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- Partnerschaftlichkeit im Mittelalter: Der Stricker – Ein Dichter mit modernen Ideen zu Liebe und Ehe
Geschichte
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Gegenüber einem in der jüngeren Mediävistik und in der Frauenforschung überwiegend verbreiteten Bild, demzufolge das Schicksal der Frauen im Mittelalter ein finsteres war, sie männlicher Willkür und Gewalttätigkeit schutzlos ausgeliefert gewesen seien, sprechen die volkssprachlichen Dichtungen eine ganz andere Sprache. Lässt man sich auf die Texte ein und legt die üblichen Schablonen, mit denen die Mediävistik sie für gewöhnlich einordnet, einmal beiseite, kann sich ein ganz anderes Mittelalterbild erschließen. Keine ferne, unverständliche Epoche, die durch exotisches Anderssein glänzt, sondern eine Gesellschaft, die der unseren erstaunlich ähnlich scheint. Insbesondere was die Problematik der Beziehungen von Männern und Frauen im ehelichen Leben anbelangt. Die vorliegende Arbeit will insbesondere anhand der ehelichen Beziehungsgeschichten des Stricker nachweisen, dass es dem Stricker als einem der profiliertesten Vertreter der Frauen-Verehrer Fraktion, um die Verteidigung des gleichwertig-partnerschaftlichen Status der Frauen im Innenverhältnis ehelicher Beziehungen ging und er damit gleichzeitig an einem gesellschaftspolitischen Entwurf festhält, der auf eine mitmenschliche Gesellschaft zielt. Die Einleitung verweist auf die Diskussion zum gesellschaftlichen Kontext, durch den erst die dichterische Positionierung des Stricker und die seiner Mitstreiter verständlich wird und thematisiert durch einen aktualisierenden zeitgenössischen Bezug die gesellschaftspolitische Bedeutung, die der 'Beziehungsfrage' offensichtlich seit jeher innewohnt und die am historischen Beispiel vermutlich klarer konturiert erkannt werden kann, als dies ein Analyse der sich diffus darstellenden Gegenwart erlaubt.
Textprobe: Kapitel 3, Der Gevatterin Rat: 3.1, Textinhalt: Ein Bauer behandelt seine Frau feindselig, nichts kann sie ihm recht machen. Er stößt, tritt und verprügelt sie, bis sie die Besinnung verliert. Dabei beschimpft er sie und bejammert sein Schicksal, mit dieser Frau in unauflöslicher Ehe verbunden zu sein. Einen Grund für sein Verhalten gibt er nicht an. Seine Ehefrau bemüht sich sehr, sie ist sich keiner Missetat bewusst. Ihr Mann wäre ihr lieb und teuer, würde er sie nicht stets dermaßen misshandeln, dass sie allmählich lebensmüde geworden ist. Bei einem Besuch bemerkt ihre Gevatterin die leidvolle Situation ihrer Verwandten, der sie in Zuneigung verbunden ist und verspricht Abhilfe. Die Gevatterin versteckt die Ehefrau in ihrem eigenen Haus und bringt dem Bauern die Nachricht vom Ableben seiner Frau, währenddessen dieser auf dem Acker arbeitet. Der Ehemann kann diese für ihn freudige Nachricht kaum fassen und bittet die Gevatterin die Beerdigung seiner Frau zu organisieren. Solange er seine Ehefrau nicht begraben wisse wolle er nicht heimkehren, denn bei dem Gedanken sie könne doch noch leben, schwitze er blutigen Schweiß. Die Gevatterin richtet einen Holzblock wie eine Leiche her und lässt diesen als die vermeintlich verstorbene Ehefrau vom Pfarrer beerdigen. Gleichzeitig pflegt sie die versteckte Ehefrau und kleidet sie kostbar ein. Schon nach fünf Wochen steht dem vermeintlichen Witwer erneut der Sinn nach weiblicher Gesellschaft. Die Gevatterin schlägt ihm ein heimliches Treffen mit einer wunderbaren Frau vor, die sie kenne. Nach einer weiteren Woche führt die Gevatterin ihm die schöne Unbekannte zu und der Bauer entbrennt sofort so heftig für sie, dass er nicht mehr fähig ist sich von ihr zu trennen. Er kann selbst seinen Geschäften nicht mehr nachgehen, da dies ja bedeuten würde sie für eine gewisse Zeit nicht mehr sehen zu können . ‘ich stirbe, sol ich dich niht sehen.’ (V.602) Freunde machen den Bauern darauf aufmerksam, dass seine Untätigkeit ihn ins Verderben stürzen werde und wollen ihn nicht mehr als einen der ihren anerkennen. Da sie es auch ablehnen ihn mit Nahrungsmitteln zu unterstützen und seine Vorräte aufgebraucht sind, droht dem Paar der Liebestod durch Verhungern. Um diese Gefahr abzuwenden entdeckt die vermeintlich neue Gefährtin dem Bauern ihre wahre Identität als vormalig verhasste Ehefrau. Der Bauer kann die Wahrheit kaum fassen und bittet seine Frau um Stillschweigen, damit er nicht der Leute Spott werde. Trotzdem wird die Geschichte bekannt. Die Ehefrau wird seither vom Bauern gut behandelt, er wagt es weder sie zu schelten noch zu loben, die Leute erklärten ihn andernfalls auch für einen Verrückten. 3.2, Analytischer Teil: Das maere setzt mit der Beschreibung des Zustandes einer Ehe ein, von dem nicht gesagt wird wie lange er schon andauert, nur dass der misshandelnde Ehemann seine Frau schon in die Nähe der Lebensmüdigkeit geprügelt hat. ‘tuot er mir mêr deheinen slac, daz ich niht langer leben mac’ (V.83-84) Die Misshandlungen geschehen grundlos, eine unterschwellige Feindseligkeit der Ehefrau, Missachtung oder Verachtung des Ehemannes ihrerseits ist nicht gegeben. Im Gegenteil, die Ehefrau würde ihren Mann weiterhin unter allen seinen Standesgenossen vorziehen, ließe er denn seine Misshandlungen. ‘under allen sinen genozen wart nie tiurer man geborn.’ (V. 76-77) Die Ehefrau ist sich der Nutzlosigkeit ihrer Anstrengungen und der Grundlosigkeit der Feindseligkeit ihres Ehemannes auch durchaus bewusst. ‘si sprach: ‘er ist mir gehaz, (V.63-64) ern weiz niht selbe umbe waz.’ Die verfahrene eheliche Situation, tiefsitzender Ingrimm des Bauern und unerträgliches Leben der Ehefrau, lässt, so will der Stricker wohl andeuten, normalerweise nur drei gleichermaßen tragische Ausgänge des Ehe-Dramas zu. Zum einen könnten die regelmäßigen Misshandlungen tatsächlich zum Tod der Ehefrau führen. Dass es hierzu nicht kommt, liegt nicht etwa an der Einstellung des Bauern zu seiner ehelichen Verpflichtung, so das maere, sondern an seiner Furcht vor den zu erwartenden gesellschaftlichen Konsequenzen. ‘daz er ir den lip niht nam, (V.9-11) daz liez er durch die liute mê denne durch die geistlichen ê.’ Zum anderen wird die Ehefrau in V. 83 bereits als suizidgefährdet beschrieben. Der dritte, ebenfalls mit dem Tod der Ehefrau endende Ausgang, wäre dann das von der Gevatterin in Szene gesetzte Siechtum, als eine zum Tode führende Krankheit. Wenn der Stricker das Beziehungsproblem misshandelnder Ehemann und leidende Ehefrau aufruft und einer, wenn auch kaum verallgemeinerbaren so doch phantasievollen fiktionalen Lösung zuführt, Scheintod und Anbetung der vormals gehassten Ehefrau, so steht doch zu vermuten, dass er mit dieser Konstruktion ernsthafte Hinweise auf das Verständnis des Problems und mögliche Lösungswege geben will. Zur bloßen Nachahmung eignet sich sein ausgefallener Lösungsvorschlag ja wohl kaum und das gedeihliche Zusammenleben des Ehepaares mit dem das maere endet wäre dann ja ein ebenso als unwahrscheinlich anzusehender, wenig überzeugender Ausgang der Geschichte. Geht man allerdings davon aus, dass der Bann, unter dem der Bauer beim ersten Kennenlernen der scheinbar Unbekannten steht, zumindest als starke Attraktion ja auch beim ersten Kennenlernen des Paares bestanden haben muß, so erscheint das wundersame Entflammen des Bauern beim zweiten Kennenlernen nicht mehr ganz so verwunderlich. Vernünftigerweise wird man ja davon ausgehen können, dass Hass und Feindschaft des Bauern nicht vom Anfang der Beziehung an gegeben waren. In diesem Falle hätte die Ehefrau ja wohl kaum ihr Einverständnis zur Eheschließung gegeben. Ist allerdings von einer Entwicklung der Feindseligkeit des Bauern seiner Frau gegenüber auszugehen, so handelte es sich beim zweiten Fall des Kennenlernens und sofortigen Entbrennens um den typischen Fall einer Wiederholung. Dass ein krankhafter Charakter, wie der Bauer, der nach einer Weile seine Frau beschimpft, schlägt und auf alle erdenkliche Weise misshandelt, unter Wiederholungszwang steht, d.h. sich immer wieder ein charakterlich gleich strukturiertes Opfer suchen wird, bei dem er seine Störung ausagieren kann, wäre dann der ernstere Hintergrund den die Strickersche Erzählkonstruktion aufscheinen lassen will. Die Identität des gewählten Liebesobjektes, erste Frau gleich zweite Frau, machte diesen Zusammenhang evident. Die Erkenntnis, dass sich Paare mit solch schwerwiegenden Beziehungsproblemen nicht aus eigener Kraft aus ihren krankhaften Verstrickungen lösen können, stünde dann hinter dem Eingreifen der Gevatterin. Nur Hilfe von außen kann das fatale Beziehungssystem aufbrechen. Ein erster Schritt auf dem ‘Weg zur Genesung’ wäre es also , dass die Ehefrau sich ihrer Gevatterin anvertraut und sich von ihr raten lässt. Ein weiterer Schritt wäre dann die Herstellung einer Öffentlichkeit, Gruppenöffentlichkeit, die sich fortgesetzt mit dem Problem des Ehepaares beschäftigt und damit sowohl für Zurückhaltung auf seiten des Bauern, als auch für ein Gefühl der Sicherheit – Geborgenheit auf seiten der Ehefrau sorgt. Im maere werden diese Bedingungen erfüllt, die Öffentlichkeit wird hergestellt, wenn auch auf unerklärliche, scheinbar von überirdischen Kräften beförderte Weise, denn die unmittelbar Beteiligten bewahren weiterhin Stillschweigen.
Horst Haub wurde 1952 in Frankfurt am Main geboren. Sein Studium an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt schloss der Autor im Jahre 1982 mit dem 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien ab. Beruflich im pädagogischen Bereich tätig, begleitete ihn jedoch weiterhin die Faszination für die Kultur und Geschichte des Mittelalters. Seine kontinuierliche, vertiefende Auseinandersetzung mit mediävistischen Themen im universitären Rahmen führten seit 2006 zur Veröffentlichung einschlägiger Studien: Achtundsechziger Altgermanistik und das Paradigma Alterität. Von der Revolte mit emanzipatorischem Anspruch zu erneuter Erkenntnisblockade, GRIN-Verlag 2006. Partnerschaftlichkeit im Hochmittelalter. Strickers Konzept für Ehe und Gesellschaft – Die Ehestandsmären, GRIN-Verlag 2008. Ambraser Heldenbuch und Kaiser Maximilian I. Zu Konzeption und Anfang der Handschrift mit dem 'Frauenehre'-Fragment des Stricker. GRIN-Verlag 2010. Die 'Klage' der Margarete von Österreich über Vater Maximilian I. und Neffen Karl (V.) Erlebnislyrik – Literarisches Manifest – Politisches Signal (Cod. 2584, Wien, ÖNB), GRIN-Verlag 2012.
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