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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 102
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Im 19. Jahrhundert büßt das Christentum in Europa endgültig seine Vormachtstellung ein. Der Verlust der sinngebenden, absoluten Instanz Gott bewirkt einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel und zwingt das Individuum dazu, seine Identität aus sich heraus neu zu definieren. Von dieser Gegebenheit ausgehend werden unterschiedliche Identitätsmodelle untersucht und ein gemeinsamer Ursprung, die existenzielle Identität, herausgearbeitet und definiert. Dabei werden philosophische, soziologische, psychologische sowie sprach- und literaturwissenschaftliche Ansätze berücksichtigt. Die Hauptfiguren drei herausragender europäischer Romane dienen als Beispiel für den existenziell verlorenen modernen Menschen: Das Werk A rebours (1884) von Joris-Karl Huysmans ist eines der wichtigsten Texte der französischen Décadence eine Strömung, die nicht nur auf literarisch-ästhetischer Ebene nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten sucht. Des Esseintes, die Hauptfigur des Romans, versucht, ein völlig neues Lebensmodell auf der Basis des Ästhetisch-Künstlichen aufzubauen und sich selbst zum Schöpfer seiner individuellen Welt zu erheben. Friedrich Nietzsches Muse Lou Andreas-Salomé veröffentlicht 1885 den ersten von ihm inspirierten Roman Im Kampf um Gott. Der Priestersohn Kuno verliert in seiner Kindheit den Glauben an Gott und muss sein Leben lang um einen neuen Glauben kämpfen. Miguel de Unamuno ist ein bedeutender Repräsentant der Generación del '98, der Generation, die die Identitätskrise der ehemaligen Weltmacht Spanien literarisch verarbeitet. In seiner phantastischen Tragikomödie Niebla (1914) trifft die Hauptfigur Augusto Pérez auf ihren Schöpfer, Unamuno selbst. Trotz unterschiedlicher Genres und Stile thematisieren die Werke unabhängig voneinander den Verlust einer absoluten Instanz sowie die Folgen für Individuum und Gesellschaft. Die Suche nach modernen Wegen des Selbstverständnisses führt zu bisher unbekannter Freiheit, aber auch zu Orientierungslosigkeit und neuer moralischer Verantwortung. Dies sind grundlegende Fragestellungen, mit denen der abendländische Mensch auch im 21. Jahrhundert konfrontiert wird.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 6.2.4, Die Analogie Leben/ nivola: In Niebla werden das poetologische Problem der ‘creación artística’, bei der der Autor eine individuelle Welt erschafft, jedoch die logische Kontrolle über seine Figur verliert und ihr gerecht werden muss, und das der Identitätsfindung auf ontologischer Ebene behandelt. Darauf aufbauend lässt sich die Analogie Leben/ nivola nachvollziehen. Augustos Begegnung mit Unamuno kann analog als eine Begegnung des Menschen mit dem Schöpfergott gesehen werden. Diese Analogie deutet Unamuno bereits bei seinem ersten Eingreifen in die nivola an: ‘Y yo soy el Dios de estos dos pobres diablos nivolescos’. Die nivola ist – wie das Leben – von Zufall geprägt, sie folgt keiner Logik, die Stufen zwischen Traum, Realität und Fiktion verschwimmen. Gott erschafft uns mit Worten – ebenso handelt der Autor in Bezug auf seine Figuren. Der Gottautor und die menschliche Romanfigur hängen von einander ab: Gott kann nicht aufhören uns zu träumen, weil er seine Existenz sonst vor niemandem manifestieren kann und sie daher nichtig werden würde. Indem der Mensch selbst als Schöpfer auftritt, entsteht eine Hierarchie von Fiktion und Realität, deren Stufen ineinander übergehen. Der Mensch braucht Gott und Gott braucht den Menschen. Entfällt eine Komponente, bleibt das Nichts bzw. der Nebel oder der Tod. Auf diese Weise wird es möglich, dass ein ursprünglich abhängiges Geschöpf sich von seinem Schöpfer selbst-ständig machen kann, da die Verhältnisse nicht einseitig sind: Schöpfer und Geschöpf bedingen und halten sich gegenseitig, um nicht in den leeren Abgrund zu fallen. Sie schreiben weiter an der sie tragenden intrahistoria. Dieser typisch moderne Gedanke manifestiert sich nicht nur durch die Sprache, sondern diese ist auch das Mittel der Autonomie der Schöpfungen. Im Diskurs löst sich der moderne Mensch von Traditionen, hinterfragt sie kritisch und konstruiert individuelle Sinnschemata, die seine Existenz erklären. In Worten überleben diese die individuelle menschliche Existenz. Das Leben kann mit der nivola oder der dem Wortlaut ähnlichen niebla (‘navilo… nebulo, no, no, nivola, eso es, ¡nivola!’) verglichen werden. Alles liegt im Nebel, bis konkrete emotionale Erfahrungen diesen lichten. Die Beteiligten, Gott, Mensch und Romanfiguren, sind letztendlich alle entes de ficción. Dominiert werden sie vom Zufall, der sich kein konstruiertes System aufzwingen lässt. Aus dem Nebel entstehen mit Worten Identitäten, seien sie geschaffen durch Kultur, Religion, kritischen Diskurs, konkrete existenzielle Erlebnisse und/ oder innerhalb eines poetologischen Konzeptes wie das des Romans oder der nivola. Die entes de ficción bilden sich aus dem Traum des Schöpfers, im ‘sueño creador del arte’ heraus. Mit dem Aufstellen der Analogie Leben/ nivola und dem Einbeziehen des rezeptiven Vorgangs des Lesers in die nivola stellt Unamuno eine Verbindung zwischen Niebla und der Welt des Lesers her. Die existenzielle Identitätssuche Augustos regt den Leser dazu an, über sein Leben als Schöpfung einer höheren Macht, aber auch über seine Autonomie dieser gegenüber nachzudenken. Die Möglichkeit des Dialogs und der Emanzipation ihr gegenüber zeigen, dass der Mensch zwar bezüglich seiner Umwelt und seines Gottesbildes determiniert ist, er jedoch einen wesentlichen Beitrag zur Konzeption seiner Identität leisten kann. Die Entscheidung, was real und was fiktiv ist und welche Handlung bedeutsam ist, bleibt jedem selbst überlassen: Der Leser kann individuell entscheiden, ob Augusto sich selbst tötet, oder ob sein Schöpfer es soweit kommen lässt. Kapitel 7, Kontrastiver Vergleich der analysierten Romane: Obwohl die Romane A rebours, Im Kampf um Gott und Niebla jeweils ein charakteristisches Beispiel für die zeitgenössische Literaturlandschaft ihres Landes geben, erscheint es schwierig, anhand von nur drei Romanen eine Entwicklungslinie von 1884 bis 1914 zu ziehen oder von einem Roman auf die gesamte Nation zu schließen. Um eine fundierte Analyse aufzustellen, bedarf es mehrerer Romane unterschiedlicher Strömungen und Genres des jeweiligen Jahres bzw. Landes. Daher wird im Folgenden nur ein auf die Thematik der Arbeit bezogener Vergleich aufgestellt, ohne dass ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhoben wird. Obwohl die Romane jeweils unterschiedlichen Genres angehören, lassen sich interessante Parallelen in Bezug auf die Thematik der existenziellen Identitätssuche ziehen. Kapitel 7.1, Europäische Romane der Alterität: Die drei analysierten Romane erfahren zum Zeitpunkt ihrer Publikation geringe Resonanz und werden nur von einem kleinen Leserkreis rezipiert. Huysmans’ A rebours richtet sich an das Publikum der Décadence, er versucht sogar bewusst, sein Publikum auf die Décadents einzugrenzen. Ebensolches gilt für Unamuno, dessen Roman vom zeitgenössischen Spanien vielmehr in die Sparte ‘difícil clasificación’ eingeordnet wird. Andreas-Salomés Roman ist ebenfalls nicht in erster Linie für eine weite Verbreitung bestimmt. Obwohl er in die Tradition des psychologischen Romans eingereiht werden kann, wird davon ausgegangen, dass die Autorin Im Kampf um Gott nicht bewusst als solchen verfasst. Vermutlich steht vielmehr die Veröffentlichung zum Zwecke der Aufenthaltserlaubnis sowie die persönliche Verarbeitung ihres Gottesverlustes und der Gespräche mit Nietzsche im Vordergrund. Der Roman verhilft ihr vor allem zu einem Leben als Freigeist, unabhängig von (...)

Über den Autor

Anke Anni Ernst, geboren 1983 in Togo, wuchs in Panama, Spanien und Deutschland auf. Nach dem Abitur zog sie nach Thailand, um eine ihr fremde Kultur kennen zu lernen. Wieder in Deutschland studierte die Autorin an der Universität Bonn und der Pariser Sorbonne Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Spanische und Französische Philologie und schloss ihr Studium 2009 ab. Auf zahlreichen Reisen setzte sich die Autorin mit unterschiedlichen Weltbildern auseinander. Auch ihre Lehrtätigkeit am Sprachlernzentrum der Universität Bonn, ihr berufliches Engagement für den Fernsehsender Phoenix und ihre Beschäftigung als Tänzerin an der Oper Bonn bestärkten sie darin, sich auf akademischem Niveau mit der Konzeption von Weltbildern und Identitätsmodellen zu beschäftigen.

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