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- Denkmalpflege und Wiederaufbau im Nachkriegspolen: Die Beispiele Stettin und Lublin
Geschichte
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 144
Abb.: 27
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Durch die Ermordung der polnischen Juden durch die Nationalsozialisten, durch Flucht, Vertreibung und Umsiedlung der Deutschen und Ukrainer sowie durch den Verlust der sehr stark multinational geprägten Gebiete östlich der Curzon-Linie entstand in Folge des 2.Weltkriegs ein polnischer Staat, der zu 98% von Polen bewohnt war – von denen 97% dem katholischen Glauben angehörten. Doch das bauliche Erbe des einstigen Vielvölkerstaates blieb dem Nationalstaat Polen erhalten. Beim Wiederaufbau nach dem 2.Weltkrieg stand weniger ein konservatorischer Ansatz, sondern eine Betonung der eigenen, rein polnischen Geschichte im Vordergrund. Das multikulturelle Erbe, das Zugang zu der vielschichtigen Vergangenheit des polnischen Staats ermöglicht hätte, wurde hierbei national überformt. Wie man im Nachkriegspolen mit dem als deutsch wahrgenommenen Erbe umging, wird anhand der Stadt Stettin aufgezeigt: Während man in der Propaganda eine Abkehr von den Zeugnissen der Jahrhunderte langen Fremdherrschaft sprach, griff man auf viele städtebauliche Konzepte der Vorkriegszeit zurück. Dagegen zeigt das Beispiel der Stadt Lublin, dass das als pozydowski (nach den Juden) bezeichnete Erbe vollständig aus dem Stadtbild verdrängt wurde – ohne thematisiert zu werden. Das Gebiet der jüdischen Stadt wurde vollkommen ahistorisch überformt: Ein in den 1950er Jahren angelegter Schlossplatz mit einer Pseudo-Renaissance -Architektur gaukelt dem kunsthistorischen Laien eine Kontinuität der Stadtstruktur vor. Dies erklärt auch, warum die Bemühungen im Zuge einer Wiederentdeckung des multikulturellen Erbes in den ehemals deutschen Gebiete viel weiter gediehen sind, als der Umgang mit der jüdischen Vergangenheit im Osten Polens.
Textprobe: Kapitel 4.2.2, Denkmalpflege als Politikum: Im Grunde war die Diskussion um den Wiederaufbau in Polen ein Widerstreit zwischen den in sich uneinigen Denkmalpflegern auf der einen und den in sich intern uneinigen Architekten auf der anderen Seite. Dieser Diskurs wurde von den politischen Instanzen ‚moderiert’. Sie lenkten den Entscheidungsprozess durch eigene Vorstellung vom sozialistisch gestalteten Raum. Politische Vorgaben prägten die endgültige Entscheidung für oder gegen ein Objekt mindestens ebenso stark wie die massive Begrenzung der ökonomischen Mittel. Auch die Theorie der Denkmalpflege in der Nachkriegszeit ist als Kompromiss aus dem Ausmaß der Kriegszerstörungen und den Grundsätzen der Denkmalpflege zu sehen – wie aus den Aussagen Jan Zachwatowicz ablesbar ist. Dieser wurde 1951 zum Hauptkonservator Polens berufen. In seiner Denkmalkonzeption findet man – unter anderem aufgrund der massiven Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs – eine endgültige Abkehr von der Tradition Dehios und Riegls. So plädiert er für die Rekonstruktion der Denkmale, die für die polnische Kultur unabdingbar schienen: ‘Mit einem Abriss der Kulturdenkmale können wir nicht einverstanden sein, deshalb werden wir sie rekonstruieren, um den zukünftigen Generationen zwar leider nicht die authentische, aber wenigstens die exakte Form dieser in unserem Gedächtnis lebendigen Denkmäler zu zeigen’. In diesen denkmalpflegerischen Prinzipien zeigt sich der Schock, ausgelöst durch die Kriegszerstörungen, sowie das ausgeprägte Geschichtsbewusstsein der polnischen Nation, verstärkt durch die Flucht in die Geschichte, die die Etablierung des sozialistischen Systems mit sich brachte. Sie stellten zwar keine theoretische Doktrin dar, wurden aber zur gängigen Praxis innerhalb der Denkmalpflege bis 1956. Durch die Prinzipien vom Jan Zachwatowicz wurde die ‚Polnische Schule der Denkmalpflege’ begründet, deren Ausrichtung sich an den bekannten Beispielen der konsequenten Umsetzung der Ideen des Generalkonservators zeigt: den rekonstruierten Altstädten in Warschau, Danzig, Posen und Breslau, deren Wiederaufbau von Jan Zachwatowicz koordiniert wurde. Außerdem nutzte die kommunistische Regierung, wie unter Gliederungspunkt 2 aufgezeigt, die Interpretation und Darstellung der polnischen Geschichte zum Zweck ihrer Propaganda. Dabei griff sie immer wieder massiv in denkmalpflegerische Projekte ein: Es kam zur Korrekturen von Plänen, Bewilligungen bestimmter Projekte auf Sitzungen des Politbüros beziehungsweise zu Ortsterminen, auf denen Parteifunktionäre verbindliche Beschlüsse zu denkmalpflegerischen Vorgehensweisen fasste. Wie wenig diese konservatorisch beziehungsweise kunsthistorisch fundiert waren, zeigen folgende Zitate aus einer Diskussion des Politbüros: ‘Der hauptsächliche Fehler der Denkmalpfleger ist die Tatsache, dass sie die Gewohnheiten des Kopierens, von dem, was war, noch nicht überwunden haben.’ Propagandistisch sinnvoller erschien nicht das Kopieren, sondern das freie Erfinden: ‘die Wand ist finster, man muss sie schmücken – vielleicht ein Erker? Vielleicht ein großes Fenster mit verziertem Gitter?’ sind Aussagen, die belegen, dass bei Rekonstruktionsprojekten weniger die Kopie dessen, was historisch belegbar war, wichtig war, sondern vielmehr Fragen nach Ästhetik und politischem Nutzen im Vordergrund standen. Es kam zu politisch motivierten Fälschungen wie etwa der Präparierung von Karten, die die Zerstörungen der Städte durch den Krieg, etwa von Warschau und Stettin, zeigen sollten. Diese Karten wiesen eine Steigerung der Schadensdatierung um 10% auf und untermauerten die deutschfeindliche Stimmung. Zudem wurde manch ein Gebäude von Ideologen als ‚unrichtige Erzeugnisse’ bürgerlicher Kultur und folglich für nicht aufbauwürdig eingestuft – eine Entscheidung, die bei den Denkmalpflegern hätte liegen müssen. Die zweite Phase der massiven politischen und propagandistischen Vereinnahmung der Denkmalpflege endete in den Jahren des Tauwetters. Von 1955 bis 1956 kam es bereits innerhalb des Parteiapparats und der polnischen Schule der Denkmalpflege zu Kritik an den bisherigen Projekten. Eine Diskussion über die seit Kriegsende erfolgten Verluste an Bausubstanz brach auf. In der Vorbereitung eines neuen Gesetzentwurfs zum Denkmalschutz hieß es 1955: ‘Die Zerstörung der historischen Architektur von den unverantwortlichen Kräften und Behörden war ein Ausdruck des falsch verstandenen Kampfes gegen die Überbleibsel des Feudalismus und Klerikalismus’. In dem 1962 erlassenen Gesetz fand eine Erweiterung des Denkmalverständnisses vom Verweis auf das ‚nationale Erbe’ hin zu dem weitergefassten Begriff der ‚Kulturgüter’ statt. Hierdurch wurde die politische Vereinnahmung der Denkmalpflege zurückgenommen und der Schutz des multikulturellen Erbes zumindest theoretisch möglich. Bis zum Wendepunkt 1956 war die Denkmalpflege stark politisch und propagandistisch instrumentalisiert: Selbst die Entscheidung für den Wiederaufbau Warschaus unter Rekonstruktion der Altstadt fiel per Parteibeschluss. Sie war Teil der Legitimierung der neuen, sozialistischen Macht – mit dem Hintergrund, dass Warschau als eine uneingeschränkt polnische Stadt angesehen wurde. Die Regierung konnte sich mit deren Rekonstruktion als Repräsentanten nationaler Interessen positionieren. Durch den Wiederaufbau wurden Kontinuitäten zur eigenen Vergangenheit gezogen. Die Rekonstruktion Warschaus stellte nicht nur eine grundsätzliche Weichenstellung für die polnische Denkmalpflege dar, sondern wurde aufgrund von Vorgaben zu Wohnungsnormen und Sonneneinstrahlung, was eine neue Raumgliederung hinter rekonstruierten Fassaden erforderte, zu einer ‘Quadratur des Kreises’. Der propagandistische Effekt der Rekonstruktionsmaßnahme kann jedoch kaum überschätzt werden. Andrzej Tomaszewski resümiert: ‘Der gesellschaftliche Widerhall des Beschlusses des Wiederaufbaus der Altstadt war so groß, dass das kommunistische Regime, um die Gunst der Bevölkerung zu gewinnen, aus dem Wiederaufbau der Denkmäler ein festes Element der Parteipolitik und Propaganda machte’. Durch finanzielle Beschränkungen sowie wegen der Schwierigkeit der zumindest halbwegs originalgetreuen Rekonstruktionen verliefen die Auswahl und Art der historisiert wiederaufgebauten Objekte trotz deren propagandistischer Wirkung äußert selektiv: Von der Rekonstruktion grundsätzlich ausgeschlossen wurden später hinzugefügte, unliebsame Elemente, vor allem des Historismus und des Jugendstils – das heißt sämtlicher Bauelemente des 19. und 20. Jahrhunderts. Bei Superposition, das heißt bei Schichten unterschiedlicher Zeitstufen an einem Gebäude, fiel die Wahl grundsätzlich auf die archäologische, das heißt die älteste Schicht – nach dem Motto: ‘Je älter eine Bauphase ist, desto wertvoller’. Außerdem scheute man nicht vor ‚Korrekturen’ zurück, falls ein Gebäude nicht als wiederaufbauwürdig empfunden, eine Baulücke jedoch nicht akzeptabel war: Hier schuf man imaginäre, aber scheinbar ‚passende’ Bauten. Olgierd Czerner zählt beispielsweise für Breslau die wenigen originalgetreu rekonstruierten Häuser auf und betont, der Rest sei erfunden. Durch diese städtebaulichen ‚Schönheitsoperationen’ wurden die rekonstruierten Stadtteile zu ‘Attrappen der früheren Altstädte’. Auf eine Einhaltung der historischen Grundrisse wurde verzichtet, man schuf ahistorische Häuserzeilen und Stadtstrukturen. Die Restaurierung eines Objekts erfolgte unabhängig vom Grad seiner Zerstörung, lediglich bedingt durch seinen politischen und sozialen Nutzwert. Die Wiederherstellung eines völlig zerstörten Objekts war durchwegs Praxis, wenn dieses für Nationalgeschichte von Bedeutung war. Aufgrund der geänderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wurden unzähligen Gebäuden neue Nutzungen zugeordnet. Funktionale und ästhetische Fragen dominierten das Bestreben nach dem Erhalt der authentischen Denkmalsubstanz. Häufig wurden lediglich die Fassaden rekonstruiert, während die Innenräume ihrer neuen Nutzung angepasst wurden. Die Altstädte wurden von Handels- und Geschäftszentren in reine Wohnviertel umgewandelt. All dies führte dazu, dass ein Rekonstruktionsprojekt aus volkspolnischer Zeit heute als ‘ein Gebilde seiner Zeit’, jedoch nicht als Denkmal aus der rekonstruierten Epoche, eingestuft werden. Die zeitgenössische Wahrnehmung sah die Bedeutung des polnischen Willens zum Wiederaufbau und wertete diesen positiv. Aus heutiger Sicht werden die Rekonstruktionen der polnischen Nachkriegszeit kritischer beurteilt: Jacek Friedrich erkennt den Aufbau der Altstadt Warschaus nicht als Rekonstruktion an, sondern als Produkt der schöpferischen Denkmalpflege. Tadeusz J. Zuchowski geht in seiner Bewertung noch darüber hinaus, indem er schreibt, dass die polnische Denkmalpflegeschule der Nachkriegszeit nicht mit den allgemeinen Grundsätzen der Denkmalpflege vereinbar wäre, sondern eine ‘spezifische Form der sozialistischen Architektur’ darstelle, da sich die ‘Denkmalpflegeschule (…) in ihren Grundsätzen den politischen Forderungen der Nachkriegswirklichkeit deutlich unter[ordnete]’. Wie unter Gliederungspunkt 2.3 bereits skizziert, ist der Prozess in Polen nach 1945 vergleichbar mit dem in der Sowjetunion der 1920er und 1930er Jahre, als es unter Stalin zu einer systematischen Inbesitznahme des historischen Erbes durch kommunistische Ideologen gekommen ist – um die neue Macht dadurch zu legitimieren, dass historische Kontinuitäten aufgezeigt wurden. Dies lässt sich nicht nur anhand des Verhältnisses zu den Kunst- und Architekturdenkmalen aufzeigen, sondern ist auch in der kunstgeschichtlicher Methodologie erkennbar: Es kam zu einer regelrechten Aneignung beziehungsweise Ausbeutung der ideologisch eigentlich verpönten polnisch-bürgerlichen Kultur. Dies bringt Tadeusz J Zuchowski wie folgt zum Ausdruck: ‘das nationale Erbe als Legitimation für die historische Überlieferung sollte mit einem neuen Inhalt, mit einer neuen Ideologie angefüllt werden. Die alte Kultur, die Architekturdenkmäler mit eingeschlossen, sollte rekonstruiert werden. Dabei sollte ‚das Gleiche, aber nicht Dasselbe’ entstehen’. Dabei ging es um eine Unterwanderung der Kunstgeschichte mit der sozialistischen Methodologie bei der Fragen nach dem Polnischen in der Kunst und den negativen Prägungen durch das Deutschtum aufgeworfen wurden. Künstler, mit deutsch-polnischer Biographie und Wirkungsgeschichte wie Andreas Schlüter, wurden nicht nur in Polen, sondern auch in der BRD einseitig wahrgenommen. Forschungsgremien in Stettin, Kattowitz und Breslau versuchten, eine negative Bewertung der Kunst des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich zu belegen. Tadeusz Chrzanowski urteilt über den Fall Schlesiens an Preußen ‘Diese unfruchtbarste Zeitspanne in der Geschichte der Kunst, eingeleitet in Schlesien durch den Klassizismus Berliner Prägung, hielt hier bis zum Jahr 1945 an.’ Eine Wende setzte in den 1960er Jahren ein: Tabuthemen wurden gebrochen, die Kunstgeschichte wurde entpolitisiert, eine Rücknahme von deutschfeindlichen Tendenzen fand statt.
Julia Roos wurde 1983 in Marktheidenfeld geboren. Sie studierte an der Bamberger Otto-Friedrich-Universtität Neuste Geschichte, Denkmalpflege und Pädagogik/ Andragogik. Zwei Semester ihres Studiums verbrachte sie in Polen und studierte an der Katholischen Universität Lublin und der Jagiellonen-Universität Krakau. Ihr ehrenamtliches Engagement, berufliche Tätigkeiten und Forschungsaufenthalten führten sie danach immer wieder zurück ins östliche Nachbarland Deutschlands. Im Frühjahr 2010 schloss Julia Roos ihr Studium mit dem akademischen Titel Magister Atrium ab. Seitdem arbeitet sie als Museumspädagogin.
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