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- Der Holocaust in Polen und seine Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Polen und Juden
Geschichte
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Als im Jahr 2000 das von dem amerikanischen Historiker Jan Tomasz Gross verfasste Buch Nachbarn erschien, löste sein Inhalt eine breite Diskussion aus. Das Buch hat die Mitschuld Polens am nationalsozialistischen Judenmord während des Zweiten Weltkrieges zum Thema. Gross vertritt in seiner Publikation die Auffassung, dass das Massaker von Jedwabne am 10. Juli 1941, bei dem zwischen 300 und 400 Juden ermordet wurden, entgegen der geläufigen Meinung nicht von Deutschen, sondern von der lokalen polnischen Bevölkerung initiiert wurde. Damit rückte er den Antisemitismus als ein moralisches Problem ins Bewusstsein der polnischen Öffentlichkeit. Auch zwölf Jahre später spaltet die Diskussion um die polnische Eigenverantwortung am nationalsozialistischen Völkermord nach wie vor die Gesellschaft. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Erfahrungen polnischer Juden während des Zweiten Weltkrieges darzustellen, die 55 Jahre nach Kriegsende zu einer derartig heftigen Debatte über die Mitschuld der Polen am Holocaust führten.
Textprobe: Kapitel 3.2, Antisemitismus in den 1920er Jahren: 3.2.1, Frühe antisemitische Tendenzen in der Politik: Mit der zunehmenden antijüdischen Haltung in der Zwischenkriegszeit wurde die ‘Kwestja zydowska’ (‘jüdische Frage’) zu einem immer größer werdenden Bestandteil der polnischen Politik. Der Großteil der Sozialisten ging öffentlich gegen die zunehmenden antijüdischen Ausschreitungen in Polen vor. Trotzdem gab es interne Schwierigkeiten bei der Festlegung ihres Standpunktes gegenüber den orthodoxen jüdischen Gruppen und erst recht gegenüber den rechtsgerichteten zionistischen Parteien. Darüber hinaus betrachteten viele die kulturellen Traditionen und das Leben der Juden als andersartig und stellten sich politisch gegen das jüdische Nationalbewusstsein, das in ihren Augen die sozialistischen Bestrebungen der Parteien behinderte und gleichzeitig einen Anlass für den polnischen Antisemitismus darstellte. Dementsprechend traten sie zwar für eine Assimilierung der Juden ein, versuchten diese aber auf radikale Weise durchzusetzen. Die nationalistische und judenfeindlichste Partei war die von der polnischen Katholischen Kirche unterstützte ‘Narodowa Demokracja’ (nach ihren Anfangsbuchstaben: ‘Endecja’ ‘Die Nationale Demokratie’), die nach einem einheitlichen, katholischen Ein-Volk-Staat strebte und die Juden aufgrund ihrer starken Repräsentation in verschiedenen Berufszweigen als eine Gefahr für die polnische Nation betrachtete. Trotzdem konnten assimilierte und konvertierte Juden durchaus zu Mitgliedern werden, so dass konstatiert werden kann, dass die Nationaldemokraten keineswegs von rassistischen, sondern von religiösen und wirtschaftlichen Motiven geleitet wurden. Ähnliche Ansichten vertraten die Partia Robotnicza (kurz: NPR ‘Nationale Arbeiterpartei’) sowie die Partei ‘Zwiazek Ludowo-Narodowy’ (kurz: ZLN ‘National-Populistische Union’), die die jüdische Bedrohung in ihrem 1919 veröffentlichen Wahlprogramm folgendermaßen festhielt: ‘Die Beherrschung des beinahe gesamten Handels und der Industrie durch die Juden, die keine Zusammenhörigkeit zur Nation empfinden, behindert die Entwicklung der polnischen Mittelschicht, beeinträchtigt die Einheit, […] und verschärft alle sozialen Verstimmungen.’ Bei ihrer antijüdischen Kampagne bediente sich die ‘Polskie Stronnictwo Chrzescijanskiej Demokracji’ (kurz: Chadecja ‘Christlichdemokratische Partei Polens’) ebenfalls nationalistischer und wirtschaftlicher Gründe, stützte sich bei ihrer Argumentation allerdings hauptsächlich auf religiöse und moralische Aspekte, die das Judentum als ‘böse’ und ‘gefährlich’ darstellten. Immer wieder bezeichneten die ‘Chadecja’, die ‘ZLN’ und andere rechte Parteien das Judentum als ‘aggressiv’ und ‘antipolnisch’ und initiierten mit derartigen Parolen nicht selten Übergriffe und Pogrome auf die jüdische Bevölkerung. In einigen Fällen machte das rechte Lager die jüdische Bevölkerung selbst und das zum Teil aggressive Verhalten zionistischer Parteien für die Ausschreitungen verantwortlich. Derartige Vorwürfe sind sicherlich als eine Rechtfertigung für antisemitische Äußerungen und Ausschreitungen zu betrachten, allerdings betrieben einige jüdische Parteien tatsächlich eine offensive Politik. Die jüdische Volkspartei (‘Folkisten’) trat vehement für eine Autonomie und die Anerkennung einer jüdischen Nationalität in Polen ein. Die Volkspartei hatte jedoch nur wenige jüdische Sympathisanten. 1913 gründete sich die Gesellschaft ‘Rozwój’ (dt.: Entwicklung), die formal ein selbstständiges Selbstverteidigungsinstrument der polnischen Wirtschaft war und deren Ziel darin bestand, die polnischen Juden aus der Wirtschaft zu verdrängen. In ihrer gleichnamigen Zeitschrift formulierte sie 1923 ihre Intention wie folgt: ‘Unsere Mission stützt sich darauf, nur über die Juden und über nichts anderes als die Juden zu schreiben. […] Unaufhörlich werden wir allen das Motto einschärfen: ‘Swój do swego po swoje’ und das große Prinzip verbreiten: Polen den Polen!’ Nach diesem Programm sollte nicht nur ein Boykott jüdischer Kaufmänner durchgeführt werden, sondern polnische Juden aus Ferienorten, Kleinstädten, der Verwaltung und aus den Schulen verdrängt werden. Bereits die Beschlüsse der ersten Tagung des ‘Rozwój’ in Warschau 1921, die von der polnisch-jüdischen Zeitung ‘Nowy Dziennik’ (‘Neue Tageszeitung’) am 14. Dezember 1921 veröffentlicht wurden, sahen eine ‘Entjudung’ in sämtlichen Bereichen des Lebens vor. Weiterhin appellierte der Verband an die polnische Bevölkerung, sich an der Umsetzung aktiv zu beteiligen. Die polnisch-jüdische Zeitung ‘Nasz Przeglad’ (‘Unsere Rundschau’) berichtete allerdings auch von einigen Fehlschlägen des ‘Rozwój’. So dementierten zum Beispiel einige Vermieter eines Ferienorts die Meldung der ‘Rozwój’, sie würden keine Ferienhäuser an Juden vergeben. Angesichts solcher ‘Misserfolge’ ist die Reichweite des ‘Rozwój’ nicht genau zu bestimmen. Zum Teil sehen sich einige Autoren durch die zahlreichen Tagungen, die vor Hunderten von polnischen Bürgern abgehalten wurden, darin bestätigt, dass die Gesellschaft mit ihrem Programm erfolgreich war. Auch in der Anzahl der Mitglieder – 1922 etwa 80.000 - und in der starken Auflagenzahl ihrer Wochenzeitung sehen einige Historiker einen Beweis für die erhebliche Bedeutsamkeit der ‘Rozwój’. Diesbezüglich betont Paczkowksi jedoch, dass der Einfluss sich nicht über eine Auflagenhöhe bewerten lassen könne und bemängelte gleichzeitig die journalistischen Qualitäten der Zeitschrift. Trotz der herrschenden Uneinigkeit sollte dennoch die Signifikanz der Gesellschaft für die Haltung der polnischen Bevölkerung nicht völlig verkannt werden. Allein der Umstand, dass Sitzungen und Vorträge in vielen Städten und Orten gehalten und gebilligt wurden und sich Angehörige der polnischen Intelligenz und der Katholischen Kirche zu den Mitgliedern zählten, lassen auf einen gewissen Stellenwert in der polnischen Bevölkerung schließen. Mit dem Staatsstreich von Józef Pilsudski im Mai 1926 verloren antisemitische Organisationen und Parteien, wie die ‘Endecja’ und die ‘Rozwój’, zunächst an Einfluss. Der Marshall und sein Regierungslager, die ‘Sanacja’, gingen gegen den Kommunismus vor, traten für einen autoritären Regierungsstil ein und bekämpften oppositionelle Gegner wie die ‘Endecja’. Hinsichtlich der ‘Judenfrage’ befürwortete das Regierungslager ebenfalls eine Assimilation, die allerdings nicht mit Zwang, sondern nur auf der Basis von Bürgerrechten umgesetzt werden sollte. Gerade jene Zeit nach dem Maiputsch wird in der Forschung oft als eine relativ stabile Phase für die jüdische Bevölkerung bezeichnet, die mit der kulanten Judenpolitik von Pilsudski begründet wird. Auch führende Persönlichkeiten jüdischer (zionistischer) Parteien merkten an, dass die Beziehung zwischen Polen und Juden deutlich positiver verlief. Bereits in den frühen 20ern rief Pilsudski in seinen Reden zur ‘solidarnosc’ (Solidarität) auf und betonte, dass Polen nur mit Zusammenhalt und vereinter Leistung seine Unabhängigkeit bewahren und stärker werden könne. Dementsprechend appellierte er an die polnische Bevölkerung, die Minderheiten in der Republik zu respektieren. Gleichzeitig fordere Pilsudski von diesen uneingeschränkte Loyalität gegenüber der polnischen Nation. Die ‘Endecja’ kritisierte die minderheitenfreundliche Politik des Marschalls auf schärfste und hegte öffentlich den Verdacht, dass die Pilsudski-Regierung eine reine Konspiration aus Bolschewiken, Deutschen und Juden sei. Ein Anlass für die Verschwörungstheorie war die Gründung der ‘Bezpartyjny Blok Wspólpracy z Rzadem’ (kurz: BBWR ‘Parteilose Block der Regierungsunterstützer’), eine unparteiliche Organisation, die allerdings 46% der Senatssitze innehatte und vor allem aus nationalen Minderheiten bestand. Im Allgemeinen muss angemerkt werden, dass die jüdische Bevölkerung unter Pilsudski zwar politisch sowie kulturell relativ frei agieren konnte und kaum Restriktionen erfuhr, der militärische Staatsstreich von 1926 jedoch keinen erwähnenswert ändernden Einfluss auf die antisemitischen Programme rechter Parteien hatte. Theoretisch garantierten zwar die Märzverfassung von 1921 und die Aprilverfassung von 1935 der jüdischen Bevölkerung gesetzliche Egalität, jedoch sahen sich Juden in Polen verschiedenen offiziellen und inoffiziellen Hindernissen und Schwierigkeiten diskriminierender Natur ausgesetzt. Der Antisemitismus, der zu einem wichtigen Bestandteil der gesellschaftlichen Denkweise wurde, war trotz des Einschreitens von Józef Pilsudski Einschreiten dominant. So galt die ‘Endecja’ 1928 nicht mehr als mächtigste Partei im Parlament, konnte jedoch mit ihren antisemitischen Parolen weiterhin die polnische Bevölkerung beeinflussen. Deutlich wird hier, dass im Grunde genommen weder die jüdische Vertretung im Parlament noch die judenfreundliche Minderheitenpolitik von Pilsudski das Prinzip der jüdischen Isolierung durchbrechen konnten. Durch ihre Funktion in der Wirtschaft und im Handel hatten polnische Juden seit dem Mittelalter regen Umgang mit ihren christlichen Mitbürgern. Gesellschaftlich blieben sie jedoch weit bis ins 20. Jahrhundert ausgeschlossen. Dementsprechend waren sie weitaus weniger assimiliert als ihre Glaubensbrüder in anderen europäischen Ländern und betrachteten sich darüber hinaus als eigene Nation. Die dadurch wahrgenommene ‘Fremdheit’ der Juden wurde von der politischen Rechten im politischen Kampf sowohl gegen die Kreise der Pilsudski-Anhänger als auch gegen sozialistische Parteien instrumentalisiert. Der polnische Jude wurde als ‘Schädling’ für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben und als Feind der Nation propagiert. Liberale und sozialistische Gruppierungen lehnten hingegen nationale und religiöse Unterschiede ab. Bereits hier zeichnet sich ab, dass der polnische Antisemitismus auf dem religiös gefärbten Antijudaismus beruhte, sich aber gleichzeitig zunehmend auf wirtschaftliche und insbesondere nationalistische Beweggründe stützte. Eine bedeutsame Rolle spielt hier die Wiedergründung des Nationalstaates und der Anspruch diesen möglichst homogen zu gestalten. Vor diesem Hintergrund soll im weiteren Verlauf die Haltung der polnischen Bevölkerung und ihre Beziehung zu Juden dargestellt werden.
Annette Labusek wurde 1986 in Knurów (Polen) geboren. Seit 1989 lebt sie in Deutschland. Im Winter 2006/07 nahm sie in Mainz das Studium der Geschichte und Philosophie auf und schloss dieses im März 2013 mit dem 1. Staatsexamen ab. Aufgrund ihrer Herkunft interessiert sie sich sehr für die polnische Geschichte, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus. Dieses Interesse motivierte sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen. Ab Sommer 2013 promoviert sie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Bereich der Praktischen Philosophie.
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