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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wurde von keinem anderen historischen Ereignis so nachhaltig geprägt wie vom Ende des Zweiten Weltkrieges. Die traumatischen Erfahrungen von faschistischer Diktatur, dem Kriegserleben selbst, der Trümmerzeit, aber vor allem der Vorwurf, an Krieg und Holocaust eine Kollektivschuld zu tragen, belastet die deutsche Nachkriegsgesellschaft bis in die Gegenwart. Da die Angehörigen der Kriegsgeneration die Möglichkeit einer kathartischen Bereinigung und der damit verbundenen Erleichterung und Befreiung nicht zuließen und sich gegen ihre Schmerzen und Erinnerungen mit einem Panzer der Fühllosigkeit wappneten, blieben sie die Aufarbeitung des Traumas den nachfolgenden Jahrgängen schuldig. In dieser Arbeit soll der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der gegenwärtigen deutschen Erinnerungsliteratur untersucht werden. Exemplarisch werden hierfür die Werke Am Beispiel meines Bruders von Uwe Timm, Jahrgang 1940, und Himmelskörper von Tanja Dückers, Jahrgang 1968, hinsichtlich soziologischer und literaturspezifischer Aspekte analysiert. Zum einen soll die Annäherung der Autoren an ihre eigene vom Nationalsozialismus geprägte Familiengeschichte beleuchtet und zum anderen deren literarische Verarbeitung berücksichtigt werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Konflikt zwischen öffentlichem Gedenken und persönlichem Erinnern: Im kommunikativen Gedächtnis sind die persönlichen Erinnerungen mit denen von sozialen Gruppen, egal ob Familie oder Generation, verbunden, weil ein Individuum immer auch Teil einer sozialen Gruppe ist. Dem kommunikativen Gedächtnis ist das kollektive übergeordnet, ein Gedächtnis, das politisch motiviert ist und sich durch seine inhaltliche Vereinheitlichung und Symbolkraft auszeichnet. Ein Beispiel hierfür sind die Nationen, die sich im 19. Jahrhundert über ein solches Gedächtnis konstituiert und stabilisiert haben . Die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses liegt im öffentlichen Gedenken. Die öffentliche Kommemoration ist ein Ritus, mit dem eine Gruppe ihre vielfältigen Erinnerungen zu einer gemeinsamen zusammenschweißt und für nachkommende Generationen in einer stilisierten symbolischen Form verfügbar hält . Offizielle Gedenktage bilden einen feierlichen Rahmen für genauestens festgelegte Bekenntnisrituale und Trauerliturgien und verfügen durch ihre Einheitlichkeit über eine hohe Erwartbarkeit. Im Hinblick auf den Nationalsozialismus haben Harald Welzer und Aleida Assmann zwischen dem öffentlichen Gedenken und dem persönlichen Erinnern Dissonanzen in der deutschen Erinnerungsgeschichte festgestellt. Während die persönliche Erinnerung den privaten, individuellen, informellen und unablösbaren Bezug zur Vergangenheit herstellt, steht das kollektive Gedächtnis für einen öffentlichen, offiziellen und generalisierten Vergangenheitsbezug. Auf der Ebene der privaten und gesellschaftlichen Kommunikation [...] war die Thematisierung der NS-Zeit als biographische Erfahrung tabuisiert. Dem wohldosierten und abgezirkelten Sprechen an Feiertagen korrespondierte ein durchgehaltenes Schweigen im Alltag . Dieser Widerspruch hat sich bis heute in der deutschen Gesellschaft gehalten. Werden die nationalsozialistischen Verbrechen in der Öffentlichkeit verurteilt und die Erinnerungen an den Holocaust beispielsweise mit dem Bau eines Mahnmals in Berlin wachgehalten, nehmen auf der privaten Ebene Werke, die von den Leiden der deutschen Bevölkerung berichten, wie Luftkrieg und Literatur (1999) von Winfried G. Sebald oder Der Brand (2002) von Jörg Friedrich, zu. Gleichfalls zeigen jüngste Umfrageergebnisse, dass sich das Bild von einer deutschen Bevölkerung, die mit Ausgrenzung, Deportation und Vernichtung nichts zu tun hatte [...] bis in die Gegenwart hinein tradiert hat. In dem Forschungsprojekt Tradierung von Geschichtsbewusstsein wurde untersucht, was die Deutschen über die Einstellungen und Handlungsweisen ihrer Eltern und Großeltern während des Dritten Reiches aus Familiengesprächen wissen. Demnach glauben die Befragten, das 26 Prozent der damals erwachsenen Bevölkerung Verfolgten geholfen habe, 13 Prozent im Widerstand aktiv und nur drei Prozent antijüdisch waren. Damit wird die Diskrepanz zwischen der offiziellen Erinnerungskultur und dem Familiengedächtnis in Deutschland offenbar. In den Familien wird nach wie vor das Bild kultiviert, dass die Nazis immer die anderen, aber nie die Mitglieder der eigenen Familien waren und das, obwohl vor allem die jüngeren Menschen über ein solides Wissen zu den nationalsozialistischen Verbrechen und zum Holocaust verfügen. Die Ursachen macht Aleida Assmann, wie oben erwähnt, in dem politischen und gesellschaftlichen Wandel der Erinnerungen aus, dem sich die biografischen Erinnerungen nicht angepasst haben. Dadurch ist es zu einer Diskrepanz [...] gekommen, die für eine Reihe von Eruptionen und Skandalen verantwortlich zu machen ist. Die Erinnerung an die NS-Vergangenheit hat sich in Westdeutschland in der notorischen Dialektik von Abwehr und Anerkennung bewegt . Das Problem der deutschen Erinnerungskultur liegt im Sich-nicht-erinnern-können oder-wollen der Deutschen. Das Phänomen, von Hermann Lübbe als kollektives Beschweigen beschrieben, zeichnet sich durch die Abwesenheit von biografischen Erinnerungen im offiziellen Gedächtnis der deutschen Gesellschaft der 50er Jahre aus. Dieses Fehlen führte dazu, dass die 68er-Generation die Bekenntnisse von Politikern an offiziellen Gedenktagen als aufgesetzt empfand und ablehnte. Hinzu kam ihr Misstrauen gegenüber jeder Form von Repräsentation und nationaler Symbolik, die mit dem öffentlichen Gedenken einhergeht. In den Augen der Nachgeborenen waren Symbole sinnentleert und verstellten die Erinnerung eher, als sie zu aktivieren. Sie stellten das Verhältnis der Deutschen zur NS-Vergangenheit in Frage und weiteten das Erinnerungsproblem vom offiziellen auf den familiären Bereich aus. Unter diesem Druck des Fragens wurde die Erinnerung konkret, sie wurde wieder auf Personen bezogen und in Orten verankert. Es entstand ein öffentlich-gesellschaftlicher Rahmen für die Auseinandersetzung mit biographischer Schuld und persönlicher Verantwortung . Zwar setzte die 68er-Generation damit einen Aufarbeitungsprozess hinsichtlich der Vergangenheit in Gang, der sich auch auf die Wissenschaft und damit auf die Öffentlichkeit ausweitete, im Privaten kam es dennoch selten zu einem wirklichen intergenerationellen Dialog. Meist, wie die Beispiele der Väterliteratur zeigen, setzte das Interesse der Nachgeborenen an der Vergangenheit der Eltern erst nach deren Tod ein. Nachdem die Eltern ihre Geschichten mit ins Grab genommen haben, sind die Kinder auf Vermutungen und auf Dokumente angewiesen, mit denen diese Lücke nicht mehr zu füllen ist . Eine kritische Auseinandersetzung gelang letztlich erst ein bis zwei Jahrzehnte nach der Epoche der Väterliteratur, wie sich in den vergangenen Jahren in der Gegenwartsliteratur herausstellte. Die Schriftsteller der neueren Erinnerungsliteratur, egal ob Angehörige der Enkel- oder der Kindergeneration, greifen in ihren Werken verstärkt auf ihr Wissen aus der Geschichte und auf Dokumente, wie Briefe, Tagebücher und Fotos, zurück. Ausschlaggebend hierfür war ein grundsätzlicher Wandel des Vergangenheitsbezuges im kollektiven Gedächtnis, der in Deutschland gegen Ende der 80er Jahre einsetzte. Der Mauerfall stellte die deutsche Identität in Frage und führte schließlich zu einem Mentalitätswandel. Die Deutschen wurden als geeintes Volk wahrgenommen, was einerseits Deutschlands Stellung innerhalb von Europa stärkte, andererseits aber auch einen verantwortungsvollen Umgang mit der deutschen Vergangenheit verlangte. Den ersten Schritt bei der Annäherung an die eigene Vergangenheit hätten die Deutschen bei der Suche nach einem gemeinsamen Nationalfeiertag wagen können. [...] als neuen nationalen Feiertag hat nur eine Minderheit einen Moment lang für den 9. November plädiert, der als vierfacher Bezugspunkt geradezu ein Schlüssel zum Verständnis unserer Geschichte in diesem Jahrhundert wäre. Eine seltene Chance, vielleicht der bedeutendste Anlaß zur Institutionalisierung öffentlicher Geschichtserinnerung, blieb ungenutzt . Stattdessen demonstrierte Deutschland nach außen hin auf andere Weise den Willen, sich mit den NS-Verbrechen auseinander zu setzen und mit dem Schweigen über die Vergangenheit zu brechen. Um die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten und damit dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen wieder mehr Symbolkraft zu verleihen, wurde der 27. Januar im Jahr 1996 zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt und im Frühjahr 2005 ein zentrales Holocaust-Denkmal in Berlin eingeweiht. Doch beide Institutionalisierungen sind in der deutschen Bevölkerung auf Desinteresse gestoßen. Der Bau des Holocaust-Mahnmals wurde schon im Vorfeld heftig diskutiert. Kritische Stimmen meinten, es würde den Deutschen einen kollektiven Zwangshaftungsanspruch überstülpen. Auch Martin Walser forderte im Oktober 1998 in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels die Freigabe des individuell erinnernden Umgangs mit der deutschen Geschichte für jeden . Für viele lag das Skandalöse [Walsers] Auftritts [...] in der Privatisierung des Erinnerns, genauer gesagt: in der Abkopplung individueller Erinnerung von einem kollektiven Gedächtnis [...] . Viele Wissenschaftler sehen die Lösung des Konflikts darin, den Deutschen zuerst die Möglichkeit zu gewähren, den eigenen Schmerz und die Trauer ihrer Kriegserfahrungen zu verarbeiten, bevor sie für die Opfer des Holocaust Mitgefühl empfinden können. Auch für Aleida Assmann gehören die Anerkennung der eigenen und die Aneignung der fremden Leidensgeschichte zusammen. Nur die Entpolitisierung der deutschen Opfererinnerung führe zu einer Entkrampfung des Kollektivgedächtnisses und damit zu einem Gleichgewicht zwischen persönlichem Erinnern und öffentlichem Gedenken. Harald Welzer sieht in der pluralen und demokratischen Gedenk- und Erinnerungskultur hingegen die Gefahr, dass die deutsche Opfergeschichte zur dominierenden Vergangenheitserzählung werden könnte. Zwar erkennt er in der Transformation der Täter- in eine Opfergesellschaft die Chance einer neuen Unbefangenheit im Umgang mit dem Thema der NS-Vergangenheit, dennoch betont er, dass Leid nicht gegeneinander aufzurechnen ist. So betrachtet ist die Restaurierung einer deutschen Opferkultur in der Tat ein Element jener ‚Normalisierung’, die die Bundesrepublik nun endgültig auch moralisch auf die Augenhöhe der anderen westlichen Gesellschaften bringt und sie damit weltpolitisch handlungsfähig macht . Indem man die deutsche Geschichte von den Opfern her erschließt, können mit den Taten die Täter zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Und dann könne es leicht passieren, so Welzer, dass damit die Frage nach historischer und persönlicher Verantwortlichkeit verschwindet. Assmann schreibt den Werken der neueren Erinnerungsliteratur eine wichtige Rolle zu, da sie zum einen verlorene Traditionen und einen verschwundenen eindeutigen Geschichtsbezug kompensieren und zum anderen die Frage nach Schuld und Leid vereinen. Viele Autoren versuchen über ihre literarische Annäherung, ihren Platz in der eigenen Familiengeschichte zu finden. Indem ihre Identitätssuche die Eltern und Großeltern einschließt, entstehen zwischen eigener Biografie, Familiengeschichte und Historie neue Kreuzungspunkte, über die sie ein neues Interesse an Geschichte entdecken.

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