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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 168
Abb.: 26
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Im Jahr 2011 veränderte sich die Alltagswelt von Millionen von Menschen. Despoten wurden gestürzt, Regime in Frage gestellt und dem angestauten Unmut Luft gemacht. Das Land im Herzen des Nahen Ostens wird jedoch eher selten im Zusammenhang mit dem arabischen Frühling erwähnt: Der Libanon. Dennoch kam es auch in dem kleinen Staat an der Levante zu Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften. Die Aufstandsbewegung in der arabischen Welt, die nun ohne Rücksicht auf Konfession und Ethnizität ein übergreifendes Bewusstsein, ein shared awarness , heraufbeschworen hat, trifft auch auf den tief durch den 15-jährigen Bürgerkrieg gespaltenen Libanon. Hier streiten sich seit Jahrhunderten und vermehrt seit Ausbruch des Bürgerkriegs Historiker, Politiker und Kleriker über die Existenz einer nationalen Identität und wie diese, wenn vorhanden, auszusehen habe. Die mehrdeutige Identität des Landes spaltete dessen Bevölkerung entlang lokaler, nationaler und ideologischer Linien. Entlang dieser entstand ein konfliktträchtiges Spannungsfeld kommunaler, staatlicher und nationaler Grenzen, welches die Frage nach der Identität sehr problematisch gestaltet. Daher entstand im Libanon eine hohe Sensitivität gegenüber sozialer Kohärenz und nationaler Einheit. Im weitgefächerten Spektrum der libanesischen Gesellschaft ist religiöser Kommunalismus die vorherrschende Identität. Daher herrscht seit langem die Forderung nach einer Säkularisierung, um die trennende Kluft zu überwinden. Trotz dieser heiklen Problematik in einem Land mit mehr als 18 verschiedenen Konfessionsgruppen kommt es auch hier zu Protesten, vornehmlich von Studenten und Intellektuellen. Anhand von Interviews mit Beiruter Studenten, Fotomaterial, Teilnahme an sozialen Netzwerken und Feldnotizen soll dargestellt werden, wie sich die Umgebung der Studenten im Gegensatz zu der der Bürgerkriegsgeneration verändert. Der verdrängte Bürgerkrieg, welcher noch immer die Narrativen und das Verhältnis der Gruppen im Libanon bestimmt, und die zunehmende Angst vor der Zukunft und der Stagnation bilden den eigentlichen Bezugsrahmen jeglicher möglicher Identität. Dennoch erleben die Studenten zunehmend ein Loslösen aus dem seit 30 Jahren festgefahrenen Bezugsrahmen. Krieg und Besatzung ließen neue Kategorien von Opfern und Tätern entstehen. Gemischte Universitäten und das Internet boten neue Formen die alten Kommunikations- und Interaktionsmuster zu übertreten und der Universitätsbezirk Hamra, lässt ein über- bzw. unkonfessionelles Miteinander zu, welches noch vor wenigen Jahren höchst problematisch gewesen wäre. Daraus ergeben sich neue Formen der Identität/Alterität, welche an die Parole des arabischen Frühlings erinnern. Rund um den Libanon ruft man Das Volk will den Fall des Systems! . Auch Studenten im Libanon stimmen am 27. Januar, unbemerkt vom Rest der Welt, in den Kanon ein. Ein Ergebnis der Protestwelle oder der innerlibanesischen Veränderungen?

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3, Identitätsdiskurs für den Libanon: Im Libanon gibt es vor allem drei Formen des Nationalismus: den arabischen Nationalismus, der von einer Gemeinschaft aller arabischer Staaten ausgeht, den syrischen Nationalismus, der während der Zeit ‘Großsyriens’ entstanden ist und den libanesischen Nationalismus, welcher die Besonderheit und damit Abgrenzung der Libanesen von ‘den Arabern’ begründet. Hier soll jedoch Nationalismus als Bewusstsein einer sozialen Zusammengehörigkeit aller Libanesen verstanden werden und nicht als ideologisch-politischen Strömung. Die Literatursuche hinsichtlich dieses Verständnisses zum Libanon und seiner Identitätskonstruktion gestaltete sich zunächst unübersichtlich. Zum einen liegt dies an der Fülle an Publikationen zur Thematik des Konfessionalismus, zum anderen aber an der Ermangelung von ethnologischen Arbeiten über nationale Identität im Libanon. Die meisten Arbeiten sind auf Politik und Religion gestützt. Dies mag an der Essentialisierung dieser beiden Kategorien liegen und erklärt dadurch auch die internationale Popularität der Region für politikwissenschaftliche und historiographische Arbeiten. Seit 1975 gibt es eine große Anzahl an Abhandlungen zu libanesischer Geschichtsschreibung. Kamal Salibi, einer der führenden libanesischen Historiker, veröffentlichte einige der einfluss- und erkenntnisreichsten Studien zur Thematik. Die Bekannteste darunter ist ‘A House of many mansions. The History of Lebanon Reconsidered’. Salibi kritisiert hierin sowohl seine eigenen früheren Angaben zu libanesischer Geschichte als auch die gesamte libanesische Geschichtsschreibung aufgrund ihrer ethnozentristischen Vorannahmen und konfessionsgestützten Argumentationen. In der deutschsprachigen Literatur ist besonders Axel Havemann hervorzuheben. Dieser befasste sich in ‘Geschichte und Geschichtsschreibung im Libanon des 19. und 20. Jahrhunderts. Formen und Funktionen des historischen Selbstverständnisses’ mit den verschiedenen Darstellungen der libanesischen Geschichte durch Historiker. Havemann erörtert den Zusammenhang zwischen Geschichtsschreibung, Ideologie und Politik. Auch Gordon und Harris untersuchen den Zusammenhang zwischen Mobilisierung und dem Selbstverständnis der libanesischen Gesellschaft. Bei den historischen Arbeiten sind zudem die Beiträge von Zein al Din besonders erkenntnisreich, welche teilweise sehr detailliert Vorgänge der libanesischen Geschichte und deren Auswirkungen auf die Neuzeit beschreiben. Bei den sozialwissenschaftlichen Analysen ist vor allem auf Theodor Hanf hinzuweisen, welcher zyklisch quantitative Forschungen zum Zusammenleben der Libanesen durchgeführt hat und daher ein gutes Bild über die Veränderungen in der libanesischen Gesellschaft geben kann. Nennenswert sind zudem die Analysen der Ergebnisse des Bürgerkrieges, hier vor allem Khalaf und Harik, welche auch zwanzig Jahre nach dem Bürgerkrieg hinsichtlich der Bürgerkriegsgeneration nicht an Relevanz eingebüßt haben. Zum arabischen Frühling gab es zum Zeitpunkt der Arbeit kaum Publikationen. Zudem wurde der Libanon zumeist ausgespart. Meine Analysen stützen sich hier auf meine eigene Feldforschung und auf lokale und regionale Zeitungsartikel. Speziell zu Perspektiven von Studenten auf die libanesische Identität waren mir keine neueren Forschungen bekannt. 1997 forschte El Amine zu politischen Ansichten an Universitäten. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass christliche Studenten in ihren politischen Ansichten sich zumeist auf 2-4 Antwortmuster bezogen, während muslimische Studenteneine sehr homogene Ansicht vertraten. Eine Studie von Qa'i 2000 bestätigte diese Ergebnisse. Beide Studien befassen sich lediglich mit politischen Ansichten und wurden bisher auch nicht aus dem arabischen übersetzt. Obwohl es sehr viele Arbeiten zur Politik und dem konfessionellen System gibt und in diesem Zusammenhang libanesische Identität thematisiert wird, sind andere Prozesse, wie der Einfluss des Internets oder der Rückwirkung der Diaspora nicht berücksichtigt worden. In den vorhandenen Forschungen wurde zudem auch nicht zwischen Bürgerkriegsgeneration und Postkriegsgeneration unterschieden, was durch die Fokussierung auf die Politik, welche sich im Libanon vordergründig abspielt, zu erklären ist. Viele Analysen und Forschungen erwecken dadurch den Eindruck von Stillstand und Stagnation nach dem Bürgerkrieg. Sämtliche Ereignisse nach 1975 wurden lediglich in Relation zum Bürgerkrieg und dessen Folgen untersucht, wie dies etwa bei Zein al Din, Harik oder Khalaf geschieht. Auch Hanf nimmt keine Trennung bezüglich des Generationenunterschiedes vor und lässt Einflüsse wie Universitätsalltag und soziale Medien unberücksichtigt. Die Auswirkungen dieser auf die Postkriegsgeneration wurden bislang nicht thematisiert. Sozialwissenschaftliche Arbeiten zu den Einflüssen, welchen Studenten in ihrer Konstruktion von Alterität und Identität ausgesetzt sind, vor allem mit dem Hintergrund der arabischen Revolutionen, waren mir weder bekannt noch zugänglich. Zudem ist die Essentialisierung von Politik und Religion in den vorhandenen Arbeiten zu kritisieren. Aufgrund der Aktualität der Studie müssen Aussagen zum arabischen Frühling auf Zeitungsartikel und Interviews gestützt werden, da es zum Zeitpunkt der Abfassung keine wissenschaftlichen Studien zur Thematik gab. Um die Forschung besser verorten zu können und das Konstrukt Identität verorten zu können, ist zunächst eine Arbeitsdefinition und Operationalisierung notwendig.

Über den Autor

Sabine Bauer, M.A., wurde 1988 in Eggenfelden geboren. Sie schloss ihr Studium der Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sowie der Sorbonne in Paris im Jahr 2011 mit dem akademischen Grad Magistra Artium erfolgreich ab. Im Zuge ihres Studiums bereiste sie viele Länder und wurde zuletzt Augenzeugin der Aufstände im Libanon und in Syrien 2011, wo sie mehrere Monate lebte und forschte. Mitgerissen von den historischen Umwälzungen und fasziniert vom Revolutionswillen ihrer Altersgenossen widmete sich die Autorin der Thematik des vorliegenden Buches.

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