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- Behelfsheim 408/9: Als Barackenkind in einer nachkriegsdeutschen Kleinstadt
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 272
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Horst Kai Klein begann sein Geschichtsstudium, um herauszufinden, zu wie verschiedene Völker und Gesellschaftsgruppen mit einander leben und wie sie ihre Konflikte lösen. Der erste Aspekt fand seinen Niederschlag in dem Buch ‘Weißt Du noch?’ (erschienen im GRIN-Verlag), in dem das Schicksal seiner Vorfahren in Wolhynien (Ukraine), Sibirien, Ostpreußen, Polen dargestellt wird, der zweite in dem hier vorliegenden Werk, das die Nachkriegsjahre in einem Barackenlager schildert und das Zusammenleben von Einheimischen und Flüchtlingen in einer Kleinstadt von viertausend Einwohnern thematisiert.
Textprobe: Kapitel 1, `S ist Krieg! `S ist Krieg!: Die Ankunft: ‘Da, seht mal, Harpstedt! Harpstedt, Kreis Grafschaft Hoya!’ Rudi hatte, vorn im Wagen an der offenen Plane stehend, als erster das Ortsschild entdeckt. ‘Wir sind da, Gott sei Dank’, sagte unsere Mutter und faltete die Hände zum Gebet. ‘Wir sollten uns nicht zu früh freuen! Wer weiß, was uns da erwartet’, bremste Olla die Euphorie, Olla, Olga Neumann, die in Groß Lensk in unserem Haus und auf unserem Hof als Dienstmädchen - ‘Magd’ sagte man damals noch - gearbeitet hatte und mit uns auf die Flucht in den Westen gegangen war. ‘Egal, jetzt hat die Fahrerei wohl erst einmal ein Ende.’ Der Morgen des 23. März 1945 war grau, aber es war glücklicherweise trocken. In der letzten Nacht hatte es heftig geregnet, aber wir hatten Glück gehabt, man hatte uns in Nordwohlde einen Platz neben der Mühle an der Dorfstraße unter einem weit ausladenden Schuppendach angewiesen, so dass unser Wagen und auch die Pferde nicht unter dem Unwetter zu leiden hatten. Wir waren die letzte Strecke auf der Landstraße von Bassum her durch schönen Kiefernwald mit Birken am Straßenrand gefahren, die ein wenig an Ostpreußen erinnerte, nun standen links und rechts die ersten Häuser des Ortes, der für die nächsten Jahre unsere ‘Heimat’ werden sollte. Unsere Mutter hatte an diesem letzten Fluchtmorgen für alle die guten Hosen und Pullover herausgeholt und selbst ein dickes, etwas elegantes Woll-Kleid angezogen, Olla auch. Wir wussten ja nicht, was uns erwartete und wollten vorsichtshalber einen guten, gepflegten Eindruck machen – bei wem auch immer. An der ersten Kreuzung am Ende der Bassumer Straße wartete ein Wehrmachtssoldat, der uns nach links winkte – offensichtlich hatte man den Flüchtlings-Treck aus Groß Lensk, Ostpreußen, von der Zentralstelle in Munsterlager, wo wir drei Tage vorher übernachtet hatten, in Harpstedt angemeldet. Olla hatte einige Mühe, den Wagen auf dem Kopfsteinpflaster der sehr abschüssigen Bahnhofsstraße (heute ‘Amtsfreiheit’) abzubremsen und auf der rechten Fahrbahnseite zu halten. Nachdem wir die Delme überquert hatten, ging es die Burgstraße hinauf, und an der nächsten Kreuzung stand ein zweiter Soldat, der uns sagte, wir hätten wieder links abzubiegen und seien dann nach hundert Metern am Ziel, auf dem Marktplatz vor der Kirche. Der Platz war groß, winterkahle hohe Linden wuchsen an den Straßen, an denen zweistöckige Bürgerhäuser, Geschäfte und Gasthäuser standen. An der vierten Seite grenzte eine niedrige Natursteinmauer den Bereich vor der Kirche ab, auf dem alte Grabkreuze zu sehen waren. Zwei Soldaten, ein Gefreiter und ein einfacher Schütze, wiesen unsere zehn Fuhrwerke ein, die sich eng nebeneinander in einer Reihe aufstellten. Der Gefreite befahl uns, von den Wagen herunterzusteigen. Und da standen wir nun, ein Häuflein von Menschen, müde, dünn geworden durch die schlechte Ernährung unterwegs, aber voller Erwartung auf das, was nun kommen würde. Der Gefreite stellte sich vor die Mitte der Reihe, hob die Hand, so dass alle still wurden und ihn ansahen. ‘Obersturmbannführer Gunst, unser Ortsgruppenleiter, wird Sie nun begrüßen und willkommen heißen.’ Aus dem Gasthaus an der Ecke des Marktplatzes, dem Vereinslokal der NSDAP und der SA, kam ein großer korpulenter Mann in der hellbraunen Nazi-Uniform. Er baute sich vor uns auf, schlug die Hacken zusammen, riss den rechten Arm zum deutschen Gruß empor, rief ‘Heil Hitler’ und begann dann seine Rede. ‘Liebe Volksgenossinnen und Volksgenossen aus dem Osten. Ich heiße Euch hier in unserem schönen Harpstedt herzlich willkommen. Wir haben unsere Bauern angewiesen’ - er wechselte zum ‘Sie’ über – ‘Ihnen fürs erste eine Unterkunft zu gewähren, bis wir eine andere Lösung gefunden haben. Lange werden Sie hier ja nicht bleiben. Wenn unser Führer und unsere heldenhafte Wehrmacht erst einmal die Bolschewiken aus Ihrem schönen Ostpreußen vertrieben und den Endsieg errungen haben, dann werden Sie auf Ihre Höfe und in Ihre Häuser zurückkehren und sich rächen können an den Polen und Russen, die schuld daran sind, dass Sie flüchten mussten. Im Laufe des Nachmittags werden Frauen und Männer kommen und je nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten eine Familie aussuchen und mitnehmen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie auf den Bauernhöfen nach Kräften mithelfen und sich ansonsten so verhalten, wie wir es von deutschen Volksgenossen gewohnt sind. Zuerst einmal aber lädt die Gemeinde Sie zu einem Essen in dem Gasthaus Hotel Stadt Bremen ein. Wenn Sie sich bitte in einer Viertelstunde bereithalten! Ein Soldat wird Ihnen den Weg zeigen, es ist nicht weit. Und morgen erscheinen Sie dort ab zehn Uhr mit all ihrer Habe zu einer Entlausung!’ Er schlug wieder die Hacken zusammen, hob nochmals die Hand zum Hitlergruß, machte eine zackige Kehrtwendung und verschwand.
Horst Kai Klein kam im August 1941 in einem Dorf im Grenzbereich zwischen Ostpreußen und Polen zur Welt, kurz nachdem Nazideutschland Polen erobert und seinen ‘Wohnbezirk wieder ‘heim ins Reich’ geholt hat. Nach der Flucht im Frühjahr 1945 wuchs er in Niedersachen und Bremen auf und studierte dann in Kiel Germanistik und Geschichte.
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