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- Autonomie trotz Wachkoma: Ethische Entscheidungsfindung bei neurologisch schwerst erkrankten Menschen
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 136
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Buch widmet sich der Frage, ob es Möglichkeiten der aktiven Partizipation von Menschen im Wachkoma bei ethischen Entscheidungsfindungsprozessen gibt. Nach einer theoretischen Fundierung der Themengebiete Wachkoma, ethische Entscheidungsfindung und Therapiezieländerung erfolgt die Ergebnisdarstellung und –bewertung neurowissenschaftlich-technischer und basal-therapeutischer Ansätze. Unter anderem wird hierbei auch die Diagnoseproblematik des Wachkomas aufgezeigt und dadurch vergegenwärtigt, worin schon alleine medizinische, therapeutische und rehabilitative Ansätze zur Behandlung der betroffenen Menschen scheitern können. Auf Grund fehlender Möglichkeiten, die in der Fachwelt vorherrschenden Forschungsergebnisse in der alltäglichen Arbeit anwenden zu können, wird aufbauend darauf eine konzeptionelle Neuausrichtung aufgezeigt. Dieses Konzept der partizipativen Selbstbestimmung im Wachkoma als neues Konzept der Autonomie basiert auf individueller Willensexploration und integriert verschiedene Ansätze, wie diese herausgebildet werden kann. Das Buch widmet sich neben den verschiedenen Fachkräften, die sich im professionellen Setting um die betroffenen Menschen im Wachkoma kümmern, vor allem auch Angehörigen und den betroffenen Menschen selbst.
Textprobe: Kapitel 2 Theoretische Fundierung zum Themengebiet: Folgend werde ich die Themenkomplexe Wachkoma mitsamt der Diagnosevielfalt und des daraus resultierenden Diagnosedilemmas, ethische Entscheidungsfindung und deren Anwendbarkeit auf das Wachkoma sowie den Bereich der Therapiezieländerung aus rechtlicher Sicht und adaptiert auf die Pflege neurologisch erkrankter Menschen definitorisch darstellen. Darauf aufbauend werde ich den bisherigen Forschungsstand zusammenfassend beleuchten und anhand dessen die abschließende Forschungsfrage erläutern. Vorausgeschickt sei hierbei, dass einige tangierte Themengebiete bereits eine anfängliche Ergebnispräsentation der abschließenden Forschungsfrage beinhalten, ich diese jedoch bewusst an dieser Stelle verorte, also vor der eigentlichen Ergebnispräsentation und Diskussion, da ich diese als Wissensgrundlage ansehe und diese somit zur ganzheitlichen Problemdarstellung dienen. 2.1 Das sogenannte Phänomen des Wachkomas: Im folgenden Kapitel möchte ich beginnend mit der Darstellung der verschiedenen, in der Fachwelt angewandten, Diagnosen zum Phänomen Wachkoma eine Abgrenzung zu weiteren neurologischen, und in ihrer Ausprägung ähnlich dem Wachkoma anmutenden, Erkrankungen vornehmen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen, möchte ich kurz das hessische Rahmenkonzept zur vollstationären Versorgung von Menschen mit schweren und schwersten neurologischen Schädigungen in Phase F in der neuesten Fassung aus Dezember 2010 darstellen, da das vorliegende Buch mit dem Ziel erstellt wurde, gerade für Menschen in der stationären Langzeitversorgung eine Hilfestellung zu geben. Auf Grund der essentiellen Grundlage der Diagnose für den weiteren Verlauf der Erkrankung und da diese Problematik die These unterstützt, dass qua Diagnosestellung unter anderem über das Leben der betroffenen Menschen, ohne diese partizipative einzubeziehen, geurteilt wird, lege ich auf die Darstellung der Definition des Wachkomas und das sich ergebende Dilemma mit der Diagnose ein besonderes Augenmerk und werde diese Thematik deshalb auch ausführlicher darstellen. 2.1.1 Die unterschiedlichen Diagnosen des Wachkomas: Das umgangssprachlich sogenannte, und teilweise auch wörtlich so verstandene, Wachkoma bezeichnet eine Diagnose, die unterschiedlichsten Definitionen unterliegt. Neben negativ konnotierten und bewertenden Zuschreibungen wie Mängelwesen , menschenmögliche Seinsweise , Abweichung von der Norm , eine Art Damoklesschwert oder Bezeichnungen wie Dilemma des als Wachkoma (…) bezeichneten menschlichen Lebenszustandes oder auch Lebensweise (…) mit der Abwesenheit jedweder Form von Wohlbefinden, Wohlergehen und Lebensqualität existieren in der modernen wissenschaftlichen Fachwelt unterschiedliche Diagnosen das Wachkoma betreffend, welche ich folgend genauer darstellen möchte. Zur umfassenden Darstellung möchte ich folgend die Entstehungsgeschichte des Wachkomas aus historischem Blickwinkel aufbauend beschreiben. Als Erstbeschreibung existiert im angloamerikanischen Raum eine Aufzeichnung basierend auf den Umschreibungen des Arztes W. Rosenblath aus dem Jahr 1899. Dieser berichtet über einen 15-jährigen Seiltänzer, der einen Sturz vom Seil schwer verletzt überlebte, in einen Zustand seltsamer Wachheit fiel und darin mehrere Monate mittels einer speziellen Sondennahrung überlebte . Im deutschsprachigen Raum wird das Phänomen Wachkoma mittels seiner wissenschaftlichen Erstbeschreibung im Jahr 1940 durch den deutschen Neurologen Ernst Kretschmer folgendermaßen und mittels der ersten Diagnose apallisches Syndrom definiert: Der Patient liegt wach da mit offenen Augen. Der Blick starrt geradeaus oder gleitet ohne Fixationspunkt verständnislos hin und her. Auch der Versuch, die Aufmerksamkeit hinzulenken, gelingt nicht oder höchstens spurenweise Ansprechen, Anfassen, Vorhalten von Gegenständen erweckt keinen sinnvollen Widerhall. (…) Infolgedessen können diese Kranken in aktiv oder passiv gewordenen Zufallsstellungen verharren bleiben. (…) Im Gegensatz dazu kann das elementare Irradiieren unverarbeiteter und ungebremster Außenreize enorm gesteigert sein, sodass sensible Reize mit Zuckungen beantwortet werden können. Trotz Wachsein ist der Patient unfähig zu sprechen, zu erkennen, sinnvolle Handlungsformen in erlernter Art durchzuführen. Dagegen sind bestimmte vegetative Elementarfunktionen, wie etwa das Schlucken, erhalten. Anhand dieser Beschreibung zeigte sich der teilweise heute noch gebräuchliche Ausdruck apallisches Syndrom , was übersetzt ohne Hirnmantel bedeutet und die cerebralen Zerfallerscheinungen umschreibt. Hierbei handelt es sich um eine funktionale Trennung der Hirnrinde von den übrigen Hirnzentren. Auch der französisch geprägte Begriff Coma vigile oder der im angloamerikanischen Raum verwendete Begriff vegetative state wurden in diesem Zeitraum und äquivalent zur Diagnose apallisches Syndrom als Umschreibung und medizinische Diagnose genutzt. Der österreichische Neurologe Franz Gerstenbrand definierte im Jahr 1967 in seiner Monografie Das traumatische apallische Syndrom anhand empirischer Beobachtungen und wissenschaftlicher Studien verschiedene Remissionsstadien und wies bereits zu jener Zeit auf die essentielle Priorisierung von entsprechenden Rehabilitationsphasen zur möglichen Wiedergenesung der betroffenen Menschen hin . Dies entspricht in Ansätzen den heute bekannten neurologischen Rehabilitationsphasen, entsprechend der Definition der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG Phase F e.V. , und dient der Erstbeschreibung der heutigen Versorgungs- und Rehabilitationsstruktur. Nur wenige Jahre nach dieser Zuschreibung und Definition seitens Gerstenbrands prägten im angloamerikanischen Raum Bryan Jennett, ein Neurochirurg, und Fred Plum, ein Neurologe, im Jahr 1972 den Begriff vegetative state . Hierbei unterschieden sie, je nach therapeutischem Verlauf, die Formen persistent vegetative state , genutzt bei Verläufen, die innerhalb eines Monats keine klinische Besserung zeigen, und permanent vegetative state , zu verwenden bei ausbleibender Besserung innerhalb eines Rehabilitationsjahres. Hierbei gaben sie keinerlei Aussagen zur Rückbildungsfähigkeit besagten Syndroms an, wobei lediglich eine, zur damaligen Zeit, schlecht angenommene Prognose vorausgesagt wurde und erste, als sehr bedenklich anzusehende, Bezüge zum Thema vegetable , also Gemüse, wurden herbeigeführt . Jedoch zeigten die Benenner im Verlauf ihrer weiteren Forschungen und Veröffentlichungen mehrmals, wie unglücklich dieser Begriff gewählt wurde, was sie, unter anderem, damit unterstrichen, dass sie die Erkrankung späterhin als syndrome in search of a name bezeichneten. Jedoch führte die Verwendung dieses sehr negativ belegten Begriffs immerhin dazu, dass die Bezeichnungen permanent oder persistent in einem Konsensus-Meeting gestrichen wurden und eine, bis heute anhaltende, rege Diskussion über den würdevollen Umgang mit sowie auch ein würdevolles Leben und Sterben der betroffenen Menschen in diesem Zustand stattfindet . Mittlerweile existieren im wissenschaftlichen und neurochirurgischen Sprachgebrauch verschiedene Diagnosen und Umschreibungen , wie der minimale Bewusstseinszustand (im Englischen Sprachraum als minimal conscious state oder auch minimal conscious vegetative state , bzw. minimal responsive state , kurz MCS, bezeichnet), dieser je nach Verlauf und Ausprägung gar noch abgestuft mittels der Dimensionen + und - , das Syndrom reaktionsloser Wachheit (im Englischen Sprachraum als unresponsive wakefulness syndrom , kurz UWS, bezeichnet) oder aber immer noch die altgebräuchlichen Begriffe Apallisches Syndrom (äquivalent des englischen Begriffs des permanent oder persistent vegetative state , kurz PVS) oder der umgangssprachlich gebräuchliche Begriff Wachkoma . Allerdings sei hierbei erwähnt, dass es, trotz der Diagnosevielfalt, aufgrund der anhaltenden Diskussionen zumindest dazu führt, dass einige Begriffe als rein deskriptiv mit verschiedenen Ätiologien angesehen werden, wobei Ausdruckswidersprüche ( Wach und Koma ) vermieden und keinerlei Aussagen zur Prognose oder a-priori-Negationen für Angehörige herbeigeführt werden. Hinzu kommen noch solche, empirisch beobachteten, Diagnosen, welche hinsichtlich der Entstehungsursachen vorliegen: hier reicht die Spannweite vom hypoxischen Hirnschaden infolge Sauerstoffunterversorgung, beispielsweise bei Reanimation, über hirnorganisches Psychosyndrom bis hin zum allgemeinen Schädel-Hirn-Trauma . Eine trennscharfe Einstufung in eine Diagnose ist somit kaum vornehmbar und Unterschiede in der Diagnosestellung sind lediglich auf die Einschätzung des beurteilenden Arztes zurückzuführen. Einen Ansatz bei einer etwaigen Einschätzung bildet hierbei lediglich die Rückberufung auf nicht-reflexive, bewusste Bewegungsmuster (beispielsweise Blickfolgebewegungen) was Giacino et al. in ihrer Studie wie folgt beschreiben Der minimal-bewusste Zustand (…) beschreibt Patienten, die inkonsistente aber reproduzierbare, verhaltensbasierte Anzeichen von Bewusstheit ihrer selbst oder ihrer Umwelt aufweisen, die jedoch nicht in der Lage sind, ihre Gedanken und Gefühle in gewohnter Weise mitzuteilen. Somit beschränkt sich die Diagnosestellung auf zuschreibende Möglichkeiten, die bewusst ausgeführt werden können, wie das Befolgen simpler Kommandos oder die Fähigkeit zur Unterscheidung von Ja-Nein-Fragen […].
Marco Sander, M. A., wurde 1979 in Heidelberg geboren. Nach seiner Ausbildung zum Altenpfleger und langjähriger Berufserfahrung in unterschiedlichsten Bereichen des Gesundheits- und Pflegesektors, entschied sich der Autor dazu seine fachliche Expertise durch ein Studium weiter auszubauen. Durch sein Bachelor- und Masterstudium in Pflegewissenschaften und seine Tätigkeit im Bereich neurologisch erkrankter Menschen wurde sein Interesse für ethische Fragestellungen geweckt. Gerade die zunehmende Konfrontation der umsorgenden Mitarbeiter mit ethischen Dilemmata veranlasste ihn dazu, sich diesem Thema in dem vorliegenden Buch anzunehmen und der Frage nachzugehen, ob Menschen im Wachkoma in ethische Entscheidungsfindungsprozesse aktiv integriert werden können.
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