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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 174
Abb.: 50
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der klassischen Moderne in der Architektur ist nur ein kurzer Entwicklungszeitraum zwischen dem Ende der Inflation 1923 und dem Beginn der Nationalsozialistischen Herrschaft Anfang 1933 vergönnt gewesen. Berlin war eines der Zentren der neuen Architektur. Der bis dahin weitgehend unbekannte Berliner Architekt Erwin Gutkind verwirklichte bereits 1924 für diese Zeit revolutionäre Wohnungsbauprojekte. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gartenstadtgesellschaft als Bauherrn und dem Gartengestalter Leberecht Migge schuf er die Siedlung Neu Jerusalem am westlichen Stadtrand von Berlin, die alle bekannten Maßstäbe sprengte. Die einzigartige Weise, in der er kubische Formen und Farbgestaltung verband, bildete seine ganz spezifische Architektursprache. Das vorliegende Buch beschreibt den Bau der Siedlung 1924/25 und verfolgt deren Schicksal bis in unsere Tage. Parallel dazu wird das Wirken des jüdischen Architekten vorgestellt bis zu seiner Vertreibung 1933.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.1, Gutkind und die Gartenstadtgesellschaft: Die DGG wurde 1902 mit dem Ziel gegründet zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse beizutragen. Die Gartenstadtgesellschaft [sah sich selbst als] die berufene Trägerin des Gartenstadtgedankens in Deutschland. Ihre Aufgabe war nicht der Bau von Siedlungen, sondern die Propagierung der der Idee und die Unterstützung Bauwilliger: Ein jeder, der auf diesem Gebiete zu arbeiten beabsichtigt, sollte sich mit ihr [der DGG] in Verbindung setzen und sich ihre reichen Erfahrungen, ihre theoretischen und praktischen Kenntnisse und ihre Beziehungen zu zahlreichen sozial interessierten Einzelpersonen, Organisationen und Korporationen zunutze machen. (Kampffmeyer, 1913, S. 103). Die DGG musste ebenso wie andere mit dem Wohnungsbau beschäftigte Kreise mit dem Kriegsbeginn im August 1914 ihre Tätigkeit für die Dauer des Krieges ruhen lassen. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt war den führenden Köpfen der DGG bewusst geworden, dass sie trotz aller Bemühungen das ursprüngliche Gartenstadtideal nicht werden verwirklichen können. Erst nach dem Krieg ergab sich wieder die Möglichkeit die Gartenstadtidee zur Überwindung des drängenden Wohnungsproblems zu nutzen. Aber nun wurde der Kampf gegen die Mietskasernen und die Einführung von Kleinhaus- und Vorstadtsiedlungen zum eigentlichen Arbeitsfeld. (Zimmermann, 1928, S. 89) Dabei war die DGG ursprünglich nicht unbedingt gewillt, selbst als Bauherr aufzutreten, sondern wollte nur unterstützend tätig sein: Sollte der betreffende [...] keine Lust haben, sich mit den organisatorischen Arbeiten zu befassen, so käme ein Zusammengehen mit der DGG in Frage. In vielen Fällen würde wahrscheinlich durch zweckentsprechende Propaganda [...] eine Ortsgruppe der Gesellschaft in dem betreffenden Ort ins Leben gerufen werden können, die die Vorarbeiten übernimmt und später eine gemeinnützige Gründungsgesellschaft, bzw. Genossenschaft bildet. (Kampffmeyer, 1913, S. 99) Doch die Gartenstadtidee hatte sich bereits überlebt. Auch wenn die vorbildliche Planung und die ästhetisch anspruchsvollen Anlagen noch immer ihre Bedeutung hatten, so waren die Utopien von wirtschaftlicher und politischer Unabhängigkeit längst Geschichte geworden. In dieser Umbruchzeit versuchte die DGG den Wiedereinstieg zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit. Die Siedlungen der zwanziger Jahre, die nach der Inflationszeit gebaut wurden, traten die programmatische Nachfolge der Gartenstadtidee an. Dabei übernahmen diese Siedlungen die vom städtebaulich-ästhetischen Standpunkt aus richtigen Forderungen der Gartenstädte wie Planmäßigkeit, Einheitlichkeit, Typisierung und übertrafen diese noch in der Konsequenz durch den hohen funktionalen Anspruch. Doch die mit der Gartenstadtidee verbundenen Gemeinschaftseinrichtungen und sozialen Bestrebungen verschwanden meist ausnahmslos aus dem Fokus des Städtebaus. (Hartmann, 1976, S. 44) Mitten in der Inflation begann die DGG 1923 die Planungen zu drei neuen Siedlungsprojekten in den Randbezirken von Berlin. Als Architekt wurde Erwin Gutkind bestimmt, als Gartenplaner Leberecht Migge. Bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs, also zum Zeitpunkt seiner Promotion, setzte sich Gutkind erstmals detailliert mit der Gartenstadtidee auseinander. In seinem unveröffentlichten Memorandum Gartenstädte (Gutkind E. A., ca. 1914) sah er in ihnen die Lösung des Wohnungsproblems. Er nahm dabei explizit auf die von der DGG geplanten (Perlach bei München) bzw. ausgeführten Projekte (Hellerau bei Dresden und Falkenberg bei Berlin) Bezug. Für seine erste Veröffentlichung nach dem Weltkrieg gelang es Gutkind als Herausgeber des Buches Neues Bauen dann auch zahlreiche Autoren, die der Gartenstadtidee nahestanden, bzw. diese aktiv vertraten, für Beiträge zu gewinnen. (Gutkind E. A., 1919) (Hierl, 1992, S. 27) Durch seine Mitgliedschaft in der Sozialisierungskommission über die Neuregelung des Wohnungswesens lernte er 1920 den langjährigen Sekretär der DGG Hans Kampffmeyer kennen, mit dem er seine ersten Projekte verwirklichen sollte. Dabei wurde der ganzheitliche Ansatz des Neuen Bauens im Sinne einer Fortsetzung der reformerischen Ideen des Gartenstadtgedankens interpretiert. Dies kommt auch durch die bewusste Berücksichtigung der wirtschaftlichen, technischen und künstlerischen Grundlagen des Neuen Bauens zum Ausdruck. (Gutkind E. A., 1919) Als Fortsetzung dieses Gedankens, unter Beachtung der sich aus der Bildung von Großberlin 1920 ergebenden nunmehr stark veränderten Ausgangssituation in Berlin kann sein 1922 erschienenes Buch Vom städtebaulichen Problem der Einheitsgemeinde Berlin angesehen werden. Die ersten Siedlungen, die Gutkind in Zusammenarbeit mit der DGG baute, können als die praktische Umsetzung seiner programmatischen Ideen der frühen zwanziger Jahre gesehen werden, die er und seine Mitstreiter in seinen Büchern veröffentlichten. (Hierl, 1992, S. 31) Während die Siedlung, die 1923/24 in Berlin Staaken ausgeführt wurde, noch aus einer losen Folge von Doppelhäusern bestand, (Abb. 3) wurde die Siedlung in Lankwitz 1924/25 in geschlossener Bauweise erbaut, bereits als Wohnhausgruppe bezeichnet. Mit dem letzten gemeinsamen Projekt, dem 1924/25 erbauten Wohnblock in Berlin-Pankow, war dann die Abkehr von der Gartenstadt zum Siedlungsbau der zwanziger Jahre mit geschlossener Randbebauung vollzogen.(Hierl, 1992, S. 206 ff.) Finanzielle Schwierigkeiten der DGG führten dazu, dass die geplanten Gartenanlagen nicht mehr zur Ausführung gelangten. (Gutkind E. A., 1926, S. 7). 4.2, Bau der Siedlung: Die im Bannkreis der Stadt gelegenen halbländlichen Siedlungen, die, in das Grün des Kulturgürtels eingelagert, Berlin wie ein loses und doch festes Netz umgeben, (Abb. 4) sind in horizontaler Lagerung zu kleineren Komplexen zusammengerückt, ohne vollkommen aufgelockert zu sein. In ihnen muß leise schon der Grundton der Masse und der Reihung erklingen. Die Häuser sind in ihrer Grundform und in ihrer Aufteilung erdgebunden, aber nicht erdbefangen. Der Körper des einzelnen Hauses steht nicht in ländlicher Vereinzelung, sondern fügt sich mit anderen zu Gruppen aneinander. Zusammengelegte Landflächen mit eingestreuten kleineren Ballungen von flachen Kleinhäusern bereiten auf die allmählich einsetzende Konzentration zu einheitlichen Blockmassen vor. (Gutkind E. A., 1922, S. 82 f.) Die Raumfreiheit, die Vielfarbigkeit der Wohnviertel, das überwiegende Grün wandeln sich allmählich immer schneller zu Raummenge, zu stumpfen Farbgebundenheiten und zu geduldeten Bäumen. Die Massen werden kompakter und doch in ihren Einheiten zerrissener, immer weniger ist der Einzelne, immer mehr wird die Volksmasse zum Maßstab und Gestalter . (Gutkind E. A., 1922, S. 83) Seine plastischen Schilderungen beginnen langsam und gemächlich wie das Landleben, gewinnen dann immer mehr an Fahrt und werden immer lebendiger, je näher sie dem Stadtzentrum kommen. Was da am äußersten Stadtrand Berlins entstand, ließ sich kaum mit bisherigen Siedlungsbauten in Einklang bringen. (Güttler, 2002, S. 144) Nach Gutkinds Vorstellung sollten die Siedlungen den Übergang vom Lande zur Stadt darstellen. Die Schönheit liegt in der Verteilung der Massen, in ihrem Verhältnis zum Straßen- und Gartenraum, in der Farbigkeit der Hausreihen. Diese Stadtgegenden müssen den bewußten Gegensatz zur Innenstadt fühlen lassen, die aus dem Menschen ein Organ, ein Individuum macht. (Gutkind E. A., 1922, S. 83). Zu den vielen Fakten zur Geschichte der Siedlung, die bislang nicht verifiziert worden sind, bzw. deren Ursprung in der Literatur nicht genannt wurde, gehört selbst das Baudatum. Die einschlägige Literatur gibt als Zeitraum der Erbauung 1923/24 an. Wann der Bau der Siedlung tatsächlich begonnen hat, konnte nicht mit Sicherheit ermittelt werden, da keine zeitgenössischen Dokumente mehr vorliegen. Wenn man sich auf Angaben in den zeitgenössischen Publikationen stützt, die erst ab 1925 die Siedlung erwähnen, dann sind die Doppelhäuser 1923/24 , bzw. 1924 entstanden. Nur Migge erwähnt bereits 1924, dass an der Siedlung gebaut wird. (Migge L. , 1924, S. 427) In den einschlägigen Nachschlagewerken wird die Siedlung erst ab 1925 bzw. 1927 aufgeführt. Haberlandts Bauten-Nachweis führt die Siedlung ab Ausgabe April 1925 auf. Im Berliner Adressbuch sind 1927 für diese Anschriften Neubauten ausgewiesen. Die in der Literatur manifestierte Angabe vom Bauzeitraum 1923/24 kann nicht belegt werden. Vielmehr muss von einem Fertigstellungstermin um 1925 ausgegangen werden. Die DGG als Bauherr muss großes Vertrauen in die Fähigkeiten des Architekten gehabt haben, da sie ihm nicht nur die Entwürfe anvertraute, sondern auch noch die Bauleitung überließ. Dies ist deswegen umso bedeutsamer, als das Gutkind zuvor nie praktisch tätig gewesen war. Dies lässt sich nur erklären durch die jahrelangen persönlichen Kontakte, die Gutkind zu den leitenden Persönlichkeiten der DGG unterhalten hatte. Wie Gutkind das allein bewerkstelligte ist unklar, da er zu diesem Zeitpunkt noch über kein eignes Architekturbüro verfügte und scheinbar auch keine Mitarbeiter beschäftigte. Was die Bauausführung angeht gibt es auch hier unterschiedliche Angaben. Im Bauten-Nachweis ist für die Bauausführung die Fa. Paul Rasch verzeichnet im Berliner Adressbuch ist die Wilmersdorfer Hochbaugesellschaft als Eigentümer verzeichnet. (Berliner Adressbuch, 1919 ff.).

Über den Autor

Lutz Oberländer wurde 1966 in Berlin geboren und wohnt seit 2003 in einer denkmalgeschützten Siedlung in Siemensstadt. Seit 2008 bietet er Führungen zum Tag des offenen Denkmals an und gibt seit 2010 Kalender mit historischen Fotos von Siemensstadt heraus. Seit seinem Studium in Schutz Europäischer Kulturgüter (Denkmalschutz) von 2011 bis 2013 beschäftigt er sich wissenschaftlich mit dem Architekten Erwin Gutkind und den Siedlungen der klassischen Moderne in Berlin. Im Hauptberuf arbeitet der Vater zweier Kinder als Oberregierungsrat beim Landesrechnungshof Brandenburg.

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