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Gesellschaft / Kultur

Thomas Springub

Das Blackout-Phänomen im Trampolinturnen: Eine Studie mit Lösungsvorschlägen

ISBN: 978-3-95935-048-8

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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 196
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Trampolinturnen ist eine noch recht junge Sportart, die seit dem Jahr 2000 olympisch ist. Im Leistungs- und Spitzenbereich werden eine Vielzahl von Saltosprüngen erlernt, bei denen sich Schrauben- und Saltorotationen überlagern. Bei internationalen Wettkämpfen ist die Präsentation von Dreifachsalti mit Mehrfachschrauben keine Seltenheit mehr. Immer wieder kommt es dabei vor, dass Sportler/innen unter dem sogenannten Blackout-Phänomen leiden. Das heißt sie können mehr oder weniger plötzlich die Sprünge, die sie bereits über einen langen Zeitraum beherrschten, nicht mehr ausführen. Dann springen sie entweder gar nicht erst ab, brechen die Bewegung plötzlich ab oder turnen einen anderen, ähnlichen Sprung. Es ist eine hohe Dunkelziffer an vielversprechenden Karrieren zu vermuten, die durch dieses Phänomen unterbochen oder beendet worden sind. Dieses Buch untersucht die Ursachen und versucht Lösungsansätze zu bieten, indem die Aussagen von Weltklasse-Athlet/innen und -Trainern ausgewertet und mit verschiedenen Ansätzen der Bewegungslehre in Verbindung gebracht werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1.2.3.2 Gestalt und Form: Im Gegensatz zur Gestalt ist die Form starr, unflexibel und zumeist äußerlich festgelegt. Besonders bei Störungen geformter Gebilde offenbaren sich die Unterschiede zwischen den Komponenten Form und Gestalt der Bewegung. Um diese Unterschiede zu veranschaulichen, gehe ich vorerst noch einmal von der Bewegung weg und benutze als Beispiele eine Blechkugel (Form) und einen freischwebenden Wassertropfen (Gestalt) (vgl. METZGER 1962, 45ff.). Findet nun bei der starren Form eine störende Einwirkung von außen statt, so ist diese Störung unabänderlich (a.a.O., 45). Die Beule in der Blechkugel wird sich nicht selbstständig wieder `ausbeulen´, sondern muß durch Eingriffe von außen wiederhergestellt werden. Im Gegensatz dazu kehrt ein Wassertropfen nachdem er `eingedellt´ wurde, sofort und selbständig wieder in die `Kugelform´ zurück. Er ist als Gestalt von inneren Kräften getragen und geheilt worden. Allerdings war bei ihm von der Störung nicht nur die Stelle der `Eindellung´ betroffen, sondern er verformte sich insgesamt, wodurch sich die Störung also auf alle Teile der Gestalt ausbreitete. Dem steht die Störung der Blechkugel entgegen, die auf die Stelle der Beule beschränkt bleibt. Beeinträchtigungen von Gestalten wirken sich also erstens auf die gesamte Gestalt aus, und sind zweitens nicht - wenigstens nicht unter allen Umständen - unabänderlich (a.a.O., 46). Unter gewissen Umständen heilt auch die Störung der Gestalt nicht selbständig. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Störung von solchem Ausmaß ist, daß das Wesen der Gestalt zerstört ist, bzw., wenn die Störung ein Ungleichgewicht der inneren Kräfte hervorruft (a.a.O., 47), und dadurch ihre Teile - und vor allem die dominanten - sich nicht mehr in die Gesamtordnung einfügen können. Um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich noch einmal verdeutlichen, daß Gestalten nicht unabhängig sind von ihrer Umgebung. An der Art, wie [...] Gestalten sich ausbilden, sind vielfach auch feste Gegebenheiten beteiligt. Sie legen aber immer nur bestimmte Stellen des Ganzen fest und geben dieses im übrigen frei (a.a.O., 48). Beim Wassertropfen ist es die äußere Kraft `Luftwiderstand´, die die inneren Kräfte zur Bildung einer angemessenen Form und Struktur hervorrufen. Auch an der Formung der Gestalt sind also äußere Kräft beteiligt. Die Frage ist nun, wieviel Freiheit ausreicht, um einem Ganzen den Charakter einer Gestalt zu verleihen (a.a.O., 48f.). Hierzu sagt METZGER weiter, daß es reicht, wenn nur an einer einzigen passenden Stelle ein freier Kräfteaustausch stattfinden kann (a.a.O., 49), der zur Selbstregulation beiträgt. So wird auch deutlich, daß ein Geschehen nicht nur Gestalt oder nur Form sein muß. Es kann bezogen auf manche Merkmale mehr gestaltartig und auf andere eher formenhaft/ festgelegt sein. Zwischen Formen und Gestalten in dem hier festgelegten Sinn besteht [also] kein Ausschließungsverhältnis [...]: Man kann nicht behaupten, ein Gebilde oder ein Vorgang sei entweder das eine oder das andere (ebd.). 1.2.3.3 Bewegungsgestalt und Bewegungsform: Zurück zur Bewegung. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß auch die Bewegung als Form und als Gestalt gedacht werden kann. Besonders THOLEY bestätigt die These von der Bewegung als dynamische Gestalt (BUYTENDIJK). Er spricht den Bewegungen das dynamische Prinzip zu, in dem es darum geht, daß in allen Systemen, in denen ein freies Kräftespiel möglich ist, Tendenzen zur Entstehung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung ausgezeichneter Ordnungen bestehen (THOLEY 1984, 25). Diese Tendenzen werden in der Gestalttheorie als `Tendenz zur Prägnanz´ oder zur guten Gestalt bezeichnet. Wie sind aber diese Prägnanztendenzen im Menschen zu erklären? CHRISTIAN spricht in diesem Zusammenhang vom Wertbewußtsein im Tun und möchte damit ausdrücken, daß die Wertkomponente der Zustimmung oder der Ablehnung schon gegeben ist, selbst wenn gegenständliche Inhalte noch nicht deutlich sind oder zu sein brauchen (TREBELS 1990, 14). Die inneren Kräfte, die zum Aufbau, zur Präzision und zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Bewegungsgestalten beitragen, sind also im Gefühl des Menschen. Anders ausgedrückt heißt dies, daß es zu jedem Gefühl [...] eine ausgezeichnete oder prägnante Struktur gibt, in der dieses Gefühl am reinsten und zwingendsten verkörpert wird (THOLEY 1987, 104). Um dieses Gefühl zu vervollkommnen, muß sich zwingend auch die Bewegungsgestalt präzisieren. Die Steuerung dieses Gefühls und damit auch der Bewegungsgestalt schreibt VOLGER der Leistung einer transmodalen Wahrnehmung zu, die über alle Sinne hinausgehend (1995, 169) ist, doch dazu später mehr. Betrachtet man die Bewegung nun als Form, so habe ich bereits angedeutet, daß dies unterschiedlich geschehen kann. Da die Form einer Bewegung besonders im Trampolinturnen immer einer bestimmten Idee (bzw. bestimmten Sprüngen) entspricht, muß sie auch bestimmte wesentliche Eigenschaften dieser Idee aufweisen. Dies kann auch heißen, daß die Idee bzw. der Sprung nach einer bestimmten - biomechanisch ökonomischen - Technik ausgeführt wird dennoch ist diese Technik nicht schon von vornherein festgelegt, sondern entsteht erst im Tun und ist immer wieder unterschiedlich. Die Idee des Doppelsaltos muß nicht in einer bestimmten Höhe und einer bestimmten Rotationsgeschwindigkeit ausgeführt werden, vielmehr können sich diese Komponenten auf sehr unterschiedliche Art und Weise zusammensetzen. Also kann die Form der Bewegung nur einen gewissen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich die Ordnung zu einem relativ bestimmten Ganzen vollzieht (Bewegungsgestalt). Als präzise, eindeutige Form kann eine Bewegung immer erst im Nachhinein beschrieben werden. Der vorgegebene Rahmen ist im Wettkampfsport Trampolin im Vergleich zu anderen Sportarten jedoch sehr eng gesteckt. Hier ist jeder einzelne Sprung eine Idee, die - zum einen durch die Biomechanik und zum anderen durch die Art der Bewertung - ziemlich genau bestimmt ist. Aber gerade das ist ja das Faszinierende an diesem Sport einen Fliffisrudolf `voll auszuturnen´, zunächst einen Moment ansteigen, dann die Saltorotation beschleunigen und für 360° Saltorotation in eine bestimmte Position gehen (gehockt/ gebückt), zum richtigen Zeitpunkt die Saltorotation etwas bremsen durch Körperstreckung und gleichzeitiges einleiten der 1 ½ -fachen Schraube, frühzeitige Orientierung, um den nächsten Sprung anzuschließen. Da steckt kein Zwang dahinter. Diese Ideen möglichst perfekt zu verwirklichen, das ist es, was dem Turnenden ein Glücksgefühl bringt und ihn antreibt. Festzuhalten bleibt jedoch, daß es nicht eine idealtypische Form einer Bewegung gibt , sondern, daß die Idee der Bewegung jeweils unterschiedlich verwirklicht/ gestaltet wird. Wird dies nicht berücksichtigt, d. h. wird Bewegung als bis ins Detail festgelegte Form verstanden und versucht der Lehrende/ Trainer, dem Sportler diese Form aufzuoktroyieren, so wirkt sich das auch auf das Bewegungsverhalten des Sportlers aus. Sein Bewegungsgefühl, d.h. die Antizipation der transmodalen Wahrnehmung kann sich nicht frei entfalten (s. auch 1.2.5.2). Dies heißt auch, daß sich die inneren Kräfte der Bewegungsgestalt nicht frei austauschen können und somit die Selbstregulation eingeschränkt wird. Die Bewegung wird starr und störanfällig. Die Wahrnehmung ist also für die Bewegungen des Menschen von besonderer Bedeutung, deshalb werde ich im Folgenden ihre Rolle bei der Entstehung, im Vollzug und nach der Bewegung näher betrachten. […]. 1.2.5.1 Die Bewegungseinstellung: Die Bewegungseinstellung ist Initiator der Bewegung und beinhaltet zum einen eine innere Bereitschaft und zum anderen einen inneren Befehl zur Bewegungshandlung. Der Befehl bezieht sich auf eine dynamisierte Bezeichnung der Bewegung und initiiert das Bewegungsengramm (s.u.): ... [da] hab´ ich garnicht überlegt, ich hab gesagt `Halb-ein-halb-aus´, und das hab´ ich dann gemacht (Sp.1). Eine solche dynamisierte Bezeichnung der Bewegung ist aus der Reduktion eines Bewegungsentwurfes entstanden, welcher wiederum die Aktualisierung eines Bewegungsmusters bezeichnet. Bewegungsmuster sind, von einer Person bei Handlungen mit Erfolg benutzte und daher (gestalthaft) gespeicherte Bewegungsvorstellungen (ENNENBACH 1989, 204). Bei der Bewegungsvorstellung handelt es sich um einen bildhaften Bewußtseinsinhalt, der reduziert ist auf wenige Schwerpunkte/ Dominanten. Gemäß der Gestaltgesetze entstehen bei der Entwicklung eines inneren Bildes (einer Bewegung) phänomenale [...] bewegungs- und situationsbezogene [...] Dominanten (a.a.O., 173). Die Dominanten, die sich auf die Bewegung selbst beziehen, nennt ENNENBACH Bewegungskerne . BUYTENDIJK beschreibt diese als ausgeprägte Momente : Bei einer automatisierten Handlung [...] [ist] der Bewegungsplan [...] stark schematisiert, enthält nur einige dominierende Momente des ganzen Verlaufs (1956, 280). So beschreibt ein Turner den Halb-ein-halb-aus folgendermaßen: ansteigen - linken Arm zur Seite nehmen - einmal kurz eng werden - (raus-)strecken (Sp.1). Zudem gibt es Situationskerne , welche sich auf die Wahrnehmung der Situation, wie z.B. die Körperlage im Raum, beziehen. Hierzu paßt die Aussage: Du darfst dir den Sprung nicht vorstellen, du darfst dir nur das Gefühl vorstellen (Sp.1).Dies geschieht beim Trampolinturnen hauptsächlich durch kinästhetische und visuelle Orientierung (optischer Fixpunkt: Tuch, s. 1.2.5.2.1). Die Bewegungsdominanten - sowohl Bewegungs-, als auch Situationskerne - können in der subjektiven Wahrnehmung der Selbstbewegung stark abweichen von ihren biomechanisch ermittelten, tatsächlichen Schwerpunkten der Technikstruktur. Die Bildung der Dominanten ist zumeist von Vorteil, weil das Bewußtsein bzw. die Aufmerksamkeit nicht mehr auf so viele `Teile´ gerichtet sein muß, sondern der Sich-Bewegende kann sich freier der Gesamtbewegung hingeben. Dominantenbildung kann aber auch störend wirken, z.B. wenn dadurch für den Sich-Bewegenden schwierige Sequenzen in den Vordergrund rücken. Die Bewegungsvorstellung ist also ein psychischer Vorgang, bei dem bisherige Bewegungserfahrungen zur Bildung von Dominanten führen, welche dann bewußt auf die aktuelle Situation bezogen werden. Aus einer weitgefaßten Bewegungsvorstellung entwickelt sich durch Übung und Erfolg ein enger gefaßtes, gespeichertes Bewegungsmuster, welches - solange keine `Sörungen´ vorliegen - als Bewegungsentwurf aktualisiert werden kann. Zumeist reduziert sich das Bewegungsmuster jedoch auf die dynamisierte Bezeichnung der Bewegung, die bei innerer Bereitschaft als Bewegungseinstellung zum Initiator der Bewegung wird. Diese Art der inneren Bilder, ob als dynamische Bezeichnung oder als Bewegungsvorstellung, stehen insofern in enger Verwandtschaft zur Reafferenzfigur, als daß auch sie auf der Speicherung von Reafferenzen (aus Bewegungen resultierende Wahrnehmungen) beruhen. Unterscheiden möchte ich sie vor allem durch einen höheren Grad der Bewußtseinsfähigkeit von dem im folgenden beschriebenen Sachverhalt.

Über den Autor

Thomas Springub wurde 1973 in Aschendorf geboren. Bis 1996 war er Mitglied im Bundeskader für Trampolinturnen und sammelte mehrere internationale Medaillen für den Deutschen Turner-Bund. Anschließend agierte er als Verein- und Verbandstrainer und brachte mehrere Athletinnen zu internationalen Erfolgen. Sein Studium der Sportwissenschaft schloss er im Rahmen eines Lehramtsstudiums 1998 in Oldenburg erfolgreich ab. Sowohl im Niedersächsischen als auch im Deutschen Turner-Bund referierte er seit 1998 immer wieder bei Trainer-Aus- und -Fortbildungen.

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