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- Der ICN-Ethikkodex für Pflegende: Wirksames Instrument für die Pflegepraxis oder theoretisches Konstrukt?
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2018
AuflagenNr.: 1
Seiten: 284
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Professionell Pflegende treffen täglich verantwortungsvolle Handlungsentscheidungen innerhalb ihrer Berufsausübung. Jede Pflegehandlung ist potentiell moralisch valent und bedarf einer Orientierung, wenn die Frage nach dem normativ Richtigen nicht eindeutig zu beantworten ist. Der Ethikkodex des International Council of Nurses (ICN-Ethikkodex für Pflegende) soll Pflegenden als Orientierungshilfe für ethische Fragestellungen dienen und die Umsetzung ethischer Verhaltensnormen fördern. In diesem Zusammenhang gilt er als wichtigstes Instrument zur Qualitätssicherung hinsichtlich ethisch relevanter Pflegehandlungen. In diesem Buch wird die Frage nach der Wirksamkeit des ICN-Ethikkodex für Pflegende in der Pflegepraxis untersucht. Im Zuge einer qualitativ-empirischen Untersuchung wurden professionell Pflegende hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit dem ICN-Ethikkodex interviewt. Die Studie dokumentiert die Perspektive der Pflegenden und gibt einen Einblick über die eingeschätzte Anwendbarkeit des ICN-Ethikkodex sowie dessen Chancen und Schwächen im Kontext aktueller Rahmenbedingen. Zudem wurden weitere wichtige Erkenntnisse gewonnen, die für die Ausbildung einer Kultur ethischen Verhaltens im Sinne des ICN essentiell sind.
Textprobe: Kapitel 2.3.2.: Ethische Krisensituationen und Dilemmata an ausgewählten Beispielen: Das Bedürfnis nach Orientierung entsteht in einer als krisenhaft erlebten Situation. Krise verstehen wir als eine Situation, in der unterschiedliche Optionen bestehen, wie ich handeln kann (Dallmann & Schiff, 2017, S. 7). Die Handlungssicherheit ist in solchen Situationen nicht gegeben und es stellen sich fragen wie: Was soll ich tun? oder Was ist das moralisch Richtige? . In der ethischen Auseinandersetzung geht es einerseits um Wertungen und Orientierungen, andererseits um Kritik – im Sinne einer Analyse der Zusammenhänge von Handlungen und dessen Gründe, nicht im Sinne einer Missbilligung – an die eigene Person, die Gemeinschaft, einer Gruppe, einzelner Werte, Normen und Prinzipien sowie Routinen (Das haben wir schon immer so gemacht), dessen Begründungen und Argumentationen (Dallmann & Schiff, 2016, S. 21). Dies erfordert, dass der Kontext, der sich als Orientierungsproblem darstellt, verstanden werden muss sowie, dass Moralvorstellungen – die eigenen und die der anderen Beteiligten –, soziale Strukturen, organisatorische oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen bewusst gemacht werden (Dallmann & Schiff, 2016, S. 21). Die folgenden Beispiele sollten keine Best-Practice-Beispiele sein im Sinne von: Das ist der richtige Lösungsweg . Die Verfasserin erhebt zudem keinen Anspruch auf die Vollständigkeit möglicher Lösungswege. Darüber hinaus soll keine tiefgreifende ethisch-philosophische Auseinandersetzung mit den einzelnen Fällen folgen, da eine solche Herangehensweise im Pflegealltag nicht üblich wäre. Vielmehr geht es in den folgenden Beispielen darum aufzuzeigen, welche Situationen ethisch relevant sein können und welche Prinzipien und Überlegungen sich möglicherweise gegenüberstehen sowie, dass (pflege)ethische Fragestellungen immer auch juristische, gesellschaftliche und psychosoziale Fragestellungen sein können, dessen mögliche Konsequenzen sorgfältig zu bedenken sind. Die Auswahl der Themen ist willkürlich gewählt gibt nicht im Ansatz die Fülle möglicher ethisch relevanter Themen in der Pflegepraxis wieder, denen Pflegende innerhalb ihrer Berufsausübung begegnen können. Der autonome Klient Ein Klient ist sturzgefährdet und bekommt als Gehhilfe einen Rollator verschrieben. Der Klient lehnt dieses Hilfsmittel mit der Begründung ab, dass er sich damit älter fühle als er tatsächlich sei. Die Pflegenden haben ein begründetes Interesse daran, die Sturzprophylaxe erfolgreich durchzuführen. In diesem Fall kollidieren folglich zwei Prinzipien: Das Recht des Klienten auf Autonomie und die Fürsorgepflicht. Die Fürsorgepflicht beinhaltet, dem kranken, pflege- und hilfsbedürftigen Menschen Heilung, Linderung und Wohlbefinden zu verschaffen bzw. dieses wiederherzustellen (Sauer & May, 2011, 6). Ein Sturz des Klienten, den die Pflegenden hätten verhindern können, ist mit diesem Prinzip nicht vereinbar. Den Klienten zu zwingen den Rollator zu benutzen oder gar damit zu drohen, ihm nicht mehr aus dem Bett zu helfen, es sei denn er hält sich an die Maßnahme, wäre aus ethischer Sicht nicht nur der falsche Weg, sondern bereits Gewalt in der Pflege (Drohung, Erpressung, Freiheitsberaubung). Autonomie bedeutet Selbstbestimmung und Patientenautonomie umfasst – auf Basis des Informed Consent, der informierten Zustimmung – das Recht auf Zustimmung oder Ablehnung einer Maßnahme, das Recht auf Informationen, das Recht auf die selbstbestimmte Festlegung des Eigenwohls, das Recht auf Wahl zwischen möglichen alternativen Maßnahmen sowie das Recht auf eine möglichst geringe Einschränkung des Handlungsspielraums durch die Institutionen (Dallmann & Schiff, 2016, S. 71). Der Klient hat folglich ein Recht darauf, die Maßnahme abzulehnen und die Verantwortung für die Konsequenzen zu tragen. Das Recht des Klienten auf Information bringt die Pflicht der Pflegenden mit sich, den Patienten zu informieren, was er ebenfalls ablehnen kann. Ein Recht auf die Wahl alternativer Maßnahmen würde sich in dem Angebot äußern, statt eines Rollators einen Gehstock zu benutzen, was organisationslogisch und institutionell dann auch ermöglicht werden muss, sollte das Angebot angenommen werden. Die Dokumentation des Sachverhalts schützt die Pflegenden vor Konsequenzen, das Beseitigen von Sturzgefahren (z. B. Teppiche) schützt den Klienten zumindest teilweise. Im Sinne des Autonomieprinzips sollen Klienten ihr Eigenwohl selbst festlegen. Dahinter steckt der Grundgedanke, dass die Klienten selbst am besten wissen, was gut für sie ist. Doch die eigenen Vorstellungen, was gut für sie ist, können in einem mehr oder minder großen Widerspruch zu dem stehen, was Pflegende für gut und sinnvoll halten (Dallmann & Schiff, 2016, S. 73). Der Klient isst mehr Kuchen als es mit seinem Diabetes mellitus empfehlenswert wäre er bewegt sich weniger als er es könnte und mit seiner Thrombosegefahr sollte er verweigert die Einnahme der angeordneten Medikamente oder trinkt Alkohol dazu, obwohl sich dies biochemisch nicht verträgt oder ein Klient mit einer Lungenerkrankung möchte rauchen. Das Prinzip der Autonomie kollidiert mit dem Prinzip der Fürsorge, sowie dem Prinzip des Nichtschadens. Die Pflegenden informieren und beraten den Klienten, geben Empfehlungen und Verhaltensregeln vor, und sie erwarten, dass der Klient seine Rolle und die Asymmetrie in der Experten-Laien-Beziehung annimmt (Dallmann & Schiff, 2016, S. 74). Schließlich sind die Pflegenden die Wissenden und der Klient der Unwissende. Der Begriff Compliance (Therapietreue) beschreibt in der Pflege und Medizin die Akzeptanz und Befolgung der Expertenempfehlungen. Handelt ein Klient entgegen der Empfehlungen gilt er als non-compliant. Der Experte fühlt sich in seiner Expertise nicht gewürdigt, der Klient fühlt sich bevormundet und hat aus Sicht des Experten ein Problem, welches er nicht als Problem wahrnimmt ( Wenn Sie dies nicht tun, dann folgt jenes… ) (Dallmann & Schiff, 2016, S. 74). Was sollte den Klienten folglich motivieren die Maßnahme zu befolgen, ohne Problem und ohne Leidensdruck? Mehr Informationen, mehr Beratung und alternative Angebote könnten Anreize schaffen, den Empfehlungen zu folgen und die Artikulation der unterschiedlichen Perspektiven führt u. U. zu einem größeren Verständnis (Dallmann & Schiff, 2016, S. 74.). Doch niemand kann gezwungen werden, etwas zu tun oder zu unterlassen, weil es für ihn besser wäre, so zu handeln, weil es ihn glücklicher machen würde, weil so zu handeln nach der Meinung anderer klug oder sogar richtig wäre (Dallmann & Schiff, 2016, S. 87 zitiert nach Mill, 1969, S. 16).
Stefanie Zinke, 1984 in Magdeburg geboren, arbeitete zwischen 2002 und 2013 als Gesundheits- und Krankenpflegerin in verschiedenen Fachbereichen stationärer und ambulanter Settings. Im Kontext ihrer beruflichen Tätigkeit expandierte ihr Interesse an der Reflexion ethischer Fragestellungen und der Lehrtätigkeit. Sie studierte berufsbegleitend von 2009 bis 2013 Medizinpädagogik (B. A.) sowie von 2014 bis 2018 Lehramt an berufsbildenden Schulen (M. Ed.) für den Fachbereich Gesundheit und Pflege und dem Zweitfach Ethik. Bereits während des Studiums übernahm sie verschiedene Lehr- und Leitungsaufgaben in der Aus-, Fort- und Weiterbildung Pflegender. Fasziniert und überzeugt von der Relevanz der Ethik in der Pflegetheorie und -praxis, beschäftigte sie sich intensiv mit dem ICN-Ethikkodex für Pflegende.
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