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- Das evangelische Pfarrhaus - ein Haus zwischen Himmel und Erde: Erwartungen an das deutsche evangelische Pfarrhaus und der Umgang mit ihnen
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 216
Abb.: 19
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Vor dem Hintergrund der Lutherdekade, der Hinführung auf den 500. Jahrestag des Thesenanschlages zu Wittenberg durch Martin Luther, lässt sich die Frage nach den Errungenschaften der Reformation stellen. Das evangelische Pfarrhaus ist zweifelsohne eine von ihnen. Oder doch nicht? Neben unzähligen Traditionen haben sich in der fast 500-jährigen Geschichte des Pfarrhauses auch verschiedene Erwartungen an dessen Bewohner summiert. In den unterschiedlichen Lebensphasen des Pfarrhauses sind verschiedene Aufgaben, Eigenschaften oder Merkmale der Pfarrhausbewohner wichtig gewesen, die dann meist in den allgemeinen Erwartungsschatz übernommen wurden und ihre Entstehungszeit überdauerten. In der gegenwärtigen Zeit leben noch immer Menschen von Amts wegen in Pfarrhäusern. Sie leben dabei gleichzeitig in Tradition und Gegenwart und erleben somit die Herausforderung eines Spagats zwischen Erwartungsschatz und moderner Lebenswelt. In diesem Buch gehen die Autorinnen der Entstehungsgeschichte von gestellten Erwartungen auf den Grund, zeigen in Bezug auf aktuelle Lebensbedingungen in Deutschland Konfliktfelder zwischen Tradition und Moderne auf, analysieren den Umgang mit diesem Konfliktpotenzial anhand gegenwärtiger Diskussionen und legen Themenbereiche mit weiterem Handlungsbedarf und daraus resultierenden Konsequenzen für Pfarrpersonen, Gemeinden und Kirchenleitungen offen.
Textprobe: Kapitel 3.1, Pfarrfamilie: 3.1.1, Die etwas andere Familie?: ‘[Das] Leben im Pfarrhaus ist eine öffentliche Angelegenheit. Der Gemeinde das Beispiel einer christlichen Ehe und Kinderzucht vorzuleben ist Teil des geistlichen Dienstauftrages […].’ Gestrich hat bei der Untersuchung von Amtsanweisungen für Pfarrer festgestellt, dass ‘[sich] [d]erartige Formulierungen […] in allen Amtsinstruktionen für die Pfarrer und pastoraltheologischen Entwürfe bis in [das 20.] Jahrhundert hinein [finden lassen].’ Angesichts solcher Anweisungen ist es verständlich, dass das Pfarrhaus seinen Bewohnern nicht selten als eine Bühne und ihr eigenes Leben als ein Theaterstück erscheint, in dem jedoch nicht sie selbst die Regie führen, sondern andere. Sicherlich war das Haus des Pfarrers von jeher ein Haus, das intensiver beobachtet und vielleicht auch mit anderen Augen gesehen wurde. Über eine lange Zeit waren jedoch christliche Werte und eine christliche Lebensweise so präsent in der Gesellschaft und für alle Menschen in gleicher Weise gültig und nicht dem Pfarrer und seiner Familie vorbehalten, dass ‘[d]ie Pfarrfamilie […] erst zu einer Insel [wurde], als die übrige Welt Abschied nahm von einer christlichen Lebensführung, die jahrhundertelang von niemandem in Zweifel gezogen worden war.’ In der vorbürgerlichen Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit war die Welt gläsern. Es konnte ‘[…] nichts unbemerkt [geschehen], weil sich alles in der Öffentlichkeit abspielt[e], vor den Augen der anderen und unter ihrer Kontrolle.’ Diese permanente Transparenz wendete sich mit der bürgerlichen Gesellschaft, in der das ‘[…] Haus […] davon [lebte], daß seine Innenseite nicht eingesehen, nicht beobachtet und nicht veröffentlicht werden [konnte].’ Nicht umsonst wird auch in unserer Zeit noch immer vom Pfarrhaus als ‘Glashaus’ gesprochen, denn im Pfarrhaus bleibt die Idee des vorbürgerlichen Hauses erhalten. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt möglich, ‘[d]ie Pfarrfamilie [zu einem] Bild [zu] stilisier[en], als dessen Abbild sich jede andere bürgerliche Familie begreift.’ Während das bürgerliche Pfarrhaus (und später auch das moderne) ‘[…] von anderen zum Vorbild erhoben [wurde], meist gegen den Willen seiner Bewohner’, wurde dieser vorbildliche Lebensstil, in Familie, Ehe und Lebensführung, ganz und gar das ‘[…] Selbstverständnis des aufgeklärten Pfarrers und seiner Familie. Sie machten ihr Haus selbst zum Glashaus [und] [s]tilisierten sich selbst zum Vorbild. Während das bürgerliche […] Pfarrhaus also kein Vorbild, sondern ein Sinnbild anderer Häuser darstellt[e], machte sich das aufgeklärte Pfarrhaus zum Demonstrationsobjekt neuzeitlicher, vernünftiger […] Lebensführung.’ Eine aufgeklärte Pfarrfamilie auf dem Land nutzt das alte Pfarrhaus, samt Garten und Nebengebäude in seiner anfänglichen Funktion – als einen ‘[…] landwirtschaftliche[n] Musterbetrieb’ für pädagogische Zwecke. ‘Von der Kanzel klärt [der aufgeklärte Landpfarrer] die Bauern über Viehzucht und Fruchtwechsel auf. Nach dem Gottesdienst führt er sie durch Stall und Garten. Und am Abend schreibt er volkstümliche Bücher, Leitfäden der Bienenzucht.’ Damit wird das ganze Leben des Pfarrers und seiner Familie zum idealen Vorführobjekt für die Umwelt. ‘Es ist der Pfarrer und seine Familie, über die protestantische Frömmigkeit, protestantische Lebenshaltung und Lebenskultur vermittelt wird.’ Der evangelische Theologe Wolfgang Steck ist der Meinung, dass erst durch dieses Selbstverständnis der Vorbildlichkeit während der Aufklärung die Pfarrfamilie, die Pfarrkinder und die Pfarrehe zu den ‘[…] moralischen und pädagogischen Vorbild[ern werden konnten], die sie seitdem geblieben sind.’ Martin Greiffenhagen, Politologe und Pfarrerssohn, ging mit der Forschung nach dem Ursprung der Vorbildlichkeit der Pfarrfamilie sogar noch ein Stück weiter zurück in die Vergangenheit: ‘Mit der Aufhebung des priesterlichen Eheverbots nämlich geriet die gesamte Familie, der ganze Hausstand des Pfarrers unter den Anspruch dieses beispielhaften Lebens.’ Die Pfarrfamilie ist oft jedoch nicht nur Vorbild für andere Familien gewesen, sondern sie wurde zu einem Idealbild von Familie erhoben. Die bürgerliche Gesellschaft konstruiert die Pfarrfamilie als ein Symbol des Familienbildes, indem sie diese zum ‘[…] Urbild der in der Familie symbolisierten Menschheit und Menschlichkeit’ macht. Die Pfarrfamilie der Aufklärung nimmt dieses Ideal genauso an wie den Charakter der Vorbildlichkeit: ‘Wie vernünftig, natürlich und human mit den Kindern umzugehen ist, wie eine Ehe wahrhaft glücklich verläuft, wie das alltägliche Leben der Familie einzurichten ist, darüber verbreiten sich die aufgeklärten Geistlichen […] in Predigten und erbaulichen Büchern, in populären wissenschaftlichen Abhandlungen und in vielgelesenen Familienzeitschriften. Sie führen ihr eigenes Leben den anderen vor. Und sie erwarten von den anderen, daß sie so werden, wie sie selber sind, vernünftig, tugendhaft und damit glücklich.’ Nicht erst seit der Aufklärung gilt für das Pfarrhaus, dass es nicht nur eine Stätte des Glücks, sondern auch ‘[…] eine ‚Wohnung des Friedens‘ sein mußte’. ‘Dem Familienleben insgesamt wird Konfliktfreiheit und Harmonie verordnet – nicht nur per Erlaß ‚von oben‘, sondern auch durch den Erwartungsdruck der Gemeinde.’ Das Pfarrhaus hat dabei nicht nur sich selbst und seine Bewohner geprägt, sondern auch immer wieder Vorlagen und Richtlinien geliefert und konnte sich daher nie aus der Prägung des Ideals befreien, die es aufgedrückt bekam. Hanselmann macht indes darauf aufmerksam, dass ‘[es] [b]ei Lichte besehen […] dieses absolut ideale Pfarrhaus generell so nicht gegeben [hat]. Daß viel ehrliches Mühen und auch Gelingen in der angedeuteten Richtung vorhanden war, darf dankbar vermerkt werden. Wer jedoch die Geschichte von Pfarrehen und Pfarrfamilien etwa in alten Kirchenbüchern verfolgt, der findet dort jedenfalls exemplarisch alle menschlichen Schwächen, aber auch jedes Maß an menschlichem Leid verzeichnet.’
Tina M. Fritzsche, Dipl.-Religionspädagogin (FH), wurde 1988 in Lauchhammer geboren. Ihr Studium der Gemeindepädagogik schloss die Autorin im Jahre 2012 mit einem Diplom erfolgreich ab. Bereits im Vorfeld ihres Studiums erlebte die Autorin gegenwärtiges Pfarrhausleben im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres hautnah mit. Die erlebte Herausforderung eines Lebens zwischen moderner Lebenswelt und den Erwartungen der Umwelt motivierten die Autorin, sich mit den aktuellen Diskussionen um das Pfarrhaus zu beschäftigen. Nicole Pagels, Dipl.-Religionspädagogin (FH), wurde 1988 in Greifswald geboren. Ihr Studium der Gemeindepädagogik schloss die Autorin im Jahre 2012 mit einem Diplom erfolgreich ab. Ihr kirchengeschichtliches Interesse, im Besonderen die Reformation, motivierte die Autorin, sich mit dem Pfarrhaus - als Frucht der Reformation - und dessen Werdegang im Laufe der weiteren kirchengeschichtlichen Epochen bis hin zu dessen Auswirkungen auf die Gegenwart zu beschäftigen.
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