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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2020
AuflagenNr.: 1
Seiten: 324
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Durch den technischen Fortschritt bedingt, versprach das 19. Jahrhundert durchgreifende Rationalität der Lebens- und Gemeinschaftsformen und endlich Abschied von allen mystifizierenden und irrationalen Hysterien, die das Leben unter dem Primat schicksalhafter Gewalten stellten. Dennoch war das 19. Jahrhundert durchzogen von scheinbar unvereinbaren Widersprüchlichkeiten. Nietzsche bezeichnete diese Epoche als die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen . Dennoch feierten im 19. Jahrhundert und in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts von jeglicher Humanität entleerte Phantasmagorien literarische Triumphe. Ernst Jüngers In Stahlgewittern verherrlichende Kriegsprosa befeuerte ganze Generationen junger Männer, die im steten Kampf um Leben und Tod den Sinn ihres Daseins fanden. Richard Wagners kühne Musik bezeichnete der Wiener Musikkritiker Hanslick 1860 nach der Premiere Die Meistersinger als eine Art Krankheit, als eine Musik, welche die Realität aufzulösen vermochte und einen narkotischen Zustand der Suggestibilität herbeiführte. In der Aufklärung im 19. Jahrhundert und der Zeit des technischen Fortschrittes konnten sich ebenso selbstverständlich wildgewordene Romantiker und Illuminaten behaupten wie der heroische Militarismus, der nicht nur in Preußen die gesellschaftlichen Umgangs- und Lebensformen prägte.
Textprobe: Das Faustische Prinzip und der tiefe Fall: Leverkühn und die deutsche Katastrophe. Jenseits von Mittelmaß. Nur im Enormen liegt Genialität. Grenzen werden gesprengt. Der Mensch wird sich selbst zum Gott. Die Katastrophe als Ernüchterung. Leverkühn ein deutsches Schicksal. Ethischer Nihilismus. Faustische Versuchung und ästhetische Beschreibung. Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. (Goethe: Faust I) Manch einer bemüht sich immerfort seine Grenzen zu sprengen und über das Eigentliche hinauszusteigen. Oftmals endet es in Größenwahn und grenzenloser Hypertrophie des Denkens und Handelns und der Selbstüberschätzung, die offensichtlich eine deutsche Tugend ist. Erfasst solches die gesamte Gesellschaft, so geraten leicht sämtliche gültigen Werte und Normen ins Wanken oder werden pervertiert. Wenn sich Nationen darauf einlassen, so ist das Unglück für diejenigen umso größer, die von solchem Wahn betroffen sind, weil sich gegen sie der Größenwahn richtet. Für diejenigen, die dem Wahn verfallen sind, ist es der Anfang vom Untergang oder Verstrickungen in größte Schuld. Das, was als Erlösung erhofft wird, erweist sich dann als tiefer Sturz ins Bodenlose, welcher allenfalls noch als Mythos einer Götterdämmerung eine letzte Verklärung erfährt. Die Figur des Faust, sowohl bei Goethe als auch verkörpert in Thomas Manns Roman Doktor Faustus ist eigentlich etwas Archetypisches der deutschen Kollektivsseele. In ihr verdichten sich die typischen Ambivalenzen des deutschen Charakters in dem Spagat zwischen Genialität, romantischem Enthusiasmus, Größenwahn und tiefem Fall. Nicht von ungefähr pendelt das Prinzip des Genialischen im deutschen Kulturraum und gelegentlich auch anderswo zwischen den Polen hoher kultureller und geistiger Leistungen, wie wir sie etwa bei Thomas Mann, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder in der Welt der Musik bei Ludwig van Beethoven und Gustav Mahler vorfinden und spießbürgerlicher Beschränktheit, bis hin zu den Vernichtungsobsessionen der Nationalsozialisten, die in der Person Hitlers ihren Magnetiseur besaßen. Nicht von ungefähr hat Thomas Mann die Figur des Adrian Leverkühn, im Roman das Sinnbild des faustischen Prinzips, als Parabel deutscher Geschichtskontinuität und deren Verwicklungen ins Dämonische und Abgründige verstanden wissen wollen. Und nicht zufällig deutet der Name Leverkühn auf die Bezeichnung lebenskühn hin, die von Thomas Mann bewusst suggeriert werden sollte. Eine Lebenskühnheit war damit gemeint, welche sich auf einem schmalen Grat zwischen Genialität und bodenlosem Absturz definiert, jederzeit bereit, als Preis für den Erfolg seine Identität zu verlieren. Das Thema des Romans handelt von einer deutschen Tragödie , wie Thomas Mann betonte, die jedoch bei näherem Hinsehen keine wirkliche Tragödie gewesen ist, sondern vielmehr ein selbstverschuldetes Drama. Eine Tragödie kommt ohne besonderen Anlass über die Menschen, das, was sich im Deutschland des 20. Jahrhundert ereignete war indes durch grenzenlose Selbstüberschätzung und Verachtung anderen gegenüber gewollt. Jenes vermeintliche Schicksal ist nicht über Leverkühn und erst recht nicht über Deutschland gekommen, sondern es wurde in grenzenloser Selbstüberschätzung herbeigeführt. Das genialische Prinzip hatte sich in seiner hemmungslosen Verachtung moralischer Prinzipien selbst zum Absturz gebracht. Somit bezieht sich der Roman auf jene kulturhistorischen und geistesgeschichtlichen Wurzeln, die zum Nationalsozialismus geführt haben und wissentlich Bestandteile des deutschen Kulturlebens waren. Thomas Mann hat sie in den wandervogelgeprägten Gesprächen des Studenten Adrian Leverkühn mit seinen Kommilitonen, in den erzreaktionären, antihumanen und zivilisationsfeindlichen Reden des Dr. Chaim Breisacher und anhand der faschistischen Gesprächsrunden bei Dr. Sixtus Kridwiß dargestellt. Wenngleich das Grundthema des Faust- Dramas bei Goethe die Verstrickungen des Menschen angesichts seiner Doppelnatur zum Ausdruck bringt, der zwischen Zweifeln und Streben nach Höherem in schöpferischem Tatendrang die Grenzen seiner verführbaren Existenz bis ins letzte auslotet, so lässt sich dieser Widerstreit in allen Facetten in Richtung eines Kollektivs ausdeuten. Dann dürfte die Figur des Doktor Faustus ebenso als ewig Suchender und Ringender nach Wahrheit und Größe, wie auch als Metapher zum Verständnis einer kulturgeschichtlichen Parallelität des deutschen Sonderweges in seiner historischen Überschätzung betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund schilderte Thomas Mann das Schicksal des kalten aber hochbegabten Musikers Leverkühn. Dessen persönliche Tragödie wird in Beziehung gesetzt zu der Katastrophe die Deutschland verschuldet hat. Leverkühns persönlicher Teufelspakt findet seine kollektive Entsprechung in dem Pakt Deutschlands mit dem Teufel, oder genauer gesagt, mit den teuflischen, inhumanen und mörderischen Prinzipien, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus durchbrachen. In seinem kalifornischen Exil vollendete Thomas Mann im Januar 1947 seinen Roman Dr. Faustus, die fiktive Biographie des Komponisten und Musikers Adrian Leverkühn, welchem im Roman eine Lebenszeit von 1885-1940 eingeräumt wird. Die zweite Erzählebene, durch den Biograph Seranus Zeitblom verkörpert, und Thomas Mann als Autor beginnen ihre Niederschrift über das Leben des Adrian Leverkühn im Jahre 1943. Zeitblom lässt im Rückblick auf Leverkühns Lebensweg immer wieder Kommentare und Begebenheiten zu den Kriegsereignissen einfließen. Durch diesen Kunstgriff, Erzähltes im Roman mit den äußeren Ereignissen in Beziehung zu setzen, parallelisiert Thomas Mann Adrian Leverkühns Schicksal mit dem Deutschlands. Thomas Mann schrieb den Roman zu einem Zeitpunkt, als sich Europa auf dem Höhepunkt des Krieges und der millionenfachen Vernichtung befand und sein literarisches Vorhaben dem allgemeinen Lebensgefühl entsprach, düster, traurig und unheimlich, der Dinge wegen, die da auf die Menschen zukamen. Doktor Faustus spiegelt stellvertretend für eine ganze Bürgerschicht, in der Figur des genialen bürgerlichen Künstlers, des Tonsetzers Adrian Leverkühn, für den möglicherweise Friedrich Nietzsche Pate gestanden hat, in symbolischer Weise den bodenlosen Abstieg der Kunst und des Bürgertums im allgemeinen, das Ende des humanen Denkens, des Vernunftbegriffs und der Enthemmung des Sinnlichen in einem Szenario wider, an dessen Ende 55 Millionen Kriegstote, davon 25 Millionen Zivilisten, 15 Millionen in Konzentrationslagern, davon 11 Millionen ermordet, darunter 6 Millionen Juden, über 10 Millionen Menschen auf der Flucht und über 5 Millionen Wohnungen zerstört waren. In einer Apokalypse, in der ein ganzer Kontinent von Grund auf verändert wurde, im Feuerschein einer Götterdämmerung ohne Beispiel, die der Furor des Nationalsozialismus angerichtet hatte, in diesem Furor schließlich war die bürgerliche Kultur und Zivilisation zu ihrem Ende gekommen. Jene Kultur, welche Thomas Mann der kalten, unpersönlichen Zivilisation entgegengestellt hatte, versagte ebenso vor den Ursachen des unaufhaltsamen Abstiegs, wie alle Mahnungen humaner Geister, die schon frühzeitig hatten Schlimmes kommen sehen.
Dr. phil. Manfred J. Foerster studierte Soziologie, Psychologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Aachen und an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und promovierte bei Micha Brumlik in Heidelberg über die Analytische Psychologie und Archetypenlehre C.G. Jungs. Außerdem machte er eine Gesangsausbildung als Operntenor in Aachen, Wiesbaden und Mainz. Er leitete über 20 Jahre die Beratungs- und Fortbildungsstelle für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter/innen des Hessischen Strafvollzuges und war als Lehrbeauftragter an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Fachbereich Erziehungswissenschaft, an der Hessischen Justizvollzugsakademie Wiesbaden sowie an der Thüringischen Justizvollzugsschule Suhl-Goldlauter tätig mit den Schwerpunkten: Frühkindliche Bindungserfahrungen und Sozialisation, Ursachen und Auswirkungen von Persönlichkeitsstörungen sowie Persönlichkeitsprofile serieller Sexual- und Gewaltdelikter.
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