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Geschichte

Heike Schwering

Licht und Schatten durchdringen

Auf den autobiographischen Spuren sechs ausgewählter Kinder- und Jugendbuchautoren der Kriegs- und Nachkriegsgeneration

ISBN: 978-3-8366-6356-4

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 12.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 300
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Taten unseres Lebens, die wir die guten nennen und von denen zu erzählen uns leicht fällt, sind fast alle von jener ersten leichten Art, und wir vergessen sie leicht. Andere Taten, von denen zu sprechen uns Mühe macht, vergessen wir nie mehr, sie sind gewissermaßen mehr unser als andere, und ihre Schatten fallen lang über alle Tage unseres Lebens. (H. Hesse, 1918) Um Schatten, die einen Menschen ein Leben lang begleiten, bedecken, verstecken und bisweilen auch schützen, soll es in diesem Buch gehen. Schatten, die sich auf subtile Art und Weise immer wieder aufs Neue in Gegenwart und Zukunft schleichen und das Licht verdecken, welches durch die Distanz zum Geschehenen eine Berechtigung auf Geltung einfordert. Diese Schatten schreien nach Reflexion und Verarbeitung, wollen sich registriert wissen und strafen bei Ignoranz mit Verdunkelung der Seele. Ein jeder Mensch sieht sich in der Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie mit ebendiesen dunklen Seiten, problematischen Lebensphasen und biographischen Wendepunkten konfrontiert. Der innere wie äußere Disput kann hierbei gewiss in unterschiedlicher Form und auf verschiedenen Ebenen vollzogen werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Schatten der Kriegs- und Nachkriegszeit in diesem Kontext insofern einer besonderen Beschäftigung bedürfen, als dass sie einhergehen mit der faktischen Zeitgeschichte. Im Rahmen von qualitativer Forschung hat die Autorin sich mit diesem Buch sechs Biographien von Kinder- und Jugendbuchautoren der Kriegs- und Nachkriegsgeneration angenähert. G. Pausewang, D. Chidolue, W. Lewin, M. Krausnick, P. Maar und W. Fährmann ermöglichten in intensiven Gesprächen einen tiefen Einblick in deren Leben. So stehen am Ende eines langen Forschungsprozesses neben bereits bekannten Informationen viele neue Erkenntnisse zu den einzelnen Autoren und deren Werk. Darüber hinaus wurde in Anlehnung an die Methode der Grounded Theory nach Strauss/Corbin ein Verfahren entwickelt, welches einen strukturierten Zugang zu Transkripten/autobiographischen Materialien zulässt. Das thematische Kodieren als modifiziertes Evaluationsverfahren bildet in diesem Kontext eine differenzierte Möglichkeit, Autobiographisches möglichst authentisch abbilden zu können. Kein Lehrbuch, aber ein Leitfaden. Kein Lesebuch, aber ein Buch voller Geschichten. Kein Geschichtsbuch, aber voll von Geschichte.

Leseprobe

Kapitel 7.6.1.3, Zum Heil durch Sprache und Phantasie: Was ich brauchte, waren Trostbücher. Das, was PM als die glückliche Phase einer geteilten Kindheit bezeichnet, die Zeit bei den Großeltern in Hesterhausen, lesend, spielend und phantasierend mit anderen Kindern, ist gleichzeitig als Beginn seiner, im weitesten Sinne, Sprachleidenschaft anzusehen. Nicht nur das Eintauchen in die ersten Leseabenteuer beflügelt ihn, sondern gleichsam die Bilder, welche durch das Lesen in ihm entstehen und weiterleben, sich entwickeln zu neuen Geschichten und weitere Schöpferkräfte in ihm aktivieren. Diese Kräfte sollen ihn später nicht nur Bücher schreiben lassen, sondern ebenso Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele. Auf kein Genre will PM sich im Laufe seines Schaffens festlegen lassen, sondern experimentell mit Sprache und Bildern auf unterschiedlichen Ebenen jonglieren. Doch es beginnt mit dem Lesen und Erzählen von Geschichten. Dann hat sicherlich eine Grundlage gelegt die glückliche Kindheitsphase, wo ich der Geschichtenerzähler war. Wo mir jetzt manchmal mein Freund Ludwig manchmal noch erzählt, mich erinnert an Dinge, die ich gar nicht mehr weiß. Weißt du noch wie wir damals in der Scheune oben gesessen haben, und du plötzlich angefangen hast die Geschichte zu erzählen. Du so getan hast, als sei sie richtig, und wir alle haben dir geglaubt? Ich sag: Weiß ich überhaupt nicht mehr. Er erinnert sich so ungefähr noch an jedes Wort. Also das war eine sehr glückliche Zeit, die auch so Einfluss genommen hat darauf, dass ich geschrieben habe. Dann diese Phase als Jugendlicher, und ich meinen Freund als großes Vorbild vor mir hatte. Ich dachte: so genial wie der schreibt, das würde ich auch gerne tun. Ja, und dann war es auch die Tatsache, dass ich sehr viel und sehr gerne gelesen habe. Und ich glaube, wenn man mehr sehr viel, sehr intensiv liest, dass man dann doch irgendwann den Wunsch in sich spürt zu schreiben . In Hesterhausen konnte er jener neu entdeckten Leidenschaft uneingeschränkt nachgehen. Mit der Rückkehr nach Schweinfurt unterliegt er der ständigen Kontrolle des lesefeindlichen Vaters. Ich musste also Strategien erfinden. Kniffe anwenden, zu Heimlichkeiten Zuflucht nehmen, um zu Büchern und zum Lesen zu kommen. Bei den Gleichaltrigen gab es nicht viel zu holen...Eine öffentliche Bibliothek gab es in meiner Heimatstadt nicht, man konnte sich aber Bücher aus einer der beiden privaten Leihbücherein gegen eine Gebühr von 20 Pfennigen ausleihen, was für mich damals eine sehr hohe Summe war. Deshalb empfand ich es als Offenbarung, als mir ein älterer Junge den Tipp gab, man könne sich kostenlos Bücher aus er Bibliothek des Amerikahauses holen. Kinderbücher führte man dort zwar nicht, aber man hatte nichts dagegen, dass ein Zwölfjähriger seine Büchertasche bis an den Rand ihres Fassungsvermögens mit den Schätzen amerikanischer Literatur füllte und sie mit sich schleppte. Sie heimschleppte hätte nicht dem Sachverhalt entsprochen, denn ich deponierte sie in der Wohnung eines Freundes . Und dann habe ich oft eine halbe Büchertasche voller Bücher mit nach Hause genommen. Habe das zum Wolfram Schröter, meinem Freund getragen, das Lesegut. Habe es dort deponiert, und unter dem Vorwand, ich müsste Chemie lernen mit Wolfram, dessen Vater Chemiker war, bin ich dann zu ihm gegangen. Er hat dann mit seinem Bruder draußen auf dem Rasen Fußball gespielt, während ich drinnen war, in seinem Zimmer auf dem Sofa, und habe meine Bücher gelesen . PM ist darum bemüht, so oft wie es sich einrichten lässt, seine freie Zeit außerhalb der Familie, fern vom Vater zu verbringen. Seine Bücherdepots sind für ihn Inseln der Ruhe und des Glücks. Darüber hinaus sind sie sein Geheimnis, durch welches er sich seinem Vater zumindest in einem Punkt überlegen fühlt. Das Lesen ist eine selbst entdeckte wie weiterentwickelte Überlebensstrategie für das unverstandene, unglückliche Kind. Die Auswahl seiner Lektüren zu diesem Zweck ist sehr eindeutig. Was ich brauchte waren Trostbücher. Bücher, die mir durch ihr gutes Ende den festen Glauben vermittelten, auch in meinem Leben würde es irgendwann mal eine Wendung zum Guten geben, ich müsse nur durchhalten. Diese Überzeugung, die ich einzig aus meiner Lektüre zog, hielt mich psychisch und vielleicht auch physisch am Leben...Ohne jemals etwas von Psychologie erfahren zu haben, hatte ich in diesen Jahren eine Selbsttherapie erfunden, die überaus wirksam war: ich las nahezu täglich vor dem Einschlafen beim Licht einer Taschenlampe...meine Lieblingsgeschichte, und zwar Der Eisenhans . Dies wurde zum festen Ritual, bis weit über die Pubertät hinaus . Erst 40 Jahre später, in Vorbereitung auf einen Vortrag am Institut für Kinder- und Jugendliteraturforschung der Goethe-Universität Frankfurt, reflektiert PM jenes Ritual und versteht seine Botschaft. Irgendwann würde ich wie der entwurzelte, gedemütigte Königssohn mein Hütchen vom Kopf nehmen, dann würden alle erkennen, was bis jetzt außer mir keiner wusste, und man würde staunend ausrufen: Der hat ja goldene Haare! . PM ist den vergleichbar schweren Weg des Eisenhans gegangen, und entgegen aller schmerzhaften Verachtung des Vaters für seine Weichheit, seine physische wie psychische Labilität, hat er genau diese für sich und seine Kreativität genutzt. Durch das Lesen hat er sich empfänglich gemacht für den Zauber von Sprache und Bild, und die bereits in ihm angelegten Fähigkeiten mittels eines besonderen Umgang mit ebendiesen zu hegen gewusst und sie bewusst wie unbewusst weiterentwickelt. Bestimmte Lektüren hinterlassen besonders inspirierende Spuren. Also der Auslöser dafür, dass ich überhaupt geschrieben habe, war ein Buch von Peter Hacks, das hieß Das Windloch ...Das hat mir so gut gefallen, und mehr oder weniger bewusst habe ich auch den Aufbau und die Struktur in den Tätowierten Hund übernommen. Das ich das Gefühl habe, ich war so begeistert von diesem Buch, das ich, als junger Mann gelesen habe, also, dass ich dachte: So etwas würde ich auch gerne schreiben. Und dann habe ich angefangen . Fragt man nach weiteren Auslösern, die zum Schreiben geführt haben, so verrät PM ein besonderes Ereignis, welches auch über all den Dingen als esoterische Mission betitelt werden kann. Jetzt sage ich mal etwas, was ich nie gesagt habe. Weil es fast ein bisschen was Esoterisches ist. Also mein Freund Franz, von dem ich erzählt habe, der immer Schriftsteller werden wollte. Mit dem ich z.B. auch ne Fahrradtour bis nach Rom gemacht habe in den großen Ferien. Sind wir über die Alpen und wieder zurück gefahren, und das alles mit dem Fahrrad. Der immer nur Einsen geschrieben hat in der Schule. Schon veröffentlicht hat als 15-16-Jähriger in Zeitungen und wirklich genial war, der ist nach einem Radrennen an einer Gehirnblutung gestorben. ..Und ich hatte das Gefühl, dass er mir den Auftrag gegeben hat, wenn er schon nicht weiterschreiben kann, dann sollte ich das vielleicht tun. Weil ich der Zweitbekannteste bin. Und ab da habe ich geschrieben..(lacht) Und das ist..das ist vielleicht so etwas Tiefenpsychologisches als wenn er mir den Auftrag gegeben hat, sein Werk weiter zu führen. Daran denke ich manchmal, und vielleicht ist es etwas übertrieben. Denn es war ja schon in mir angelegt, denn ich hatte ja schon geschrieben, z.B. für die Schülerzeitung. Zwar wie ich meine auf einem weniger hohen Niveau, aber. Er hatte einen hervorragenden Artikel über Stifter geschrieben. Adalbert Stifter als 16-Jähriger, ja! Also es war so eine Art Rambo, der mit 18 aufhörte, Gedichte zu schreiben, weil vorher schon..er wäre sicher ein genialer Schriftsteller geworden, wenn er nicht schon so früh gestorben wäre . Neben der eigenen Geschichte trägt der Autor diese Erinnerung an den Freund Franz mit sich und führt in dessen Auftrag das Erbe der Schriftstellerei fort. Es entsteht der Gedanke, dass jenes Erbe schließlich eine Bestätigung der unlängst gefällten Entscheidung für die Schriftstellerei ist. Fakt ist: Mit 17 Jahren hat PM durch die Freundschaft zu Gleichgesinnten, durch die Kraft und Überzeugung von Büchern, sowie entsprechende Anerkennung seiner Person wie seiner Fähigkeiten so viel Selbstvertrauen gewonnen, dass er sich vom Vater distanzieren kann. Offensichtlich hat seine selbstauferlegte Therapie des Lesens von Trostbüchern ihn aufrecht erhalten – und er empfiehlt sie weiter. PM liegt es fern, unglücklichen Kindern durch die Abbildung einer ebenso unglücklichen Realität Mut zu machen, ihnen Selbstvertrauen zu vermitteln und sie für das wahre Leben zu wappnen. Aber so plausibel diese Theorie auch klingt: Ich bringe sie nicht in Einklang mit meiner Erfahrung. Wie hätte ich damals die Lösung meiner Probleme in die Hand nehmen sollen? Was kann ein Kind, das in bedrückenden familiären Verhältnissen groß wird, anderes tun als warten? Es kann weder ein Elternteil auswechseln, noch sich eine neue Familie suchen. So resignativ es klingt: Es muss darauf warten, dass es endlich erwachsen wird und damit seiner Familie den Rücken kehren kann...Ich versuche mir vorzustellen, was gewesen wäre, wenn man mir damals das Lesen gestattet und mir ein Buch in die Hand gedrückt hätte, in dem die Geschichte eines Jungen erzählt wird, dessen Vater ihn auf subtile Weise quält und misshandelt. Das Buch hätte mir nichts gegeben, rein gar nichts! Ich hätte zwar im Schicksal des Jungen entfernt mein eigenes wiedergespiegelt gesehen, hätte wahrscheinlich ein paar Tränen um den Jungen geweint ( und damit über mich selbst) das Buch hätte mich aber eher trauriger und verzweifelter zurückgelassen, als ich schon war . Diese Perspektive auf das Narrativ unterstreicht einmal mehr, dass die subjektive Wahrheit über die Wirkung von Kinder- und Jugendbüchern der subjektiven Wirklichkeit des PM entspringt. Der folgende Passus fasst die Erkenntnisse um den Zusammenhang zwischen der Biographie und Bibliographie von PM nochmals zusammen, und bildet die Ebenen zusammenhängend ab.

Über den Autor

Dr. phil. Heike Schwering, Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Freie Rezensentin und (Fach-)Autorin mit dem Schwerpunkt Biographieforschung/qualitative Forschung, Kinder- und Jugendliteratur.

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