangs ohne Bedeutung, ohne Schmerz und Leid und schließlich auch ohne Angst’ (ebd., S. 789). Insofern kann diese Phase, welche noch bis zur Gegenwart anhält, als Phase des ‘wiedergefundenen Todes’ bezeichnet werden. Sowohl das Schweigen als auch die Tabuisierung des Themas haben im Großen und Ganzen ein Ende gefunden - es ist eine erste Gesprächsbereitschaft entstanden (Sörries 2009, S. 17). Sehr viele Menschen beschäftigen sich mit ihrem eigenen Tod, indem sie z.B. Lebensversicherungen abschließen, Grabstellen erwerben, Testamente beim Notar hinterlegen (Freese 2001, S. 10), sich mit dem ‘Leben danach beschäftigen’ (ebd., S. 86) oder sich in den Medien, die dieses Thema mittlerweile sehr breit anbieten, informieren und an den Diskussionen beteiligen. Bestattung und Friedhof sind keine ‘Novemberthemen’ mehr, sondern werden öffentlich gehandelt (Sörries 2009, S. 199). Allerdings findet sich neben der offenen Beschäftigung immer noch die ‘Unterdrückung’ des Themas (Freese 2001, S. 2), das heißt es fehlt an vielen Stellen noch der selbstverständliche, mit dem Leben verbundene freie Diskurs. Trotz aller erwachender Offenheit hat sich auch die mangelnde konkrete Erfahrung an den Grenzen des Lebens (Specht-Tomann/Tropper 2011, S. 23) nicht verringert. Immer noch erlebt kaum ein Kind oder Erwachsener das ‘Sterben der Großeltern, Eltern, Onkel und Tanten als ein natürliches Abschiednehmen, als […] den harmonischen und natürlichen Übergang von einer Generation auf die andere. Ebenso kennen die wenigsten noch Abschiedsrituale oder passende Umgangsformen (ebd., S. 170). Heutzutage gibt es keine eingeübten Verhaltensweisen in unseren Familien mehr (Freese 2001, S. 10) - die traditionellen Umgangsformen werden nicht mehr von Generation zu Generation weitergegeben (ebd., S. 146). In den vorhergehenden Jahrhunderten war für viele Kinder der Anblick einer Leiche etwas völlig Normales, heute werden die Kinder von diesem Anblick ferngehalten. Da die Anlässe fehlen beziehungsweise nicht genügend wahrgenommen werden, findet eine Auseinandersetzung und die damit verbundene Kommunikation über das Thema viel zu wenig Anknüpfungspunkte und damit nicht statt (ebd., S. 17). Die vier Parameter beim ‘wiedergefundenen Tod’ sind in einem ersten Versuch wie folgt zu bestimmen: 1, Das Bewusstsein des Menschen von sich selbst: Wie in den Phasen zuvor konzentriert sich die Affektivität der Menschen auf einige wenige Andere. Der Tod eines Kindes ist dabei von besonderer Dramatik. 2, Die Verteidigung der Gesellschaft gegen die wilde Natur: Das Erwachen der ‘wilden Natur’ in der Epoche zuvor und die dadurch ausgelösten ‘unmenschlichen Zustände’ haben zu dem Umschwung beigetragen, sich dem Thema von Sterben, Tod und Trauer zu stellen und damit die Ängste zu begrenzen. Der Mensch will sich mit dem Tod versöhnen. Die wilde Natur soll wieder gezähmt werden. Es fehlt den Menschen aber an dem Mut zur konkreten Erfahrung, so dass die Traditionsstränge sehr dünn geworden sind. 3, Der Glaube an ein Leben nach dem Tode: Das Jenseits bleibt wie zuvor für viele Menschen der Ort der Wiedervereinigung mit den geliebten Wesen. Verstärkt hat sich jedoch das zyklische Denken im Naturkreislauf ohne den Glauben an ein bestimmtes Leben nach dem Tode. 4, Der Glaube an die Existenz des Bösen: Wie in der Phase zuvor hat der Glaube an die Existenz des Bösen abgedankt. Im Bereich des gegenwärtigen Friedhofs- und Bestattungswesens hat sich gerade auch im Zusammenhang mit dem Glauben nach einem Leben nach dem Tod eine Vielfalt an Bestattungsformen entwickelt (Sörries 2009, S. 207), welche das Reihengrab als gestaltende Kraft der Friedhöfe der letzten Jahrzehnte ablösen wird. Dementsprechend wird sich die Topographie der Friedhöfe verändern (Wolf 2011, S. 98). Es lassen sich mehrere Kategorien der Bestattung - neben der klassischen Erd- oder Urnenbestattung - herausarbeiten: die naturreligiös-ökologische Kategorie: Hierunter fällt die Bestattung der Asche im Bereich der Wurzeln alter Bäume in sogenannten ‘Friedwäldern’. die ästhetisch-performative Kategorie: Hier wird der Körper bzw. die Materie des Körpers zu einem Diamanten als sogenannte Diamantbestattung gepresst, er wird für die Plastination zur Verfügung gestellt oder eine Aschekapsel wird mithilfe einer Rakete in die Erdumlaufbahn abgeschossen, wo sie dann nach kurzer Zeit beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglüht. die anonymisierende Kategorie: Sie findet sich als Urnenbestattung in einem Kolumbarium oder auf einem anonymen Gräberfeld, aber auch als Ausstreuen der Asche auf einer ‘Streuwiese’, im Meer als Seebestattung, die früher nur bei See- leuten üblich war, oder in der Luft aus einem Heißluftballon (vgl. Wolf 2011, S. 99ff.). Innerhalb der Kategorien ist vor allem die Naturbestattung in den Friedwäldern aktuell und nachgefragt. Sie gibt es mittlerweile auch schon in eigens dafür vorgesehenen Arealen auf historischen Friedhöfen. Dabei hat diese Bestattung einen geistigen Hintergrund, der bei christlich geprägten Menschen nicht immer auf Gegenliebe stößt und der auch mit weniger angenehmen rechtslastigen Ideologien kompatibel gehen kann (Sörries 2011, S. 125). Denn die Naturbestattungen gehen ‘von der Vorstellung des ewigen Naturkreislaufes aus und ordnen das einzelne Individuum dem großen Ganzen unter’ (ebd., S. 157). In gewisser Weise findet hier die ‘Banalisierung des Einzelschicksals in unserer Gesellschaft’ (Sörries 2011, S. 7) mit dem Tod des Einzelnen als ‘Nullereignis’ für die Gesellschaft ihren Widerhall. Bei vielen der neuen Bestattungsformen wird der Wegfall der Grabpflege und der damit gesparten Kosten als Argument angeführt. Veränderte Familienstrukturen und wachsende Mobilität der Menschen spielen ebenfalls eine Rolle (Sörries 2009, S. 198). Mit diesen Formen ist aber auch der Verlust eines Erinnerungsortes, an den man sich begeben kann, für die Angehörigen impliziert (Wolf 2011, S. 100). Konsequenterweise haben sich daher im Netz Gedenkseiten für Verstorbene sowie ganze Internetfriedhöfe niedergelassen (Sörries 2009, S. 253). Eine weitere wichtige Tendenz in der Bestattungskultur ist die zunehmende Separierung der Verstorbenen nach Weltanschauung und Interessen, da sich auch die Gesellschaft immer weiter differenziert und die Identifikation mit dem gesellschaftlichen Ganzen abnimmt. Zudem sucht man nach dem Individuellen und Besonderen (ebd., S. 162). Mit dieser Separierung soll die über eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit definierte Identität über den Tod hinaus bewahrt werden (ebd., S. 248) - so zum Beispiel im Grabfeld für Aidskranke, Fussballfans, Budhisten, Muslime oder Atheisten (Wolf 2011, S. 119). Die Gemeinschaftsgräber von Gruppen, Kollektiven und Clans entwickeln sich zunehmend zu einem prägenden Bestandteil der gegenwärtigen Friedhofskultur (Sörries 2009, S. 202), so dass der herkömmliche Friedhof in Zukunft selbst zu einer Alternative werden könnte (ebd., S. 208). Das vor fast zweitausend Jahren entwickelte Modell eines kollektiven, solidarisch verantworteten Friedhofs kann mit dieser Entwicklung sein Ende finden (ebd., S. 174) und Platz machen für ein schillerndes Spektrum von Beisetzungsmöglichkeiten (ebd., S. 14). Die radikalste Variante in dem Szenario vom Ende des kollektiven Friedhofs ist dabei die Aneignung der Totenasche durch die Angehörigen, die damit die sterblichen Überreste eines Menschen dem öffentlichen Gedenken entziehen (Sörries 2009, S. 241). Das herkömmliche Friedhofswesen spürt schon jetzt diese neuen Entwicklungen durch die Ausdünnung der herkömmlichen Gräberfelder. Es entstehen zunehmend große leere Überhangsflächen, die der Nutzung als Bestattungsfläche nicht mehr zugeführt werden können (ebd., S. 189). Die Reaktion der Friedhöfe darauf besteht in einem differenzierten Angebot wie zum Beispiel eines ‘Friedwaldes’ als Teil des historischen Friedhofs, in einer Differenzierung der Felder nach Gruppeninteressen oder in der Betonung ihrer Rolle als kulturelles Gedächtnis der Gesellschaft (Sörries 2009, S. 209). Im weltanschaulich-ideologischen Bereich entwickelt sich allmählich eine weltliche Bestattungskultur heraus, in der heidnische, naturreligiöse, neugermanische und esoterische Vorstellung ihren Ausdruck finden oder sich miteinander vermischen (Sörries 2011, S. 5). Bei anderen Bestattungen ist keine wirkliche weltanschauliche Alternative gefunden worden, aber man verzichtet auf kirchlichen Beistand und christliche Formen, da sie nichtssagend und unpassend geworden sind (Sörries 2009, S. 156). Der Vorteil, dass die Menschen heute ihr Weltbild weitgehend selber konstruieren können, trifft auf den Nachteil, die Sicherheit jahrhundertealter Vorstellungen und Handlungen nicht mehr zu erfahren (Specht-Tomann/Tropper 2011, S. 24).

Über den Autor

Claus Maywald, 1958 geboren, Buchbinder, Buchrestaurator, promovierter Kunsthistoriker und Diplompädagoge, arbeitet als Kurator an einem international bekannten Museum. Er ist Vater von sieben Kindern. Aufgrund der Krankheit und den Tod seiner jüngsten Tochter, hat er sich seit Jahren mit den Themen von schwerer Krankheit, Sterben, Tod und Trauer beschäftigt. Die vorliegende Arbeit ist ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Neben der wissenschaftlichen Arbeit ist Claus Maywald auch künstlerisch tätig und mit verschiedenen Einrichtungen im Bereich von Hospiz und krebskranken Kindern ehrenamtlich verbunden.

weitere Bücher zum Thema

Akademisierung in der Pflege. Aktueller Stand und Zukunftsperspektiven

Unveränderte Neuausgabe

ISBN: 978-3-95935-596-4
EUR 49,90


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