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- Robert Musil und James Joyce: Das Leib-Seele-Problem als kreativer Ansporn in "Törless" und "A Portrait of the Artist": Vergleichende Untersuchung mit Ausblick auf das spätere Werk
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 52
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Robert Musil (1880-1942), der Rationales und Irrationales nicht als unversöhnliche Gegensätze begriff, sondern beide Dimensionen aus wissenschaftlicher Sicht dichterisch miteinander verknüpfte, schildert in seinem ersten Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törless (1906) geistige und körperliche Grenzüberschreitungen, die den Protagonisten dazu führen, ‘Dinge, Vorgänge und Menschen als etwas Doppelsinniges zu empfinden‘. Das so entstandene Spannungsfeld fördert in Törless eine kreative Betrachtungsweise, die sich von der anerzogenen Moral distanziert, dafür aber eine Selbstfindung ermöglicht, die unbewusste Zonen integriert und ihnen deshalb nicht zu verfallen braucht. In der Konzentration auf die Innerlichkeit eines Jugendlichen mit Törless vergleichbar, lässt der Entwicklungsroman A Portrait of the Artist as a Young Man (1916) den stolzen Stephen Dedalus einen Weg beschreiten, der sein Selbstbewusstsein stärkt und ihm neue Perspektiven eröffnet. Anders als Robert Musil spiegelt James Joyce (1882-1941) in seinem irischen Helden jedoch eine traditionelle Dichotomie katholischer Prägung, die seiner Dichtung ebenso eigen ist wie ihre stilistischen Erneuerungen. Diesen gegenläufigen Tendenzen bei Musil und Joyce hat die Autorin im Frühwerk der beiden Schriftsteller nachgespürt, um ihren Umgang mit dem Leib-Seele-Problem sichtbar zu machen.
Textprobe: Kapitel 2.2, Das religiöse ‚Klima’ bei Robert Musil und James Joyce: 2.2.l, Dichterische Konzeptionen zwischen Glauben und Erkenntnis: Während sich Musil der Literatur als Wissenschaftler nähert, hat Joyce eine sakramentale Auffassung von Kunst, die in der Kultur des Mittelalters wurzelt. Viele Schrift-steller waren gläubiger als er, aber wenige haben sich wie er als ein Gott gefühlt, der ‚eine Welt’ ins Leben ruft. Sheldon Brivic nennt Joyce ‘the theologian of fiction’ und weist darauf hin, dass er bereits in A Portrait eine Ansicht vertritt, die ihre volle Bedeu-tung in Finnegans Wake erlangt, wo er in einem Traum den Erdball und seine Geschichte schildert: ‘It was very big to think about everything and everywhere. Only God could do that’ (P 16). Solche Allmachtsphantasien fehlen bei Musil. Sein Törless entfremdet sich wie Stephen von Kindheit und Herkunftsfamilie, doch sucht er als Ersatz nicht so sehr künstlerische Inspiration für ein zukünftiges Werk als eine neue Erfahrung und Erprobung der Wirk-lichkeit. Dass auch Musils Dimension dichterisch produktiv wird, liegt an der psychischen Doppelanlage seines Protagonisten, der sich reflektierend selber entdeckt. ‚Türlos’ in seinem Inneren gefangen, versucht er dieser dualistischen Wahrnehmung gerecht zu werden. Wie Ulrich in Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften anerkennt er zwei gegensätzliche Weisen, sich zur Welt zu verhalten: einerseits das logisch-kausale, verknüpfende Denken, das die geistige Welt des modernen Menschen kennzeichnet, andererseits aber auch eine alogische, akausale Denk- und Ausdrucksweise, die sich vornehmlich in Bildern und Gleichnissen bewegt. Ulrich spricht von ‘zwei Geistesverfassungen, die einander nicht nur bekämpfen, sondern die gewöhnlich [...] nebeneinander bestehen, ohne ein Wort zu wechseln, außer dass sie sich gegenseitig versichern, sie seien beide wünschenswert, jede auf ihrem Platz’ (MoE 248). Was aber Musils Protagonisten suchen, ist ein Gleichgewicht dieser beiden Pole: ‘Ein Mann, der die Wahrheit will, wird Gelehrter ein Mann, der seine Subjektivität spielen lassen will, wird vielleicht Schriftsteller was aber soll ein Mann tun, der etwas will, das dazwischen liegt?’ (MoE 254) Das Reich solcher ‘Essayisten und Meister des innerlich schwebenden Lebens [...] liegt zwischen Religion und Wissen, zwischen Beispiel und Lehre, zwischen amor intellectualis und Gedicht, sie sind Heilige, die sich in einem Abenteuer verirrt haben’ (MoE 254). Während sich die Suche nach einer ‘taghellen Mystik’ im Mann ohne Eigenschaften über den Gesprächs-Eros ein Ventil schafft, das den Geschwistern Ulrich und Agathe ermöglicht, ihre Erfahrungen auszutauschen, bleibt Törless fast autistisch in einer Subjektivität gefangen, deren Gespaltenheit nach symbolhaftem Ausdruck ringt , von seiner Umwelt jedoch nicht verstanden wird. Es kommt bei ihm zu keinem menschlichen Austausch auf gleicher Ebene, doch bejaht er seine innere Einsamkeit, die für ihn ‘den Reiz eines Weibes und einer Unmenschlichkeit hat’ (T 25). Wo aber bewusste Weltflucht und ‘anderer Zustand’ bei Ulrich und Agathe zu mystischen Höhenflügen führen, weist Törless als ‘Monsieur le vivisecteur’ alle Spekulationen und Mystifikationen von sich und reduziert das menschliche Innenleben immer wieder auf die erfahrbare Wirklichkeit. ‘Er gelangt so zwar nur zu bescheidenen und beschränkten Resultaten, errichtet aber keine gedanklichen Pseudosysteme.’ Törless, dem noch nicht das Wissen eines Ulrichs zur Verfügung steht, greift auf seine eigene Subjektivität zurück, um seine Verwirrungen zu klären. In seinem ‘Nachruf auf Robert Musil’ bezeichnet Hermann Broch Törless als Musils Werther. Der Kult der Einsamkeit und des Unverstandenseins ist tatsächlich beiden gemeinsam, aber ‘Monsieur le vivisecteur’, der den Zögling Törless, den ‘Verstandesmenschen’ Thomas, den Mathematiker Vinzenz, den Geologen Homo, den jungen Chemiker der Erzählung Tonka und den Möglichkeitsmenschen Ulrich präfiguriert, bringt eine wissenschaftliche Dimension ins Spiel, die Werther fremd ist: ‘In den Räumen [...] ruht eine Verlockung sich gehen zu lassen – auf das Sollen des Tages zu vergessen. Was dann alles aus seinem Schlaf erwacht ist verschieden – bei den Leuten da drüben mögen es ja recht triviale Instinkte und Seelenregungen sein [...] Bei mir ist es die Wonne mit mir selbst allein zu sein, ganz allein [...] mein eigener Historiker sein zu können, oder der Gelehrte zu sein, der seinen eigenen Organismus unter das Mikroskop setzt und sich freut sobald er etwas neues findet.’ Törless fühlt sich jedoch nicht wie Joyces Künstler, der ‘like the God of the creation, remains within or behind or beyond or above his handiwork, invisible, refined out of existence, indifferent paring his fingernails’ (P 2l5), sondern bezieht seine geistige Nahrung aus seiner ‚participation mystique’ am Leben jenseits von bürgerlicher Norm und Moral. Dass er wie Stephen nicht davon zurückschreckt, Menschen und Situationen für eigene Zwecke zu nutzen , wird durch die Einsicht gemildert, ‘dass wir mit dem Denken allein nicht auskommen’ (T 135). Er gewinnt Einblick in eine nicht-ratioïde Dimension in ihm selber, die er bisher nur als Projektion wahrgenommen hat und deren Bedeutung der Erzähler kommentierend bestätigt: ‘Eine große Erkenntnis vollzieht sich nur zur Hälfte im Lichtkreise des Gehirns, zur andern Hälfte in dem dunklen Boden des Innersten, und sie ist vor allem ein Seelenzustand, auf dessen äußerster Spitze der Gedanke nur wie eine Blüte sitzt.’ (T 137) Hier offenbart sich bei Musil die dichterische Komponente seiner Intellektualität, die ein einseitiges Cogito ergo sum dem ‘Dörrfischrationalismus’ zuordnet. Dichtung ist für Musil ein ‘religiöses Unterfangen ohne Dogmatik, eine empiristische Religiosität’ (PS 971): ‘Ich messe der Dichtung eine Wichtigkeit bei, die weit über die Wichtigkeit andrer menschlicher Tätigkeiten emporragt. Sie setzt nicht nur Erkenntnis voraus, sondern setzt die Erkenntnis über sich hinaus fort, in das Grenzgebiet der Ahnung, Mehrdeutigkeit, der Singularitäten, das bloß mit den Mitteln des Verstandes nicht mehr zu fassen ist. Sie hat das gemeinsam mit der Religion, aber um wieviel mehr Zwangsläufigkeit und Enge hat Religion wieviel weniger Bewegungsfreiheit. Andrerseits richtet sich die Dichtung nicht nur auf Erkenntnis, wie das die Wissenschaften tun, sondern auf das einzig und allein Erkennenswerte. Sie beschreibt keine Realität, sondern sie schafft eine Idealität sie hat ihr Ziel im Jenseits. Sie schafft eine Gütertafel. Sie schafft schlechterweg das Gute.’ (PS 1327)
Cornelia Pechota, Dr. phil., geboren in Zürich, lebt seit 1971 in Genf. Nach langjähriger Tätigkeit als diplomierte Übersetzerin, Herausgeberin und Redakteurin studierte sie Germanistik, Anglistik und Assyriologie an der Genfer Universität. Mit der Magisterarbeit über Robert Musil und James Joyce schloss sie 1995 ihr Studium ab. 2003 promovierte sie an der Universität Lausanne in Germanistik. Auf die Publikation ihrer Dissertation ‚O Vater, laß uns ziehn!’ Literarische Vater-Töchter um 1900. Gabriele Reuter, Hedwig Dohm, Lou Andreas-Salomé (2005) folgte die vergleichende Studie Heim und Unheimlichkeit bei Rainer Maria Rilke und Lou Andreas-Salomé. Literarische Wechselwirkungen (2010). Zur Neuedition von Lou Andreas-Salomé: Henrik Ibsens Frauen-Gestalten (2012) verfasste sie die Kommentare und das Nachwort. Beteiligt an Jahrbüchern und Zeitschriften (Blätter der Rilke-Gesellschaft, Nietzsche-Forschung, Entwürfe, Kultursoziologie) und Sammelbänden. Weitere Informationen unter http://www.cpv-intertext.com.
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