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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 124
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In den 1920er Jahren partizipierten viele BürgerInnen in Energiegenossenschaften, um die Elektrifizierung in Deutschland voranzubringen. Obwohl es zeitweise über 6.000 Elektrizitätsgenossenschaften gab, wurde die historische dezentrale Stromversorgung bisher in der Forschung kaum beachtet. Das vorliegende Buch bietet eine umfassende Betrachtung der Elektrifizierung eines landwirtschaftlich geprägten Dorfes durch eine Genossenschaft. 1921 baute Großbardorf ein elektrisches Windrad, eine Batteriespeicheranlage und ein Inselstromnetz auf, statt sich an das Überlandwerk anzuschließen. Unter der Anwendung genossenschaftlicher Organisationsgrundsätze konnte die Anlage 16 Jahre lang betrieben werden. Die Gemeinde gewann auf ihrem Sonderweg eine früher funktionierende Versorgung sowie die Sicherung der lokalen Wertschöpfung und der Entscheidungshoheit über die Energieversorgung. Heute errichtet das Dorf wieder erneuerbare Energieanlagen und ist mit dem Titel Bioenergiedorf ausgezeichnet. Basierend auf den Erkenntnissen über das Scheitern eines dezentralen Versorgungssystems in den 1930er Jahren werden abschließend die Strukturwandlungsmöglichkeiten in der Energiewende kommentiert.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2 Die Entwicklung der Elektrizitätsgenossenschaften: Es gab verschiedene rechtliche Formen, die bei gemeinschaftlicher Elektrifizierung im ländlichen Bereich in Frage kamen. Bedeutend waren die Genossenschaften, die in vielen landwirtschaftlich geprägten Dörfern schon etabliert waren, um bei geringem Vermögen der Einzelnen als Zusammenschluss die Teilhabe an technischen Neuerungen zu ermöglichen. Anders als zu der allgemeinen Entwicklung der Elektrizitätswirtschaft gibt es kaum technikhistorische Forschung zur Bedeutung der Elektrizitätsgenossenschaften bei der Etablierung einer Versorgungsstruktur für Elektrizität in Deutschland. Es folgt ein kurzer Einblick sowohl in die Entstehung von Elektrizitätsgenossenschaften als auch deren zahlenmäßiger Entwicklung über den Untersuchungszeitraum in Deutschland, Bayern und Unterfranken. Eine Genossenschaft ist ein kollektiver Zusammenschluss zur wirtschaftlichen Selbsthilfe . Das Besondere, das sie von anderen kollektiven Wirtschaftsformen unterscheidet, ist, dass jeder Genosse [sich] in persona, d. h. nicht nur mit finanziellen, sondern mit höchstpersönlichen Werten an ihr beteiligt . Das bedeutet unter anderem, dass Gemeinschaftsarbeit mit den anderen Genossen geleistet wird. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften schlossen sich meist dem Genossenschaftsgedanken von Friedrich Wilhelm Raiffeisen an, der vor allem die kleinbäuerliche Landwirtschaft und das ländliche Handwerk im Blick hatte. Durch sein Wirken als Bürgermeister kannte er die Bedingungen in strukturschwachen, entlegenen Dörfern. Seine Arbeit war zudem religiös fundiert. Deshalb strebten Genossenschaften, die in seinem Sinne errichtet worden waren, nicht nur nach wirtschaftlichem Aufschwung, sondern auch dem Heben der geistigen und sittlichen Moral. Laut Schmidt war die starke Einbeziehung von Lehrern und Geistlichen in seinem Sinne. Lehrer und Pfarrer galten als gebildete, sittliche und religiöse und mit den ländlichen Verhältnissen wohlvertraute Persönlichkeiten . Auch bei der ländlichen Elektrifizierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielten Genossenschaften eine Rolle. Auf dem Land war man häufig kritisch gegenüber Beschlüssen aus dem Landratsamt oder den Gewinninteressen einer überregionalen Unternehmung. Außerdem wollte man sich das eigene Land nicht wegnehmen lassen, dass für die bäuerlichen Familien Lebensgrundlage bot. Grund und Boden zu besitzen war eine wichtige Voraussetzung für die Kapitalbeschaffung von genossenschaftlichen Vereinen nach dem Motto. Wer schon etwas hat, kann darauf aufbauen – oder diesen Besitz mit einer Bürgschaft belasten, um die Finanzierung von Projekten anzuschieben. Eine Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1934 gibt Aufschluss darüber, wie bedeutend Elektrizitätsgenossenschaften im nationalen Kontext waren. Laut Statistik der Reichshauptabteilung III des Reichsnährstandes waren am 1. Hornung [Anm. d. Verf.: Februar] 1934 40.929 landwirtschaftliche Genossenschaften eingetragen. Fast die Hälfte davon waren Spar- und Darlehenskassen, über 6.000 Molkereigenossenschaften und an dritter Stelle folgen rund 5.600 Elektrizitätsgenossenschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Bedeutung der Elektrizitätsgenossenschaften allerdings soweit abgesunken, dass sie im Buch Die Genossenschaft von 1949 unter Sonstige Genossenschaften aufgeführt werden. Die Genossenschaften werden auch hier nicht als Betreiber von Elektrizitätswerken beschrieben, sondern als Leitungsbauer und -betreiber, die außerdem für den Bezug von Zählern und Motoren zuständig waren. Die umfassende Statistik über die Entwicklung von Energiegenossenschaften von den 1880er Jahren bis in die Jetztzeit von Holstenkamp et al. Bietet weiteres Zahlenmaterial. Die Studie spricht von einem Energiegenossenschaftsboom, der von den Nachkriegsjahren bis zum Ende der 1920er Jahre anhält. Rund 6.000 Elektrizitätsgenossenschaften gab es zu Höchstzeiten um die Jahre 1924-29 (s. Abbildung 1). […]. Diese waren überwiegend Betreiberinnen von Stromnetzen im ländlichen Raum. Das Ende der Gründungswelle ist mit der zunehmenden Großkraftversorgung und der damit einhergehenden Konzentration und Zentralisierung, sowie durch Größennachteile zu begründen. Die nationalsozialistische Diktatur hatte die Möglichkeit der Zwangsauflösung im Energiewirtschaftsgesetz verankert. Zusätzlich führte die Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre zu Formwandel und Auflösungen aufgrund von Finanzierungsproblemen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Verstaatlichungen in der DDR und in Polen hinzu. Außerdem setzten sich die Zentralisierungsprozesse in der westdeutschen Elektrizitätswirtschaft nach 1945 fort. Die Zahlen über die Elektrizitätsgenossenschaften wurden für Unterfranken ausgewiesen (s. Abbildung 1, re). Die darin erhobenen Daten geben für die 1920er Jahre keine Gründungen an und können deshalb leider nicht als verlässliche Datenquelle über Gründungen in dem Untersuchungszeitraum herangezogen werden. Da es keine detaillierte Arbeit zur Entwicklung der Elektrizitätsgenossenschaften gibt, wurde die Gründungsdynamik des Bayerischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. zwischen September 1921 und September 1922 untersucht. Die Elektrizitätsgenossenschaft von Großbardorf wurde im September 1921 gegründet In diesem Zeitraum sind 117 Genossenschaften in den Bayerischen Landesverband landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. aufgenommen worden, davon waren ein Viertel, nämlich 29, Elektrizitätsgenossenschaften im weiteren Sinne. In Unterfranken waren es im gesamten Zeitraum zwei von elf neu gegründeten Genossenschaften. Das entspricht einem Anteil von 18 % und damit weniger als dem bayernweiten Anteil von 24 %, wobei der kurze Untersuchungszeitraum und die geringe Anzahl keine statistisch signifikante Aussage zulässt (s. Anhang 3). Neben der Elektrizitätsgenossenschaft Großbardorf, die im Oktober 1921 aufgenommen wurde, gründete sich im September eine weitere Elektrizitäts-Genossenschaft in der Gemeinde Thüngersheim, welche zu diesem Zeitpunkt doppelt so viele EinwohnerInnen hatte wie Großbardorf. […] Die Stromproduktion der einzelnen Genossenschaften ist nur schwer nachvollziehbar. Es gibt allerdings eine Statistik über die Verdoppelung der gesamten Stromabgabe durch bayerische Elektrizitätsgenossenschaften in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft (s. Tabelle 2: Stromabgabe bayerischer Genossenschaften). Diese Steigerung der Elektrizitätserzeugung in der Landwirtschaft lag ganz im Interesse der NationalsozialistInnen, die die Landwirtschaft verstärkt zur Förderung der Erzeugungsschlacht einsetzen wollten. Die vorliegenden Zahlen lassen sich wie folgt interpretieren: Großbardorf war eher ein Sonderfall, als Teil eines breiten Trends in Unterfranken zum Zeitpunkt seiner Gründung, weil im darauf folgenden Jahr keine weiteren Elektrizitätsgenossenschaften in Unterfranken gegründet wurden. Was allerdings außerhalb des Zeitraumes von September 1921 bis September 1922 lag, könnte noch in einer weiterführenden Studie untersucht werden. In ganz Bayern war der Anteil von Elektrizitäts-Genossenschaften an den Zugängen, also den neuen Mitgliedern des Genossenschaftsverbandes, mit 25 % etwas höher als in Unterfranken. Elektrizitätsgenossenschaften waren innerhalb des Genossenschaftsverbandes noch bis in die frühen 1930er Jahre wichtig. Vermutlich war die Anzahl bis 1938 aufgrund des Energiewirtschaftsgesetzes auf ein Mindestmaß zusammengeschrumpft, vielleicht hatte sich aber auch in der statistischen Erfassung der Genossenschaften etwas geändert.

Über den Autor

Ann-Morla Meyer, geb. 1988 in Berlin, wuchs in der Lüneburger Heide auf, wo sie sich bereits sehr früh für die Themen Energie und Klimaschutz engagierte. Aus diesem Grund entschied sie sich ein Studium der Regenerativen Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin aufzunehmen. Nachdem sie sich ein Verständnis der technischen Grundlagen der Energieerzeugung angeeignet hatte, schloss sie ein Masterstudium der Technikgeschichte an der Technischen Universität Berlin an. Dort verstand sie, dass die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Etablierung neuer Technologien entscheidend sind. Als Koordinatorin eines interdisziplinären Promotionskollegs im Bereich Mikroenergie-Systeme vertiefte sie ihre Kenntnisse im Bereich der dezentralen Energieversorgung. Als Tutorin an der Humboldt-Universität zu Berlin konzipierte sie eine Lehrveranstaltung samt Ergebnispräsentation auf Wikipedia und dem Jungen Kongress der Geographie zu diesem Thema. Die Ergebnisse der in diesem Buch veröffentlichten Studie wurden zusätzlich vor 100 EinwohnerInnen von Großbardorf und bei der Jahrestagung des Projektes Energiesysteme der Zukunft ESYS der Akademie der Technikwissenschaften acatech vorgestellt. Seit Juli 2016 arbeitet die Autorin als Projektmanagerin in der Abteilung Innovation von DIN e.V. in Berlin.

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