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Geschichte

Andrea Oberheiden-Brent

Der Spielfilm des Nationalsozialismus: Abgrenzung von der Fremde und Kampf für die Heimat

ISBN: 978-3-8428-9080-0

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Was ist Heimat? Neben einer ortsgebundenen Dimension schließt eine Definition von Heimat doch auch soziokulturelle und zeitliche Dimensionen mit ein. Diese Studie untersucht die 'Heimat'- und 'Fremde'-Modelle in den Spielfilmen des Nationalsozialismus. Zentrale Rolle spielt dabei das Verhältnis von Medium und Ideologie. Kann es überhaupt unpolitische deutsche Spielfilme zwischen 1933 und 1945 geben? Die Studie analysiert jeweils ausgewählte Spielfilme aus den Genres Heimatfilm, Abenteuerfilm, Melodram und dem offen propagandistischen Spielfilm. Auf der Grundlage der Foki Abgrenzung (von der Fremde) und Kampf (für die Heimat) werden verschiedene Modelle von Fernweh, Heimweh, Exil und neuer Heimat sowie Entfremdung von der eigenen Heimat herausgearbeitet. Letztlich stellt sich die Frage, ob der Ort Heimat, oft mehr Utopie als Wirklichkeit, überhaupt existieren kann, scheint er sich doch lediglich darüber zu definieren, was er nicht ist. Vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Spielfilms heißt das: Stellt die abgebildete Heimat die Medialisierung von Ideologie dar oder ist sie vielmehr das Produkt einer Ideologisierung des Medialen?

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.2, DIE GOLDENE STADT (1940, Veit Harlan) [kbw]: 'Heimat’-versus-’Fremde’-Modell: Fernweh ohne Reintegration: 4.2.1, Topographische und soziokulturelle Dimensionen: 4.2.1.1, ‘Heimat’ und ‘Fremde’ als Kategorien ‘nah’ und ‘fern’: Die semantisch topographischen Räume ‘Land’ und ‘Stadt’ (‘Heimat’ versus ‘Fremde’) konstituieren sich durch die Relation ‘nah’ versus ‘fern’. Beide topographischen Räume sind Träger antagonistisch aufgebauter Topologien. Den folgenden semantischen Räumen lassen sich folgende Leitdifferenzen zuordnen (Schema: ‘Land’ versus ‘Stadt’, das heißt, die Topographie ist hier Träger der Topologie): ‘Glück’ versus ‘Unglück’, ‘Tradition’ versus ‘Fortschritt’, ‘Fleiß’ versus ‘Faulheit’, ‘Natürlichkeit’ (‘Gesundheit’) versus ‘Entfremdung von der Natur’ (‘Degeneration’) und ‘Identität’ versus ‘Identitätslosigkeit’ sowie letztlich ‘Gut’ versus ‘Böse’. Das verbindende Element der beiden semantischen Räume mit ihren entsprechenden normativen Merkmalen ist die Moldau, die zudem als Allegorie für Ewigkeit und Beständigkeit fungiert. Der Extremraum des semantischen Raumes ‘Land’ ist das ‘Moor’ mit dem Extrempunkt ‘Grab der Mutter’. Das Moor fungiert als Allegorie für Tod, aber auch für Erinnerung und Heimat. Aus diesem Grund steht dieser Extremraum nicht für den gesamten semantischen Raum. Der Extremraum mit seiner negativen Konnotation wird letztlich durch die Kultivierung des Moores getilgt am Ende kann dort gesundes Korn wachsen. Das Moor und die tote Mutter stellen ein zentrales Moment von Erinnerung, Sehnsucht und Schmerz dar auch diese Merkmale sind nach der Kultivierung des Moores aufgehoben, da sie nur Bestand hatten, solange die Sehnsucht nach der Stadt (Prag) durch die Figur Anna Jobst (wie zuvor durch ihre Mutter) aufrechterhalten werden konnte. Die Gräber von Mutter und Tochter stehen am Ende für eine abgeschlossene Vergangenheit. Der Normverstoß wird von Anna Jobst begangen, als sie den semantischen Raum ‘Land’ gegen den Willen ihres Vaters verlässt, um in den semantischen Raum ‘Stadt überzugehen. Das Haus der Tante Opferkuch stellt dabei den Extremraum mit ihrem Sohn Toni gleichsam als Extrempunkt dar. Tante und Sohn stehen für den gesamten semantischen Raum, für die ‘Stadt’ im Allgemeinen und für ‘Prag’ im Besonderen. Bei Annas Übertritt in den semantischen Raum ‘Stadt’ handelt sich um ein normales Ereignis, da die jeweilige Ordnung der semantischen Räume in der Diegese am Ende grundsätzlich erhalten bleibt. Allerdings ändern sich zunächst die Figurenmerkmale der Anna Jobst nach ihrem Normverstoß, indem sie kulturelle Merkmale des semantischen Raumes ‘Stadt’ annimmt. Die Rückkehr der Figur Anna Jobst in den Herkunftsraum erfolgt nach dem sogenannten ‘Beuteholerschema’: Annas ungeborenes Kind gelangt mit ihr als ein Element des oppositionellen semantischen Raumes zurück in den Herkunftsraum. Da die jeweilige Ordnung der semantischen Räume in der Diegese erhalten bleibt, die Figur Anna Jobst aufgrund der nicht ablegbaren Merkmale des semantischen Raumes ‘Land’ nicht im semantischen Raum ‘Stadt’ aufgehen kann, jedoch aufgrund ihrer Trägerschaft von einem Element dieses semantischen Raumes auch nicht wieder in den Herkunftsraum integriert werden kann, muss die Figur Anna Jobst letztlich getilgt werden. Mit dem Gang ins Moor erfolgt ein weiteres Ereignis durch die Figur Anna Jobst, das die kurzfristig gestörte Ordnung (auch durch den Suizid der Mutter) des semantischen Raumes ‘Land’ langfristig wiederherstellt. Das gesunde goldene Korn des Raumes ‘Heimat’ steht letztlich dem Raum ‘Fremde’ und damit der kranken ‘goldenen’ Stadt Prag, siegreich gegenüber. Die letztliche Nachgiebigkeit des Bauern Jobst, der sich zuvor aufgrund von Tradition stets gegen die Kultivierung des Moores ausgesprochen hatte (‘weil er [der Sumpf] immer da war’, 00:11:15), ist nicht als Beugung gegenüber der Abhängigkeit von der Kapitalwirtschaft zu verstehen (denn das nun wachsende Korn liefert einen wirtschaftlichen Nutzen), sondern als Einsicht in die natürlicherweise notwendige und sinnvolle Fruchtbarmachung des ländlichen Bodens. Aus der mythischen Sanktionierungsinstanz (‘Wer seiner Heimat untreu wird, den straft das Moor’, 01:10:33) soll natürliches, fruchtbares Ackerland werden: ‘Mach’s besser als ich, schaff‘ das faulige Moor weg! Roggen soll da steh’n!’ (01:38:39). 4.2.1.2, Figurenkonzeption und –konstellation: Insbesondere folgende Figuren sollen im Folgenden interessieren: Anna Jobst und ihr Vater Melchior Jobst (alle dem Raum ‘Land’ zugehörig) sowie der Ingenieur Leitwein, Ingenieur Nemetschek, Toni Opferkuch und dessen Mutter Donata Opferkuch (alle der ‘Stadt’ Prag zugehörig). Anna Jobst hat – wie ihre Mutter – eine unbändige Sehnsucht nach der Stadt Prag, die sie sich in ihrer Fantasie als wahrhaft ‘goldene’ Stadt vorstellt. Durch die Intrige der Wirtschafterin Maruschka, die verhindern möchte, dass Anna statt ihrer selbst den Hof erbt, wagt Anna die Reise zu ihrer in Prag lebenden Tante. Dort lernt sie ihren Cousin Toni kennen und beginnt sich zunächst äußerlich zu verändern. Statt des für die Stadt unpassenden Bauerngewandes trägt sie nun Kleid, Schleier und Schminke, weil es sich ‘für eine richtige Dame’ so gehört (00:58:18). Gegenüber dem Ingenieur Leitwein verteidigt sie ihre äußerliche Veränderung: ‘Das ist modern!’ (00:58:55). Obwohl Toni für diese Veränderung verantwortlich ist, lobt dieser Annas ländliche Natürlichkeit und wertet damit die Künstlichkeit von seiner Chefin und Affäre Lilli ab: ‘Bei der [Anna] ist alles echt. Ganz anders als bei die Lilli mit ihre gefärbten Tizian-Haare und ihre falschen Zähne [sic]. Die [Anna] hat ein Herz wie Gold. Bei uns kennt man so etwas gar nicht mehr.’ (01:01:06). Durch Toni beeinflusst, bleibt Anna auf unbestimmte Zeit in Prag ihre Briefe in die Heimat werden ungeöffnet zurückgeschickt. Fortan steht sie im Tabakladen der Tante und wird von Toni infolge einer Liebesnacht schwanger. Frau Amend bemerkt Annas Verfall: ‘Aber, wie Sie hergekommen sind, haben Sie besser ausgesehen.’ (01:14:43). Nachdem Anna vom Vater enterbt und somit nur einen Pflichtteil und nicht den Hof erhalten wird, wendet Toni sich von ihr ab und wieder seiner Chefin Lilli zu. Anna kehrt zurück in ihre Heimat. Da sie vom Vater nach ihrem offenbar unverzeihbaren Normverstoß aber nicht wieder aufgenommen wird, geht sie – wie ihre Mutter zuvor – ins Moor. Ihre letzten Worte, die die Notwendigkeit ihres Untergangs verdeutlichen sollen, sind: ‘Vater, vergib‘ mir, dass ich die Heimat nicht so liebte wie du!’ (01:36:24). Gerade die Ausweglosigkeit, in der sich Anna befindet, lässt ihre Entscheidung zum Suizid als absolute Notwendigkeit erscheinen: Ihr Kind würde genau wie sie und die Mutter zuvor zwischen den Räumen ‘Stadt’ und ‘Land’ und deren entsprechenden Merkmalen stehen. Anna selbst hatte schon nicht die Kraft, gegen die negativen Erbanteile der Mutter anzukämpfen – einen Kampf, den ihr Kind als biologisches Produkt von ihr und ihrem degenerierten Cousin niemals hätte gewinnen können. Mit ihrem Suizid kehrt Anna in den Mutterschoß zurück und bestätigt damit die Notwendigkeit der Einsicht in die nationalsozialistische Rassenbiologie. So überrascht es nicht, dass das ursprüngliche Ende von DIE GOLDENE STADT auf Geheiß Goebbels‘ geändert wurde, so dass am Ende nicht der Tod des Vaters und die Hochzeit der Tochter, sondern der Tod der Tochter und ihres ungeborenen Kindes stehen: ‘Er [Goebbels] […] befahl mir [Veit Harlan], den Film »im Sinne Billingers« zu ändern […]. Annuschka mußte sterben.’ Annas Vater Melchior Jobst ist der bereits erwähnte ‘Herr über seinen Hof.’ Als Anna ihn vor Thomas dafür kritisiert, dass er den Ingenieur Leitwein entlassen hat, weist er seine Tochter erst mit einer Ohrfeige und dann mit folgenden Worten zurecht: ‘Was hier in diesem Hause geschieht, das wird mir nicht angeschafft, das schaff‘ ich an! Und wer mit in dem Haus nicht passt, den setz‘ ich vor die Tür!’ (00:19:11). Jobst hat seine Frau, Annas Mutter, an die Stadt und letztlich an das Moor verloren (‘[w]eil sie immer weg wollte von Mann und Kind hat sie der Wassermann geholt’, 00:05:45). Der Vater möchte mit Gewalt verhindern, dass seine Tochter ein ähnliches Schicksal ereilt. So hält er auch Annas Verlobten Thomas an, sich wie ein ‘Mann’ zu verhalten: ‘Musst sie anpacken und festhalten, bist doch ein Mann!’ (00:09:40). Für das Festhalten seiner Tochter liefert er stets dasselbe Argument, hinter dem die ‘Blut-und-Boden’-Ideologie steht: ‘Meine Tochter soll hierbleiben, sie ist hier geboren [und] hier aufgewachsen!’ (00:11:52), ‘Sie [Menschen, die in die Stadt gezogen sind] können da aber auf dem Pflaster gar nicht leben, weil sie da nicht geboren sind’ (00:30:48). Ingenieur Leitwein kommt eine wichtige und zentrale Rolle zu: Er ist zwar dem Raum ‘Stadt’ (Prag) zugehörig, ist aber gleichzeitig bei konstant bleibenden Figurenmerkmalen in der Lage, folgenlos zwischen den semantischen Räumen zu wechseln. In seiner abfälligen Haltung zum ‘Heimatgedanke[n]’ (00:13:33), ist er eindeutig dem Fortschritt und der Moderne zuzuordnen. Er ist aber auch derjenige, der kritisch mit den Merkmalen der Stadt umgeht und Anna Jobst davor warnt, die Stadt zu positiv zu sehen: ‘Sie stellen sich das nur in Ihrer Fantasie so golden vor. Die Wirklichkeit ist bitter, sehr bitter.’ (00:18:04). Auch ist er derjenige, der Anna auf ihre beginnende negative Veränderung hinweist: Offen gestanden, in Ihrem Bauerngewand sehen Sie viel schöner aus!’ (00:58:58) und sie eindringlich bittet, heim zu kehren: ‘Ich hoffe, dass Sie bald in Ihre Heimat zurückkehren!’ (01:02:33). Ganz ohne Konsequenzen bleiben Leitweins Raumwechsel allerdings nicht, denn einerseits begünstigt er Annas Sehnsucht, indem er ihr einen Bildband von der Stadt Prag schenkt und auch Sätze sagt wie: ‘Wer nie fortgeht […], kommt nie heim’ (00:08:11), andererseits küsst er sie, obwohl er weiß, dass sie mit Thomas verlobt ist. Dies entfacht familiären Streit, weil Anna nicht bevormundet werden möchte. Leitwein ist auch indirekt dafür verantwortlich, dass Anna sich stärker ihrem Cousin Toni zuwendet, denn nachdem sie in Prag einen Ring an seinem Finger entdeckt hatte, konnte sie sich ihm nicht mehr zuwenden und anvertrauen. Leitwein hatte Anna am Tag zuvor in die Oper eingeladen, um sich mit ihr Smetanas Die verkaufte Braut anzusehen. In dieser ‘Spiel-im-Spiel’-Szene (ab 00:50:00) werden noch einmal die Künstlichkeit des Stadtlebens (Entfremdung von der Natur) und die Natürlichkeit des Landlebens gegenübergestellt. Während Szenen von tanzenden Mädchen in Trachten auf dem Land in aller Natürlichkeit stattfinden (die Rede ist immer wieder von einer bevorstehenden Kirmes), werden derartige Szenen in der Stadt auf die Bühne verlegt. Die auf Annas Bauerngewand gerichteten abfälligen Blicke der Opernbesucher verdeutlichen noch einmal, dass die Natürlichkeit und die Traditionen des Landlebens in der Stadt nur noch im künstlichen Kontext des Theaters akzeptiert sind. Die Tatsache, dass das städtische Publikum sich eine solche Oper überhaupt ansieht, sich also offenbar nach dem ländlichen Leben mit seinen Traditionen sehnt, bestätigt nochmals den unverrückbaren Stellenwert und die Überlegenheit der ländlichen Lebensweise gegenüber dem Stadtleben, die dieser Film propagiert. Ingenieur Nemetschek verkörpert das ‘Fremde’ in diesem Film. Er kommt zwar ursprünglich auch vom Land, hat die Merkmale eines Landmenschen aber offenbar schon vor langer Zeit abgelegt, wie Bauer Jobst in einem Gespräch feststellt: ‘Sie sind wohl schon länger in Ihrem Beruf!’ (00:11:20). Nemetschek steht für Kapitalismus und Internationalismus: ‘Die Trockenlegung macht man schon in aller Welt’ (00:11:37). Die Bauern fühlen sich durch seine (städtische) Anrede ‘Meine Herren’ gedemütigt und wollen dem Eindringling in die ländliche Idylle durch einen brutalen Angriff auf der Kegelbahn vertreiben: ‘Wir sind keine Herren, wir sind bloß Bauern!’ (00:27:00). Die Figur Nemetschek lässt an die antisemitischen stereotypen Darstellungen der Juden denken. In ihrem grobschlächtigen Verhalten fungieren die Bauern als Vertreter der Tradition und werden damit in Opposition zum Fortschritt (wie ihn unter anderem auch der Ingenieur Leitwein verkörpert) gesetzt. Toni und Donata Opferkuch werden als ‘degenerierte’ Familie dargestellt. Als die Tante Anna in Empfang nimmt, ist sie nur halb angezogen, sie raucht viel und trinkt am frühen Morgen. Toni ist ein uneheliches Kind und laut Angaben seiner eigenen Mutter ohne geistige Qualitäten, da trotz bester Schulen die Erziehung nicht gefruchtet hat (ab 00:44:05). Toni hat aus finanziellen Gründen eine Liebschaft mit Lilli, Inhaberin eines Restaurants, in dem Toni als Kellner arbeitet. Von Annas Natürlichkeit angezogen, verführt er sie zunächst zum vormittäglichen Weingenuss (00:54:28), sorgt für ihre äußerliche Veränderung, da sie in der Stadt nicht wie eine ‘Landpomeranze’ herumlaufen könne (00:57:58) und hindert sie an ihrer Heimkehr, indem er sie verführt. Gleichzeit lässt er aber – wie Leitwein zuvor – Anna wissen, dass Prag ein ‘schlüpfriges Pflaster’ ist (00:55:47). Fortan wird Anna als Arbeitskraft im Tabakladen eingesetzt, während Toni, der aufgrund eines Streites mit Lilli, die ihm des Diebstahls bezichtigt hatte, nicht mehr im Restaurant arbeitet, nur noch im Bademantel herumläuft. Hier wird er in Opposition zu Annas eigentlichem Verlobten Thomas gesetzt, der als tatkräftiger Mann bei der Feldarbeit gezeigt wurde. Hier stehen sich auch zwei unterschiedliche Konzeptionen von Identität gegenüber: Thomas ist mit Leib und Seele Bauer, für Toni ist alles oder nichts vorstellbar, denn er sieht keinerlei Problem darin, als ehemaliger Kellner in Zukunft einen ganzen Bauernhof zu führen. Tonis wahres Interesse gilt nicht Anna, sondern ihrer Erbschaft er schmiedet bereits Pläne für das gemeinsame Leben auf Annas Hof: ‘Wenn wir erst auf unseren Hof ziehen […]’ (01:12:12). Allerdings denkt er dabei nicht an die Landarbeit, sondern daran, dass die Angestellten die Arbeit für ihn erledigen werden. Nachdem Anna von ihrem Vater enterbt worden ist, zeigt Toni sein wahres Gesicht und macht Anna, die ihren Vater hätte besser kennen müssen, Vorwürfe: ‘Hättest es eben schlauer anfangen müssen!’ (01:19:21). Für Toni erscheint es nun lukrativer, wieder zu seiner Chefin Lilli zurückzukehren, um letztlich Miteigentümer des Restaurants zu werden. Annas Schwangerschaft und moralische Appelle von Frau Amend ändern daran nichts. Anna kehrt daraufhin in die Heimat zurück und begeht – wie ihre Mutter – Selbstmord. Annas Aufenthalt in Prag ist durchzogen von sinnbildlichen Dialogen, die die semantischen Räume ‘Heimat’ und ‘Fremde’ kennzeichnen: ‘Das trägt man so bei euch auf dem Land?’ (die Tante über Annas Kleid, 00:41:45), ‘Ihr fragt einen aus hier in der Stadt!’ (Anna zu Toni, 00:55:15), ‘Es kommen ja oft komische Leute herein vom Dorf.’ (Toni zu Anna, 00:56:25). In keinem der in dieser Studie untersuchten Spielfilme des Nationalsozialismus stehen sich Leitdifferenzen mit einem derart kompromisslosen Maß an Abgrenzung gegenüber wie in diesem Film.

Über den Autor

Andrea Oberheiden-Brent studierte Literatur- und Medienwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Kiel, Hamburg, Berlin und Potsdam. Bereits während des Studiums sammelte sie Erfahrungen als Statistin bei internationalen Kino- und Fernsehproduktionen sowie als Regieassistentin und Associate Producer bei Theaterproduktionen in Kiel und New York. Ebenso arbeitete sie bereits als freie Übersetzerin, Dokumentarfilmerin, Radioredakteurin und Autorin. So veröffentlichte sie u.a. Artikel in verschiedenen Ausgaben des Jolson Journal der International Al Jolson Society sowie einen Artikel über den jüdischen Jazz des New York der 1920er Jahre in der Buchpublikation Jazz im Film der Kieler Gesellschaft für Filmmusikforschung (Veröffentlichung 2014). Ihre fachlichen Schwerpunkte sind der frühe Tonfilm des jüdisch-amerikanischen Künstlers Al Jolson, die Spielfilme des Nationalsozialismus sowie der deutsche Heimatfilm der Nachkriegszeit. Für ihr ehrenamtliches Engagement im Bereich Recherche, Event-Organisation und PR wurde sie 2008 und 2011 von der International Al Jolson Society ausgezeichnet. Andrea Oberheiden-Brent lebt mit ihrem Mann Wyman Brent, dem Gründer der Vilnius Jewish Public Library, der ersten öffentlichen jüdischen Bibliothek in Litauen seit 1943, und dem gemeinsamen Sohn in Schönkirchen, Schleswig-Holstein. Neben ihrer Autorentätigkeit arbeitet sie als freischaffende Untertitelredakteurin, Regisseurin sowie Vortragende über Filmgeschichte und jüdische Kulturgeschichte Osteuropas.

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