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- Antisemitismus in Deutschland: Zum Wandel eines Ressentiments im öffentlichen Diskurs
Geschichte
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Antisemitismus ist gegenwärtig ein globales Phänomen, das in manchen Ländern mehr, in anderen weniger verbreitet ist. Vor allem in der islamisch-arabischen Welt ist in den letzten Jahren ein Anstieg offener antisemitischer Äußerungen zu verzeichnen, teilweise bedingt durch den Nahostkonflikt und durch die Radikalisierung des Islams. Allerdings hat der Antisemitismus in keinem Land solche Ausmaße und Konsequenzen gehabt wie im nationalsozialistischen Deutschland, wo er erstmalig in der Geschichte eine Art Staatsdoktrin darstellte. Die systematische Judenverfolgung über die eigenen Staatsgrenzen hinaus, gipfelte schließlich in der Shoa, die Millionen von Juden das Leben kostete und für die Geschichte Deutschlands, als auch für die Geschichte des Antisemitismus, einen radikalen Bruch darstellt. Trotz dieser historisch singulären Ereignisse, ist Antisemitismus heute in Deutschland kein überholtes Phänomen oder eine Einstellung radikaler Minderheiten. Dies belegt die empirische Sozialforschung und die zahlreichen öffentlichen Debatten der jüngsten Zeit die unter dem Paradigma der Vergangenheitsbewältigung standen und immer noch stehen. Im Rahmen dieser Studie soll untersucht werden, wie sich der Antisemitismus nach der Shoa im öffentlichen Diskurs in Deutschland entwickelt hat. Insbesondere sollen dabei die Debatten nach der Wiedervereinigung 1990, die einen entscheidenden politischen Einschnitt markiert, betrachtet werden. Dabei soll die Rolle des Antisemitismus in der politischen Kultur analysiert werden. Daraus resultierend soll diskutiert werden, was den Antisemitismus gegenwärtig in Deutschland charakterisiert und wodurch er sich auszeichnet. Das Ziel ist eine Konkretisierung des Begriffs Antisemitismus. Für diese Konkretisierung bedarf es nicht nur einer allgemeinen und abstrakten Definition des Begriffs, sondern auch eines Blickes auf die gängigen Erklärungstheorien des Ressentiments. Nicht minder bedeutsam ist die historische Entwicklung des Antisemitismus bis zur Gegenwart, sowie der Wandel der Bezugspunkte. Im Zeitalter der Globalisierung ist der Fokus nicht mehr alleine auf Deutschland gerichtet, sondern antisemitische Agitation richtet sich zunehmend gegen Israel und die USA, forciert durch die Mythen um die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 und den Nahostkonflikt. Ein Exkurs soll deshalb die Verbindungen und Überschneidungen von Antisemitismus, Antiamerikanismus, Verschwörungstheorien und Israelfeindschaft aufzeigen und die Brisanz für den aktuellen politischen Diskurs verdeutlichen. Das Resümee fasst die Entwicklung des Antisemitismus nach der Shoa zusammen, um darauf basierend den Begriff Antisemitismus konkreter zu definieren.
Textprobe: Kapitel 5.2, Philosemitismus: Eine spezielle Form des Antisemitismus ist der Philosemitismus, die betont pro jüdische Haltung, die sich trotzdem der gleichen antisemitischen Stereotype bedient. Das Zitat von Frank Stern verdeutlicht die Relevanz des Themas für den Antisemitismus in Deutschland : Um ein vielzitiertes Wort abzuwandeln, wenn man von Antisemitismus Deutscher nach 1945 spricht, sollte man vom Philosemitismus nicht schweigen . Die Bedeutung dieser pro-jüdischen Haltung für den Antisemitismus in Deutschland ist nicht zu vernachlässigen, da sie eine von mehreren Reaktionsweise der Judenfeindschaft auf die Shoa ist. Nach 1945 setzte in Deutschland ein komplizierter Umwandlungsprozess im Bezug auf die deutsch-jüdischen Beziehungen ein. Frank Stern bezeichnet diesen Prozess als Metamorphose des Antisemitismus. Nicht die Erfahrungen der nationalsozialistischen Herrschaft initiierten den Wandel, sondern die neuen erzwungenen kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Nach dem Krieg gab es neue Begegnungen mit Juden, da zwischen zwölf- und fünfzehntausend Juden zwischen April und Juli 1945 aus dem Untergrund, Ehen mit Nichtjuden und Lagern auftauchen. Diese Konfrontationen weckten bei vielen Deutschen Schuld und Scham (vgl. Stern 1991a: 14 f.). Die merkwürdige Situation beschrieb Frank Stern sehr passend: Antisemitische Stereotype, anti-antisemitische Normensetzung durch die Besatzungsmächte, individuelle Wahrnehmungen der Eigenen wirklichen oder eingebildeten Erfahrungen mit Juden mischten sich mit den in der entstehenden literarischen und politischen Öffentlichkeit verbreiteten Klischees . Der Umgang mit dieser diffizilen und emotional zwiespältigen Situation war sehr unterschiedlich. Neben betretenem Schweigen und Amnesie legten viele Deutsche plötzlich eine betont pro-jüdische Haltung an den Tag: Die Haltung zu Juden nahm zunehmend den Charakter eines unterschiedslos, ja stereotyp, alles Jüdische positiv wertende gesellschaftlichen Phänomens an. Und was nicht in dieses überhöhte Bild vom Juden, von jüdischer Eigenart und jüdischem Beitrag paßte, fiel schlicht unter Amnesie . Diese, die Juden stark sympathisierende, Haltung ist keine traditionelle psychologisch tief verwurzelte Ideologie wie der Antisemitismus. Es handelt sich vielmehr um eine geistige Haltung, die alles Jüdische ausnahmslos positiv bewertet, eine Art positiver Antisemitismus, da die Juden als Kollektiv mit gleichen Eigenschaften wahrgenommen werden. Stern bezeichnet die Funktion des Philosemitismus als kathartisch, da die inneren Konflikte zurückgedrängt werden und sich in pro-jüdischen Äußerungen entladen. Rensmann definiert den Philosemitismus wie folgt: Als Philosemitismus sollte - analog einem positiven Rassismus - ein Antisemitismus unter umgekehrten Vorzeichen verstanden werden, der nicht mit der kollektiv-rassistischen Attribuierung von judenfeindlichen Vorurteilen bricht, sondern die Klischees nur zwischenzeitlich ins Positive verkehrt und verklärt, ohne doch dadurch vor dem Rückfall in die Abwertung gefeit zu sein . Die philosemitische Haltung hatte für den Einzelnen einerseits sozialpsychologische Gründe, da sie den Umgang mit Schuld und der Scham erleichterte. Andererseits bot die philosemitische Haltung Vorteile, da sie in der Öffentlichkeit konsensfähig und akzeptiert war. Die Freundschaft mit Juden, oder diese aus der Erinnerung zu rekonstruieren rückte die Deutschen näher an die Siegermächte und distanzierte sie von der Vergangenheit. Positive und negative Merkmale der Juden überschnitten und überlappten sich in der Vorstellung vieler Deutscher. Die opportune Haltung half vielen Deutschen im Existenzkampf der Nachkriegszeit, wobei es natürlich auch Personen mit einer grundlegend nicht-antisemitischen Haltung gab. In der philosemitischen Einstellungen wurden die alten antisemitischen Stereotype nun als positive jüdische Eigenschaften gedeutet. Das ökonomische antijüdische Stereotyp, Juden hätten eine Affinität zum Finanzwesen wurde positiv umgedeutet, in dem man davon ausging, dass die Juden den Wiederaufbau Deutschlands deswegen schneller voranbringen könnten. Die bisher unterstellte weltverschwörerische Eigenart der Juden sollte nun zur Vermittlung zwischen Besatzern und Deutschen dienen. Lobeshymnen auf den jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft wurden zeitweise zu einem festen Topos der politische Kultur. Eine positive Umdeutung der traditionellen antisemitischen Stereotype birgt trotzdem einige Gefahren die Adorno treffend herausgestellt hat: Auch der sogenannten positiven Stereotypenbildung wäre entgegenzuwirken, hinter der die negative Stereotypie dicht lauert. Sagt einer: Die Juden sind alle so gescheit , dann ist er, auch wenn er es lobend sagt, schon nahe bei nun ja, und deshalb wollen sie uns betrügen . Auch der Formel die Juden sind ein so merkwürdiges, besonderes, tiefes Volk ist nicht über den Weg zu trauen. [...] Durch die Emanzipation von der Stereotypenbildung für die Gruppe als Ganzes wird wahrscheinlich dem Vorurteil wirksamer entgegengearbeitet, als wenn man ein negatives Vorurteil mechanisch durch ein positives ersetzt . Auch Benz hält eine skeptische Einstellung im Bezug auf philosemitische Äußerungen für angebracht: Wachsamkeit ist gegenüber philosemitischen Manifestationen aber auch aus anderem Grund geboten: sie können leicht ins Gegenteil umschlagen, wenn sie die beabsichtigte Wirkung nicht haben, sie können aber auch ganz einfach nur die Kehrseite der Medaille des alten Antisemitismus sein . Nachdem die betont pro-jüdische Haltung zuerst im Alltag zu finden war, fand nach und nach eine starke ideologische und politische Funktionalisierung statt. Politik und Öffentlichkeit sahen in dieser Haltung eine langfristige Nützlichkeit und zugleich ein Bekenntnis zur Demokratie, welches eine moralische Legitimierung für die Gründung der BRD darstellte. Die Haltung war im Bezug auf die Westintegration Deutschlands von entscheidender Bedeutung, da das Verhalten gegenüber den Juden inoffiziell als Prüfstein für die deutsche Demokratie galt. Die philosemitische Haltung stand damit im Kontext noch nicht überwundener Vergangenheit und noch nicht erlangter Zukunft. Der öffentlich antisemitische Konsens des Dritten Reichs wurde quasi durch einen philosemitischen Konsens abgelöst. Zeitlich gesehen war der Philosemitismus in Deutschland bis Mitte der 1960er Jahre, bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel von enormer Bedeutung, insbesondere für die Selbstdarstellung der Bundesrepublik.
Thomas Kühner, Dipl. Soz., Studium der Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt mit dem Schwerpunkt Personalwesen, Organisation und Gesellschaft, Abschluss April 2008. Derzeit ist er als Redakteur bei Videoload.de tätig und arbeitet nebenberuflich als freier Autor.
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