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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 124
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Systemtransformation Portugals von der Diktatur zur Demokratie stand zusammen mit den Demokratisierungsprozessen in Spanien und Griechenland am Anfang des von Samuel P. Huntington geprägten Begriffs der sog. Dritten Demokratisierungswelle, die sich in Lateinamerika und Ostasien fortsetzte, Ende der 1980er Jahre die kommunistischen Systeme Osteuropas erfasste und sogar einige Länder Afrikas berührte. Eine solch umfassende Demokratisierung ist in der Geschichte bisher beispielslos geblieben. Insbesondere die Fülle der Systemübergänge in den letzten 40 Jahren stellt die Transformationsforschung vor eine dreifache Mammutaufgabe. Neben der systematischen Aufarbeitung der zahlreichen Transformationsprozesse ist es vor allem ihr Ziel, in vergleichender Perspektive sowohl Systemwechsel derselben Region mit häufig ähnlichen Kontextbedingungen als auch Transformationsfälle unterschiedlicher Regionen, die auf den ersten Blick nur wenige Gemeinsamkeiten aufweisen, miteinander zu vergleichen. Die vorliegende Studie, in der die Rollen relevanter politischer Akteure in den Transitionsprozessen in Ungarn und Portugal und deren Einfluss auf die Herausbildung parlamentarischer Regierungssysteme unter die Lupe genommen und miteinander verglichen werden, soll zur Erreichung dieser Ziele einen kleinen Beitrag leisten.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, Konfliktpotenziale und Rahmenbedingungen der Systemwechsel: 5.1, Portugal: In Portugal trugen nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere in den 60er Jahren unterschiedliche Faktoren dazu bei, dass das autoritäre Regime allmählich in eine Krise geriet, die zum Ausgangspunkt für den Systemwechsel von 1974 wurde. Welche Krisenerscheinungen sich entwickelten und letztlich den Rahmen für die spätere Transition bildeten, soll an dieser Stelle erörtert werden. Zunächst lässt sich feststellen, dass es sich bei der salazaristischen Diktatur um eine Diktatur der Beharrungskräfte handelte. Sie stützte sich besonders auf konservative und elitäre Klassen und Gesellschaftsschichten, wie die Großgrundbesitzer, Bankiers, die Handelsbourgeoisie und die auf die Ausbeutung der Kolonien gerichtete Großbourgeoisie. Darüber hinaus müssen zunächst auch die Katholische Kirche, die Armee und kleine und mittlere Unternehmer, deren Existenz durch eine Erhöhung der Arbeiterlöhne, die vom salazaristischen Regime erfolgreich verhindert wurde, gefährdet worden wäre, als wichtige Stützen des Regimes gesehen werden. Dieses Bündnis der Beharrungskräfte hatte im Zuge der eigenen Machterhaltung und Stellung im ökonomischen System ein Interesse daran, die vorindustrielle und überwiegend agrarisch geprägte Gesellschaftsstruktur Portugals zu erhalten. Zu diesem Zweck wurde die Zementierung extremer sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit als auch die zwanghafte Demobilisierung der Bevölkerung vorangetrieben. Um somit eine auf Dauer angelegte Stabilität für das Regime zu erreichen, gab António de Oliveira Salazar seinem Estado Novo (Neuer Staat) im Jahre 1933 eine neue, vollkommen auf den Regierungschef ausgerichtete Verfassung. Die Einführung einer zwangskorporativistischen Ordnung, die den Klassenkampf entschärfen und die Differenzierung der Gesellschaft in auseinanderstrebende Interessen überwinden sollte, schien in diesem Zusammenhang eines der wichtigsten Elemente für die Durchsetzung und Bewahrung des von ihm angestrebten vorindustriellen Ständestaates zu sein. Allerdings gelang es dem Regime zu keiner Zeit den Zwangskorporatismus flächendeckend und wirksam durchzusetzen, so dass dieser weitgehend bloßer Verfassungsbuchstabe blieb. Nur eine Minderheit der Bevölkerung war tatsächlich in Korporationen organisiert. Da außerdem die Staatspartei Uniao Nacional (UN) anders als in faschistischen Regimen nur als Legitimierungs- und Repräsentationsorgan und nicht als politische Partei benutzt wurde, kann der Estado Novo als ein korporativer Staat ohne Korporationen mit einem konservativen personalistisch-(rechts)autoritärem Regime an seiner Spitze beschrieben werden. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges konnte dieses starre Beharrungssystem ohne weitgehende Veränderungen der Gesellschaftsstruktur aufrechterhalten werden. Erst im Zuge einsetzender Industrialisierung kam es in den 60er Jahren durch Modernisierungsprozesse auf sozioökonomischer Ebene zur allmählichen Unterspülung der sozialen Basis und der Legitimationsgrundlagen des autoritären Regimes. Forciert wurde dieser Prozess vor allem durch die außenwirtschaftliche Öffnung Portugals (EFTA-Beitritt 1960), der von reformwilligen Regimekräften durchgesetzt wurde und eigentlich der Verbreiterung der Legitimationsgrundlagen und dem Stabilitätszugewinn dienen sollte, letztlich aber zur weiter voranschreitenden Destabilisierung des autoritären Regimes führte. Insbesondere nicht beabsichtigte Modernisierungseffekte, wie bspw. Die Internationalisierung von Kapital und Produktion, ins Ausland abwandernde Arbeitsemigranten, die sich teilweise einen westlichen Lebensstil aneigneten, zunehmender Tourismus und die Ausbreitung westlicher Konsumgewohnheiten führten zu einer immer offensichtlicher werdenden Diskrepanz zwischen einer sich öffnenden Ökonomie und den geschlossenen politischen Herrschaftsstrukturen. Im Zuge der ökonomischen Modernisierung kam es darüber hinaus zur Machtverschiebung innerhalb der sozialen Klassen. Der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten ging signifikant zurück, während die Zahl der Beschäftigten in der Industrie und im Dienstleistungsbereich rapide anstieg. Analog dazu fanden Wanderungsbewegungen aus ländlichen Gebieten in die sich schnell entwickelnden industriellen Ballungsräume statt. Die Entstehung neuer selbstbewusster städtischer Mittelschichten und das enorme Anwachsen des Industrieproletariats, die mehr politische Partizipation und eine gerechtere Teilhabe am neuen wirtschaftlichen Reichtum forderten, waren die Folge. Dies führte zur Reduzierung der als Stütze des Regimes fungierenden politisch passiven Landbevölkerung und stellte somit die Regimeeliten vor immer größer werdende Legitimationsprobleme. So begünstigte der ökonomische Erfolg in großem Maße die Entstehung einer politischen und sozialen Opposition. Diese sich aus der ökonomischen Modernisierung entwickelnden regimegefährdenden Tendenzen wurden für das System in jenem Augenblick besonders gefährlich, als Portugal ab 1973 durch eine wirtschaftliche Krise erfasst wurde, die über den Sturz des Regimes hinaus andauern sollte. Trotz des über ein Jahrzehnt andauernden Aufschwungs war es dem Regime nicht gelungen, wesentliche ökonomische Reformen durchzuführen, die die Entwicklung einer konkurrenzfähigen Nationalökonomie begünstigt hätten. Das ist vor allem auf die inneren Streitigkeiten verschiedener Regimefraktionen aber auch auf die Privilegierung bestimmter einflussreicher gesellschaftlicher Klassen zurückzuführen. Aus der o. g. Unfähigkeit des Regimes, entscheidende politische und wirtschaftliche Reformen durchzuführen, um die verschiedenen staatlichen Teilsysteme der eigenen sozioökonomischen Situation und der internationalen Entwicklung anzupassen, ergibt sich ein systemimmanentes Argument, welches dem salazaristischen System an sich die Schuld für das eigene Scheitern zuschreibt. Wenn man sich die Systemtheorien von Parsons und Luhmann vor Augen führt, fällt auf, dass das System des Estado Novo in seiner Gestaltung dem Theorem der funktionalen Differenzierung weitgehend widersprach. Diesem zufolge hat sich die Grundstruktur moderner Gesellschaften über die Ausdifferenzierung verschiedener Teilsysteme (Politik, Wirtschaft, Kultur etc.) herausgebildet. Versucht aber wie im Falle Portugals, das politische System die partielle Kontrolle über diese Teilsysteme zu erhalten, führt das zwangsläufig zu Effizienzminderung, da sich die einzelnen Teilsysteme in ihrer Entwicklung nicht mehr frei entfalten können. Diese durch das Diktat der Politik bewirkte Effizienzminderung determinierte auf Dauer einen weiteren Legitimationsverlust des Systems. Allerdings muss an dieser Stelle bemerkt werden, dass dieses Argument für Portugal eine wesentlich schwächere Bedeutung hatte, als bspw. Für einige Staaten des kommunistischen Ostblocks. Zum einen handelte es sich bei der Salazar-Diktatur um einen autoritären und keinen totalitären Staat und zum anderen fand in den 60er Jahren durch die liberale Öffnung der Wirtschaft sehr wohl eine Art Ausdifferenzierungsprozess statt, der allerdings nicht mit denen in demokratischen Staaten vergleichbar ist. Im Zuge dieses Prozesses kam es zur teilweisen Erosion der salazaristischen Machtbasis, da einige Stützen der Diktatur extrem geschwächt wurden oder auf Distanz zum Regime gingen. Immer mehr entwickelte sich daraufhin ein Kampf zwischen zwei großen Tendenzen innerhalb der Regimeeliten. Die einen (Reformer) erkannten die Notwendigkeit umfassende Reformen durchführen zu müssen, um die Probleme Portugals zu lösen und die sich verschärfenden sozialen Spannungen abzumildern, die anderen (Ultras) hingegen traten für die kompromisslose Aufrechterhaltung des Status quo ein. Eine solche Spaltung der Regimekräfte in sog. Softliner und Hardliner ist aus akteurstheoretischer Sicht besonders typisch und kann aus einer Reihe vielfältiger Gründe geschehen. Im portugiesischen Fall waren aber wohl hauptsächlich der Kolonialkrieg und der Streit über die Durchführung politischer und ökonomischer Reformen die entscheidenden Faktoren. Neben den bereits erwähnten Ursachen für die zunehmende Krise des Regimes spielte vor allem eben jener o. g. Kolonialkrieg eine entscheidende Rolle für den späteren Systemwechsel. Seit 1961 brachen zunächst in Angola, später dann auch im Mosambik und Guinea, Kämpfe zwischen portugiesischen Truppen und einheimischen Freiheitsbewegungen aus, deren Ziel die Unabhängigkeit der Kolonien vom portugiesischen Mutterland war. In den folgenden Jahren entwickelten sich diese Kämpfe zu einem für Portugal äußerst kostspieligen und aussichtlosen Krieg, der fortwährend andauerte und dessen Lösung aufgrund der unbeweglichen und gleichbleibend harten Linie des Regimes nicht in Sicht war. Eine friedliche Lösung wurde nicht erwogen. Vielmehr stilisierte das Regime den Kolonialkrieg zu einem politisch-ideologischem Eckpfeiler der portugiesischen Identität hoch, der unter allen Umständen auf militärischem Wege gewonnen werden sollte. Im Zuge dieser Kämpfe kam es zur rapiden Fortentwicklung wesentlicher interner Veränderungsprozesse in der portugiesischen Armee, die in den 50er Jahren einsetzten und später entscheidenden Einfluss auf das Ende des autoritären Regimes hatten. Um diese Veränderungen ausreichend erklären zu können, muss ein kurzer Blick auf den damaligen inneren Zustand der Armee geworfen werden. Bereits in den 50er Jahren war aufgrund des schwindenden Zulaufes und des wachsenden Bedarfs an Personal die Militärschule für ärmere Bevölkerungsschichten geöffnet worden. Da viele ärmere Familien darin die Chance sahen, ihren Söhnen ein Studium zu ermöglichen, kam es in den folgenden Jahren zur Zunahme von Offiziersanwärtern aus sozial schwächeren Schichten, was wiederum zu generellen sozialen Veränderungen in der Armee führte. Darüber hinaus musste die Armee während der Kolonialkriege direkt auf Studenten und Hochschulabsolventen zurückgreifen, die häufig nur widerwillig nach Afrika kamen und durch ihre Moral die Effizienz der Truppe beeinträchtigten. Diese beiden wesentlichen Entwicklungen trugen besonders bei vielen mittleren und niedrigeren Offiziersrängen aus unterschiedlichen Gründen zu Bewusstseinsveränderungen bei. Erstens hatten der direkte Kontakt mit den Befreiungsbewegungen und der afrikanischen Bevölkerung sowie die Lektüre afrikanischer Theoretiker bei vielen ein gewisses Verständnis für die Motive der kämpfenden Afrikaner geweckt. Zweitens kam es zu einer Entfremdung und Spaltung zwischen den (meist unteren und mittleren) Offizieren, die in Afrika kämpften und jenen (meist höheren Offizieren), die in der Heimat geblieben waren und der Militärhierarchie angehörten. Drittens trugen die sozioökonomischen Probleme vieler Offiziere und ihre immer problematisch werdende Situation in den Kolonien zu wachsender Kritik bei und viertens führte die Unzufriedenheit vor allem junger Truppenoffiziere zu einer Anfälligkeit gegenüber kommunistischer Ideen, die sowohl durch die Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Gegner als auch durch eingeschleustes marxistisches Gedankengut eigener Reserveoffiziere, die dieses von den Universitäten mitgebracht hatten, Einzug in die Armee erhalten hatten. Entsprechend dieser Veränderungen im Bewusstsein vieler niederer und mittlerer Offiziersränge, die sich zunehmend auch die Frage stellten, wem dieser Krieg nutze und ob er überhaupt mit militärischen Mitteln zu gewinnen sei, entwickelte sich neben der bereits erwähnten politischen und sozialen auch eine militärische Opposition, die das Regime zu Beginn der 70er Jahre zwar noch nicht grundsätzlich infrage stellte, allerdings seinen Erosionsprozess und den seiner gesellschaftlichen Stützen zunehmend beschleunigte. Zuletzt muss noch erwähnt werden, dass auch die Katholische Kirche in den 60er und Anfang der 70er Jahre immer mehr auf Distanz zum autoritären Regime ging. Zuerst äußerte nur ein verhältnismäßig kleiner und hierarchisch nicht in der Spitze angesiedelter Teil sog. Progressiver Katholiken Kritik am Salazarismus. Erst im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils vollzog dann auch der Vatikan eine deutliche Kehrtwende seiner Politik gegenüber Portugal. Im Jahr 1970 empfing Papst Paul VI. die Anführer der drei größten afrikanischen Befreiungsorganisationen, was zu einer nachhaltigen Störung des Verhältnisses zwischen dem portugiesischem Regime und der Katholischen Kirche führte. All diese Entwicklungen brachten Portugal also spätestens durch das Einsetzen der Wirtschaftskrise von 1973 in eine gefährliche Situation, die durch modernisierungstheoretische (ökonomischer Erfolg und Bildung selbstbewusster neuer Klassen), strukturelle (Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Klassen Herausbildung einer militärischen Opposition, Erstarken der sozialen und politischen Opposition und Konflikte innerhalb des Regimes), systemimmanente (geringe funktionale Differenzierung und dadurch determinierte Ineffizienz in vielen Bereichen) und kulturelle (Distanzierung der katholischen Kirche von der Diktatur) Faktoren erzeugt wurde und die Kontinuität des Regimes zunehmend infrage stellte.

Über den Autor

Alexander Gajewski wurde 1988 in Bad Oldesloe geboren. Aufgewachsen ist er in Lübeck, wo er auch seine schulische Laufbahn absolvierte, die er im Sommer 2007 mit dem Abitur abschloss. Nach dem anschließenden Grundwehrdienst in Bad Segeberg studierte er von 2008 bis 2011 Politikwissenschaften und Neuere Geschichte Europas an der Universität Rostock. Nach Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts wechselte er 2011 an die Freie Universität Berlin, wo er im Master das Fach Politikwissenschaften weiterstudierte und 2014 mit dem akademischen Grad Master of Arts abschloss.

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