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- Bismarck-Mythos und Politik: Die Mythisierung und Politisierung der Bismarckverehrung durch die Parteien und Verbände des nationalen Lagers zur Wilhelminischen Zeit 1890-1914
Geschichte
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 124
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Studie behandelt die kultische Verehrung des ‘Reichsgründers‘ Otto von Bismarck im wilhelminischen Kaiserreich, vorrangig durch die Parteien, Vereine und Verbände des nationalen Lagers. Im Mittelpunkt steht die Politisierung des Kultes in Denkmalsbau und Festen, d.h. die Ausrichtung von Rhetorik und Symbolik auf die Opposition gegen die Politik des ‘Neuen Kurses und den Kampf gegen die ‘inneren Reichsfeinde‘.
Textprobe: Kapitel III, Die Anfänge und Ausbreitung des Bismarck-Kultes 1890-1898: Wann und worin ist der Ausgangspunkt für die Entstehung einer zumindest im protestantischen Bürgertum weit verbreiteten Bismarck-Verehrung und einer politisch instrumentalisierbaren Mythisierung Bismarcks zu suchen? Eine Interpretation sieht Ansätze dazu bereits in den Besonderheiten des Bismarckschen Herrschaftssystems angelegt, das Hans-Ulrich Wehler als eine Form ‘außeralltäglicher’ oder charismatischer Herrschaft im Sinne Max Webers Typisierung der Formen legitimer Herrschaft interpretiert hat. Bismarck habe sich, so die Argumentation, durch seine erfolgreiche Bewältigung äußerer und innerer Krisen, die siegreiche Bestreitung der ‘Einigungskriege’ und die in erster Linie ihm zugeschriebene Reichsgründung ein extremes Maß an politischer Zustimmung und Loyalität erworben, das ihm eine Machtposition als charismatischer Herrscher jenseits traditional (Monarchie) und rational (Reichstag, Bürokratie) verfasster Herrschaftszentren sicherte. Diese Position versuchte Bismarck, durch die Meisterung zum Teil selbstgeschaffener Krisen zu halten und sich als unentbehrlicher ‘Krisenmanager’ zu präsentieren. Obwohl diese Strategie, wie Bismarcks Entlassung 1890 zeigt, scheiterte, wirkte das Charisma des ‘Reichsgründers’ ungebrochen nach. An dieser Interpretation ist kritisiert worden, dass sie sich vom Weberschen Idealtyp zu weit entferne und einige integrale Bestandteile des Modells zu wenig berücksichtige. Der Kritik hinzuzufügen ist, dass Bismarck zwar das Verdienst der Reichseinigung zugeschrieben wurde, sich daraus aber bis zu seiner Entlassung kein ihn ins mythische überhöhender Kult mit einer fanatischen Anhängerschaft, einer ‘charismatischen Gemeinschaft’ (Weber), entwickelte. In den ersten beiden Jahrzehnten des Kaiserreichs war es noch nicht absehbar, dass Bismarck einmal in den deutschen Nationalmythos erhoben und als Verkörperung des Deutschtums verehrt werden würde. In Denkmälern zur Reichsgründung oder zu Ehren Wilhelms I. erschien Bismarck lediglich als Nebenfigur des Kaisers auf einer Stufe mit Roon und Moltke. Ebenso wurde Bismarck in älteren Festreden, trotz Zuschreibung von ‘Größe’ und ‘Genialität’, selten als alleiniger Schöpfer des deutschen Nationalstaates präsentiert. Die wenigen Denkmäler und anderen Monumente, die bis 1890 zu seinen Ehren errichtet wurden, entstanden, wie beispielsweise der erste Bismarck-Turm in Ober-Johnsdorf (1869), kaum bemerkt von der Öffentlichkeit in Privatinitiative, oder sie standen in Bezug zu aktuellen politischen Konflikten, in die Bismarck verwickelt war. Das letztere trifft z.B. auf die ‘Canossasäule’ bei Bad Harzburg (1877) zu, von der im Zusammenhang mit dem Einsatz des Bismarck-Kultes im Rahmen der nationalliberalen Kulturkampfagitation noch die Rede sein wird. Auch die Reaktion der reichsdeutschen Öffentlichkeit auf Bismarcks Entlassung lässt nicht auf eine übermäßig starke affektive Bindung an den ‘Reichsgründer’ schließen. Unverhohlene Freude und Erleichterung bildeten den Grundtenor in der linksliberalen und sozialdemokratischen Presse. ‘Ein Glück, dass er fort ist!’ war in Eugen Richters Freisinniger Zeitung vom 21. März 1890 zu lesen. Aber auch in konservativen und regierungsnahen Blättern akzeptierte man in der Regel die Entscheidung des Kaisers, würdigte zwar Bismarcks Werk, forderte aber nicht seine Rückkehr. Der österreichisch-ungarische Botschafter Graf Széchenyi meldete am 19. März über die Stimmung in Deutschland nach Wien: ‘Es ist unglaublich, wie glatt hier dies weltgeschichtliche Moment abläuft. Der Eindruck allenthalben im Auslande ist weit gewaltiger als hier.’ Ganz anders stellte sich die Situation nur wenige Jahre später dar. Es mehrten sich die Anzeichen, dass Bismarck-Verehrung vor allem im protestantischen Bürgertum gewaltig an Popularität gewann. Die sogenannten ‘Huldigungsbesuche’ von Abordnungen berufsständischer, wirtschaftlicher, politischer und regionaler Gruppen sowie von individuellen Verehrern in Friedrichsruh nahmen stetig zu. Unzählige Städte ernannten Bismarck, vor allem aus Anlass seines 75. und 80. Geburtstages zum Ehrenbürger insgesamt bekam er aus etwa 450 Gemeinden einen Ehrenbürgerbrief verliehen oder zugeschickt. Im Gegenzug verschickte Bismarck häufig Eichensetzlinge aus dem Sachsenwald an Gemeinden oder einzelne Verehrer, die dann als ‘Bismarck-Eichen’ gepflanzt wurden. Zu seinem 80. Geburtstag erhielt Bismarck fast eine halbe Million Glückwunschtelegramme, bei deren Absendern es sich vorwiegend um Personen aus dem gehobenen und mittleren Bürgertum (Akademiker, Beamte, Offiziere, Handwerker, Lehrer, Hausfrauen) des ganzen Reiches (aus Preußen mehr als aus Süddeutschland) handelte. Die Ablehnung einer von Konservativen und Nationalliberalen beantragten Glückwunschadresse am 1.April 1895 durch den Reichstag mit den Stimmen von Sozialdemokraten, Zentrum, Linksliberalen und Partikularisten (Dänen, Polen, Elsass-Lothringer) wurde in der ‘nationalen’ und konservativen Presse als Skandal bezeichnet und von weiten Teilen des protestantischen Bürgertums auch als solcher empfunden. Noch nachdrücklicher als Konservative und Nationalliberale gerierten sich viele der in den 1890er Jahren gegründeten außerparlamentarischen wirtschaftlichen und nationalistischen Interessenverbände als Bewahrer und Fortführer bismarckscher Politik. Beispielsweise bezeichnete der Bund der Landwirte (BdL) Bismarck als seinen eigentlichen Gründer und der Alldeutsche Verband verlieh dem ‘Eisernen Kanzler’ die Ehrenmitgliedschaft. Nach Bismarcks Tod 1898 ebbte die Verehrung von und die Berufung auf den ‘Reichsgründer’ keineswegs ab. Sie erhielt ganz im Gegenteil durch die zahlreichen Denkmalsprojekte, die Bewegung zum Bau von Bismarck-Türmen und -Säulen sowie die Abhaltung von Bismarck-Gedenkfeiern neue Impulse. Innerhalb von fünf Jahren nach dem Tod des Altreichskanzlers steigerte sich die Zahl der insgesamt fertiggestellten oder im Bau begriffen Denkmäler von etwa 40 auf 165, unter denen die Turm- und Säulenprojekte schon weit mehr als die Hälfte ausmachten. Dieser Stimmungsumschwung in der öffentlichen Meinung von relativer Gleichgültigkeit bei der Entlassung des Reichskanzlers zur Entwicklung eines ‘Bismarckenthusiasmus’ im Laufe der 1890er Jahre legt nahe, dass es sich bei dem Phänomen der Bismarckverehrung im wilhelminischen Kaiserreich nicht ausschließlich um Nachwirkungen Bismarcks charismatischer Persönlichkeit und seiner politischen Erfolge handeln kann. Es stellt sich vielmehr die Frage, welche politischen Entwicklungen nach Bismarcks Entlassung die Forcierung eines Bismarck-Kultes begünstigt haben. Um diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf sogenannte Politik des ‘Neuen Kurses’, die innen-wie außenpolitische Neuorientierung der deutschen Politik unter Bismarcks Nachfolger Caprivi notwendig. a, Die ‘nationale Opposition’ und die ‘Bismarckfronde’ gegen den ‘Neuen Kurs’: Bismarcks Entlassung bedeutete nicht nur einen personellen, sondern auch einen politischen Neuanfang, sowohl was Regierungsstil als auch Regierungspolitik anbelangte. Caprivi war trotz seiner Herkunft als preußischer General liberalen Ideen gegenüber aufgeschlossen und teilte in vielen Punkten die Kritik der Liberalen an Bismarcks autoritärem Regime, über das er beispielsweise folgendermaßen urteilte: ‘Indem er (Bismarck T.G.) die in der äußeren Politik zulässigen Mittel skrupellos auch auf die Innere übertrug, indem er unseren alten guten Beamtenstand zum Servilismus erzog, indem er jeden Widerspruch persönlich nahm und die Charaktere beugte oder entfernte, hat er Schaden getan (...), der lange nachwirken wird.’ Caprivi war bereit, die Konsequenzen aus dieser Beurteilung zu ziehen, selbst wenn sie seine Hausmacht schwächten und den unsteten Einflussnahmen des Kaisers auf die Tagespolitik mehr Raum ließen. Die Konzentration von Macht und Ämtern in der Person des Reichskanzlers wurde rückgängig gemacht und Kompetenzen zurück in die Reichsämter und preußischen Ministerien verlagert. In der Außenpolitik distanzierte man sich von Russland, konzentrierte sich auf das Bündnis mit Österreich-Ungarn und versuchte sich in Kolonialfragen mit Großbritannien zu verständigen (Helgoland-Sansibar-Vertrag). Innenpolitisch wurde Bismarcks Kampf gegen die ‘Reichsfeinde’ abgeschwächt: Das Sozialistengesetz wurde nicht verlängert, die Germanisierungspolitik im preußischen Osten gegenüber den Polen wurde gemäßigt, und die Regierung bemühte sich um parlamentarische Unterstützung von Zentrum und Linksliberalen.
Thomas Gräfe, geboren 1976 im Lemgo, studierte Geschichte, Anglistik und Sozialwissenschaften in Bielefeld und Brighton. Seit 2007 ist er Studienrat und Historiker. Am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin hat er am ‘Handbuch des Antisemitismus und im Auftrag des Instituts für sächsische Geschichte und Volkskunde an der TU Dresden an der ‘Sächsischen Biografie‘ mitgearbeitet. Außerdem gibt es zahlreiche Veröffentlichungen des Autors zur Geschichte des Nationalsozialismus, Antisemitismus und der völkischen Bewegung im deutschen Kaiserreich.
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